August 2007 - Uwe Johnson: Jahrestage
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Hallo zusammen,
Zitat von "xenophanes"Mein bisherigen Eindrücke haben sich verfestigt, vor allem dahingehend, dass die einzelnen Abschnitte doch von sehr unterschiedlicher Qualität sind.
Am besten finde ich die Abschnitte über Cresspahl in Jerichow. Diese sind recht traditionell erzählt und sehr anschaulich. 2000 Seiten in dieser Art wäre wohl etwas langweilig, aber zwischen all den Montagen und Schnitten finde ich die Passagen richtiggehend erholsam.Am 7. November schimmert Gesines Angst vor Nähe und Bindung durch: zu Besuch bei D.E.: Mit dem gemächlichen Schnurren von Bratenpfannen und dem Knacken des Kühlschrankschlosses vermischt drangen die Stimmen als undeutliches Geräusch durch die Balkenlagen nach oben, vertrauter als geheuer war. Abgesehen davon finde ich Gesine immer noch ohne Konturen.
Herzliche Grüsse,
Maja -
Hallo zusammen!
Ich bin die letzten Tage einfach nicht zum Lesen gekommen, habe aber die halbe Nacht durchgelesen und den September durchkreuzt.
Nun muss ich Maja zustimmen, dass die Abschnitte über Cresspahl, die Familie Papenbrock und die Richmonder und Jerichower Verhältnisse traditionell und anschaulich, sehr detailliert erzählt sind. Sie sind der eigentliche Roman in den Jahrestagen, aufgelockert durch das Leben von Gesine, Marie und Uwe Johnson in New York. Ich finde die Auflockerung dennoch gut, da ich viel über Amerika, den Vietnam-Krieg, das soziale Klima der 68er usw. lernen kann.
Die Familie Papenbrock als deutsche Familie in der wahnsinnigen deutschen Geschichte finde ich literarisch sehr überzeugend herausgearbeitet, konsoquent durchgehalten und sehr vielschichtig in der Aufteilung der Charaktere. Auch Cresspahl ist sehr überzeugend dargestellt. Die Figuren in seinem Erzählkosmos hatte Johnson fest im Griff und in der Vorstellung. Uwe Johnsons Feststellung in "Ich überlege mir die Geschichte", erst die Figuren klar im Kopf zu haben und dann seine Geschichten über und mit Ihnen zu schreiben, sehe ich bestätigt und finde sie glaubhaft. Vielleicht gab ihn das die Sicherheit, die komplexen Figurencharaktere und deren Verpflechtung untereinander literarisch einwandfrei durchzuhalten. Auf jeden Fall hat mich das immer bei Johnson fasziniert. Dabei muss man wohl in Kauf nehmen, immer wieder gleichen Namen zu begegnen in verschiedenen Büchern. Von Nachteil ist dies nicht, aber auffällig.
Jedenfalls habe ich bis zum 1. Oktober aufgeschlossen mit meiner Lektüre und hoffe den Anschluss nicht wieder zu verlieren.
Einen schönen Wochenbeginn wünscht euch FA
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Hallo Maja !
ZitatAbgesehen davon finde ich Gesine immer noch ohne Konturen.
Gesine spiegelt schon die Menschen wider, die durch den 2. Weltkrieg, die Teilung Deutschlands und den neuen Freund Amerika, zerrissen sind und eine neue Identität finden müssen, ohne ihre alten Wurzeln verlieren zu können. Insofern finde ich sie sehr differenziert dargestellt. Ich finde, sie ist auch eine der Figuren, die auf einer sehr emotionalen Ebene agieren, das sieht man ja auch an der von dir zitierten Textstelle. Cresspahl oder die Papenbrocks würden so etwas nie denken.
Ich denke, Gesines Haltung entwickelt sich langsam und das ist ja in der Gesamtkonzeption durchaus stimmig. Auf der einen Seite die Vergangenheit, die abgeschlossen ist und sich nicht mehr weiterentwickeln kann, auf der anderen Seite die Gegenwart mit Gesine und die Zukunft mit Marie.
Gruß von Steffi
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Ich hab den ersten Band ausgelesen, mache jetzt eine Pause, was natürlich eine völlig willkürliche Zäsur ist, und lese aber immer mal halbwegs regelmäßig den „heutigen Tag“ nach. Denn das Ganze bezieht sich ja rück- und vorwärts immer wieder aufeinander.
Der Kommentar verlinkt es und macht es deutlich.Einige Anmerkungen, wie meist bei mir, dank weitestgehenden Fehlens fachlichen Vokabulars, ein wenig unbeholfen.
Die Personen gewinnen wohl so Konturen, wie man sie sich macht.
Es liegt am Leser, die sich mit Inhalt zu füllen.Meinem Empfinden nach erfolgt die Charakterisierung indirekt, Im Verlauf des Erzählens, durch die Dialoge. Durch wechselseitige Spiegelung. Für dieses Verfahren gibt es sicherlich einen literaturwissenschaftlichen Terminus, aber den hab ich, wie meist, nicht parat.
Mir stehen jedenfalls Gesine und die anderen, und insbesondere Marie, durchaus lebhaft vor Augen.
Ich dachte dabei auch an Gesine und Cresspahl aus den „Mutmassungen“ zurück.Und ebenso wertet Johnson direkt nicht. Seine Standpunkte hatte er sicherlich, aber es liegt an uns, die zu erschließen. Bzw., und das finde ich, wie stets, wichtiger, uns selbst am Text unsere Fragen aufzuwerfen.
Auch mir kommen die einzelnen Tage/Kapitel vom „Niveau“ her wechselnd vor. Nur wie soll es auch zu schaffen sein, stilistische Höhepunkte wie bspw. das von mir erwähnte Anschalten der Heizung permanent zu halten.
Ich glaub, das muss auch so sein.Es ist mir bei längeren Lektüreabschnitten aufgefallen, dass ich ruhigere Passagen habe, und dann zieht das Tempo wieder an. Es gibt Passagen eher „normalen“ Erzählens, und dann wieder diese von sehr hoher Qualität mit streckenweise wirklich brillanter Prosa.
Das scheint mir, neben der Strukturierung in einzelne Tage, mögen deren Ereignisse nun willkürlich sein oder nicht, eine zweite zu sein.
Die dritte, auch die „tagesunabhängig“, ergibt sich durch den Wechsel der Schauplätze. Und deren Spiegelung. Dadurch, dass sich ja die hier angesprochenen Grundthemen, in den 30ern und den 60ern aufeinander beziehen.
Auch ich fand, besonders im letzten Drittel, die Jerichow-Szenen, vor allem die um die Machtergreifung herum, am gelungensten.
Das ist einfach plastisch, da erleben wir mit, wie sich die „große“ Politik im Kleinen, in so einem dörflichen Biotop, auswirkt.
Ganz konkret, bspw. die sich verschärfende Judenverfolgung, an Semig und seiner Frau.
Kleinigkeiten, wie dass sich Cresspahl einen Aufnahmeantrag für die Partei holt, aber dann, wenn ich mich richtig erinnere, doch nicht eintritt.Spiegelung:
sehr gut hat mir gefallen, wie, am 1. November, Mittwoch, das Verhalten von Marie und ihrer Gruppe auf Halloween geschildert wird. Und Marie im Dialog mit Gesine, Sophisterei betreibt, um vor ihr und sich selbst, ihrem schlechten Gewissen, zu rechtfertigen, dass Francine, weil nämlich „gefärbt“, nicht eingeladen wurde. Marie, die doch andererseits eine so entschiedene Haltung zum Vietnamkrieg (in ihrer Schule, bei dem Besuch bei de Rosny) hat. (Fragte ich mich ja: geht das überhaupt, in dem Alter?)
Alltäglicher Rassismus, Jerichow 1933, New York 1967.Ziemlich ratlos bin ich bisher, was den/die Erzähler betrifft.
Ich meine mich an Stellen zu erinnern, wo ein übergeordneter (auktorialer ??) Erzähler mit seiner Gesine spricht.Leibgeber (zur Zeit Wien, nicht Jerichow/New York )
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Hallo!
Auch mir kommen die einzelnen Tage/Kapitel vom „Niveau“ her wechselnd vor. Nur wie soll es auch zu schaffen sein, stilistische Höhepunkte wie bspw. das von mir erwähnte Anschalten der Heizung permanent zu halten.
Ich glaub, das muss auch so sein.Wieso? Es gibt doch zahlreiche Gegenbeispiele: Thomas Mann, Doderer, Musil ...
CK
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Wieso? Es gibt doch zahlreiche Gegenbeispiele: Thomas Mann, Doderer, Musil ...
Ja, aber Johnson arbeitet bspw. mit Montage, übernimmt Tagesnachrichten aus der NYT u.a. Medien.
Und hält auch sonst manche Abschnitte bewusst "dokumentarisch". -
Ja, aber Johnson arbeitet bspw. mit Montage, übernimmt Tagesnachrichten aus der NYT u.a. Medien.
Und hält auch sonst manche Abschnitte bewusst "dokumentarisch".Das macht Thomas Mann aber auch in einem starken Maße, allerdings verarbeitet er seine Quellen in dem er sie stilistisch integriert. Ich habe auch nicht gemeint, dass bei Johnson die dokumentarischen Passagen schwächer sind als die erzählten. Es ist nur generell so, dass das Niveau einzelner Abschnitte einfach viel unterschiedlicher sind als bei anderen Autoren dieser Liga. D.h. ein "schlechter" Abschnitt bei Doderer ist immer noch gut, bei Johnson ist das nicht immer so :zwinker:
CK
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Unsere beiden Jahrgänge sind zwar nicht dabei. Aber trotzdem:
[url=http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,506898,00.html]Die Gute Tante frei im Web[/url].
:zwinker: -
Hallo zusammen,
ich greife etwas vor, wenn auch nur ein wenig. Ich antworte hier, weil ich den Beitrag Uwe Johnsons vom 2. Oktober 1967 so gelungen und beeindruckend finde. Die Darstellung des emigrierten Dmitri Weiszand, seiner zerissenen europäischen Lebensgeschichte, die für viele Menschen stellvertretend ist, seine körperliche Emigration in die neue Welt, der die geistige nicht ganz zu folgen vermochte, seine Zerrissenheit zwischen altem Kontinent, den er nicht ganz verließ und neuem Kontinent, den er nicht ganz erreichte, das ist sehr schön beschrieben und scheint mir auch ein immer wieder vorkommendes Thema und verbindendes Element in den Jahrestagen zu sein. Dazu die Trennung von Familien und Traditionen, das Vertriebensein durch Kriege und die Vertreibung durch Macht- und Vernichtungsanspruch, alles führt in der Person Dmitri Weiszands, des typischen europäischen Emigranten der Kriegs- und frühen Nachkriegszeit zusammen. Es ist ein mahnender Text, so verstehe ich ihn zumindest und ein erinnernder Text ebenso. Erinnerung an die, die nicht davon kamen und die, die zwar davon kamen aber nie wieder Heimat und Glück fanden.
Weiterhin kommt sehr ausdrücklich die C.S.S.R ins Blickfeld, die ja geschichtlich, wie mir scheint und auch persönlich Johnsons Leben beeinflusst zu haben scheint.
Was haltet ihr von der Mutmassung?
Grüße, FA
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Hallo!
Ich muss mich noch einmal abmelden: Eine knappe Woche Urlaub in London steht auf dem Programm. Danach kann ich wieder regelmäßig mitlesen.
CK
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Ich wünsche dir einen schönen London-Urlaub xenophanes!
Auch den Beitrag vom 4. Oktober 1967 fand ich sehr gut. Besonders wie Johnson die Verbrechen der Nazis des Hitlerregimes und der Kommunisten des Stalinregimes gegenüberstellt und dabei dennoch eine Unterscheidung trifft, also auch das Morden differenziert. Erstaunlich bleiben die Parallelen, wie zum Beispiel die festgestellte Kaltblütigkeit der Täter und das Alleinsein und Alleingelassenwerden der Opfer.
Erstaunlich finde ich immer wieder, wie Johnson entweder durch eine kleine Bemerkung und treffend beschrieben das große Verbrechen hinschreibt und es mit wenig Worten zu voller Wirkung kommen ließ oder dann wieder sehr viel Mühe sich gibt, auch kleinste Nuancen des Entstehens und Ausbrechens dieser Verbrechen zu beschreiben. In diesem Beitrag werden Deutsche als Täter und Opfer gleichsam vorgeführt, wobei die deutsche Täterschaft nicht angezweifelt wird und als Ursache späterer Opfer zu erkennen bleibt.
Johnson hat auch die DDR-Verhältnisse sehr gut gekannt, dass lässt sich am Ende des Beitrags vom 4. Oktober 1967 nachlesen.
Grüße, FA
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Momentan bringt mich die Buchmessenvorbereitung um meine tägliche Johnson-Dosis.
Dafür darf ich dann am 15.10. mal ein längeres Stück lesen. Auch schön. :breitgrins: -
Hallo zusammen,
in mir stellt sich die Routine eines Zeitungslesers ein. Ich betrachte die Jahrestage selbst schon wie eine Zeitung die ich täglich lese, zu einer bestimmten Zeit, vor dem Schlafengehen.
verwirrend fand ich den 5. November, als dieses Mädchen auftauchte. Es kam mir vor als ob von New York selbst die Rede ist.
Ich komme zum 18. November 1967.
Zitat von "Friedrich-Arthur"ich greife etwas vor, wenn auch nur ein wenig. Ich antworte hier, weil ich den Beitrag Uwe Johnsons vom 2. Oktober 1967 so gelungen und beeindruckend finde. Die Darstellung des emigrierten Dmitri Weiszand, seiner zerissenen europäischen Lebensgeschichte, die für viele Menschen stellvertretend ist, seine körperliche Emigration in die neue Welt, der die geistige nicht ganz zu folgen vermochte, seine Zerrissenheit zwischen altem Kontinent, den er nicht ganz verließ und neuem Kontinent, den er nicht ganz erreichte, das ist sehr schön beschrieben und scheint mir auch ein immer wieder vorkommendes Thema und verbindendes Element in den Jahrestagen zu sein. Dazu die Trennung von Familien und Traditionen, das Vertriebensein durch Kriege und die Vertreibung durch Macht- und Vernichtungsanspruch, alles führt in der Person Dmitri Weiszands, des typischen europäischen Emigranten der Kriegs- und frühen Nachkriegszeit zusammen. Es ist ein mahnender Text, so verstehe ich ihn zumindest und ein erinnernder Text ebenso. Erinnerung an die, die nicht davon kamen und die, die zwar davon kamen aber nie wieder Heimat und Glück fanden.
Weiterhin kommt sehr ausdrücklich die C.S.S.R ins Blickfeld, die ja geschichtlich, wie mir scheint und auch persönlich Johnsons Leben beeinflusst zu haben scheint.
Was haltet ihr von der Mutmassung?
Inwieweit die Geschichte der CSSR Johnsons Leben beeinflusst hat, weiß ich nicht, ich bin mit seiner Biographie nicht soweit fortgeschritten. Doch das Mahnen und Erinnern kommt immer wieder zu tage. Das hast du treffend zusammengefasst.
Die Jahrestage bringen auch in mir Erinnerungen zurück, die ich zwar nicht vergessen habe, doch wieder vermehrt daran denke, wie es war als ich noch Kind war und meine Tante aus der CSSR nur alleine ausreisen durfte um uns zu besuchen. Ihre zurückbleibende Familie war für den Staat die Garantie, dass sie wieder zurückreiste.
Viele Grüße
Maria -
Hallo zusammen
Ich habe nun den ersten Band fertig und hoffe, nächste Woche durch den zweiten zu kommen. Trotz vieler Qualitäten geht mir das Buch immer noch nicht nahe, und ich fände den Urlaub "vergeudet", wenn ich nur Johnson mitnehmen würde.
Zitat von "Friedrich-Arthur"Erstaunlich finde ich immer wieder, wie Johnson entweder durch eine kleine Bemerkung und treffend beschrieben das große Verbrechen hinschreibt und es mit wenig Worten zu voller Wirkung kommen ließ oder dann wieder sehr viel Mühe sich gibt, auch kleinste Nuancen des Entstehens und Ausbrechens dieser Verbrechen zu beschreiben.
In dieser Hinsicht ist der 5. Dezember ein stilistisches Highlight!
Ebenfalls eindrücklich fand ich den 11. Dezember, die Geschichte Edmondos.
Am 1. Dezember folgte die Erläuterung des Karsch-Abenteuers vom 20. November. Dieses hatte mich seinerzeit fast genervt, weil es so unverständlich und unwahrscheinlich war. Raffiniert komponiert, die Situation eine Weile offen zu halten, dann aber doch noch zu klären!
Zwei Stellen zur Schuldfrage:
Sollen wir verzichten auf jeden Einkauf, weil er eine Steuer produziert, von deren endgültiger Verwendung wir nichts wissen?
Immer noch sehr aktuell! Und:
Sartres Begründung mchte jeden Ausländer, der in die USA reist oder dort lebt, zu einem MitschuldigenAusserdem gab es eine Begründung für Gesines Unnahbarkeit:Wenn ich mich auf einen Menschen einlasse, könnte sein Tod mich schmerzen. Ich will diesen Schmerz nicht noch einmal. Ich kann es mir also nicht leisten, mich auf jemand einzulassen.
In diesem Zusammenhang kam mir der Gedanke, ob der Schmerz über den Tod der Mutter der Grund dafür ist, dass sie sich von Marie mit dem Vornamen anreden lässt?Herbstliche Grüsse,
Maja -
Hallo!
Ich habe nun den ersten Band fertig und hoffe, nächste Woche durch den zweiten zu kommen. Trotz vieler Qualitäten geht mir das Buch immer noch nicht nahe, und ich fände den Urlaub "vergeudet", wenn ich nur Johnson mitnehmen würde.Ich haben vor einigen Minuten ebenfalls den ersten Band abgeschlossen. Das Lesetempo ist doch sehr ähnlich.
Rückblickend geht es mir ähnlich wie Maja: Abschnitteweise las ich den Band sehr gerne, aber mein Enthusiasmus dafür hält sich doch in engen Grenzen. Ich werde deshalb auch nicht sofort mit den zweiten Band beginnen, sondern meine Urlaubswoche für andere Lektüren nutzen. Sollte sich mein Eindruck nach einem weiteren Buch nicht grundlegend ändern, werde ich die Lektüre von Nr. 3 und Nr. 4 wohl in die ferne Zukunft verschieben.
In London las ich jeden Tag ausführlich den "International Herold Tribune", der ja bekanntlich überwiegend aus Artikeln der New York Times besteht. Sie ist immer noch eine erstaunlich gute Zeitung und hängt wohl als deutschsprachigen ab, was die politische Berichterstattung angeht.
CK
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Hallo liebe Johnson-Leser,
ich lese zwar nicht die Jahrestage mit, schaue aber doch öfter in diese Diskussion hinein.
(Die vier Bände habe ich vor ca. vier/fünf Jahren gelesen.)
Bei den ersten zwei Bänden ging es mir wie Maja - die Lektüre war zeitweise eine Pflichtaufgabe.
Persönlich haben mir die Bände drei und vier besser gefallen. Vielleicht auch, weil ich dann die Figuren
und Handlungsstränge besser einordnen konnte.
Haltet durch - es lohnt sich!
Viele Grüße
Thomas -
Es ist mir einige Wochen schwer gefallen, jetzt habe ich mich aber eingelesen. Mehr noch! Ich bin so tief drin, dass ich dazu neige wichtige Dinge liegen zu lassen um weiter lesen zu können. Dazu musste ich erst mein Vorhaben, das Buch parallel zum Datum der Einträge zu lesen, aufgeben, denn damit verlor ich immer wieder die Beziehung zu den Geschichten. Als ich begann längere Abschnitte zu lesen, wurde ich immer mehr von den Handlungssträngen gefesselt. Geschichte und Zeitgeschichte, zunächst inhaltlich recht unabhängig erzählt, wachsen mehr und mehr zusammen.
Dabei empfinde ich die Erzählung aus der Kindheit Gesines am spannendsten und hier versteht es Johnson der Romanschreiber meisterhaft die Schranken, die sich eine streng positivistische Geschichtsschreibung gerne setzt, zu überwinden und doch historisch nachvollziehbar zu bleiben. Nun bin ich fast durch die ersten beiden Bände.
Leben und Charaktere in Jerichow, diesem Provinznest, sind ausgesprochen plastisch geschildert. Anders als sein Freund Günter Grass in der Blechtrommel, verwendet Johnson keine skurrilen Elemente um den Schrecken zu beschreiben, sondern bleibt immer in der realistischen Erzählweise. Damit wird sichtbar, wie die Katastrophe nicht als urplötzliches Ereignis, als Trommelwirbel über Deutschland hereinbricht, sondern sich, aus der Sicht der Kleinstadtbewohner, langsam anschleicht und der Gewöhnungsprozess, die klare Sicht verstellt. Nicht die Stimme eines weitsichtigen Gnoms zerbricht die Fensterscheiben, sondern irgendein Rabauke, der Heinrich seine Gesine nicht gönnt, wirft ihm die Scheiben ein. Der gemäßigte Stoiker Heinrich Cresspahl, Auslanderfahren, widerwillig eingebunden in Jerichow; fungiert als Counterpart zu den bodenständigen Bewohnern; ist ein Prophet für die kommenden Ereignisse, einer der seinen Widerstand durch Opportunismus tarnt und somit als Modellfall, wohl auch für die Zeit in der DDR geschaffen ist. Er bringt die Kraft für den Pakt mit dem „Feind“ auf und wird von Marie dafür getadelt, vermeidet aber, anders wie Gretchens Heinrich, den Pakt mit dem Teufel. Überhaupt ist der Roman in den ersten beiden Bänden mehr eine Geschichte Heinrichs als von Gesine. Sie wird lebendiger in den zeitgeschichtlichen Teilen. Die Journalform ist nach meinem Empfinden nicht unbedingt notwendig, dient aber unserem Gedächtnis, da Johnson die datumsgenauen Informationen der NYT nutzt um (nicht immer) zum Thema überzuleiten. Mir erscheinen die Ereignisse und Personen, die Johnson in New York beschreibt Reflektionen seiner eigenen Erlebnisse in dieser Stadt zu sein. Einzig die Charakterisierung Maries kommt mir mittlerweile etwas misslungen vor, da ich in ihren Äußerungen und in den Dialogen mit Gesine kein elfjähriges Mädchen erkennen kann, und ihr wird Verantwortung und Handeln aufgebürdet, welche kaum für ein Kind angemessen ist.
Am liebsten wäre es mir jetzt, wenn ich genügend Zeit hätte, die beiden ausstehende Bände auf einen Rutsch durchlesen zu können. Hobsbawms Banditen warten ja auch schon.Merkwürdig verschroben finde ich den Umgang mit dem Englischen in diesem Roman. Die „Heißen Hunde“ scheinen Johnson fasziniert zu haben, die vielen Wiederholungen solcher direkten Übersetzungen fallen mir auf., die fremdsprachlichen Einschübe erkenne ich nicht oft als angemessen, die Atmosphäre der entsprechenden Situationen wird damit häufig nicht verständlicher.
Das bringt mich aber auf eine Frage an die Expertinnen und Experten für Literatur in diesem Forum.
Warum werden fremdsprachliche Textstellen häufig nicht übersetzt? In „Der Name der Rose“ und im „Zauberberg“ finden sich Übersetzungen im Anhang und werden dadurch verständlich gemacht. Dem Sprachunkundigen (abgesehen von Englisch und Hessisch gehöre ich dazu) muss das doch ein Ärgernis sein, wenn solche Stellen für ihn nicht verständlich sind oder nur mühsam entschlüsselt werden müssen.
Vielleicht kann mir jemand dazu eine Antwort geben. -
Warum werden fremdsprachliche Textstellen häufig nicht übersetzt?
Vielleicht, weil es (noch) zum Selbstverständnis des Bildungsbürgertums gehört, zumindest die bekannteren der lebenden Fremdsprachen zu beherrschen: Englisch und Französisch. Früher wurde auch Latein oft und gerne unübersetzt in Texte gesetzt.
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Hallo!
Was mich in der letzten Zeit überrascht hat: Mir geht der erste Band doch mehr nach als ich das erwartet hätte. Ich würde fast so weit gehen, zu behaupten, ich freue mich auf den zweiten Teil :smile:
Den werde ich in absehbarer Zeit anfangen.
CK