Was lest ihr gerade?


  • Brechreiz qua Inhalt?


    Vor einigen Monaten las ich Jüngers Essay 'Der Waldgang'. Darin steht viel Gutes, klar Erkanntes und brillant Formuliertes zum Thema des geistigen Widerstands, der inneren Aufrichtigkeit, der Einsamkeit des Abweichlers, dem Standhalten gegenüber dem Druck der Mehrheitsmeinung bis hin zum aktiven Widerstand gegen Unrecht. Man kann sich dieser Mischung aus geistiger Klarheit und stilistischer Brillianz gut überlassen - solange man nicht darüber nachdenkt, in welcher historischen Situation dieser Essay entstanden ist: kurz nach dem Ende des 2. Weltkrieges und der Nazizeit zu Beginn der modernen bundesrepublikanischen Geschichte. Über den Widerstand gegenüber dem totalitären Naziregime liest man darin aber fast nichts, sondern in prophetisch-raunendem Ton spricht der Essay von der kommenden Bedrückung. Warum sinniert ein Mann mittleren Alters, der sich mit dem Naziregime offenbar recht gut arrangiert hatte, zu diesem Zeitpunkt über den Widerstand? Angesichts der Umstände kann mit der Bedrohung also vor allem die Bedrohung durch die moderne Gesellschaft gemeint sein, mithin das, was wir als moderne westliche Demokratien verstehen. Es ist dieser anitmoderne, antiwestliche und antidemokratische Impuls, der bei mir einen Brechreiz auslöst.


    Zu den Stahlgewittern gab es übrigens in einem der letzten Literaturclubs auf SF1 eine sehr gute Diskussion:
    http://www.srf.ch/player/tv/li…39-4469-8901-1c0e39f1d767

  • Gut. Verstanden. Also eher nicht interessant, bzw. noch mehr Zeitverschwendung. In Stahlgewittern werde ich noch durchhalten, aber es fasziniert mich nicht. Da hatte die Postkarte meines Urgroßvaters, wo er alles in der sibirischen Verbannung im 1. Weltkrieg (ja, im 1. Weltkrieg) war, mehr Spannung... Aber ich warte noch auf das große Grauen. So ist's nur ein lateinisches Aufzählen von Kopfschüssen, Wegschüssen, ach gottchen.


  • Gut. Verstanden. Also eher nicht interessant, bzw. noch mehr Zeitverschwendung.


    Das würde ich jetzt so nicht sagen. :zwinker:


    Ernst Jünger erschließt ja schon gewisse Denkwelten, die nicht nur für seine Zeit bedeutsam sind, sondern von denen ich auch den Eindruck habe, dass sie heute wieder vermehrt Anhänger finden. Ich kann nicht sagen, dass mich das freut. Aber es lohnt sich imho schon auch, sich damit einmal auseinanderzusetzen.


    Wenn ich die Diskussion zu den Stahlgewittern aus dem Literaturclub richtig in Erinnerung habe, wurde darin festgestellt, dass Jünger darin den Krieg als existenzielle Bewährungssituation und als Schule der Persönlichkeit beschreibt. Das Ich im Kampf, das Ich und der Feind. Was aus heutiger Sicht völlig befremdet, ist die Abwesenheit jeglicher Sinnfragen. Warum kämpfe ich hier? Warum dieser Krieg? Warum schieße ich auf den Feind, warum schießt der auf mich? Wer ist dieser Mann, auf den ich schieße? -- Es sind ja diese Fragen und ihre Beantwortung, die einen großen Teil der Kriegs- und vor allem der Antikriegsliteratur befeuern. Bei Jünger - so die Diskussion - ist davon aber nichts zu finden. Der Krieg wird nicht hinterfragt, sondern auf den Kampf reduziert. Dies und die gesamte Männlichkeitsrhetorik sorgt dann dafür, dass man das Buch als 'kriegsverherrlichend' abgelehnt hat. Passt das zu Deinen Eindrücken?

  • JA, gestern hatte ich ein Tief in den Stahlgewittern, ich kam nicht weiter. (Weil alle Welt im Zug mit dem Handy quatschen muss...)
    Es ist schon interessant, aber ich werde trotzdem nur das Buch lesen.

  • Nach Arthur C. Clarke "2001 - Odyssee im Weltraum" versuche ich mich nun mal an Giordano Bruno "Die Kabbala des Pegasus".

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)


  • JA, gestern hatte ich ein Tief in den Stahlgewittern, ich kam nicht weiter. (Weil alle Welt im Zug mit dem Handy quatschen muss...)
    Es ist schon interessant, aber ich werde trotzdem nur das Buch lesen.


    Falls du es über dich bringst, lese noch das Rohmaterial nämlich die Kriegstagebücher dieses rohen Abenteurers.

  • Nachdem Bruno nur ein kurzer, wenn auch gewichtiger Happen war, lese ich nun: "Die nachträglichen Memoiren des Bras Cubas" von Joaquim Maria Machado de Assis.


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    Sandhofer, kennst Du als bekennender Brasilien-Fan diesen Roman oder den Autor?

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Moin, Moin!


    Nachdem Bruno nur ein kurzer, wenn auch gewichtiger Happen war, lese ich nun: "Die nachträglichen Memoiren des Bras Cubas" von Joaquim Maria Machado de Assis. Sandhofer, kennst Du als bekennender Brasilien-Fan diesen Roman oder den Autor?


    Ich las vor 13 Jahren von ihm "Dom Casmurro", weiß zwar nicht mehr, worum es ging, erinnere mich aber an eine angenehme Lektüre.

  • Ich las vor 13 Jahren von ihm "Dom Casmurro", weiß zwar nicht mehr, worum es ging, erinnere mich aber an eine angenehme Lektüre.


    Dem kann ich nur zustimmen. Ich habe Dom Casmurro erst letztes Jahr gelesen (weiß also noch, worum es geht :zwinker:) und habe seitdem J. M. Machado de Assis für weitere Lektüre notiert, der - soweit ich weiß - als wichtigster brasilianischer Klassiker gilt.


    Gruß, Gina

  • Nachdem Bruno nur ein kurzer, wenn auch gewichtiger Happen war, lese ich nun: "Die nachträglichen Memoiren des Bras Cubas" von Joaquim Maria Machado de Assis.


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    Sandhofer, kennst Du als bekennender Brasilien-Fan diesen Roman oder den Autor?


    Ja. Beide. Wenn ich mich recht erinnere, könnte man sagen, dass Machado de Assis mit seinen Memórias Póstumas de Brás Cubas den magischen Realismus "erfunden" hat. Und natürlich die brasilianische Literatur als solche. Ich habe jede Zeile genossen. Viel Spass bei der Lektüre!

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Falls du es über dich bringst, lese noch das Rohmaterial nämlich die Kriegstagebücher dieses rohen Abenteurers.


    Das liest sich doch schon wie Tagebuch... Wie tagebuchiger soll es denn noch werden? Ein Glück, es ist bereits 1918. Ich hoffe ja nicht, dass Jünger noch privat bis 1920 verlängert hat... ;)

  • Gut, geschafft. Orden angeheftet. Ich weiß, vielleicht erkenne ich den Wert des Buches (noch) nicht, aber es lässt mich verwirrt zurück. Es ist gut geschrieben. Aber diese für mich zumindest (wenn ich den Kriegsverlauf nicht kennen würde) sinnlos anmutenden Bewegungen, mal dort, mal da, Angriff hier, Angriff da. Wo ist da der Handlungsstrang? Worum geht's eigentlich?
    Ehrlich: ich weiß es nicht. Gut, es bleibt vermutlich allemal mehr an der Realität eines Soldaten, aber hat der sich wirklich keine Gedanken über das gemacht, was er da getan hat? Und nur, dieses: oh es tat mir leid, die jungen Bürschelchen abzuschießen, hmmm, fehlt da mir was oder ihm?


  • Dem kann ich nur zustimmen, Gina!


    Nun habe ich zu Transatlantik von Colum McCann gegriffen. Ich mochte schon "Zoli" sehr gern und die ersten 100 Seiten haben mich bereits überzeugt. Drei Handlungsstränge, die durch feine Fäden verbunden sind. Gefällt mir sehr gut.


    [kaufen='978-3498045227'][/kaufen]


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()


  • Nun habe ich zu Transatlantik von Colum McCann gegriffen. Ich mochte schon "Zoli" sehr gern und die ersten 100 Seiten haben mich bereits überzeugt. Drei Handlungsstränge, die durch feine Fäden verbunden sind. Gefällt mir sehr gut.


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    Gruß,
    Maria


    Das steht auch auf meiner Liste - ist sogar schon bestellt (warte noch aufs englische TB, das soll Ende April erscheinen).


    Ich habe den Autor in Leipzig auf der Buchmesse bei einer sehr schönen Lesung aus diesem Buch erlebt (in der Albertina - leider war die Veranstaltung weniger gut besucht als sie verdient gehabt hätte).

  • Das steht auch auf meiner Liste - ist sogar schon bestellt (warte noch aufs englische TB, das soll Ende April erscheinen).


    Ich habe den Autor in Leipzig auf der Buchmesse bei einer sehr schönen Lesung aus diesem Buch erlebt (in der Albertina - leider war die Veranstaltung weniger gut besucht als sie verdient gehabt hätte).



    Ich hätte ihn gerne live erlebt.
    Die Szene des Transatlantikflugs ist großartig beschrieben, als ob man im Cockpit sitzt. Wie er dann mit staccato ähnlichen Sätzen die Situation vorantreibt, ist beeindruckend. Dann wiederum gibt es so herrlich ausführliche Beschreibungen. Ich denke, es wird dir gefallen.

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Hallo Maria,
    schön, dass es Dir auch gut gefallen hat!


    Transatlantik hört sich auch interessant an ... Aktuelles steht bei mir im Moment zwar nicht an, aber ich merke es mir für "irgendwann" (oh weh, wie so vieles andere auch :rollen:). Von Colum McCann kenne ich nur "Der Tänzer" - einem Roman über Nurejew konnte ich unmöglich widerstehen. :smile:


    Gruß, Gina

  • Hallo Maria,
    schön, dass es Dir auch gut gefallen hat!


    Transatlantik hört sich auch interessant an ... Aktuelles steht bei mir im Moment zwar nicht an, aber ich merke es mir für "irgendwann" (oh weh, wie so vieles andere auch :rollen:). Von Colum McCann kenne ich nur "Der Tänzer" - einem Roman über Nurejew konnte ich unmöglich widerstehen. :smile:


    Gruß, Gina



    Den "Tänzer" möchte ich auch noch gerne lesen.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Danke :smile:
    Ich habe nach gut 200 Seiten (Mitte 1855) erst einmal eine Pause eingelegt, da ich mir vorgenommen habe, begleitend zu den Tagebüchern auch Werke ihrer Zeitgenossen zu lesen (oder auch wieder zu lesen). Ein seeehr langfristiges "Projekt" ... :zwinker:


    Nun ja - nach Band 8 steht für mich fest: einen Roman von Zola und einen Roman der Goncourts werde ich wohl doch noch lesen müssen. Aber wirklich nur einen Zola. Ich mag ihn nicht; ich muss Edmond de Goncourt Recht geben, wenn er Zolas Stil für nicht-existent hält.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus