Lew Tolstoi: Die Auferstehung

  • Da es uns nicht gelungen ist, einen gemeinsamen Anfang festzulegen, eröffne ich hiermit einfach den Ordner für Leseeindrücke.

    Hier kann und soll jede(r) von seinen Leseeindrücken berichten. Es wäre nett, wenn jeweils dabei stünde, wie weit man gelesen hat, da wir keinen gemeinsamen Start haben.

  • Den Anfang finde ich sehr schön, auch poetisch:


    "Wie sehr die mehreren hunderttausend Menschen auf einem kleinen Platz sich auch bemühten, den Boden zu verderben, auf dem sie sich zusammengedrängt hatten; wie sehr sie auch die Erde mit Steinen verrammelten, damit nichts auf ihr wüchse, und jedes hervorsprießende Hälmchen ausrauften, und mit Steinkohlen und Naphtha Qualm entwickelten, und die Bäume beschnitten, und alle Tiere und Vögel verscheuchten - der Frühling war Frühling, sogar in der Stadt. Die Sonne wärmte; frisches Gras wuchs und grünte allerorten, wo man es nicht wegkratzte, nicht nur auf den Rasenplätzen der Boulevards, sondern auch zwischen den Steinfliesen; und Birken, Pappeln und Ahlkirschen entfalteten ihre klebrigen, duftenden Blätter. An den Linden schwollen die aufbrechenden Knospen; Dohlen, Sperlinge und Tauben bauten frühlingsfreudig schon ihr Nest, und die Fliegen summten sonnendurchwärmt an der Wand. Fröhlich waren Baum und Strauch, und Vögel und Insekten und die Kinder. Aber die Menschen - die großen, erwachsenen Menschen - hörten nicht auf, sich zu betrügen und zu quälen. ..."


    Eine schöne Beschreibung, und dann der Kontrast zu den Erwachsenen...

    Guter Beginn des Buches, finde ich.


    Hat jemand schonmal einen Blick in das Buch geworfen?

  • "Nicht diesen Frühlingsmorgen hielten die Menschen für helig und wichtig, nicht diese Schönheit der Gotteswelt, die zum Segen aller prangte (...), sondern heilig und wichtig war ihnen nur das, was se sich ausgedacht hatten, um übereinander zu herrschen."

    Das ist ein Satz, der heute noch Gültigkeit hat, vielleicht mehr als je zuvor, wo es um großangelegte Zerstörung der Schöpfung geht.

    Schön auch, wie dieser Beginn schon auf das Thema Auferstehung verweist.

    Ich bin vorgedrungen bis Kapitel 8, wobei ich meine beiden Übersetzungen immer wieder vergleiche. Sie unterscheiden sich nur in Kleinigkeiten. Interessant ist, dass in der einen vom "gelben Schein" der Prostituierten die Rede ist (fand ich so auch bei Dostojewski), in der anderen vom "roten Schein". Weiß jemand, woran das liegen könnte?

    Tolstois Schilderung der Richter und Geschworenen klingt in ihrem Sarkasmus erstaunlich modern.

  • Bin schon mal vorgesprungen und habe das Kapitel 8 gelesen. Sehr humorvoll, finde ich :) . M.E. wirklich ziemlich modern und sarkastisch. Hier ein paar kurze Auszüge:


    - Der Gerichts-Vorsitzende: "Hierauf faltete der Vorsitzende die Lose zusammen, legte sie in ein Glasgefäß und begann (...), mit Taschenspielermanieren immer einen Zettel allein herauszunehmen, auseinanderzufalten und zu verlesen."


    - Der "Geistliche": "Dass seine Tätigkeit vor Gericht, die darin bestand, alle möglichen Leute auf das Neue Testament zu vereidigen, in dem der Eid direkt verboten wird, keine gute Tätigkeit war; dieser Gedanke war ihm nie in den Kopf gekommen, und er fühlte sich durchaus nicht bedrückt, sondern liebte die gewohnte Beschäftigung, bei der er oft Gelegenheit hatte, die Bekanntschaft feiner Herren zu machen. Jetzt hatte er nicht ohne Befriedigung den berühmten Advokaten kennengelernt, ..."


    - Die Geschworenen: "Der stattliche Herr mit dem Backenbart, der Oberst, der Kaufmann und andre hielten die Hand mit zusammengelegten Fingern so, wie es der Geistliche verlangte, und zwar gleichsam mit besonderem Vergnügen sehr genau und hoch; die übrigen taten es anscheinend widerwillig und unbestimmt. Die einen wiederholten die Worte überlaut, mit einem Eifer und Ausdruck, der besagen wollte: komme, was da kommen mag, ich werde dennoch reden - andre flüsterten nur, traten vom Geistlichen fort und erreichten ihn dann gleichsam vor Schreck nicht zur rechten Zeit; die einen hielten mit herausfordernder Gebärde, als fürchteten sie, es könnte ihnen etwas entschlüpfen, die Finger übermäßig fest zusammen, die andern ließen sie auseinander und legten sie wieder zusammen. (...) Der Kaufmann, der Branntweingeruch um sich verbreitete und ein lautes Rülpsen unterdrückte, nickte bei jedem Satz beifällig mit dem Kopfe."


    - Der Jury-Vorsitzende: "Während seiner Rede veränderte der Vorsitzende beständig seine Haltung; bald stützte er sich auf den linken, bald auf den rechten Ellbogen, bald auf die Rücken-, bald auf die Armlehne des Sessels; bald ebnete er die Aktenränder, bald streichelte er das Falzmesser, bald befühlte er den Bleistift."


    :)

  • Einige Kapitel vorausgeeilt:


    Auferstehung - Kapitel 40. Der Gottesdienst begann. Daraus zitiert:


    Niemandem kam es in den Kopf, dass das vergoldete Kreuz mit den emaillierten Medaillons an den Enden, das der Priester gebracht und den Leuten zum Küssen dargereicht, nichts anderes war, als eine Darstellung desselben Galgens, an welchem Christus gerade dafür hingerichtet wurde, dass er all das verboten hatte, was jetzt hier in seinem Namen verrichtet wurde. Niemandem kam in den Sinn, dass jene Priester, die sich einbilden, unter der Gestalt von Brot und Wein den Leib Christi zu essen und sein Blut zu trinken, wirklich seinen Leib essen und sein Blut trinken, aber nicht in den Brotstückchen und in dem Wein, sondern dadurch, dass sie jene – »die Kleinen«, mit denen Christus sich identifiziert hat – verführen und sie des größten Heils berauben, den größten Qualen unterwerfen, indem sie vor den Leuten jene Heilsverkündigung verbergen, die er ihnen gebracht hat.

    Gottesdienst nur noch als Farce, als konfessionell vorgeschriebener und bürokratisierter Ritus, im Dogma erstickt, hohl und kalt, heute dürfen wir das aussprechen, was für Tolstoi damals die Exkommunikation bedeutete, die er, denke ich einmal, bewusst in Kauf nahm.


    Ich möchte hier keinesfalls eine religiöse Grundsatzdiskussion entfachen, das ist ebenso unfruchtbar wie am ende sinnlos, und endet oft in Hass und Hader.

    Aber allein für dieses Kapitel bin ich Tolstoi dankbar, für seinen Mut und für seine Aufrichtigkeit. Und hier geht dann Tolstoi mit Karl Marx konform (Opium des Volkes):


    Wenn diese Religion nicht gewesen wäre, so wäre es ihnen nicht nur schwieriger, sondern vielleicht gar unmöglich gewesen, all ihre Kräfte dazu zu gebrauchen, um Menschen zu quälen, wie sie es jetzt mit vollkommen ruhigem Gewissen taten.

    (Aus dem Kapitel 41 zitiert.)





  • Es liegt ein grundsätzlicher Unterschied zwischen den beiden Kritiken von Marx und von Tolstoj. Tolstoj kritisiert das Christentum von innen heraus. Er nimmt wahr, dass dem Kultus kein Leben folgt, das dem Inhalt des Kultus angemessen ist. Das heißt, man betet Christus am Kreuz an, ist aber nicht bereit, seine Nachfolge anzutreten. Man singt fromme Lieder, aber man kümmert sich nicht um die Armen. Ja, man kann sogar den Kultus als Vorwand nutzen, sein Gewissen zu beruhigen.


    Das Bewußtsein für diesen Skandal ist so alt wie die Kirche, ja sogar noch viel älter. Kultuskritik gehört schon zur jüdischen Religion und findet sich an der Bibel an verschiedenen Stellen. Der Prophet Amos bringt das auf den Punkt, wenn er davon spricht, dass Gott das Geplärr der Lieder zuwider ist, die im Tempel erklingen. Statt schöner Gottesdienste soll das Recht und die Sorge um die Bedürftigen im Vordergrund stehen. Genauso geht es im Neuen Testament weiter. Paulus etwa kritisiert die Korinther scharf, weil sie Abendmahl feiern und dabei die Armen unberücksichtigt lassen. Und wohlgemerkt, das steht alles in der Bibel!


    Christentum und Judentum haben beide innerhalb ihrer religiösen Tradition also den Gedanken bewahrt, dass Gottesdienst und Leben zusammengehören und eine Vernachlässigung der gelebten Nächstenliebe den Gottesdienst zu einer hohlen Form macht, die Gott beleidigt. Das Ziel der Kritik ist nicht die Abschaffung der Religion, sondern ein Leben, das den Ansprüchen der Religion auch gerecht wird.

  • Statt schöner Gottesdienste soll das Recht und die Sorge um die Bedürftigen im Vordergrund stehen. Genauso geht es im Neuen Testament weiter. Paulus etwa kritisiert die Korinther scharf, weil sie Abendmahl feiern und dabei die Armen unberücksichtigt lassen. Und wohlgemerkt, das steht alles in der Bibel!

    So steht es geschrieben. Auf dem Papier, die Realität sieht da etwas anders aus. Und wenn ich mir diese Welt im hier und heute so anschaue, da würde ich sagen, das unsere Welt ohne Religionen vielleicht etwas friedlicher wäre und etwas menschlicher.


    Und was Paulus im Korinther kritisert, oder olle Jesussen gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer wettert, das steht ebenfalls auf dem Papier, wird gerne einmal angeführt, es sind aber am ende beliebige Worthülsen aus einem Buch, das gute Menschen oder schlechte Menschen machen kann, entmenschte Bestien oder auch Heilige.


    Jeder wie er meint.

  • So steht es geschrieben. Auf dem Papier, die Realität sieht da etwas anders aus.


    Nein, die Realität sieht genau so aus. Deshalb ja die Kritik - sie benennt doch sichtbare Missstände, genau wie Tolstoj das auch tut. Die Kultuskritik ist Teil der Selbsterkenntnis und der Selbstkritik der Religionen (jedenfalls in Judentum und Christentum, woanders kenne ich mich zuwenig aus). Das ist der Punkt, auf den ich hinweisen wollte.

  • Wobei hier noch zu berücksichtigen wäre, dass Tolstoj die offizielle russisch-orthodoxe, in diesen Jahren vor der Jahrhundertwende besonders auf Staatstreue fixierte und vom Zarenstaat unterstützte Kirche ins Visier nimmt. Das Patriarchenamt war seit Peter dem Großen 1721 abgeschafft worden, mit dem Allerheiligsten Synod war bis 1918 ein kollektives Leitungsorgan für Kirchenangelegenheiten zuständig, das wie eine Staatsbehörde funktionierte - Katharina die Große leistete sich sogar den 'launigen', die Bischöfe jedoch erschreckenden Einfall, mit dem Kavalleriebrigadier Petr Chebyshev einen bekennenden Atheisten zum Aufseher über den Synod (Oberprokuror) zu ernennen.


    Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, seit der Zeit des Patriarchen Nikon, Oberhaupt der Kirche unter dem Vater Peters des Großen, Aleksej Michajlovich (1629-1676, reg. seit 1645), hatte es in Russland - ebenso wie in Mitteleuropa seit dem 16. Jahrhundert (Luther, Calvin, die Täufer und viele andere kleinere Religionsgemeinschaften) - Abspaltungen von der Staatskirche gegeben, durch die versucht wurde, zu den unverfälschten Werten des Urchristentums, wie man es sich mit allgemeiner Gleichheit und Friedfertigkeit vorstellte - durch Absonderung und Askese zurückzukehren. Es entstand die Bewegung der "Altgläubigen", das 'staroverie', in der sich im 18. Jahrhundert neben Bauern auch recht erfolgreiche Kaufleute einfanden. Sie bildeten in abgelegenen Gegenden größere Siedlungskomplexe (am Vyg im hohen Norden, um Belovesh in der Nähe der großen Urwälder an der unbestimmten ukrainischen Grenze zu Polen), wurden aber auch in Moskau im 19. Jahrhundert höchst erfolgreich wirtschaftlich aktiv (russische abgewandelte Variante der vom Calvinismus ausgehenden These von Max Weber vom "Protestantismus und dem Geist des Kapitalismus" ?!)


    Der Bezug zu Tolstojs Roman stellt sich ein, wenn man in Betracht zieht, dass der Schriftsteller zur Entstehungszeit seines letzten großen Romans die Aussiedelung der religiösen Gemeinschaft der "Duchoborcy" (Geistkämpfer), die es seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gab, auch finanziell zu unterstützten suchte, die nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1874 in Russland und der für sie durch Bedrängnisse unhaltbar gewordenen Situation, ähnlich den seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Südrussland ansässigen Mennoniten und den ursprünglich Gemeineigentum aufweisenden "Hutterern", nur noch in der Auswanderung nach Amerika ihren Weg sahen. Die "Duchoborcy" traten für die Freiheit des Gewissens ein und näherten sich damit auf religiöser Grundlage schon "demokratischen Bestrebungen" des europäischen Westens. In Argentinien gibt es heute noch russische religiöse Sondergemeinschaften, die von dieser Auswanderungswelle herrührten.



    Das heisst, es geht erst einmal gar nicht um die christliche Religion "an sich", Tolstoj und Dostoevskij waren tief gläubige Menschen, sondern um Alternativen, um einen notwendigerweise utopische Züge tragenden Gegenentwurf zum Leben unter den Bedingungen der aufs engste mit dem Staat verbundenen offiziellen Kirche

  • Bin jetzt bei Kapitel 6. Ein Auszug aus Kapitel 3:


    "Aufrichtig und entschlossen, wie die Jugend ist, hatte er damals nicht nur gesagt, dass Grund und Boden nicht Gegenstand des Privateigentums sein könne, und auf der Universität über diese Frage nicht nur ein Werk ausgearbeitet, (...) Jetzt, wo Nechljudow durch Erbschaft ein Großgrundbesitzer geworden war, musste er sich entscheiden: entweder auf sein Eigentum verzichten, wie vor zehn Jahren auf die 200 Morgen Land vom Vater, oder stillschweigend all seine früheren Gedanken als verkehrt und fehlerhaft bezeichnen.

    Das erste konnte er nicht, weil er außer dem Grundbesitz über keine Existenzmittel verfügte. In den Staatsdienst wollte er nicht wieder eintreten und hatte sich doch bereits an ein üppiges Leben gewöhnt, dem er nicht mehr entsagen zu können glaubte. Er fühlte auch gar keine Veranlassung hierzu, da die Eigenschaften seiner Jugend: Überzeugungskraft, Entschlossenheit, Ehrgeiz und der Wunsch, andre in Erstaunen zu setzen, längst abhanden gekommen waren."


    Kein einfacher Konflikt, in dem Nechljudow steckt.


    In Kapitel 4 ist mir dieser Satz aufgefallen:

    "... dieses [Marija`s] Verstehen, das heißt das Anerkennen seines [Nechljudows] hohen Wertes, war Nechljudow ein Beweis für ihren Verstand und für ihr richtiges Urteil." ...

  • "Nicht diesen Frühlingsmorgen hielten die Menschen für helig und wichtig, nicht diese Schönheit der Gotteswelt, die zum Segen aller prangte (...), sondern heilig und wichtig war ihnen nur das, was se sich ausgedacht hatten, um übereinander zu herrschen."

    Das ist ein Satz, der heute noch Gültigkeit hat, vielleicht mehr als je zuvor, wo es um großangelegte Zerstörung der Schöpfung geht.

    Schön auch, wie dieser Beginn schon auf das Thema Auferstehung verweist.

    Ich bin vorgedrungen bis Kapitel 8, wobei ich meine beiden Übersetzungen immer wieder vergleiche. Sie unterscheiden sich nur in Kleinigkeiten. Interessant ist, dass in der einen vom "gelben Schein" der Prostituierten die Rede ist (fand ich so auch bei Dostojewski), in der anderen vom "roten Schein". Weiß jemand, woran das liegen könnte?

    Tolstois Schilderung der Richter und Geschworenen klingt in ihrem Sarkasmus erstaunlich modern.

    Die russische Ärztin und Publizistin Elizaveta Sergeevna Drenteln machte in ihrem Buch "O Prostitucii s tochki zrenija dinamiki zhizni" (Über die Prostitution vom Gesichtspunkt der Dynamik des Lebens aus), Moskau 1908, auf S. 22 deutlich, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse dazu beitragen würden, dass einmal "gefallene Mädchen" keinerlei moralische oder materielle Unterstützung erhielten und möglichst bald das "zhjoltyj bilet" erhielten - es ist also eindeutig ein "gelber Schein". Was da mit der einen Übersetzung passiert ist, weiß ich nicht.

    Die Prostitutierten wurden in Russland am Ende des 19. Jahrhunderts in drei Klassen eingeteilt: 1. die in "öffentlichen Häusern" lebenden (beschönigend genannt: "Doma terpimosti" - Häuser der Duldsamkeit, die von Männern der mittleren Schichten aufgesucht wurden); 2. die auf eigene Verantwortung praktizierenden "Einzelgängerinnen", die dann nicht so gut kontrolliert werden konnten, und 3. die "brodjachie zhenshchiny" (umherziehenden Frauen) ohne festen Wohnsitz, für die der Titel eines populären historischen Romans bei uns den Namen "Wanderhure" eingebürgert hat.


    An der Spitze der Prostitution gab es durchaus Wohlhabende (heute vielleicht: "Escort Girls"), die sich ihr Geld an der Spitze der Gesellschaft bei Aristokraten verdienten und für die sich im 19. Jahrhundert der auch von Alexander Puschkin für eine Erzählung gebrauchte Begriff der "Kameliendame" einbürgerte. Die zahlenmäßig stärkste Schicht war die "mittlere Klasse". Diejenigen Prostituierten, die sich bei der Polizei medizinisch untersuchen ließen, erhielten dann eben diese "gelben Papiere"; andere, die sich unerkannt prostituierten, liefen verstärkt Gefahr, sich mit gefährlichen Krankheiten (Syphilis) anzustecken. L. N. Tolstoj verfolgte wachsam diese Debatten.


    Vgl. A. A. Il'juchov. Prostitucija v Rossii s XVII veka do 1917 goda (Die Prostitution in Russland vom 17. Jahrhundert bis zum Jahr 1917). Moskva 2008, 558 Seiten, hier S. 9, 12.


    Diese sehr informative Studie hält vom Titel her allerdings nicht ganz, was sie verspricht, über Prostitution im 17. und 18. Jahrhundert wird so gut wie nichts berichtet, über das 19. Jahrhundert, die Zeit Tolstojs und Dostoevskijs, hingegen sehr viel.


    Ich werde, wie wir das bei anderen Leserunden auch gehandhabt haben, noch einen Thread mit Lesematerial zum Roman "Die Auferstehung" eröffnen, um Eure sich entwickelnde Diskussion nicht zu stören.

  • Habe jetzt die ersten 10 Kapitel gelesen. Wirklich ungewöhnich, wie Tolstoi die Vorgänge vor Gericht schildert. Vielleicht weiß ja jemand, wie er dafür recherchiert hat, oder wie er generell für seine Romane recherchiert hat.


    Aus Kapitel 6:


    "Während einer Pause kam aus diesem Saal dasselbe alte Mütterchen, dem der geniale Advokat ihr Vermögen zugunsten des Profitmachers wegzunehmen verstanden hatte, obwohl jener auf dieses Vermögen kein Anrecht hatte. Das wussten auch die Richter und noch besser die Kläger und sein Advokat; aber der von ihnen ausgedachte Schachzug war solcher Art, dass man nicht anders konnte, als dem alten Mütterchen sein Vermögen wegzunehmen und es dem Profitmacher zu übereignen."


    "Er schob den Prozess gegen die Skopzen nur deshalb unter dem Vorwand auf, dass ein gar nicht wichtiger und für den Prozess überhaupt nicht nötiger Zeuge fehle, weil dieser Prozess, wenn er vor einem Gericht vor sich ging, dessen Geschworene intelligent waren, mit einem Freispruch enden konnte. Im Einverständnis mit dem Vorsitzenden sollte dieser Prozess auf eine Sitzung in einer Kreisstadt verlegt werden, wo es mehr Bauern als Geschworene und darum größere Chancen auf eine Verurteilung gab."

  • Mein Buch kam heute. Es ist eine Ausgabe der Deutschen Buch-Gemeinschaft 1958, übertragen von August Scholz. Ich finde die zitierten Stellen nicht.


    Bei mir endet Kapitel 37 mit den Worten "Der Gottesdienst begann". Dann folgt Kap. 38 mit den ersten Worten:

    "Nechljudow fuhr frühzeitig von zuhause fort. Ein Bauer, der mit seinem Wägelchen vom Dorfe gekommen..."


    Kann es sein, dass hier Text fehlt, dass ich also eine gekürzte Ausgabe habe? Dann kann ich das gleich in die Tonne treten...

  • Bei beiden meiner Ausgaben (Insel; A. Hess, Copyright 1914; Winkler, W. Tronin & I. Frapan, Copyright 1958) ist der Satz "Der Gottesdienst begann" der erste Satz von Kapitel 39. Der Satz "Nechljudow fuhr frühzeitig von zuhause fort. Ein Bauer, der mit seinem Wägelchen vom Dorfe gekommen..." ist bei beiden Ausgaben der Beginn von Kapitel 41. Bei Dir fehlen also vermutlich die beiden Kapitel dazwischen.

  • Mir ist noch aufgefallen, dass ich meine Kapitel-Nrn., die ich im Materialien-Thread angegeben hatte, etwas korrigieren sollte. Das Zitat Nr. 1 in Beitrag Nr. 5 in diesem Thread hier ist bei mir in beiden Ausgaben doch auch in Kap. 40. Das Zitat Nr. 2 gehört bei mir allerdings auch in beiden Ausgaben noch zu Kap. 40. Die Kap.-Nr. wurde eventuell zu dem Zitat nicht korrekt angegeben.

  • Habe jetzt die ersten 10 Kapitel gelesen. Wirklich ungewöhnich, wie Tolstoi die Vorgänge vor Gericht schildert. Vielleicht weiß ja jemand, wie er dafür recherchiert hat, oder wie er generell für seine Romane recherchiert hat.

    Im Nachwort meiner Winkler-Ausgabe habe ich dazu schonmal selber einen Satz gefunden; aber da gibt es sicher noch mehr zu entdecken:


    "Tolstoi verwendet größtenteils faktisches Material, gewonnen aus eigener Erfahrung als Geschworener in den Gerichten, als Prozessbeobachter, als Besucher von Gefängnissen, als Wanderer durch die Straßen der beiden Hauptstädte, aber auch als Repräsentant der Oberschicht, als Kenner von deren Lebensformen, deren Salons und Diners und ihrem Comment, Jagden und Belustigungen in der Stadt und auf dem Land, auch als Gutsherr auf dem Dorf. " (B. Conrad)

  • Ich war ein paar Tage verreist, deshalb hier nicht online (und bin mit Lesen auch noch nicht weiter gekommen).

    Zum Thema Kürzungen: Die Ausgabe bei Gutenberg hat vorne die Beschreibung "nach einer rechtmäßigen Ausgabe gekürzt und bearbeitet".

    Die Druckausgabe, die mir vorliegt, ist eine Übersetzung von einer Frau Dr. Vera Hirschfeld. Sie scheint nicht gekürzt zu sein, jedenfalls beginnen die Kapitel 39 und 41 so wie im Kommentar #14 angegeben. Dann werde ich mich ab jetzt allein an diese halten.

    Edit, ich muss mich berichtigen. Die Ausgabe, die ich mir auf den Reader geladen habe, stammt nicht von Gutenberg, sondern von Mobile Read Wiki. Diese scheint vollständig zu sein - habe eben nachgesehen.
    In meiner Druckausgabe stört mich die Schreibweise der Namen "Nechljudoff" und "Maßlowa".

    Ich bin zu der Ebook-Ausgabe zurückgekehrt und vergleiche ab und zu, um evtl. Kürzungen nicht zu übersehen.

  • Im Nachwort meiner Winkler-Ausgabe habe ich dieses schöne Zitat über den Roman gefunden:


    "... man kann es nicht genug betonen, wie stark die in diesem Roman zutage tretende Energie und Jugendlichkeit des siebzigjährigen Autors ist...Die Zahl der Fragen, die in diesem Roman aufgestellt werden - Fragen sozialen, politischen und parteimäßigen Charakters usw. - ist so groß, dass eine ganze Gesellschaft, so wie sie ist, mit dem Leben und dem Pulsschlag all ihrer Probleme und Widersprüche vor dem Leser erscheint..." (P. A. Kropotkin)


    Ich würde bisher zustimmen.