• Moin, Moin!


    Ich möchte euch folgendes Lesestück nicht vorenthalten, am dem ich mich köstlich delektiert habe und eröffne hiermit gleichzeitig einen allgemeinen Thread zu Mark Twain.


    "Wir erreichten Venedig um acht Uhr abends und bestiegen einen Leichenwagen, der zum Grand Hotel d'Europa gehörte. Zumindest glich es mehr einem Leichenwagen als etwas anderem, obwohl es, wenigstens auf dem Papier, eine Gondel war. Das also war die gefeierte Gondel von Venedig! - das Märchenboot, in dem die fürstlichen Kavaliere der guten alten Zeit das Wasser der mondbeschienenen Kanäle durchpflügten und mit der Beredsamkeit der Liebe in die sanften Augen patrizischer Schönheiten blickten, während der fröhliche Gondoliere in seidenem Wams seine Gitarre zupfte und sang, wie eben nur Gondolieri singen können! Das also ist die berühmte Gondel und das der prächtige Gondoliere! - das eine ein tintenschwarzes, verschossenes altes Kanu mit einem daraufgesetzten düsteren Leichenwagenaufbau, und der andere ein schäbiger, barfüßiger Gassenjunge, an dem Teile der Kleidung zur Schau gestellt waren, die einer öffentlichen Inspektion hätten vorenthalten bleiben sollen. Während er um eine Ecke bog und seinen Leichenwagen in einen schaurigen Graben zwischen zwei Reihen hochaufragender, unbewohnter Gebäude schießen ließ, begann der fröhliche Gondoliere plötzlich, getreu den Traditionen seiner Gattung, zu singen. Ich hielt es eine kurze Zeit aus. Dann sagte ich: 'Jetzt hör mal her, Roderigo Gonzales Michelangelo, ich bin ein Pilger, und ich bin ein Fremder, aber ich bin nicht gewillt, meine Gefühle von einem solchen Gejaule zerfleischen zu lassen. Wenn das nicht aufhört, muß einer von uns ins Wasser. Es genügt, daß meine langgehegten Träume von Venedig für immer dahin sind, was die romantische Gondel und den prächtigen Gondoliere angeht; diese systematische Vernichtung soll nicht weiterschreiten; ich werde unter Protest den Leichenwagen akzeptieren, und du magst unbehelligt deine Parlamentärsflagge wehen lassen, aber hiermit verkünde ich einen finsteren und blutigen Schwur, daß du nicht mehr singst. Noch ein Quieckser, und du gehst über Bord.'" (Mark Twain: Die Arglosen im Ausland, S. 192 f.)

  • Moin, Moin!


    Und wie sich das Leben im Gegensatz zu damals verändert hat - also eher angeglichen und nivelliert, zeitg dieses Stück, das wir Heutige kaum glauben mögen:


    "Gerade in diesem Punkt liegt der hauptsächliche Reiz des Lebens in Europa - in der Geruhsamkeit. In Amerika geht alles Tempo - das ist in Ordnung; aber wenn die Tagesarbeit getan ist, denken wir weiter an Verlust und Gewinn, planen für den nächsten Tag, nehmen unsere Geschäftssorgen sogar mit zu Bett und werfen uns hin und her und grübeln über sie nach, während sich unser geplagter Kopf und Körper lieber im Schlaf erholen sollte. Wir verpulvern mit diesen Aufregungen unsere Kräfte und sterben entweder zeitig oder verfallen der Kraftlosigkeit und Armseligkeit des Alters schon zu einem Zeitpunkt unseres Lebens, den man in Europa das beste Mannesalter nennt." (Mark Twain: Die Arglosen im Ausland, S. 163)

  • Hallo Dostoevskij,


    Köstlich! Vielen Dank dafür an einem derart bescheidenen Tag!


    Hier kommt mein Liebling:


    "Ich bin der treuste Freund der deutschen Sprache [...] Ich würde nur einige Änderungen anstreben. Ich würde boß die Sprachmethode - die üppige, weitschweifige Konstruktion - zusammendrücken; die ewige Parenthese unterdrücken, abschaffen, vernichten; die Einführung von mehr als dreizehn Subjekten in einem Satz verbieten; das Zeitwort so weit nach vorn rücken, bis man es ohne Fernrohr entdecken kann. Mit einem Wort, meine Herren, ich möchte Ihre geliebte Sprache vereinfachen, auf daß, meine Herren, wenn Sie sie zum Gebet brauchen, man Sie dort oben versteht."


    Mark Twain, Die Schrecken der deutschen Sprache. Eine an den Wiener Presseclub auf deutsch gehaltene Ansprache vom 21.11.1897


    Es grüßt


    Sir Thomas

  • Mark Twain, Die Schrecken der deutschen Sprache. Eine an den Wiener Presseclub auf deutsch gehaltene Ansprache vom 21.11.1897


    Hallo Sir Thomas,


    auf deutsch? Ist das belegt? Schwer vorstellbar, denn -
    ich entnehme einer kleinen, zweisprachigen Sonderausgabe von "The awful German language" (Deutsch Ulrich Steindorff Carrington), daß Mark Twain 9 Wochen lang versuchte Deutsch zu lernen, mit Grammatik und Verben ziemlich erfolgreich kämpfte, aber akzenthalber praktisch nicht zu verstehen gewesen sei und ergo erheblich frustriert war.


    Das Büchlein enthält noch ein Nachwort von einem Werner Fuld (über dessen Qualifikation ich nichts weiß), in dem Folgendes, "The Innocents Abroad" und "A Tramp Abroad" betreffend, steht:
    Der heutige Leser sollte sich nichts vormachen: Mark Twains Reiseberichte sind zwar witzig geschrieben, aber keine Satire über amerikanische Touristen, die ahnungslos von Stadt zu Stadt, Von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit hetzen, ohne etwas zu verstehen..............(er) teilte alle Vorurteile seiner Landsleute gegen die antiquierten europäischen Sitten, Seine Kritik ist zwar immer ironisch übertrieben, aber er meinte sie ernst. Für ihn waren die Bewohner der "Alten Welt" allenfalls kultivierte Barbaren.

    Festzustellen, daß ein Amerikaner der 1835 in Florida geboren und in Mississipi aufgewachsen ist, Europa durch eine völlig andere Brille sieht (und nicht nur damals einer und dort), ist ja an sich trivial. Interessant finde ich aber, sich die Brille anzusehen, durch die wir Europäer des 20. Jahrhunderts (u.a. auch) seine Texte lesen.


    Kennt jemand Mark Twains letzte Kurzgeschichte "The Mysterious Stranger"?
    Eine vor (sicher unfreiwilligen) Anachronismen strotzende Angelegenheit, aber mit einem fulminanten Ende, das sich mit Siebenkäs' Traum messen kann. Da muß für den "witzigen" Mark Twain nochmal die Perspektive gewechselt werden.


    Gruß
    g.

  • Hallo,


    ich hab diese Diskussion jetzt erst gelesen, möchte aber unterstützend für Sir Thomas einspringen: Meine Ausgabe der "schrecklichen deutschen Sprache" ist zweisprachig und ohne Übersetzer-Angabe. Als Verfasser gilt Mark Twain, sowohl englisch als auch deutsch. Meines Wissens nach hat er diese Rede ganz allein und ohne Hilfe in deutscher Sprache gehalten.


    Wenn ich mir Mark Twains Biografie so ansehe, dann sehe ich einen snobistischen und arroganten, aber hervorragenden Zyniker, der durchaus weiß, wovon er redet. Er hat das Leben von ziemlich vielen Seiten kennengelernt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er völlig unfundiert von Dingen schreibt, die er nicht versteht ... wäre ihm also die deutsche Sprache SO schwer gefallen, dass er sie gar nicht artikulieren kann, dann hätte er sich sicher nicht darüber lustig gemacht bzw. sie dermaßen aufs Schaffott geführt. Er nimmt Regeln unter die Lupe, die kennt kein Muttersprachendeutscher mehr und manche Sätze muss man mehrmals lesen, ehe man den wortwitz'schen Hintersinn versteht. Das schreibt niemand, der die Sprache nicht aus dem "FF" beherrscht.

  • Hallo,


    das Mark Twain diese Rede in Deutsch gehalten hat, habe ich auch schon irgendwann mal gehört.


    Aber ich habe eine andere Frage:
    Kann mir irgend jemand eine Mark Twain Gesamtausgabe empfehlen? In Deutsch, oder auch in der Originalsprache Englisch.


    Schönes Wochenende
    Robinson

  • Hallo,


    nach einem Jahr muss ich feststellen, dass ich die folgende Frage schon einmal gestellt habe.
    Kennt jemand eine Gesamtausgabe??



    Grüße
    Robinson

  • Moin, Moin!


    Als Twain gefragt wurde, was er von Hegel halte, antwortete er prompt, das könne er 'noch nicht abschließend beurteilen'; er habe erst zwei Bände von ihm gelesen. Die Satzaussage vermute er nun im dritten Band! (Karl Hugo Pruys: Die Republik der Phrasendrescher. Wortwörtliches einer verunglückten Sprache, S. 20)

  • Hallo,


    am 18. im Rabe-Literaturklalender gefunden und heute dem Bankberater meines Vertrauens verehrt (worauf er etwas gequält lächelte):


    Zitat von "Mark Twain"

    Der Oktober ist besonders gefährlich, um mit Wertpapieren zu spekulieren. Weitere gefährliche Monate sind Juli, Januar, September, April, November, Mai, März, Juni, Februar & August.


    In diesem Sinne: Investieren wir unser Geld lieber in gute Bücher!


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)


  • oder wir probierens mit den Aktien im Dezember. Da hat der alte Mark ja versteckt einen guten Tip abgegeben! :klatschen:

  • Hallo Hubert,
    Berichte unbedingt, wenn du erfolgreich warst! :zwinker:


    finsbury


    Hallo finsbury,


    ich schlage Dir folgende Wette vor: Wir notieren den Kurs der Siemens-Aktie und der BMW-Aktie am 1. Dezember 2010 und vergleichen die Kurse am 31. Mai 2011. Sind die Kurse dann soviel gestiegen, dass bei einem Einsatz von € 5.000 je Aktie, der Gewinn insgesamt € 500 oder mehr beträgt (also mindestens 10% und damit mehr als bei anderen Geldanlagen), dann liest Du bei meinem nächsten Lesevorschlag hier im Forum mit, wenn nicht, lese ich bei Deinem nächsten Vorschlag mit. :breitgrins:


    Hubert

  • Hallo Hubert,



    ich schlage Dir folgende Wette vor: Wir notieren den Kurs der Siemens-Aktie und der BMW-Aktie am 1. Dezember 2010 und vergleichen die Kurse am 31. Mai 2011. Sind die Kurse dann soviel gestiegen, dass bei einem Einsatz von € 5.000 je Aktie, der Gewinn insgesamt € 500 oder mehr beträgt (also mindestens 10% und damit mehr als bei anderen Geldanlagen), dann liest Du bei meinem nächsten Lesevorschlag hier im Forum mit, wenn nicht, lese ich bei Deinem nächsten Vorschlag mit. :breitgrins:


    Hubert


    Topp, die Wette gilt!
    Aber sie kann sich nicht auf Lesevorschläge unsererseits erstrecken, die sich vor dem 31. Mai nächsten Jahres verwirklichen werdenm, aber auf Lesevorschläge, die erst danach zu Leserunden werden, schon.
    Ich zittere schon, was für literarische Biestigkeiten du dir bis dahin aussuchst ... . Mal schauen, wo so deine Vorlieben und Abneigungen liegen ... :teufel:


    finsbury


    P.S. Notieren wir dann in diesem Ordner, wie hoch die bewetteten Werte am 1. Dezember liegen?


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Topp, die Wette gilt!
    Aber sie kann sich nicht auf Lesevorschläge unsererseits erstrecken, die sich vor dem 31. Mai nächsten Jahres verwirklichen werdenm, aber auf Lesevorschläge, die erst danach zu Leserunden werden, schon.
    P.S. Notieren wir dann in diesem Ordner, wie hoch die bewetteten Werte am 1. Dezember liegen?
    finsbury


    Hallo finsbury,
    es freut mich sehr, dass Du dich auf die Wette eingelassen hast. :smile:
    Deine Wettbedingung gebe ich mal mit meinen Worten wieder: "An am 31. Mai 2010 schon begonnenen Leserunden muß der Verlierer nicht teilnehmen!" - War's das? - okay


    Ja, ich werde am Mittwoch die beiden Kurse hier notieren (vermutlich wird Sandhofer ja kein eigenes Forum für Aktienklassiker einrichten)


    Schöne Grüße


    Hubert :winken:

  • Zwischenstand 24.12.


    Siemens: 94, 78
    BMW (St, Xetra was auch immer das heißt ..) : 63,26


    Bisher wär's ja ein guter Tipp vom alten Mark, mal sehen wie's weitergeht.


    Frohe Feiertage


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • unter diesem Titel schwärmen drei der größten Fans von Mark Twain (Jan Josef Liefers, Axel Prahl und Paul Ingendaay) am 18. März 2011 im Theater am Tanzbrunnen in Köln von ihrem Idol, erzählen aus seinem Leben und lesen seine Texte.