Hilft uns die Biografie des Autors, sein Werk zu verstehen?

  • Hallo zusammen!


    Als grosser Thomas Mann und Franz Kafka Liebhaber, möchte auch ich bei dieser Diskussion nicht ganz schweigen.


    Zusammengefasst: Ich stimme Evelyne Marti und sandhofer zu. Auch für mich war die Biografie bei Kafka wesentlich wichtiger, als bei T. Mann. Bei beiden Autoren las ich zuerst einen Roman (Buddenbrooks und der Prozess). Die Folge war aber nicht die gleiche:
    Nach den Buddenbrooks wusste ich: dies ist ein Autor, von dem ich mehr lesen möchte, er liest sich gut, ist tiefsinnig, interessant und stilvoll; der Autor als Person interessierte mich nicht wirklich, erst nach den Josephs Romanen, gefolgt vom Doktor Faustus, begann ich mich etwas für die Person zu interessieren, habe aber bis heute noch keine einzige Thomas Mann Biografie gelesen und verspühre auch kein Bedürfnis dazu. Einige wenige autobiografischen Zeugnisse reichen mir auch heute noch.
    Nach dem Prozess war dies anders, zwar gefiel mir auch dieses Buch ausserordentlich gut, aber eigentlich noch mehr interessierte mich, was dies für ein Mensch ist, der ein solches Werk zustande bringt, der aber sein Werk vernichtet wissen wollte und so weiter. Für mich ist die Biografie Kafkas sehr wichtig für das Verständnis seines Werkes, nicht nur der von sandhofer erwähnte Konflikt mit dem Vater, sondern noch vieles mehr: z. B. das sich hingezogen-fühlen zum Ostjudentum, in welchem er sich aber immer fremd fühlte, ja, dieses Gefühl der Einsamkeit, des Aussenseitertums überhaupt in seinem Leben: er der Schriftsteller, der weder von seiner Familie, noch von den meisten Mitmenschen verstanden wurde, er, der in einer Versicherung (die Bürokratie findet ja einen starken Niederschlag in seinen Werken) arbeiten musste, obwohl er am Tag hätte schlafen wollen um des nachts zu schreiben, er, der sich eine Frau und Familie wünschte, sich aber zu schwach, bzw. der Literatur zu sehr verpflichtet fühlte, als dass er auch noch eine Familie ernähren könnte. Die Stellung als deutschsprachiger Jude in Prag, all dies und vieles mehr; mir hilft es um das Entstehen und den Sinn dieser merk-würdigen Prosa zu verstehen, wer kann Träume (sein Werk besteht nicht nur aus Traum, glaube ich, aber es verdankt der Traumlogik, dem Transponieren der Realität in eine „Überrealität“, sehr viel) verstehen ohne zu wissen, was am Tag geschah?
    Der Unterschied zwischen Kafka und Mann, in Bezug auf die Stellung des Werks zur Biografie sehe ich darin, dass Mann die Fakten, die wirklichen Geschehnisse nimmt und sie „zusammensezt“, natürlich werden sie so angepasst, dass sie in den Zusammenhang passen, aber im Endeffekt bleiben sie, was sie gewesen sind. Ich sehe Thomas Mann immer als grossen Kunsthandwerker: Er erschafft selten völlig neues, aber er setzt zusammen, komponiert und ergänzt, poliert. Kafka hingegen übernimmt nichts von den Geschehnissen einfach so, alles wird verschlüsselt, Metaphern sind bekanntlich in seinem Werk allgegenwärtig, die Realität wird überspitzt und so verwandelt, dass sie nicht mehr als Realität erkannt werden kann. Seine Geschichten sind (z. T. groteske) Metaphern für das was er erlebte und zum Verständnis der Metaphern ist es nun einmal unabdingbar eine Ahnung zu haben, was er erlebte. So sehe ich das, ich bin nicht Literaturwissenschaftler und kann nicht sagen, wie es anderen ergangen ist und ergeht, was d i e Wahrheit ist. Was ich von mir schreibe ist nur m e i n e Wahrheit, e i n e Wahrheit.


    Es grüsst
    alpha

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • Zitat von "sandhofer"


    Nun, für mich (für mich!) war der erfolgreichste Versuch, Kafka etwas abgewinnen zu können, immer der, ihn aus seinem Konflikt mit einem übermächtigen Vater zu verstehen, ein Konflikt auch mit der übermächtigen Kultur, in der er aufgewachsen ist.


    Entschuldige die penetrante Nachfragerei. Dass der Vaterkonklikt immer wieder als wichtig für das Verständnis von Kafka genannt wird, ist mir bekannt, trotzdem hilft er mich nicht kafkas "Prozeß" zu verstehen. Ich gebe also gerne zu, dass ich von diesem Roman Kafkas nicht viel verstanden habe, obwohl ich die Biogragie Kafkas inzwischen sehr gut kenne. Ich wäre dir also dankbar, wenn du mir sagen könntest, wieso der Vaterkonflikt eine der für mich offenen Fragen zum "Prozeß" beantwortet:


    Wer oder was ist das Gericht?
    Was hat K. verbrochen?
    Wieso haust das Gericht auf dem Speicher eines Mietshauses?
    Wieso empfängt der Advokat seine Mandanten im Bett?
    Was bedeutet die Prügelszene?
    Wieso wird K. im letzten Kapitel erstochen?


    Keine dieser Fragen kann ich mir aus dem Vaterkonflikt oder sonstwie aus der Biografie erklären?


    Gruß


    Georg

  • Hallo zusammen!
    Hallo Georg!


    Zitat von "Georg"

    Entschuldige die penetrante Nachfragerei.


    Ist schon ok - wenn's mich nervt, werde ich einfach nicht mehr antworten ... :breitgrins: :breitgrins: :breitgrins:


    Ich möchte auch gleich vorausschicken, dass ich psychoanalytischen Deutungen äusserst skeptisch gegenüberstehe. Sie sollten nur von ausgebildeten Psychoanalytikern gemacht werden; und der Proband / die Probandin sollte antworten können - wie in jeder klassischen Psychoanalyse. Dennoch hat mir diese Verbindung 'Vater - (jüdische) patriarchalische Gesellschaft - als übermächtig empfundene Verhältnisse' bei Kafka geholfen, einen Sinn auszumachen. Aber ich bin selber kein Psychoanalytiker, und ich behaupte nicht, dass dieser Ansatz bei Kafka der einzig-mögliche sei. Er hat sich für mich als Königsweg erwiesen; andere mögen anderswie Zugang zu Kafka finden.


    Zitat von "Georg"

    Wer oder was ist das Gericht?

    Siehe oben: 'Vater - (jüdische) patriarchalische Gesellschaft - als übermächtig empfundene Verhältnisse'

    Zitat von "Georg"

    Was hat K. verbrochen?

    Er war ungehorsam. Wie und wo, das weiss er nicht.

    Zitat von "Georg"

    Wieso haust das Gericht auf dem Speicher eines Mietshauses?

    Weil damit die Trias 'Vater - (jüdische) patriarchalische Gesellschaft - als übermächtig empfundene Verhältnisse' ganz eindeutig mit dem klein- bis grossbürgerlichen Mief verbunden werden.

    Zitat von "Georg"

    Wieso empfängt der Advokat seine Mandanten im Bett?

    S. oben. Auch ist die Figur des Vaters im Bett wohl mitzudenken. Was tut der Vater dort (mit der Mutter)? Der Vater im Negligé: Im Alten Testament werden Noahs Söhne von Gott verdammt, weil sie ihres Vaters Scham betrachteten. Der eine, der sie, rückwärts auf den Vater zugehend, zudeckt, wird Gottes Favorit ....

    Zitat von "Georg"

    Was bedeutet die Prügelszene?

    Tut mir leid, es ist zu lange her, dass ich den Prozess gelesen habe; die Szene sagt mir so nichts ...

    Zitat von "Georg"

    Wieso wird K. im letzten Kapitel erstochen?

    Klassisch freudianisch argumentiert (und auch Freud war ein Jude!): Wenn der kleine Ödipus seinen Vater nicht beiseite schaffen kann, was bleibt ihm?: Selbstmord, Selbstkastration, Selbstblendung ... (Aber hier verlasse ich meinen Kompetenzbereich. Es bleibt für mich allerdings die Frage: Warum wollte Kafka sein Werk verbrennen? Ist da nicht (auch) der kleine Ödipus drin, der glaubt, dem übermächtigen Vater selbst mit seinem literarischen Werk nicht genügen zu können?)


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen! :zwinker:


    Ich kann zwar Kafkas (der Traumsprachlogik verwandte) Romane auch ohne seine Biographie nachempfinden, weil ich selbst Vielträumer bin, aber gerade deshalb weiss ich, dass sie ohne biographischen Hintergrund nicht auskommen.


    Schon allein das überall präsente Beamtliche ist nur verständlich, wenn man weiss, wie sehr Kafka unter der Doppelbelastung seines Beamtendaseins gelitten hat. Als sein Vater ihn auch noch zur Arbeit im Geschäft zwingen wollte, drohte er mit Selbstmord, was seine Schwester GSD ausbügeln konnte.


    Ich hab schon klare Deutungsansätze, werde sie aber hier nicht wiederholen, zu haarsträubend :breitgrins: wirkten sie an anderer Stelle (siehe meine Beiträge zu Kafkas Ein Landarzt, zu finden auf meiner Site unter Rezensionen).


    Ich habe von beiden, Kafka und Thomas Mann, jeweils eine Biographie-CD-Room, dort kann ich das Wesentliche nachlesen, doch bei Kafka ist es mir in Bezug auf den Prozess zu wenig.


    Anders liegt die Sachlage bei Kafkas Schloss. Ich hatte dermassen ähnliche Träume (ebenfalls von einer Burg) und kann die Todesnähe Kafkas (seiner Tuberkulose) daraus herausspüren (in meinem Traum ging es auch um einen todkranken Menschen), dieser Roman kommt mir also erstaunlich klar vor.


    Nicht jedoch Der Prozess, denn ich war nun mal noch nie vor Gericht und nur wenige meiner Träume passen dazu, deshalb hänge ich in diesem Roman noch. Mir fehlen die entscheidenden biographischen Daten dazu.


    Bye, Ivy

  • Hallo zusammen,


    ich persönlich komme bei Thomas Mann auch sehr gut ohne größere biographische Hintergründe aus. Dies hat zwei Gründe: 1. Manns Werke sind im Vergleich zu Kafka in viel größerem Maße selbsterklärend, d.h. Antworten auf Interpretationsfragen lassen sich weitesgehend aus dem Text selbst ziehen und 2. ich mag Thomas Mann nicht sonderlich. Die Texte, die ich bisher von ihm gelesen habe, konnten mich nicht wirklich faszinieren, sodaß ich mich nicht auch noch eingehender mit dem Menschen Thomas Mann befassen möchte, zumal ich annehme, daß eine tiefere Kenntnis seines Lebens bei mir keinen größeren Lesegenuß hervorrufen wird.


    Bei Kafka hingegen versuche ich mich an jede Analysehilfe zu klammern, die sich anbietet, da seine Texte eine Fülle von Interpretationen und Deutungsmöglichkeiten bieten, ohne daß selbständig aus dem Text heraus eine Variante als bevorzugte herausgearbeitet werden könnte.
    Also muß man bei der Analyse zwangsläufig auf weitere 'Hilfsmittel' zurückgreifen. Sei dies nun das Verhältnis zum Vater, sei es das Lebensumfeld, seien es politische oder gesellschaftliche Rahmenbedingungen, sei es Religion, etc. Anhaltspunkte hierfür lassen sich aber schlichtweg nur in der Biographie Kafkas finden.
    Natürlich bleiben auch dabei noch viele Fragen offen, dennoch ergibt sich die Möglichkeit, auf der Basis solcher zusätzlichen Informationen zu einem fundierterem Urteil zu gelangen.


    Gruß
    Berch

  • Zitat von "alpha"


    Der Unterschied zwischen Kafka und Mann, in Bezug auf die Stellung des Werks zur Biografie sehe ich darin, dass Mann die Fakten, die wirklichen Geschehnisse nimmt und sie „zusammensezt“, natürlich werden sie so angepasst, dass sie in den Zusammenhang passen, aber im Endeffekt bleiben sie, was sie gewesen sind. Ich sehe Thomas Mann immer als grossen Kunsthandwerker: Er erschafft selten völlig neues, aber er setzt zusammen, komponiert und ergänzt, poliert.


    Thomas Mann als Kunsthandwerker, der selten etwas völlig neues schafft, sondern zusammensetzt, komponiert, ergänzt und poliert! Das sehe ich ganu so, manchmal auch verschleiert. Also Thomas Mann, dessen Werke alle mit seiner Biografie zu tun haben, aber genau deshalb bringt es ja zusätzliche Erkenntnis seine Biografie zu kennen.


    Gruß


    Georg


  • Danke, Sandhofer, für deine Interpretationen. Ehrlich gesagt, kann ich diese nicht nachvollziehen, Es wundert mich auch, dass du sagst du hältst nichts von psychoanalytischen Deutungen, dann aber genau eine solche vorlegst.


    Zum einzelnen. Wenn das Gericht der Vater wäre, wieso wird K. dann von 3 Wächtern am Anfang verhaftet und am Schluß von 2 Wächtern getötet?


    Wenn K. nicht wüsste, was er verbrochen hat, wieso läßt er es sich bei der ersten Untersuchung nicht vom Gericht erklären, sondern fängt gleich an sich zu verteidigen. Also ich denke K. weiß wessen er schuldig ist, nur der Leser weiß es nicht.


    Wenn schon das Gericht der Vater war, kann ja der Advokat im Bett nicht auch der Vater sein, dann wären ja Gericht und Advokat identisch.


    Es scheint wirklich schon lange her zu sein, seit du das Buch gelesen hast, den am Schluß geht es nicht um Selbstmord, Selbstkastration o.ä. sondern um die Vollstreckung eines Todesurteils.


    Also wenn der Prozeß, ausschliesslich das Ergebnis eines Ödipuskomplexes sein sollte, wie du andeutest, dann wäre der Roman sicher nur für Psychoanalytiker zu empfehlen, aber nicht für Leser. Ich denke aber das wäre eine Unterschätzung von Kafka.


    Deine Interpretation zeigt mir, was ich schon vermutete, dass Kafkas Biografie für die Deutung des Prozeß keine Hilfe ist, und höchstens in eine falsche Richtung führt.


    Gruß


    Georg

  • Zitat von "Evelyne Marti"


    Ich hab schon klare Deutungsansätze, werde sie aber hier nicht wiederholen, zu haarsträubend :breitgrins: wirkten sie an anderer Stelle (siehe meine Beiträge zu Kafkas Ein Landarzt, zu finden auf meiner Site unter Rezensionen).


    Ich habe von beiden, Kafka und Thomas Mann, jeweils eine Biographie-CD-Room, dort kann ich das Wesentliche nachlesen, doch bei Kafka ist es mir in Bezug auf den Prozess zu wenig.


    Hallo Evelyne,


    wir treffen uns ja in den verschiedensten Foren. :smile:
    Ich habe jetzt deine Deutungen zu Kafkas Landarzt nachgelesen in "kafkaesk" und fand sie eigentlich nicht haarsträubend sondern eher einleuchtend. Allerdings finde ich die Geschichte schon haarsträubend und entsetzlich und interessiert mich deshalb eigentlich nicht.


    Das die Biographie von Kafka in Bezug auf den Prozess nichts hergibt, sehe ich genau wie du.


    Gruß


    Georg

  • Zitat von "Berch"

    Hallo zusammen,


    ich persönlich komme bei Thomas Mann auch sehr gut ohne größere biographische Hintergründe aus. Dies hat zwei Gründe: 1. Manns Werke sind im Vergleich zu Kafka in viel größerem Maße selbsterklärend, d.h. Antworten auf Interpretationsfragen lassen sich weitesgehend aus dem Text selbst ziehen und 2. ich mag Thomas Mann nicht sonderlich. Die Texte, die ich bisher von ihm gelesen habe, konnten mich nicht wirklich faszinieren, sodaß ich mich nicht auch noch eingehender mit dem Menschen Thomas Mann befassen möchte, zumal ich annehme, daß eine tiefere Kenntnis seines Lebens bei mir keinen größeren Lesegenuß hervorrufen wird.


    Bei Kafka hingegen versuche ich mich an jede Analysehilfe zu klammern, die sich anbietet, da seine Texte eine Fülle von Interpretationen und Deutungsmöglichkeiten bieten, ohne daß selbständig aus dem Text heraus eine Variante als bevorzugte herausgearbeitet werden könnte.
    Also muß man bei der Analyse zwangsläufig auf weitere 'Hilfsmittel' zurückgreifen. Sei dies nun das Verhältnis zum Vater, sei es das Lebensumfeld, seien es politische oder gesellschaftliche Rahmenbedingungen, sei es Religion, etc. Anhaltspunkte hierfür lassen sich aber schlichtweg nur in der Biographie Kafkas finden.
    Natürlich bleiben auch dabei noch viele Fragen offen, dennoch ergibt sich die Möglichkeit, auf der Basis solcher zusätzlichen Informationen zu einem fundierterem Urteil zu gelangen.


    Hallo Berch,


    es ging nicht darum, ob man Thomas Mann mag, oder sich einen Lesegenuss von seiner Biografie erhofft, sondern konkret um die Frage, versteh ich wenn ich die Biografie des Autors kenne


    a) den "Zauberberg" besser als vorher


    b) den "Prozeß" besser als vorher.


    Da ich biede Romane kenne und auch die Biografie beider Autoren, kann ich sagen, den "Zauberberg" habe ich besser verstanden nach Kenntnis der Biografie, beim Prozeß hat mir die Biografie von Kafka dagegen nichts gebracht.


    Da du Thomas Manns Biografie anscheinend gar nicht kennst, kannst du ja auch nicht wissen, ob sie Erkenntniszuwachs gebracht hätte.


    Und welche Erkenntnis du aus Kafkas Biografie für den Prozeß gewonnen hast, müsstest du noch darlegen.


    Gruß


    Georg

  • Zitat von "Georg"


    Da du Thomas Manns Biografie anscheinend gar nicht kennst, kannst du ja auch nicht wissen, ob sie Erkenntniszuwachs gebracht hätte.


    Hallo,


    da stimme ich Georg zu. Es ist doch etwas sonderbar, wenn Berch sagt:

    Zitat

    ....und 2. ich mag Thomas Mann nicht sonderlich. Die Texte, die ich bisher von ihm gelesen habe, konnten mich nicht wirklich faszinieren, sodaß ich mich nicht auch noch eingehender mit dem Menschen Thomas Mann befassen möchte, zumal ich annehme, daß eine tiefere Kenntnis seines Lebens bei mir keinen größeren Lesegenuß hervorrufen wird.


    Wie kann er aus seiner Abneigung Th. Mann gegenüber, bzw. seinem Mißfallen der bisher gelesenen Werke darauf schließen, daß ihm Manns Biografie nichts bringen könnte?
    Berch, Du sagst ja selbst, daß Du annimmst, eine tiefere Kenntnis von Manns Leben würde Dir nichts bringen. Für diese Haltung gibt's einen Begriff, der heißt "Vorurteil". Versuch' doch einfach mal, eine kleine Biografie Th. Manns zu lesen, ich glaube fast, Du wärst überrascht! Und manches seiner Werke erschiene Dir in einem neuen Licht. :smile:


    Gruß,
    Gitta

  • Hallo zusammen,


    weiter oben in diesem Thread hatte ich mal als These geschrieben:


    1. Ein Buch, dass man ohne Biographie des Autors nicht mit Gewinn lesen kann, ist kein gutes Buch.


    2. Ein Buch, bei dem einem die Kenntnis der Autorbiographie nicht einen zusätzlichen Gewinn bringt, ist nicht viel besser.


    Wenn diese meine These stimmt, dann wäre den Postings von Ivy, sandhofer, alpha und Berch zufolge der Roman "Prozeß" von Kafka kein gutes Buch?
    (Zumindest habe ich diese 4 so verstanden, dass ohne Kafka-Biographie man bei Kafka nicht weiterkommt, sollte ich da was falsch verstanden haben, bitte ich im voraus um Entschuldigung)


    Da man den Zauberberg oder Thomas Mann allgemein, ohne Biographie lesen kann, (Georg und Gitta zufolge, die die Biographie von Th. Mann anscheinend kennen), durch die Biographie aber zusätzlichen Gewinn aus der Lektüre erhält, wäre Thomas Mann auf jeden Fall der bessere Autor.


    Habe ich das jetzt richtig verstanden?


    Gruß von Hubert und schönes Restwochenende :sonne:

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Hubert"

    (Zumindest habe ich diese 4 so verstanden, dass ohne Kafka-Biographie man bei Kafka nicht weiterkommt, sollte ich da was falsch verstanden haben, bitte ich im voraus um Entschuldigung)


    Ich bin bei Kafka dank Kenntnis seiner Biografie weiter gekommen. Wobei die Frage, wieweit ich ohne diese Kenntnis gekommen wäre, müssig ist, da ich damals Kafkas Werk zugleich mit seiner Biografie rezipiert habe.


    Das hat mit der Qualität beider Autoren bzw. ihrer Werke nur insofern zu tun, als Mann wohl der universell verständlichere, "leichtere" ist.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "Hubert"


    1. Ein Buch, dass man ohne Biographie des Autors nicht mit Gewinn lesen kann, ist kein gutes Buch.


    2. Ein Buch, bei dem einem die Kenntnis der Autorbiographie nicht einen zusätzlichen Gewinn bringt, ist nicht viel besser.


    Hallo.


    dieser Aussage schließe ich mich an! Es werden doch bedeutend mehr Bücher ohne vorherige Lektüre der Biografie des entspr. Autors gelesen. als umgekehrt. Oft mit Gewinn. Wenn überhaupt, dann wird die Biografie meist erst nach dem Werk gelesen, weil das Werk erst Lust auf Lebenshintergründe macht. Bei mir war/ist dies jedenfalls oft so. Dann erhöht(e) sich laut Satz 2 oben mein Gewinn.
    Bei Kafka forderte mich sein Werk heraus, seine Biografie zu lesen, weil ich vermutete, daß sie aufschlußreich für seine Romane u. Erzählungen sein könnte. Meine Vermutung stellte sich als richtig heraus. Ähnlich, wenn auch etwas anders gelagert, war dies bei Thomas Mann der Fall. (Wieso stellt eigentlich niemand diese Frage bei seinem Bruder, Heinrich Mann? M. M. nach war er genau so bedeutend u. hatte erhebliche Probleme mit seiner Rolle als "Bruder").


    Gruß,
    Gitta


    @ Berch nochmal: Meine Bemerkung mit dem "Vorurteil" war rein sachlich gemeint, also bitte nicht als persönliche Kritik auffassen. Eine Diskussion macht m. M. nach nur Sinn, wenn das Gegenüber sachliche Einwände akzeptiert. Dies gilt auch für mich! :smile:

  • Nun ja, Hubert,
    ich glaube, du willst nur etwas provozieren, mit deiner Aussage, wir würden Kafka nicht wertschätzen, denn all unsere Beiträge haben ja gezeigt, wie sehr er uns am Herzen liegt, sozusagen. Und dann hast du u. a. auch mich wahrscheinlich wirklich auch falsch verstanden. Ich schrieb, ich sei nach dem Prozess neugierig geworden auf den Autor, nicht dass ich das Buch „ohne Gewinn“ gelesen hätte, wie es nach deiner Definition sein müsste, um es als schlechtes Buch zu klassifizieren! – Einen Gewinn hatte ich (und hat hoffentlich jeder Leser) schon aus der nackten Lektüre, ohne drum herum, denn erstens ist die Handlung höchst merkwürdig/interessant und zweitens ist da noch die überreiche Sprache, nicht hochgezüchtet (dies ist keine Kritik) wie bei Thomas Mann, aber klar und deutlich, jedoch mit den schönsten Metaphern versehen (auf dass die Sprache nicht allzuklar und deutlich/nüchtern sei).


    Nebenbei: Du selbst schreibst in deinen Thesen, dass ein Buch, bei dem die Kenntnis der Biografie nicht „neuen Gewinn“ bringt, ein schlechtes Buch sei und ich sehe zwischen „neuem Gewinn“ und „weiterkommen“ keinen grossen Unterschied, aber das ist schon bald Haarspalterei, ich glaube, wir haben uns schon verstanden, oder :zwinker: ?


    Gruss alpha


    @ Gitta: Heinrich Mann? – Der Bruder im Schatten des jüngeren... Ja, natürlich war dies nicht einfach für Heinrich, besonders dann im amerikanischen Exil: der Bruder hoch gefeiert, er selbst eher einsam (wenn ich richtig informiert bin). Der Einfluss auf das Werk? – Ich weiss es ehrlich gesagt überhaupt nicht! :entsetzt:
    Da gibt es selbstverständlich die politische Linie (inklusive leichten Antisemitismus) aber sonst weiss ich nicht viel dazu zu sagen. Wäre vielleicht interessant, aber der Heinrich steht auch bei mir im Schatten seines Bruders, tut mir leid.
    :sauer:

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • Hallo zusammen!


    Eigentlich OT:


    Zitat von "alpha"

    Wäre vielleicht interessant, aber der Heinrich steht auch bei mir im Schatten seines Bruders, tut mir leid.


    Rivalitäten zwischen Autoren zu sehen oder auch hineinzusehen, wenn keine da sind, ist ein beliebter Zeitvertreib. Die Diskussion, wer denn nun 'der Bessere' ist, Goethe oder Schiller, kann noch heute die Fetzen fliegen lassen. :breitgrins: Deshalb will ich jetzt auch gar nicht darauf eingehen, aber, imho:


    Heinrich "im Schatten seines Bruders" stehen zu lassen, tut diesem genialen Romancier Unrecht.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "alpha"


    @ Gitta: Heinrich Mann? – Der Bruder im Schatten des jüngeren... Ja, natürlich war dies nicht einfach für Heinrich, besonders dann im amerikanischen Exil: der Bruder hoch gefeiert, er selbst eher einsam (wenn ich richtig informiert bin).


    Hallo alpha,


    vom "im Schatten seines Bruders" habe ich nichts gesagt. Sollte das nach außen hin der Fall gewesen sein (war es wohl), so fühlte sich Heinrich dem Thomas gegenüber nicht im Schatten stehend, eifersüchtig war er vermutlich, unter Brüdern nicht ungewöhnlich. Er wußte vielmehr um seine schriftstellerische Ebenbürtigkeit, die allerdings sowohl sprachlich als auch thematisch u. - wenn man so will - politisch völlig anders gelagert war. Briefe (auch öffentliche) zeigen eine Rivalität, gewiß.
    Einsam waren wohl beide im Exil, wie alle schriftstellernden Emigranten. Wenn auch Thomas in Amerika gefeiert wurde, so gibt es andererseits von ihm Zeugnisse, die eine tiefe Verzweiflung in eben diesem Exil offenbaren, weil dort das für einen Schriftsteller Wichtigste, die eigene Muttersprache, bedeutungslos war. Natürlich auch wegen der Verhältnisse in Deutschland!
    (Entschuldigt bitte meine Abschweifung, die nicht zum Thema gehört! :redface:)

    Zitat

    aber der Heinrich steht auch bei mir im Schatten seines Bruders, tut mir leid.


    Muß es nicht, jeder hat seine Präferenzen. :smile: Ich persönlich finde H. Manns Sprache moderner als die von Thomas, obwohl ich letztere bewundere.
    Sandhofer:

    Zitat

    Heinrich "im Schatten seines Bruders" stehen zu lassen, tut diesem genialen Romancier Unrecht.


    Ja.


    Grüße,
    Gitta

  • Hallo zusammen,


    Georg: Es ist richtig, daß es nicht um die Frage ging oder geht, ob man einen bestimmten Autor mag oder nicht. Dennoch: Sofern ich Bücher privat lese, geht es mir nicht nur um Verständnis oder einen Erkenntnisgewinn, sondern auch um Unterhaltung. Unterhalten fühle ich mich von Texten, die ein mich interessierendes Thema in einer ansprechenden Art und Weise behandeln. Das Problem, daß ich also bei Mann habe ist nicht, daß ich seine Texte nicht verstehe (wenn ich auch sicherlich nicht bis ins kleinste Detail vordringe), sondern, daß ich mich schlecht unterhalten fühle. Aus diesem Grund investiere ich nicht noch zusätzliche Zeit in die Biographie des Autors, denn mehr Unterhaltung verspricht das ganz sicher nicht.
    Ich spreche garnicht ab, daß, bei genauerer Kenntnis der Biographie (einen groben Abriß über sein Leben und Wirken ist mir durchaus bekannt), einige Stellen der Texte Manns deutlicher, einleuchtender oder verständlicher werden. Aber wie gesagt: Ich denke, für eine erste Interpretation geben die Texte selbst genug her, einen wirklichen Mehrwert, der den Aufwand lohnt, verspreche ich mir aber nicht und deshalb lese ich in der Zeit, die ich mit dem Nicht-Lesen einer ausführlichen Biographie spare, lieber andere Texte. So zu verfahren, mag durchaus auf einem Vorurteil beruhen oder auch ignorant sein, stößt aber bemerkenswerter Weise nur bei einigen Autoren sauer auf.


    Der Mehrwert beim Lesen von Kafkas Biographie drückt sich in vielfältiger Weise aus, auch wenn ich seinem Verhältnis zu seinem Vater auch nicht die Bedeutung beimesse, wie Sandhofer dies tut. Ich will auch garnicht jede Kleinigkeit nun hier darlegen, aber vielleicht läßt sich dies auch an einem recht oberflächlichen Beispiel deutlich machen: In Kafkas Texten (nicht nur im Prozeß) sehe ich mitunter deutliche Anklänge zu religiösen, in diesem Fall jüdischen Motiven. Auf die Idee, bei der Analyse solcher Motive auch einen Blick auf den jüdischen Hintergrund des Autors zu werfen, wäre ich in Unkenntnis dieses Hintergrundes nicht gekommen.


    Gitta: Ich habe es nicht als persönliche Kritik aufgefaßt, keine Sorge. Es ist ja durchaus richtig. Solange, wie ich mich nicht eingehender als bisher (sehr kurze oder tabellarische Auflsitungen der wichtigsten Lebensstationen) mit der Biographie Manns auseinander gesetzt habe, kann ich nicht wissen, ob die tiefere Kenntnis einen Mehrwert hätte. Ich mutmaße das nur. Allerdings ist, wie oben beschrieben, meine Lesezeit begrenzt und daher wähle ich dann lieber Texte aus, die mich mehr ansprechen, als die Biographie eines Autors, der mir nicht gefällt.


    Gruß
    Berch

  • Zitat von "Berch"


    Georg:
    Der Mehrwert beim Lesen von Kafkas Biographie drückt sich in vielfältiger Weise aus, auch wenn ich seinem Verhältnis zu seinem Vater auch nicht die Bedeutung beimesse, wie Sandhofer dies tut. Ich will auch garnicht jede Kleinigkeit nun hier darlegen, aber vielleicht läßt sich dies auch an einem recht oberflächlichen Beispiel deutlich machen: In Kafkas Texten (nicht nur im Prozeß) sehe ich mitunter deutliche Anklänge zu religiösen, in diesem Fall jüdischen Motiven. Auf die Idee, bei der Analyse solcher Motive auch einen Blick auf den jüdischen Hintergrund des Autors zu werfen, wäre ich in Unkenntnis dieses Hintergrundes nicht gekommen.


    Nein, nein das ist kein oberflächliches Beispiel, wenn es so ist. Also alle Texte von Kafka kenne ich nicht, aber z.B. im Prozeß kann ich keine großen Anklänge zu jüdischen Motiven sehen, das will allerdings nicht viel heißen, weil ich mich mit jüdischen Motiven kaum auskenne.
    Du meinst also, wenn man den "Prozeß" mit jüdischen Augen sehen könnte, wäre er verständlich?
    Kannst du da mal ein paar Hinweise geben?


    Gruß


    Georg