• Ich war von den ersten beiden Bänden ziemlich enttäuscht. Lohnt sich denn wenigstens der dritte?



    Hast du dazu mehr in deinem Blog geschrieben? Deine Meinung interessiert mich.
    Ich kenne die Autobiographie noch nicht.

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Mark Twain: Der Prinz und der Bettelknabe (1881)


    Mark Twains (d.i. Samuel Langhorne Clemens, 1835-1910) historischer Roman behandelt eine angebliche Verwechslung des jungen Prinzen und nachmaligen Königs Edwards VI. von England, Sohn Henrys VIII., mit einem Betteljungen, wonach beide für längere Zeit in den angenommenen Rollen bleiben müssen.


    Inhalt

    Tom Canty lebt in einem Armenviertel Londons als Sohn eines Säufers, Diebes und Schlägers mit seiner Mutter, seinen beiden Schwestern und der ebenfalls gewalttätigen Großmutter von Bettelei. Nur der dort ebenfalls lebende Vater Andrew, ein ehemaliger Mönch, der Heinrichs Klosterauflösung zum Opfer fiel, kümmert sich um die Bildung des Jungen, bringt ihm Lesen, Schreiben und ein wenig Latein bei. Außerdem leiht er ihm Bücher insbesondere über die Geschichte der englischen Könige. Tom träumt sich in die Rolle eines königlichen Prinzen hinein und spielt mit den Kindern seines Viertels entsprechende Rollenspiele. Als er eines Tages sehnsüchtig am Parkzaun des Westminster-Palastes entlangstreift, wird er von der Wache festgenommen, aber von Prinz Edward befreit, der wegen dieser Übergriffigkeit seiner Soldaten erbost ist. Er nimmt Tom mit in seine Zimmer, die Jungen tauschen zum Spaß ihre Kleidung und erkennen beim Blick in den Spiegel, dass sie sich extrem ähnlich sehen. So kommt es, wie es kommen muss. Als der Königssohn in Toms Kleidung hinunter zur Wache eilt, um sich wegen eines Schlags auf Toms Hand zu beschweren, wird er von den Soldaten weggejagt. Tom dagegen halten die adeligen Bediensteten für Edward und sind sehr besorgt, dass dieser plötzlich wahnsinnig geworden sei, weil er sich an keine Umstände seines Lebens erinnert und ständig behauptet, der Betteljunge Tom zu sein. Sie versuchen dies aber gegenüber der Öffentlichkeit zu verbergen, und Tom lernt mit den Wochen dazu, so dass er unauffällig sein Amt versehen kann, obwohl er zunächst gerne zu seinem früheren Status zurückkehren würde. Der König stirbt und der „Prinz“ wird nunmehr auf seine Krönung vorbereitet.


    Währenddessen lernt Edward die Härten des Lebens der Armen kennen, wird von seinem angeblichen Vater geschlagen, soll zum Betteln gezwungen werden, kann ihm aber entfliehen und lernt dabei den adeligen Soldaten Miles Hendon kennen, der sich fortan um ihn kümmert und ihm auch seine Rolle als Prinz gönnt, auf der Edward hochfahrend besteht. Hendon nimmt Edward nach allerlei Abenteuern mit in seine Heimat, die er jahrelang aufgrund seiner Soldatenkarriere nicht gesehen hat, doch im Herrenhaus regiert jetzt sein jüngerer Bruder, ein Bösewicht, der Vater und ältere Bruder sind gestorben. Dieser jüngere Bruder hat Miles‘ Jugendliebe geheiratet und bringt sie wie die Dienerschaft unter Drohungen dazu, Miles‘ Existenz zu leugnen. Dieser wird sogar mit Edward ins Gefängnis geworfen, nach einer Prügelstrafe aber wieder frei gelassen. Beide kommen rechtzeitig zur Krönung in London an, um ihre jeweiligen Identitäten einzuklagen. Sie verschaffen sich Zugang zur Krönungszeremonie, Edward kann mit Toms williger Hilfe seine Identität klären und wird nun richtig gekrönt. Aufgrund seiner Erfahrungen der Armut und Hilfsbedürftigkeit, auch der Willkür von Verwaltung und Justiz wird Edward VI. in seiner kurzen Regierungszeit ein milder König, der einige Reformen anstößt, aber aufgrund seiner Minderjährigkeit und seines frühen Todes nicht viel erreichen kann. Miles und Tom werden in ihrem Rang erhöht und führen ein glückliches Leben.(Auf Edward folgte die katholische Maria, die Tochter aus der ersten Ehe Heinrichs, die unter dem Namen „Bloody Mary“ berüchtigt wurde, das gehört aber nicht mehr zum Inhalt des Romans.)


    Stil und meine Meinung

    Der Roman wird linear, aber mit Perspektivwechseln zwischen den beiden Protagonisten in der Er-Perspektive erzählt, ist auch für Kinder und jugendliche Leser gedacht, bei denen allerdings einiges an Kenntnissen der englischen Geschichte und Gesellschaftsstruktur vorausgesetzt wird. Twain erzählt hier „englischer“ als in seinen berühmten Romanen um Tom Sawyer und Huckleberry Finn, ist stark darum bemüht, in fast dickensscher Weise die Armut und ungerechte Behandlung der unteren Bevölkerungsschichten zu schildern. Der Roman ist spannend und farbig erzählt und in meiner Ausgabe (Insel-Taschenbuch Werkausgabe in zehn Bänden) mit zahlreichen zeitgenössischen Illustrationen geschmückt.


    Mir persönlich gefallen Twains amerikanische Romane und seine Reiseerzählungen besser, aber gut unterhalten habe ich mich allemal gefühlt.

  • Da werden Erinnerungen wach ... mein großer Bruder hatte eine TB-Ausgabe "für die Jugend", die ich gelesen habe, als ich ungefähr zehn war, evtl. auch noch jünger.
    Ich weiß nicht, ob es mir damals schon auffiel, jedenfalls erinnere ich mich, dass mir - damals oder evtl. später - doch erhebliche Zweifel an einer solchen Verwechslung kamen. Mit einem einfachen Kleidertausch ist es wohl kaum getan. Haare, Fingernägel ... na ja. Beeindruckt war ich trotzdem.
    So lange es her ist, ich habe noch den Satz im Kopf: "Eines Morgens stand Tom hungrig auf und verließ das Haus mit knurrendem Magen."

  • Da werden Erinnerungen wach ... mein großer Bruder hatte eine TB-Ausgabe "für die Jugend", die ich gelesen habe, als ich ungefähr zehn war, evtl. auch noch jünger.
    Ich weiß nicht, ob es mir damals schon auffiel, jedenfalls erinnere ich mich, dass mir - damals oder evtl. später - doch erhebliche Zweifel an einer solchen Verwechslung kamen. Mit einem einfachen Kleidertausch ist es wohl kaum getan. Haare, Fingernägel ... na ja. Beeindruckt war ich trotzdem.
    So lange es her ist, ich habe noch den Satz im Kopf: "Eines Morgens stand Tom hungrig auf und verließ das Haus mit knurrendem Magen."

    Das denke ich auch: Die Verwechslung ist etwas an den Haaren herbeigezogen. Denn die Bediensteten hätten ja den Prinzen mit dem Jungen zu seinen Zimmern laufen sehen und sich später über diesen Umstand Gedanken gemacht . Und sie kennen den Prinzen von klein auf in jedem Detail. Aber so ist nun mal Romanliteratur ..., gerade im Jugendbereich.

    In meiner Übersetzung lautet der von dir erinnerte Satz zu Beginn des 3. Kapitels: "Tom erhob sich hungrig, und hungrig machte er sich davon."

  • Zu

    Zitat

    Tom got up hungry, and sauntered hungry away, but with his thoughts busy with the shadowy splendors of his night's dreams.

    hab ich noch ne Variante (Gesammelte Werke, Bd. 7 (Hanser 1977), dt. von Lore Krüger):

    Zitat

    Hungrig erhob sich Tom, und hungrig sprang er davon, seine Gedanken aber waren vom schattenhaften Glanz seiner nächtlichen Träume erfüllt.

    Wobe mich keine Übersetzung überzeugt: "sauntered" ist "schlenderte" – und das ist ja wohl etwas anderes als "sprang" oder "machte sich davon". Und wo der "Bettelknabe" herkommt (den auch Krüger hat), ist mir auch etwas schleierhaft ("Pauper" ist einfach: "Bettler")


    Bei Mobileread gibt's eine dt. Version von 1905 ("Prinz und Bettler" - na also, geht doch ;-)), bei der es allerdings "Frei nach dem Amerikanischen des Mark Twain von Rudolf Brunner" heißt. Immerhin, hier schlendert er. Dafür wird der Satz zerteilt:

    Zitat

    Tom erhob sich hungernd und hungrig schlenderte er hinweg. Seine Gedanken beschäftigten sich immer noch mit dem goldenen Zauber seines nächtlichen Traumes.

    Und spaßeshalber hab ich auch mal Deepl gefragt:

    Zitat

    Tom stand hungrig auf und schlenderte hungrig davon, aber mit seinen Gedanken mit der schattenhaften Pracht seiner nächtlichen Träume beschäftigt.

  • Die KI hat die bisher genaueste Übersetzung, allerdings die falsche Präposition vor "Gedanken" und eine damit verbundene unschöne Doppelung.

    Dass der Titel auf "Bettelknabe" abgeändert wurde, kann ich schon verstehen, denn selbst Twain selbst und natürlich besonders die Verlage sahen wohl die Hauptzielgruppe bei Kindern und Jugendlichen. Da ist die Anspielung auf die eigene Altersgruppe im Titel durchaus ein Marktargument.