Bessere Erzähler in den fernsehlosen Zeiten

  • Hallo zusammen,


    ich las kürzlich in einer Kolumne den Aufruf, doch zu Weihnachten mal wieder einen Klassiker zu lesen. Zitat: Einen Abend lang, das genügt schon. Ich mußte darüber schmunzeln. Ihr, hier im Forum, vermutlich ebenfalls. Ist ja positiv so ein Aufruf, wenn darin nicht eine gewisse Traurigkeit stecken würde.


    Eine schöne Anmerkung war darin zu lesen, die besagte, dass der Leser dadurch Kontakt zu einer schönen Sprache bekomme. Man bekäme das Gefühl, dass früher die Schriftsteller noch zu erzählen wußten. Sie hatten nämlich den Leser vor Augen. Ja, das wissen wir und genießen es!

    Zitat:Sie merken es daran, dass da kein Wort überflüssig ist, kein Wort, keine Geste, keine Episode. Und zum andern spricht jedes Wort, jede Geste, jede Episode zu Ihnen. Die Alten hatten ja immer ihren Leser, ihre Leserin vor Augen, das Erzählen, das ja immer ein Jemandem-etwas-Erzählen ist, war in diesen fernsehlosen Zeiten allen ganz selbstverständlich.


    fand ich schön formuliert, obwohl es uns nichts Neues sagt.


    Hier der gesamte Artikel:
    http://www.boersenblatt.net/176832/


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • fand ich schön formuliert, obwohl es ...


    ... kompletter Unfug ist. Es gab zu allen Zeiten gute un schlechte Erzähler. Schwafelköppe und prägnante Formulierer. Dumme Schmierulanten und kluge Autoren. Und es gibt sogar gute Autoren exzellenter Drehbücher guter Serien.


    Sorry, aber diese Gegenüberstellung von TV - Literatur ist einfach nur dummes Zeug.

  • Für mich klingt das ein wenig nach "früher war alles besser". Ok, Fernsehen ist oft langweilig. Die Bücher, die wir heute als Klassiker bezeichnen waren zu ihrer Entstehungszeit oder Hauptwirkungszeit aber sicher nicht die allgemein übliche Lektüre. Wohl eher sowas wie diese Arztromane mit Liebe und so. Die finde ich nicht minder fürchterlich als "Gute Zeiten, Schlechte Zeiten".


  • Die Bücher, die wir heute als Klassiker bezeichnen waren zu ihrer Entstehungszeit oder Hauptwirkungszeit aber sicher nicht die allgemein übliche Lektüre.


    Glaube auch hier sollten wir vorsichtig sein: Man denke z.B. an Shakespeare oder Molière. Glaube nicht, dass die "exklusiv" waren in dem Sinn, dass sie sich nur an ein kulturell hochstehendes Publikum gewendet haben, ganz zu schweigen von den typischen Sagen-Klassikern: Beowulf, griechische Sagen etc, das war doch "Volksgut"?


    Zur Entstehungszeit ist es immer schwierig, wenn nicht unmöglich, zwischen Klassikern und "Eintagsfliegen" zu unterscheiden, es reicht nicht, einfach auf die Absatzzahlen zu schauen und zu sagen: Ah, dieses Buch wird so oft verkauft, das muss/kann nicht ein Klassiker werden. - Aber das wolltest du, Stoerte, ja wohl auch nicht gesagt haben :zwinker:


    Aber wir werden uns doch einig sein: Früher WAR alles besser, als man noch nur die gebildeten Menschen lesen und, wichtiger, schreiben konnten; damals gab es viel weniger Dummschwätzer, die schreiben konnten :breitgrins:



    Grüsse
    alpha

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • Ich ging eigentlich davon aus, dass es analog zur Musik auch eine populäre Unterhaltung des einfachen Volks gab. Irgendwelche Mythen, Märchen usw. hatten sie sicher, aber dass sie sich nun Hochkultur reingezogen haben, kann ich mir nur schwerlich vorstellen.


    Laut Nietzsche ist das Lesenkönnen des Pöbels noch verderblicher als das Schreiben. "Dass Jedermann lesen lernen darf, verdirbt auf die Dauer nicht allein das Schreiben, sondern auch das Denken." Netter Gedankengang, wenn auch auf Sand, eine Variante von "früher war alles besser", gebaut.

  • Seit wann schützt Bildung vor Dummschwätzerei?
    Früher war gar nichts besser, heute ist gar nichts besser. Es ist immer alles so gut oder so schlecht, wie es nun einmal ist. " Nichts gibt uns einen besseren Eindruck von der Unendlichkeit, als die Dummheit." (vielleicht nicht ganz wortwörtliches Ödon von Horvath-Zitat)


    Die Leserin


  • Seit wann schützt Bildung vor Dummschwätzerei?
    Früher war gar nichts besser, heute ist gar nichts besser. Es ist immer alles so gut oder so schlecht, wie es nun einmal ist. " Nichts gibt uns einen besseren Eindruck von der Unendlichkeit, als die Dummheit." (vielleicht nicht ganz wortwörtliches Ödon von Horvath-Zitat)


    "Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit"


    Motto zu "Geschichten aus dem Wiener Wald"

  • Ich denke auch, daß es zu jeder Zeit gute und schlechte Erzähler gibt bzw. gegeben hat. Fernsehen und Film sind Alternativen zum Lesen, die es früher nicht gab. Viele Leute schauen heute lieber fern als zu lesen. Und viele von denen, die lesen, lesen lieber moderne Unterhaltungsliteratur als Klassiker. So wird der Leserkreis von Klassikern zwangsläufig kleiner.


    Somit verstehe ich den Aufruf dazu, Klassiker zu lesen. Ob der Grund dafür allerdings sein muß, daß Klassiker eine schönere Sprache haben, wage ich zu bezweifeln.


    Das Drama war zu Shakespeares Zeiten übrigens keine hochangesehene Literaturform. Damals gingen alle (von den Adligen bis hin zum Pöbel, so er es sich leisten konnte) zur Unterhaltung ins Theater, so wie man heute halt ins Kino geht oder den Fernseher andreht.


    Viele Grüße
    thopas

  • Ich denke auch, daß es zu jeder Zeit gute und schlechte Erzähler gibt bzw. gegeben hat.


    Die schlechten allerdings, davon bin ich überzeugt, bringen es nicht zum "Klassiker". (Allerdings auch nicht jeder gute ... )


    Fernsehen und Film sind Alternativen zum Lesen, die es früher nicht gab. Viele Leute schauen heute lieber fern als zu lesen. Und viele von denen, die lesen, lesen lieber moderne Unterhaltungsliteratur als Klassiker. So wird der Leserkreis von Klassikern zwangsläufig kleiner.


    War er früher je "gross"?

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Die schlechten allerdings, davon bin ich überzeugt, bringen es nicht zum "Klassiker". (Allerdings auch nicht jeder gute ... )


    Ersteres: definitiv. Letzteres: leider!


    War er früher je "gross"?


    Ich glaube, da muß man nochmal unterscheiden. Ich hab beim Schreiben dieser Zeilen eher gedacht, daß z.B. zu Dickens´ Zeiten verhältnismäßig viele Leute eben Dickens gelesen haben. Heutzutage sind das nicht mehr so viele (zumindest die anteilige Menge des Lesepublikums, die Dickens liest; ich hoffe, das ist jetzt nicht zu wirr ausgedrückt...).


    Wenn man es allerdings anders betrachtet: zu Dickens´ Zeiten war Dickens noch kein Klassiker. Damals haben dann bestimmt auch nur wenige Leute die damaligen Klassiker gelesen (sondern lieber die "modernen" Sachen, eben Dickens :zwinker: ). Insofern also war wohl der Anteil derjenigen, die Klassiker lesen, schon immer recht klein...

  • Dickens ist interessantes Beispiel. Zu seiner Zeit war er ein Bestseller-Autor und Medienstar. (Letzeres allerdings auch durch seine Vorlesetourneen.) Nur sind die meisten seiner Sachen halt leider auch danach ... :sauer: :breitgrins:


    Kategorie: Überschätzter Klassiker ... :zwinker:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • ... kompletter Unfug ist. Es gab zu allen Zeiten gute un schlechte Erzähler. Schwafelköppe und prägnante Formulierer. Dumme Schmierulanten und kluge Autoren. Und es gibt sogar gute Autoren exzellenter Drehbücher guter Serien.


    Sorry, aber diese Gegenüberstellung von TV - Literatur ist einfach nur dummes Zeug.


    Ich denke die Ursache dieses irrtums liegt darin, dass in der Literatur meist nur die guten Autoren nicht in Vergessenheit geraten. Das ist auch einer der Gründe weshalb ich gerne Klassiker lese: Man greift nur selten daneben. Die schlechten Romane und Autoren hat die Zeit schon ausgesiebt und in Vergessenheit geraten lassen. Nur darf man das natürlich nicht übersehen.


  • Dickens ist interessantes Beispiel. Zu seiner Zeit war er ein Bestseller-Autor und Medienstar. (Letzeres allerdings auch durch seine Vorlesetourneen.) Nur sind die meisten seiner Sachen halt leider auch danach ... :sauer: :breitgrins:


    Kategorie: Überschätzter Klassiker ... :zwinker:


    Interessant ist ja auch, daß Dickens´ Werke fast alle Fortsetzungsromane sind, die wöchentlich oder monatlich erschienen. Das rückt sie dann noch mehr in Richtung "Vorform der TV-Seifenoper" :breitgrins:


    Ich habe nur Great Expectations und Oliver Twist gelesen; waren beide ganz nett, aber irgendwie kann ich mich nicht recht dazu entschließen, noch etwas von ihm zu lesen :rollen:


  • Interessant ist ja auch, daß Dickens´ Werke fast alle Fortsetzungsromane sind, die wöchentlich oder monatlich erschienen. Das rückt sie dann noch mehr in Richtung "Vorform der TV-Seifenoper" :breitgrins:


    Eben. Was früher der Fortsetzungsromane, ist heute die TV-Serie. Und so, wie es bei den Fortsetzungswälzern ganz und gar unglaublichen Müll neben herrausragenden Meisterweken gibt, gibt es auch grausig schlechte neben atemberaubend guten Serien.


    Zum Beispiel die phänomenale BBC-Verfilmung von Bleakhouse, mit einer umwerfend guten Gillian Anderson.


    Es gibt da gleich zu Beginn eine sehr beeindruckende Szene, in der sie am Fenster steht, in den Regen hinausschaut und sich selbst, scheinbar mit ihrem Gatten redend, die bedrückende Sinnlosigkeit ihres Lebens aufdröselt:


    Zitat

    Er: Is it still raining, my love?
    Sie: Yes, my love
    Er: Remarkble
    Sie: And I am bored to death with it. Bored to death with this place, bored to death with my life, bored to death with myself.
    Er: What was that, my love?
    Sie: Nothing! .. of consequence.


    Man muss das gesehen und gehört haben, um zu wissen, dass Gillian Anderson als Scully ihre Talent verschwendet hat.

  • Ich bin wirklich (negativ) überrascht, dass Dickens von euch nicht geschätzt wird.
    Aber es stimmt natürlich auch nicht, dass man nur zu einem alten Buch greifen muss, um eine Offenbarung zu erleben. So als könnten andere es einem abnehmen, selbst über die Qualität eines Buches entscheiden zu müssen. Nein, auch hier ist der eigene Kopf gefragt.
    Und hört bitte nicht auf (das geht besonders in Zolas Richtung), euch auf die Suche nach übersehenen und vergessenen Autoren und Büchern zu begeben (in der Vergangenheit und in der Gegenwart), es gibt so viele Kostbarkeiten zu entdecken.


    Die Leserin

  • @ Leserin:


    Ich denke, es ist so, wie giesbert es formuliert hat:



    Eben. Was früher der Fortsetzungsromane, ist heute die TV-Serie. Und so, wie es bei den Fortsetzungswälzern ganz und gar unglaublichen Müll neben herrausragenden Meisterweken gibt, gibt es auch grausig schlechte neben atemberaubend guten Serien.


    Dickens gehört bestimmt nicht zu den schlechten Fortsetzungsroman-Autoren. Sonst hätte er ja nicht so viel Erfolg gehabt und würde heute vermutlich in Vergessenheit geraten sein.
    Ich persönlich kann mit Dickens allerdings nicht so viel anfangen. Wobei ich da nicht einmal genau sagen könnte, woran es liegt. Die beiden Romane von ihm, die ich gelesen habe, waren ja ganz nett und auch spannend, aber dennoch...


    @ giesbert:



    Zum Beispiel die phänomenale BBC-Verfilmung von Bleakhouse, mit einer umwerfend guten Gillian Anderson.


    Das hat mich jetzt neugierig gemacht. Leider sind diese BBC-Verfilmungen auf DVD ja immer extrem teuer. Mal schaun, ob ich die irgendwo günstiger herbekomme.


  • ich lege Wert auf die Feststellung, dass ich nicht zu diesem "euch" gehöre :winken:


    Und ich auf die, dass ich bei Dickens (ähnlich wie bei Raabe) den Erstling (The Pickwick Papers bzw. Die Chronik der Sperlingsgasse) ganz amüsant finde und als jeweiligen Einstieg in den Autor durchaus geeignet - dann aber eigentlich erst das Spätwerk wieder so richtig mag. Dickens ist in seinen berühmten Werken wie Oliver Twist oder David Copperfield für meinen Geschmack unterträglich sentimental. Das Alterswerk hingegen besticht sprachlich wie thematisch bei beiden, finde ich.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Und ich auf die, dass ich bei Dickens (ähnlich wie bei Raabe) den Erstling (The Pickwick Papers bzw. Die Chronik der Sperlingsgasse) ganz amüsant finde und als jeweiligen Einstieg in den Autor durchaus geeignet - dann aber eigentlich erst das Spätwerk wieder so richtig mag. Dickens ist in seinen berühmten Werken wie Oliver Twist oder David Copperfield für meinen Geschmack unterträglich sentimental. Das Alterswerk hingegen besticht sprachlich wie thematisch bei beiden, finde ich.


    Zu welcher Phase rechnest Du "Bleak House", nach meinem Empfinden Dickens bestes Werk?


    Viele Grüße


    Sir Thomas