Hallo zusammen!
Als grosser Thomas Mann und Franz Kafka Liebhaber, möchte auch ich bei dieser Diskussion nicht ganz schweigen.
Zusammengefasst: Ich stimme Evelyne Marti und sandhofer zu. Auch für mich war die Biografie bei Kafka wesentlich wichtiger, als bei T. Mann. Bei beiden Autoren las ich zuerst einen Roman (Buddenbrooks und der Prozess). Die Folge war aber nicht die gleiche:
Nach den Buddenbrooks wusste ich: dies ist ein Autor, von dem ich mehr lesen möchte, er liest sich gut, ist tiefsinnig, interessant und stilvoll; der Autor als Person interessierte mich nicht wirklich, erst nach den Josephs Romanen, gefolgt vom Doktor Faustus, begann ich mich etwas für die Person zu interessieren, habe aber bis heute noch keine einzige Thomas Mann Biografie gelesen und verspühre auch kein Bedürfnis dazu. Einige wenige autobiografischen Zeugnisse reichen mir auch heute noch.
Nach dem Prozess war dies anders, zwar gefiel mir auch dieses Buch ausserordentlich gut, aber eigentlich noch mehr interessierte mich, was dies für ein Mensch ist, der ein solches Werk zustande bringt, der aber sein Werk vernichtet wissen wollte und so weiter. Für mich ist die Biografie Kafkas sehr wichtig für das Verständnis seines Werkes, nicht nur der von sandhofer erwähnte Konflikt mit dem Vater, sondern noch vieles mehr: z. B. das sich hingezogen-fühlen zum Ostjudentum, in welchem er sich aber immer fremd fühlte, ja, dieses Gefühl der Einsamkeit, des Aussenseitertums überhaupt in seinem Leben: er der Schriftsteller, der weder von seiner Familie, noch von den meisten Mitmenschen verstanden wurde, er, der in einer Versicherung (die Bürokratie findet ja einen starken Niederschlag in seinen Werken) arbeiten musste, obwohl er am Tag hätte schlafen wollen um des nachts zu schreiben, er, der sich eine Frau und Familie wünschte, sich aber zu schwach, bzw. der Literatur zu sehr verpflichtet fühlte, als dass er auch noch eine Familie ernähren könnte. Die Stellung als deutschsprachiger Jude in Prag, all dies und vieles mehr; mir hilft es um das Entstehen und den Sinn dieser merk-würdigen Prosa zu verstehen, wer kann Träume (sein Werk besteht nicht nur aus Traum, glaube ich, aber es verdankt der Traumlogik, dem Transponieren der Realität in eine „Überrealität“, sehr viel) verstehen ohne zu wissen, was am Tag geschah?
Der Unterschied zwischen Kafka und Mann, in Bezug auf die Stellung des Werks zur Biografie sehe ich darin, dass Mann die Fakten, die wirklichen Geschehnisse nimmt und sie „zusammensezt“, natürlich werden sie so angepasst, dass sie in den Zusammenhang passen, aber im Endeffekt bleiben sie, was sie gewesen sind. Ich sehe Thomas Mann immer als grossen Kunsthandwerker: Er erschafft selten völlig neues, aber er setzt zusammen, komponiert und ergänzt, poliert. Kafka hingegen übernimmt nichts von den Geschehnissen einfach so, alles wird verschlüsselt, Metaphern sind bekanntlich in seinem Werk allgegenwärtig, die Realität wird überspitzt und so verwandelt, dass sie nicht mehr als Realität erkannt werden kann. Seine Geschichten sind (z. T. groteske) Metaphern für das was er erlebte und zum Verständnis der Metaphern ist es nun einmal unabdingbar eine Ahnung zu haben, was er erlebte. So sehe ich das, ich bin nicht Literaturwissenschaftler und kann nicht sagen, wie es anderen ergangen ist und ergeht, was d i e Wahrheit ist. Was ich von mir schreibe ist nur m e i n e Wahrheit, e i n e Wahrheit.
Es grüsst
alpha