Guy de Maupassant


  • Ich kenne ja sonst noch nichts von Maupassant, nicht mal sein berühmtes Bel Ami.


    Vor unendlich vielen Jahren habe ich einige Erzählungen gelesen, von denen ich zum Teil beeindruckt war. Die Lesung des "Dr. Gloss ..." hat mich daran erinnert, dass Maupassant kein schlechter Erzähler ist: nicht so geschwätzig wie Balzac, nicht so spröde wie Flaubert - und vor allem nicht so naturalistisch-langweilig wie Zola. Wahrscheinlich ist es die gut dosierte Ironie, die diese Geschichte eines Sonderlings genießbar macht.


    "Bel Ami" kenne ich auch nicht. Ich bin durchaus geneigt, das zu ändern.


    LG


    Tom


  • "Bel Ami" lohnt sich auf jeden Fall. Ich las den Roman vor 11 Jahren (hab extra nachgeschaut :smile:), an Details kann ich mich nicht mehr erinnern - ja, ja, das Gedächtnis -, aber mir hat der Roman damals sehr, sehr gut gefallen.
    Außerdem nicht weniger lesenswert: "Pierre und Jean" - ein kurzer Roman über zwei ungleiche Brüder. Maupassants Erzählungen/Novellen warten noch darauf, gelesen zu werden ...


    Ich habe auch eine Viertelstunde der Lesung des "Dr. Gloss ..." angehört, wurde dann leider durch grässlichen Baustellenlärm aus der Konzentration gerissen ... Aber ich hör mir die Lesung in einer ruhigen Stunde sicher noch ganz an. :smile:


    Gruß, Gina

  • "Bel Ami" kenne ich auch nicht. Ich bin durchaus geneigt, das zu ändern.


    LG


    Tom


    Geht mir auch so! Hatte es vor ein paar Tagen bereits aus dem Regal gezogen, doch nun kam Dickens dazwischen.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • "Bel Ami" lohnt sich auf jeden Fall. Ich las den Roman vor 11 Jahren (hab extra nachgeschaut :smile:), an Details kann ich mich nicht mehr erinnern - ja, ja, das Gedächtnis -, aber mir hat der Roman damals sehr, sehr gut gefallen.
    Außerdem nicht weniger lesenswert: "Pierre und Jean" - ein kurzer Roman über zwei ungleiche Brüder. Maupassants Erzählungen/Novellen warten noch darauf, gelesen zu werden ...


    Ich las Maupassant noch vor viel längerer Zeit, 1989, habe daher noch weniger im Kopf: Mein Vater hatte alte Goldmann-Ausgaben von Bel Ami, Unser Herz und Une Vie unter dem unsäglichen deutschen Titel "Ein Mädchen erwacht zur Frau". Ich erinnere mich, dass sich M. gut lesen lässt. Insgesamt liegen mir aber seine Themen nicht und ich habe bei ihm, wie bei vielen Franzosen, ein Problem mit den Frauengestalten.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Danke, Sandhofer, fürs Verschieben und Eröffnen des Threads!


    Wenn ich diverse Buchbesprechungen lese, klingt es heraus, als ob Maupassant den jüngeren Leser anspricht, die älteren eher die Erzählungen schätzen.


    Na, mal sehen.
    Bin wohl 'spät' dran den Autor zu entdecken.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Ich müsste Maupassant nochmal lesen um das zu überprüfen.
    Ich las ihn so mit 14 oder 15, kann mich nur noch daran erinnern, das mir die Lektüre,
    insbesondere Bel Ami damals sehr gut gefiel.


    Gruß, Lauterbach

  • Ich hoffe für Dich, dass es Fort comme la mort sein möge, ein wunderbarer, zu Unrecht wenig bekannter Roman, mMn Maupassants bester!


    :klatschen:
    "Stark wie der Tod" hat mir auch sehr gefallen (fürs Original reicht mein Französisch leider nicht :rollen:). Das war damals mein Maupassant-Erstling, ein guter "Einstieg".


    Gruß, Gina

  • Habe nun Stark wie der Tod gelesen. Ein Roman sur rien, die Geschichte eines alternden Künstlers und seiner alternden Geliebten. Schnitzler meets Proust, wenn man so will. Nur, dass Maupassant der erste war, der so schrieb.


    Wenn ich diverse Buchbesprechungen lese, klingt es heraus, als ob Maupassant den jüngeren Leser anspricht, die älteren eher die Erzählungen schätzen.


    Na, mal sehen.
    Bin wohl 'spät' dran den Autor zu entdecken.


    Ich kannte, wie gesagt, einige seiner Novellen, bereue aber nicht, den Roman gelesen zu haben. Er hat wirklich viel von Proust und ist sicher moderner als Zolas naturalistischer Holzschnitt-Stil.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ihm Rahmen des Listenwettbewerbs lese ich Bel-Ami. Es ist die dtv-Ausgabe mit der Übersetzung von Hermann Lindner.


    Nach der Lektüre der Kameliendame hatte ich Lust, noch länger in Paris zu bleiben. Es fasziniert mich momentan, das Paris des 19. Jhds. zu entdecken. Bel-Ami wurde 1885 veröffentlicht und man merkt schon, dass Paris etwas moderner geworden ist. Georges Duroy, der Quasi-Titelheld des Buches, ist ein junger Mann aus ländlich-ärmlichen Verhältnissen, der in der Armee nichts erreicht hat und jetzt in Paris sein Glück versuchen will. Er wohnt ärmlich in der Nähe des Gare Saint-Lazare und kann von seinem Fenster aus die Züge aus dem Tunnel fahren sehen. Wenn man jetzt bedenkt, dass bei ihm in der Wohnung dann vermutlich jede Menge Kohlestaub ankommt... :rollen:


    Maupassant erzählt sehr angenehm und auch recht ausführlich. Da mich die Lebensumstände der Leute interessieren, ist es für mich spannend zu lesen, wie ein Abendessen abläuft, wo sie essen, wie die Wohnungen eingerichtet sind etc. Maupassant beschreibt alles detailgenau, sodass ich mir ein gutes Bild machen kann. Er nennt auch immer die Straßennamen und ich sitze dann mit einem Parisstadtplan da und verfolge, wer wohin geht (ist so eine Eigenheit von mir, das mache ich bei allen Großstädten, wenn es Anhaltspunkte gibt, wo sich jemand befindet :zwinker:).


    Georges Duroy wird relativ nüchtern charakterisiert. Er ist ein gutaussehender, aber nicht besonders eifriger junger Mann, vielleicht auch nicht besonders intelligent, der aber immer wieder durch glückliche Zufälle (auch gerne Hinweise von Damen, die ihn protegieren), weiterkommt. Er lebt gerne über seine Verhältnisse und kommt dadurch immer wieder in Geldschwierigkeiten. Noch ist er aber entrüstet, wenn er von einer Dame Geld zugesteckt bekommt... Mal sehen, wie es weitergeht.

  • Mir gefällt die Idee, bewusst in Paris zu bleiben und nun diesen etwas jüngeren Roman zu lesen, thopas.


    Wie schade, dass ich mich nicht mehr an die Handlung erinnern und daher gar nicht näher auf Deine Ausführungen eingehen kann (zumindest der Leseeindruck ist noch da, und zwar ein sehr guter). - Einen Blick in den Stadtplan werfe ich auch manchmal, vor allem wenn ich eine Stadt ein wenig kenne.



    Er lebt gerne über seine Verhältnisse und kommt dadurch immer wieder in Geldschwierigkeiten. Noch ist er aber entrüstet, wenn er von einer Dame Geld zugesteckt bekommt...


    Vermutlich legt sich die Entrüstung bald ... :breitgrins:

  • So, jetzt bin ich durch mit dem Buch. Und es hat viel Spaß gemacht. Hier ein paar noch etwas ungeordnete Eindrücke:


    Der Roman wirkt sehr modern gegenüber anderen aus dieser Zeit. Es wird immer mal wieder auf die Religion geschimpft und amouröse Szenen sind schon relativ explizit. Gut, ich lese viel englische Literatur, die ist im Gegensatz zur französischen da vermutlich eh verklemmter :zwinker:.


    Georges Duroy wird relativ gnadenlos geschildert. Er ist ambivalent angelegt, einerseits der etwas einfache Bauernsohn, auf der anderen Seite der rücksichtslose Emporkömmling, der so alles machen kann, was er sich vorstellt. Auch heute gibt es ja immer wieder mal Studien, die belegen, dass gutaussehenden Menschen viel mehr geglaubt wird und v.a. zugetraut wird, als weniger gutaussehenden. Das ist möglicherweise auch der Grund, warum Bel-Ami so ziemlich mit allem durchkommt, was er sich so leistet. Und er hat ja auch Erfolg damit. Als Leser wartet man ja eigentlich nur darauf, dass er mal reinfällt, aber nein: alles gelingt!


    Die Nebencharaktere sind sehr gut gezeichnet, v.a. die Damen, die Bel-Ami beglückt. Gut gefallen hat mir Madame Walter, die etwas ältliche Matrone (wenn man genau rechnet, muss sie wohl um die 40 sein :rollen:), die sich zum ersten Mal richtig verliebt und nun wie ein Backfisch für Bel-Ami schwärmt.


    Auch die Naturschilderungen sind sehr gut gelungen. Des öfteren mischen sich sehr melancholische Bilder in das ansonsten heitere, vergnügungssüchtige Paris. V.a. der Abschnitt in Cannes ist beeindruckend, als Georges dem Tod seines Freundes Forestier beiwohnt. Nichtsdestoweniger kann das Georges nicht davon abhalten, der Witwe sofort nach dem Ableben des Gatten zu signalisieren, dass er sie gerne heiraten würde...


    Ich werde das Buch noch ein bißchen auf mich wirken lassen, mal sehen, was mir dann noch einfällt bzw. auffällt. Aber ich kann schon sagen: eine Lese-Empfehlung!

  • Ich grabe den Thread wieder aus, weil ich für den Klassiker-Listen-Wettbewerb nun ebenfalls Bel-Ami gelesen habe.

    Das Buch steht seit Jahren bei mir, und beim Lesen wurde mir klar, dass ich es schon einmal begonnen und dann abgebrochen haben muss. Ich kann mir auch denken, warum. Kurz gesagt, im ersten Teil möchte man die Hauptfigur Georges Duroy - er nennt sich später Du Roy und noch später Du Roy de Cantel, was schon viel über ihn aussagt - in den Hintern treten und im zweiten Teil in der Luft zerreißen.

    Als die Erzählung einsetzt, schlägt er sich - nach seiner Militärzeit bei einem Algerienfeldzug - als kleiner Angestellter in Paris durch. Ein alter Freund, dem er zufällig begegnet, verschafft ihm eine Stelle als Journalist bei einer Zeitung. Duroy kann insbesondere von seiner Algerienzeit nett erzählen und eine Damengesellschaft damit unterhalten, aber überhaupt nicht schreiben. Die Frau seines Freundes, Madeleine Forestier, will ihm helfen, was darauf hinausläuft, dass sie seine Artikel an seiner Stelle schreibt.

    Bel-Ami (den Spitznamen bekommt er von der Tochter einer seiner Geliebten) ist der Prototyp eines Mannes, der durch weibliche Protektion Karriere macht. Während die verschiedenen Frauen, die ihn lieben und beim Vorankommen unterstützen, eingehend und bildhaft beschrieben werden, bleibt Duroy selbst ein wenig blass und ungreifbar. Oft erschien er mir hoffnungslos borniert oder schlicht unverschämt. Vermutlich sieht er nett aus, aber er ist keine blendende Dorian Gray-Gestalt. Mehrfach erwähnt Maupassant, wie er sich selbst im Spiegel sieht, und zwar an (nach meiner Zählung) drei entscheidenden Stellen: einmal, wie er das erste Mal einen Gesellschaftsanzug trägt; das zweite Mal, als er durch ein geschicktes Manöver auf Kosten seiner Frau steinreich geworden ist, und das dritte Mal beim Betrachten eines Christusporträts, das eine auffallende Ähnlichkeit mit ihm selbst hat, also praktisch auch ein Spiegelbild ist. Ich hatte den Eindruck, dass er selbst, abgesehen von einigen sehr krassen Unverschämtheiten, als Person kaum existiert, jedenfalls nicht als Person mit Verdiensten oder Fähigkeiten. Er weiß eiinfach im richtigen Moment die richtigen Fäden zu ziehen. Maupassant hat ihn, habe ich im Nachwort zum Roman gelesen, selbst als "Lumpen" bezeichnet.

    Ich kann nicht sagen, dass mir das Buch besonders gefallen hat. Natürlich ist es großartig geschrieben, aber Duroys Dreckigkeit - ich habe mehrmals beim Lesen rote Ohren bekommen vor lauter Fremdschämen - macht einfach keine Freude. "Ein Leben", Maupassants erster Roman und zwei Jahre vor "Bel-Ami" entstanden, hat mir wesentlich mehr zugesagt. Das ist natürlich ein reines Geschmacksurteil.

  • Noch ein Nachtrag zu zwei Punkten, die mir aufgefallen sind. Einmal das Duell. Duroy muss sich wegen einer ziemlich läppischen Verleumdung zum Duell stellen, was zu einer Farce ausartet. Eine ganz ähnliche Beschreibung eines Duells habe ich auch bei Zola und anderen Autoren dieser Zeit gelesen. Hier wird um eines hohlen Ehrbegriffs willen etwas abgespult, was kein Mensch mehr ernst nimmt, es ist ein reines Kaspertheater und jeder weiß es, aber nichtsdestotrotz muss es sein ...


    Das andere ist der Punkt der Erbschaft. Duroy hat nach dem Tod seines Freundes Forestier dessen Witwe Madeleine geheiratet (die Frau, die seine Artikel für ihn schreibt - was sie weiterhin tut). Madeleine erbt später ein großes Vermögen von einem alten Freund der Familie, der selbst keine direkten Nachkommen hat und bei der Familie ein- und ausgegangen ist. Obwohl der Haufen Geld Duroy sehr zupass kommt, macht er ein Riesentheater, dass diese Erbschaft ein schiefes Licht auf seine Frau und damit auf ihn selbst werfen könnte. Ein Kapitel, in dem Maupassants Meisterschaft deutlich wird. Es kommt zu einem langen Dialog zwischen Duroy und seiner Frau, in dem Duroy immer wieder betont, wie blöd er bei dieser Erbschaft dastehe und dass seine Frau diese unmöglich annehmen dürfe - während der Leser die ganze Zeit deutlich vor Augen hat, wo dieser Dialog hinsteuert, und dasselbe gilt zweifellos für Madame Duroy, die ständig wiederholt: "Ganz wie du willst, Liebster." Am Ende des Dialogs hat Duroy die Hälfte des Riesenvermögens für sich persönlich gesichert - durch ein Manöver, das umso ekelhafter erscheint, als man den Eindruck hat, dass seine Frau es sehenden Auges hinnimmt. Das Gleiche gilt übrigens für die wenig später erfolgte Scheidung.


    Wie auch immer, Thema Erbschaft: Eine ganz ähnliche Situation habe ich in Maupassants Roman "Die Brüder Pierre und Jean" gefunden. Die titelgebenden Brüder sind ein Herz und eine Seele, bis ein Freund der Familie stirbt und einem von den beiden sein ganzes Vermögen vererbt. Das gibt zu Spekulationen Anlass. Warum bekommt der eine Bruder alles und der andere nichts? Könnte da ein Ehebruch im Spiel sein? Ich weiß nicht mehr, wie es ausging (ich werde es mir demnächst nochmal vornehmen, es ist kurz und man kann es an einem verregneten Sonntag auslesen), aber es kam jedenfalls unter dem Strich zu einem bleibenden Zerwürfnis zwischen den Brüdern. Das Thema scheint Maupassant beschäftigt zu haben.