• Hallo,


    bei den meisten läuft es auf "Bleakhouse" hinaus.
    Ich eröffne dafür mal einen Leserundenvorschlag. Dort können wir uns dann über Termine unterhalten.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)


  • Bin aber im Moment etwas irritiert, da ich eine Lesung von Oliver Twist höre, und feststelle, daß das ziemlich sentimental ist und mir etwas auf den Zeiger geht. Ich hoffe nicht alles von ihm ist so sentimental.


    Nein, ist es nicht. Aber ich fand auch den Twist jetzt nicht *so* schlimm. Über die sentimentalen Stellen trösten die satirischen hinweg und im Copperfield gelingen Dickens mit sehr wenigen Sätzen ganz großartig unsentimentalen Schilderungen des menschlichen Elends. Er war ein unglaublich scharfer Beobachter, der seine Beobachtungen sehr nüchtern zu Papier bringen konnte. Wenn er es denn wollte ;-).


  • Dickens' "Aufzeichnungen aus Amerika" gibt es als zweiteiligen Radiotext inkl. Downloadmöglichkeit auf den Seiten von Bayern 2:
    http://www.br-online.de/podcas…-podcast-radiotexte.shtml


    Klingt nicht uninteressant.


    Ich kenne den Text - der ist sehr interessant. Ob das auch für die Verradiohörung gilt, weiss ich nicht. :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo,


    um diesen Thread mal wieder zu beleben:


    Ich bin seit einigen Wochen mit den "Pickwickiern" befasst, denen sandhofer "kompositorischen Unfug" beimisst, womit er sicher nicht unrecht hat.
    Dennoch ist dieser Dickens sicherlich nicht der schwächste, fehlt hier doch bisher (ich bin im letzten Drittel) jegliche Sentimentaliät.
    Dafür ist die Satire, oder, wie eben auch sandhofer schreibt, der Witz, hier stark ausgeprägt, aber noch nicht so sarkastisch wie im Spätwerk.
    Das einzige, woraus schon die spätere Verbitterung hervorscheint, sind die Szenen bei Gericht, die ja auch in "Bleakhose" und einigen anderen Romanen eine wichtige Rolle spielen. Ich bin in Dickens Biografie nicht darauf gestoßen, dass er in seiner Jugend und jungen Erwachsenenzeit ein einschneidendes Erlebnis mit Gerichten hatte, aber dieser Bereich scheint für ihn sehr negativ besetzt zu sein - zu Recht - nach dem was meine Beilektüre zu "Bleakhouse" ergeben hat.
    In den "Pickwickiern" ist es Mr. Pickwick selbst, der durch ein abstruses, aber sehr witziges Missverständnis in einen Prozess wegen Bruchs eines Eheversprechens gezogen wird: Und auch hier schon lässt Dickens seinen vollen Hohn über den Instanzen der Rechtsprechung aus: Jedes Wort wird dem Angeklagten und den Zeugen im Munde verdreht, jedes Dokument auf das Erstaunlichste missinterpretiert.


    Wenn hier noch der Schwerpunkt auf dem Witz liegt, weiß man doch, zu welcher bitteren Anklage der britischen Justiz sich das Ganze in Dickens Werk entwickeln wird.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo finsbury,


    Dickens Abneigung gegen pedantische Regeln verstärkte sich während seiner Anstellung als Lehrling in einem Anwaltsbüro, anschließend als freier Berichterstatter von Doctor's Common, einem 1857 aufgelösten Zusammenschluss Londoner Gerichtshöfe zwischen der St. Pauls-Kathedrale und der Themse.


    Ich kann dir die Rororo-Monographie über Dickens von Johann N. Schmidt empfehlen, darin wird dieser Zusammenhang erwähnt.


    Gruß
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Dickens Abneigung gegen pedantische Regeln verstärkte sich während seiner Anstellung als Lehrling in einem Anwaltsbüro, anschließend als freier Berichterstatter von Doctor's Common, einem 1857 aufgelösten Zusammenschluss Londoner Gerichtshöfe zwischen der St. Pauls-Kathedrale und der Themse.


    Ich kann dir die Rororo-Monographie über Dickens von Johann N. Schmidt empfehlen, darin wird dieser Zusammenhang erwähnt.


    Hallo Maria,


    vielen Dank! Genau diese Biografie lese ich gerade kursorisch so nebenbei mit großen Pausen, und da habe ich doch tatsächlich diese Stelle schon wieder vergessen, jetzt aber dank deines Hinweises wiedergefunden.
    Dennoch erscheint es mir interessant, dass Dickens, obwohl nur mittelbar als Lehrling, nicht als Prozessierender beteiligt, einen derartigen, man kann fast schon sagen, Hass gegen diese Institution entwickelt hat. So etwas geschieht normalerweise eher bei direkter persönlicher Betroffenheit:


    Aber Dickens war eben ein scharfer Beobachter und hat die Zusammenhänge wohl schnell gesehen. Sein Einfühlungsvermögen in die Welt der Gescheiterten, eben auch bei Gericht, ist ja ebenso groß.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)



  • Vielleicht lags auch an den Kindheitserlebnissen. sein Vater kam mit dem Gestz in Konflikt. Auch sein Großvater wenn ich mich recht erinnere. Dickens mußte wegen den Schulden seines Vaters monatelang in einer Fabrik arbeiten. Das prägte bestimmt und machte ihn aufmerksamer fürs damalige Gerichtssystem. Könnt ich mir so erklären.


    Gruß Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Charles Dickens: Die Pickwickier


    Übersetzung von Gustav Meyrink


    Dickens Roman erschien 1836/37 in Fortsetzungen als Einzelhefte und sollte zuerst nur eine Reihe von humoristischen Kommentaren zu Sportkarikaturen darstellen.
    Schnell kam Dickens aber davon ab und drehte den Spieß um: Die Abbildungen kommentierten nun die humoristischen Erlebnisse des Mr. Samuel Pickwick, eines wohlhabenden Unternehmers, der sich zur Ruhe gesetzt hat und nun mit seinen Freunden Winkle, Snodgrass und Tupman den Pickwick-Club gründet, um zu reisen und zu „forschen“.
    Der Roman hatte nach einem schwächelnden Anfang, der auf dem oben geschilderten Ansinnen beruhte, einen sensationellen Erfolg. Am Ende der Serie wurden jeweils über 40 000 von den Heften verkauft.
    In England sind die Gestalten des Romans – wie auch andere Romangestalten Dickens - bis heute so populär wie sonst nur Gestalten der Shakespeare-Dramen wie etwa Falstaff.


    Zum Inhalt:
    Mr. Pickwick und seine drei Freunde reisen durch England, machen dort (scheinbare) archäologische Entdeckungen, verfolgen den Wahlkampf in einem Landstädtchen, werden mit einem Schwindler und dessen Diener bekannt. Mr. Pickwick wird aufgrund eines falsch verstandenen Heiratsversprechens von seiner Hauswirtin auf Schadensersatz verklagt und wandert wutschnaubend ins Schuldgefängnis, weil er sich weigert, die Summe zu zahlen. Sein Diener, Samuel Weller, ist ihm als eine Art lebenskluger Sancho Pansa zur Seite gestellt und bereichert selbst durch seinen Vater, dessen Frau und deren Favoriten, einen alkoholabhängigen Pastor, das Panoptikum der Romanfiguren. Am Ende löst sich alles aufs schönste auf, Ehen werden geschlossen, die Schurken zur Besserung nach Westindien geschickt und der Pickwick-Club aufgelöst, ohne dass dessen Mitglieder deshalb den Kontakt verlören.


    Einordnung:
    Dickens erster Roman hat einen großen Vorteil: Ihm fehlt jede Sentimentalität, der große Lesenachteil vieler der folgenden Romane.
    Die Figuren sind alle als Karikaturen angelegt, selbst der herzensgute Mr. Pickwick selbst ist in vielen Zügen lächerlich. Gesellschaftskritik ist nur in den Justizszenen zu finden, ansonsten wird das bestehende System nicht in Frage gestellt.
    Einige Stellen sind Perlen des Humors, z.B. die Passage, wo Mr. Winkle, der niemals zuvor eine Waffe benutzte, an einem Jagdausflug teilnehmen muss:
    aus Kap. 19
    Mr. Winkle feuerte und knallte inzwischen unentwegt drauflos, ohne weitere bemerkenswerte Ergebnisse herbeizuführen; Bald schoss er so hoch in die Luft, wie sich das Rebhuhn nie zu erheben liebt, bald so nahe am Boden hin, dass sich die Aussicht auf eine lange Lebensdauer der Hunde wesentlich verringerte. Im Lichte des Fantasieknallens gesehen, boten seine Schüsse viel Abwechslung und Kunstgenuss; Waren sie jedoch wirklich auf ein bestimmtes Ziel gerichtet, so mussten seine Bestrebungen als im Grunde gänzlich verfehlt bezeichnet werden. Es ist ein anerkannter Grundsatz: Jede Kugel hat ihr Ziel. Aber auf Mr. Winkles Schrotkörner angewendet, stempelte er sie zu unglücklichen Findelkindern, die, ihrer natürlichen Rechte beraubt, planlos im Weltenraum umherirrten.


    Diese Schilderungskunst wird noch durch die gute Übersetzung Gustav Meyrinks unterstrichen, der auch die Cockney-Dialektausdrücke der Familie Weller in ein sehr angemessenes Berlinerisch überträgt, das witzig und auch verständlich ist.


    Ein guter Anfang eines großen Schriftstellers, der wegen seiner sentimentalen Stellen bei uns manchmal unterschätzt wird.


    Übrigens: Wer P:G: Wodehouse mag, wird auch die Pickwickier schätzen, denn von ihnen stammt meiner Ansicht nach der typische Wodehouse-Ton.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Ein guter Anfang eines großen Schriftstellers, der wegen seiner sentimentalen Stellen bei uns manchmal unterschätzt wird.


    Wirklich? Dickens? Wann wurde Dickens jemals unterschätzt?

    I am no bird; and no net ensnares me; I am a free human being, with an independent will; which I now exert to leave you.

  • Wirklich? Dickens? Wann wurde Dickens jemals unterschätzt?


    Willkommen im Forum, Genießerin!


    Du brauchst nur hier die entsprechenden Threads ein bisschen durchzustöbern, in Literaturgeschichten deutscher Autoren oder z.B auch bei Hesse oder Vollmann nachzuschauen, da kommt öfters die Sprache auf den kitschigen, biedermeierlichen, plüschigen oder gemütlichen Dickens.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Moin, Moin!


    Ein Urlaub steht an. Vielleicht sollte ich mal wieder zu einem Dickens greifen. Nur versagt sämtliche Intuition, vom mangelnden Wissen, ihn einzuordnen, ganz zu schweigen. Langer Rede, kurzer Sinn: Ich kann mich nicht entscheiden, welches der angeführten Werke ich lesen soll.


    Der Raritätenladen (RL)
    Martin Chuzzlewit (MC)
    Dombey und Sohn (DS)
    Harte Zeiten (HZ)
    Klein Dorrit (KD)
    Eine Geschichte aus zwei Städten (G2S)
    Große Erwartungen (GE)


    sandhofer, der nur das Spätwerk gelten läßt, würde sicher zu den GE oder HZ raten. Wenn man aber Dickens doch im Laufe des Lebens mal durch haben will, wäre es doch aber besser, JETZT ein früheres Werk zu lesen. Oder wie oder was? confused :?:

  • Moin, Moin!



    Trollope ist ein guter Tipp. :breitgrins: Die Pickwick Papers hast Du nicht auf Deiner Liste. Schon gelesen?


    "Die Pickwickier", "Oliver Twist", "David Copperfield", "Bleakhaus" und "Nikolas Nickleby" gelesen.


    Von Trollope las ich erst vor kurzem "Septimus Harding", zuvor "Die Türme von Barchester" und habe kein weiteres Buch von ihm vorrätig. Die Bibliothek kann nichts beisteuern.


  • Dann hast du ja bereits einiges aus Dickens Frühwerk gelesen. Somit könntest du die Lücken schließen und mit dem "Raritätenladen" weitermachen.


    Gruß
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)