Die Industrialisierung im Spiegel zeitgenössischer Literatur

  • Wie bereits an mehreren Stellen erwähnt, beschäftige ich mich momentan mit der Industriellen Revolution und möchte auch zeitgenössische Werke lesen, in denen diese Epoche thematisiert wird.
    Vielleicht kennt ihr noch das eine oder andere Werk, das dazu passt.


    In England begann alles und da ist auch viel dazu geschrieben worden:
    JMaria erwähnte in einem anderen Thread schon

    Charlotte Bronte: Shirley
    Elizabeth Gaskell: North and South
    Dazu kommen
    viele Romane von Dickens,
    explizit Hard Times, zu dem es demnächst eine Leserunde geben wird,
    George Eliot: Die Mühle am Floss
    und da gibt es sicher viel mehr, auf das ich jetzt nicht komme oder das ich nicht kenne.


    Deutschland war ja etwas später dran und behindert durch die Zollgrenzen der Kleinstaaterei, deshalb hatte die Industrielle Revolution bei uns auch unter anderen Gründen die Folge der 48er-Revolution.
    In der Lyrik haben sich
    Heine, Herwegh, Weerth und Freiligrath zur Industrie und Arbeiterklasse geäußert. An Prosa kenne ich


    Georg Weerth: Fragment eines Romans
    Humoristische Skizzen aus dem deutschen Handelsleben
    Karl Immermann: Die Epigonen
    Karl Gutzkow: Die Ritter vom Geiste in den Teilen, die in Berlin spielen
    Heinrich Albert Oppermann: Hundert Jahre


    Es gibt auch noch eine ganze Menge Dramen zum Thema, aber die lass ich jetzt mal weg.


    Frankreich. Da denkt man natürlich sofort an
    Zola, insbesondere Germinal
    Balzac und Stendhal haben das Thema auch mehrfach aufgenommen.
    Sue: Die Geheimnisse von Paris


    Für die Sowjetunion/Russland fallen mir ein
    Gorkij: Die Mutter und Nachtasyl,
    aber da sind wir schon fast zu weit von der eigentlichen IR weg und außerdem im Bereich der Tendenzliteratur.


    Ich freue mich über weitere Nennungen, beispielsweise meine ich, dass auch Raabe eine Erzählung oder einen Roman , die/ der das Thema berührt, geschrieben hat, komme jetzt aber nicht auf den Titel.

  • Danke für die Buchliste. Nur weniges davon habe ich gelesen.
    "Soll und Haben" halte ich für keinen Roman, der die "Industrielle Revolution" thematisiert, noch nicht ein Mal den Handelskapitalismus, er entwickelt eher eine Vorstellung von Kaufmannsmoral und hat schon völkische Züge.
    Vielleicht findet sich noch was in Balzacs menschlischer Komödie, davon habe ich aber auch nur 3 Werke gelesen.


    Wahrscheinlich ist auch mittlerweile vieles verschollen, weil dem wahren Literaturkenner Literatur die nach Schweiß riecht suspekt ist.

  • Wahrscheinlich ist auch mittlerweile vieles verschollen, weil dem wahren Literaturkenner Literatur die nach Schweiß riecht suspekt ist.


    Einiges aber zu Unrecht: Immermanns Epigonen sind sehr lesenswert und Weerths Fragment eines Romans ist ein echtes Kabinettstückchen satirischer Literatur genau wie seine Junkerschelte: Leben und Taten Schnapphahnskis. Den Freytag werde ich dann aufgrund deiner Einschätzung unten wieder streichen.



    Pfisters Mühle.


    Das Thema taucht im Spätwerk aber immer wieder auf, selten explizit, aber doch.


    Danke, Giesbert. Pfisters Mühle habe ich noch nicht gelesen. Gerade habe ich nochmal "Die Akten des Vogelsangs" durchblättert. Da ist es so, wie du oben sagst: Die Veränderungen, die die IR mit sich brachte, kommen vor, das sich verändernde Siedlungbild, Verhalten der jungen Generation, Anfänge der Globalisierung (Unterseekabel, Auswanderung nach Amerika), aber die Fabrikarbeit oder das Unternehmertum ist kein direktes Thema.

  • Dann hätten wir noch Cronin: Die Zitadelle.


    Literarisch allerdings eher ein Leichtgewicht.

  • Immer noch der große Augenöffner: Karl Marx, Das Kapital, (insb. 1. Band). Und wenn man anfängt, ihn vorurteilsfrei zu lesen, wird man feststellen, dass der alte Marx z.T. sogar richtig gut Prosa geschrieben hat - natürlich immer mit polemischen Untertönen.


  • Immer noch der große Augenöffner: Karl Marx, Das Kapital, (insb. 1. Band). Und wenn man anfängt, ihn vorurteilsfrei zu lesen, wird man feststellen, dass der alte Marx z.T. sogar richtig gut Prosa geschrieben hat - natürlich immer mit polemischen Untertönen.


    Na ja, wenn er auch noch in die Sachliteratur einsteigen will, dann kommt finsbury zu nichts anderem mehr.

  • Herzlichen Dank für eure weiteren Tipps. Kellers "Martin Salander" hatte ich überhaupt nicht auf dem Schirm.

    Na ja, wenn er auch noch in die Sachliteratur einsteigen will, dann kommt finsbury zu nichts anderem mehr.


    Genau, aber danke für den Tipp. Kenne ich aber in Auszügen. Was wohl noch viel instruktiver ist, nicht von den wirtschaftstheoretischen Zusammenhängen, sondern von der Situationsschilderung her ist Engels: "Die Lage der arbeitenden Klasse in England".


    Ich möchte noch einen zwar modernen (insofern entschuldige das Gemäkel, @Gronauer), aber wirklich guten historischen Roman zum Thema anpreisen.
    "Rausch" von John Grisemer. Das Buch vollzieht die mehrfach scheiternde und schließlich erfolgreiche transatlantische Telegrafenkabelverlegung nach. Das Ganze auf einem durchaus beachtlichen literarischen Niveau und sehr spannend.

  • Zitat

    insofern entschuldige das Gemäkel, @Gronauer


    Hattest ja völlig Recht, finsbury!


    Mir lagen noch zwei Titel auf der Tastatur:


    Die Weber von Gerhard Hauptmann


    und (ohne mir bekannte deutsche Edition)


    The Paradise of Bachelors and the Tartarus of Maids von Heman Melville.

  • Wenn der Roman - der eigentlich eine Aneinanderreihung von Novellen ist - hier bisher nicht genannt worden ist und auch in der Literaturgeschichte irgendwo außerhalb der Galerie von Literatur über die industrielle Revolution abgelegt sein dürfte:


    Goethes "Wilhelm Meisters Wanderjahre"


    Das "Maschinenwesen" hat schließlich auch die Täler des Mittelgebirges erfasst. Überall regen sich eifrige Hände. Angedeutet ist die drohende Übervölkerung der Gewerbelandschaften. Deshalb beschliesst eine Gruppe bereits vorgestellter Protagonisten des Romans, nach Amerika auszuwandern. Der greise Goethe hatte die Zeichen der Zeit erfasst, das Fieber der kapitalistischen Durchdringung der gesamten gewerblichen Produktion und die damit verbundene Beschleunigung im gesellschaftlichen Leben.


  • Wenn der Roman - der eigentlich eine Aneinanderreihung von Novellen ist - hier bisher nicht genannt worden ist und auch in der Literaturgeschichte irgendwo außerhalb der Galerie von Literatur über die industrielle Revolution abgelegt sein dürfte:


    Goethes "Wilhelm Meisters Wanderjahre"


    Das "Maschinenwesen" hat schließlich auch die Täler des Mittelgebirges erfasst. Überall regen sich eifrige Hände. Angedeutet ist die drohende Übervölkerung der Gewerbelandschaften. Deshalb beschliesst eine Gruppe bereits vorgestellter Protagonisten des Romans, nach Amerika auszuwandern. Der greise Goethe hatte die Zeichen der Zeit erfasst, das Fieber der kapitalistischen Durchdringung der gesamten gewerblichen Produktion und die damit verbundene Beschleunigung im gesellschaftlichen Leben.


    Herzlichen Dank für diesen interessanten Hinweis, Karamzin. Das ist vielleicht endlich der entscheidende Anstoß, dieses Alterswerk zu lesen, das mir schon lange im Auge ist.

  • Bei einer LR zu den Wanderjahren wäre ich unter Umständen dabei.


    Gruß
    Meier

    "Es gibt andere Geschichten auf einem andern Blatt Papier, doch jede ist mit der ersten verwandt" * Keimzeit


  • Wanderjahre? Da habe ich zu böse Erinnerungen an außerordentlich zähe Leseabende …


    Aber bei einer LR zu "Pfisters Mühle" wäre ich dabei.


    Genau das ist ja auch meine Befürchtung. Aber durchs Leserleben schreiten ohne die Wanderjahre :rollen:?


    Pfisters Mühle würde ich aber auch wohl mitlesen. Gibts vermutlich doch auch bei Gutenberg?