Aug. 07 - Aug. 09: Amerikanische Frauen (Chopin, Jewett, Cather und Wharton)


  • Hallo Wolf und Steffi,


    ein Modell von (Charles Frederick) "Worth" zu tragen, war für die Frauen des (Geld)Adels ein Prestige. May ließ sogar ihr Hochzeitskleid "In the House of Worth" umarbeiten. Auch die Kaiserin "Sisi" trug seine Kreationen.


    http://www.metmuseum.org/toah/hd/wrth/hd_wrth.htm


    habe mit Kapitel 20 begonnen.


    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • *schneller Blick in den Spiegel - ein letztes Mal den Kamm durchs Haar gleiten lassen – anklopfen – Tür einen Spalt öffnend – räusper*


    Zu dieser Lesegruppe habe ich mich nicht angemeldet, ABER … nachdem ich eure Bemerkungen las, bekam ich große Lust mich ins New York der 90er Jahre (des 19. Jahrhunderts) lesend zu begeben und habe die alte Edith Wharton Schwarte aus dem Regal geholt, entstaubt und … amüsiere mich seitdem köstlich.


    Noch habe ich erst 3 Kapitel gelesen, doch welch feine Ironie und welche Hypokrisie! Diese ganze verruchte Gesellschaft lebt gemäß und labt sich an zweideutigen Maßstäben: tolerant gegenüber dem Neureichen Julius Beaufort (egal ob und was für Dreck er am Stecken hat) und verächtlich gegenüber Ellen Olenska, die die Freiheit besaß ihren brutalen Ehemann zu verlassen.


    Bis bald. Will noch weiter lesen… :lesen: Babur

  • Hallo Babur,


    ist ja schön, daß Dich diese Leserunde zum Mitlesen angeregt hat, herzlich willkommen in der Runde. :-) Liest Du eine Übersetzung, falls ja, welche denn?


    Zitat von "Babur"


    Diese ganze verruchte Gesellschaft lebt gemäß und labt sich an zweideutigen Maßstäben: tolerant gegenüber dem Neureichen Julius Beaufort (egal ob und was für Dreck er am Stecken hat) und verächtlich gegenüber Ellen Olenska, die die Freiheit besaß ihren brutalen Ehemann zu verlassen.


    Ja, jeder weiß, daß Beaufort eine Geliebte hat, aber besonders skandalös findet man das nicht. Bei geschäftlichen und finanziellen Verfehlungen ist man übrigens nicht so nachsichtig, wie im zweiten Teil des Romans deutlich wird. Im 26. Kapitel heißt es:


    Zitat


    Archers New York duldete Heuchelei in persönlichen Beziehungen, aber in geschäftlichen Dingen verlangte es unbedingte, makellose Ehrlichkeit.


    Steffi und Maria


    Danke Euch beiden für den Link auf Worth. :-) Über diesen Namen hatte ich hinweggelesen, aber er war ja anscheinend wirklich sehr bekannt und berühmt, denn auch in einigen deutschen Werken um 1900 kommt dieser Name vor, wie ich jetzt festgestellt habe. In einem Werk von Leskov werden die "Damenkleider aus dem Atelier von Worth" ebenfalls erwähnt, es ist also offenbar tatsächlich ein Name, den fast jeder kannte. Jetzt kenne ich ihn auch. ;-)


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Hallo Wolf,


    danke für das nette Willkommen in dieser Leserunde. Ich lese das englische Original, eine Hardcover Ausgabe aus den 60er Jahren, die ich aus der mütterlichen Bibliothek übernommen habe.


    Charles Frederick Worth, gebürtiger Engländer, ist durch seine Niederlassung in Paris ein sehr bekannter französischer Modeschöpfer geworden und wird als der Begründer der Haute Couture angesehen. Er zeichnete je nach Jahreszeit nach einem anderen Thema, personalisierte es je nach Kundin. Worth verstand sich auf Kommunikation, er erfand das lebende Modell (seine eigene Frau führte die Kleider vor), schickte den Modezeitschriften Puppen mit seinen Kleidern, die so abgezeichnet wurden und seinen Namen um die Welt trugen, unter den Reichen versteht sich von selbst. Durch seinen Bekanntenkreis in Künstler- und Handwerkerkreisen beeinflusste er auch Schuhmacher, Modisten, usw. und hatte somit auch einen großen Einfluss auf das, was wir heute die Accessoires nennen. Dadurch steht er am Beginn einer neuen Branche (die heutzutage zwar immer wieder totgesagt wird, doch weiter lebt, aber das ist eine andere Story).


    Heute existiert das Couturehaus Worth nicht mehr, nur sein Parfüm Je reviens, ein Klassiker der 30er Jahre, ist noch im Handel. Sicher stand auch ein Flacon davon in Edith Whartons Boudoir :zwinker: ob es allerdings heute noch so duftet wie damals, wage ich zu bezweifeln :sauer:
    http://www.worthparis.com/je-reviens-couture-by-worth.htm


    Zurück zum Roman, ich fange heute Abend mit dem Kapitel 9 an.
    In den letzten beiden Kapiteln gefiel mir der Kontrast zwischen dem alten, kosmopolitischen Europa und dem provinziellen Emporkömmling New York. Eigentlich erwartet man, dass die Countess und der Duke, als Repräsentanten der alten Europäischen Monarchien, sich an muffige Gesellschaftsregeln halten, doch nein, sie gerade ignorieren diese festgefahrenen Regeln. Die Neue Welt, die New Yorker Gesellschaft, sollte sich eigentlich frei und befreit von festen Regeln begegnen; oh je :rollen: sie sind es, die Verletzungen der steifen Etikette kommentieren.


    Schönen Nachmittag


    Babur

  • Gestern habe ich den ersten Teil des Romans beendet.


    Immer wieder wird auf die doppelten Wertmaßstäbe für einen Seitensprung in der New Yorker Gesellschaft hingewiesen: „they were sedulously abetted by their mothers, aunts and other elderly female relatives, who all shared Mrs. Archer’s belief that when ‘such things happened’ it was undoubtedly foolish of the man, but some-how always criminal of the woman.“ (Kapitel 11).


    Scheidung wird von der intoleranten Gesellschaft gänzlich verachtet, und sie verlangt, dass die individuellen Bedürfnisse hinter dem kollektiven Interesse zurück stehen. Die Institution ‚Familie‘ muss geschützt bleiben! Ellen würde ihr geopfert werden, sollte sie auf ihre Scheidung bestehen. Aber auch Newland hat das kollektive Interesse verinnerlicht; er strebt nach der richtigen Heirat mit der gesellschaftlich zu ihm passenden Frau.


    Nach der romantischen Winterszene :rollen: zwischen Newland und Ellen wird ihm klar, dass diese für ihn geplante Zukunft einem gesellschaftlichen Gefängnis gleichkommt. Newlands Flucht zu seiner Verlobten May nach Florida stellte mich vor die Frage, ob er damit seine Gefühlen Ellen gegenüber im Keim ersticken möchte oder um jeden Preis seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachgeht und seine Verlobte heiratet.


    May kommt im warmen Florida zum ersten Mal zu Wort und zeigt dabei nichts von ihrer sonstigen Unschuld sondern führt die kalte Sprache der klar den Mann durchschauenden Frau, die ich von ihr kaum erwartet habe in einer Gesellschaft, wo Gefühle von Konventionen ersetzt werden. Wird sich ihre Romanfigur zu einem manipulierenden Weib entwickeln?


    Wie wird sich die Romanfigur der Ellen Olenska entscheiden? Scheidung entfällt erst einmal für sie, wird sie die ‚love affair‘ eines reichen New Yorkers werden :redface: oder kommt für sie ein Leben auf Reisen :winken: in Europa und umgeben von Künstlern in Frage? Wäre Ellen Olenska gar ein Alter Ego zu Edith Wharton?


    Und Newland Archer, hat er noch die Chance Charakter zu zeigen und sich den gesellschaftlichen Konventionen zu entziehen?


    Heute Abend lese ich weiter mit Kapitel 19 und denke dann in etwa fast so weit zu sein, wie alle anderen.


    Nebenbei bemerkt finde ich es schade, dass Newlands Freund, der Journalist Ned Winsett, nur eine untergeordnete Rolle spielt. Der ganze Roman wird einzig aus der Perspektive von Newland Archer erzählt. Mir hätte Winsetts Meinung zu der erstarten New Yorker Gesellschaft sehr interessiert. Edith Wharton verweigert das mir als Leser. Sehr schade!


    Grüsse


    Babur :lesen:

  • Der zweite Teil des Romans beginnt mit der Hochzeit von Newland und May. Dabei wird Musik von Louis Spohr (beim Einzug der Braut in die Kirche): „…the first chords of the Spohr symphony were strewing their flower-like notes before the bride.„
    und Mendelssohns gespielt: „… and the organ was showing preliminary symptoms of breaking out into the Mendelssohn March, without which no newly-wedded couple had ever emerged upon New York.“ .


    Louis Spohr (http://www.louis-spohr.de/) ist ein deutscher Komponist, dessen Symphonien heute nur noch selten den Weg in den Konzertsaal finden. In seinem, dem 19. Jahrhundert, wurde er hingegen häufig gespielt. In der 4. Symphonie ist der 3. Satz überschrieben mit ‚Tempo di Marcia – Andante Mastoso‘ und könnte zu einer Hochzeit gut passen – my best guess. Leider gibt der kurze Ausschnitt, den ich im Netz fand, nicht die Einleitung der Streicher wider, auf die sich möglicherweise Edith Wharton bezog.
    http://www.amazon.com/gp/recsr…e=UTF8&track=003&disc=001


    Grüße vom


    vor sich hin summenden Babur

  • Hallo sandhofer,


    hab mir grade die Ausgabe von Age of Innocence bei Folio angesehen - sieht sehr elegant aus !


    Ich überlege mir die Biografie von Hermione Lee.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen !


    Ein herzliches Willkommen, Babur, bei der Leserunde - schön, dass du dich spontan eingefunden hast !


    Zitat von Babur schrieb:

    May kommt im warmen Florida zum ersten Mal zu Wort und zeigt dabei nichts von ihrer sonstigen Unschuld sondern führt die kalte Sprache der klar den Mann durchschauenden Frau, die ich von ihr kaum erwartet habe in einer Gesellschaft, wo Gefühle von Konventionen ersetzt werden. Wird sich ihre Romanfigur zu einem manipulierenden Weib entwickeln?


    In dieser Szene fand ich, dass May eine der am vielschichtigsten gezeichneten Personen ist. Sie scheint sich zu entwickeln - oder womöglich ist das alles nur das Ergebnis der sorgfältigen Erziehung ? Während sich die Ehemänner sorglos ihren wenigen Zerstreuungen hingeben, vormittags ein bißchen im Büro die Zeit totschlagen, dann Klatsch und Tratsch im Club, auf der Suche nach Pferde oder zum jagen gehen, benötigen die Frauen, scheint es, doch viel mehr psychologisches Gespür um sich in dem gefährlichen Sumpf der Gesellschaft zu bewähren.


    Zitat von Babur schrieb:

    Nebenbei bemerkt finde ich es schade, dass Newlands Freund, der Journalist Ned Winsett, nur eine untergeordnete Rolle spielt. Der ganze Roman wird einzig aus der Perspektive von Newland Archer erzählt. Mir hätte Winsetts Meinung zu der erstarten New Yorker Gesellschaft sehr interessiert. Edith Wharton verweigert das mir als Leser. Sehr schade!


    Mir scheint, dass manchmal die Erzählperspektive wechselt zwischen der doch ziemlich einseitig-naiven Ansicht Newlands und einem auktorialen Erzähler, der dann die Ironie und Kritik beisteuert. Newland scheint die Perspektive der anderen Gesellschaftsseite doch sehr zu romantisieren und er geht ja auch bisher bei Ellen Olenska immer nur so weit, wie es gerade noch schicklich ist. Und ja, auch mir hätte ein Blick aus der anderen Seite sehr gut gefallen !


    Dadurch, dass man nicht wirklich viel über die zwei weiblichen Protagonisten weiß und ihre wahren Gefühle nicht kennt, baut sich ein gewisser Spannungsbogen auf.



    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "Babur"


    Immer wieder wird auf die doppelten Wertmaßstäbe für einen Seitensprung in der New Yorker Gesellschaft hingewiesen: „they were sedulously abetted by their mothers, aunts and other elderly female relatives, who all shared Mrs. Archer’s belief that when ‘such things happened’ it was undoubtedly foolish of the man, but some-how always criminal of the woman.“ (Kapitel 11).


    bezeichnenderweise hatte ja auch Newland Archer vor seiner Verlobung eine Affäre mit einer verheirateten Frau, nämlich mit Mrs. Rushworth. Das hat aber seinem gesellschaftlichen Ansehen nicht geschadet. Ob er wohl May geheiratet hätte, wenn sie vorher eine Affäre mit einem verheirateten Mann gehabt hätte? Da habe ich meine Zweifel. ;-) Gedanken über diese Ungleichheit macht sich Newland aber eigentlich nicht so viel. Er denkt wohl auch lieber über die Einflüsse der Gesellschaft nach als über seine persönliche Verantwortung. Ich frage mich, ob Newland in einer anderen Zeit besser mit seinen Problemen fertiggeworden wäre; die Entscheidung ob er nun die eine oder die andere Frau liebt, kann ihm die Gesellschaft schließlich nicht abnehmen. Er agiert auch einigermaßen unklug und sprunghaft, erst bedrängt er May, ihn möglichst schnell zu heiraten, und als May dem schließlich zustimmt, dann paßt ihm das auch wieder nicht. Später schmiedet er Pläne, mit Ellen nach Europa durchzubrennen, das erscheint alles auch nicht besonders durchdacht. Newland hätte Ellen wohl auch als Geliebte akzeptiert, wenn sie sich nicht dafür zu schade gewesen wäre. Über die Gefühle Mays macht sich Ellen mehr Gedanken als Newland, der, wie gesagt, mehr in gesellschaftlichen Dimensionen denkt, da paßt es denn auch sehr gut, daß er am Ende in die Politik geht. :-)


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Hallo zusammen,


    mit Newland komme ich einfach nicht klar. Ich verstehe schon, dass die Autorin durch ihn der Gesellschaft einen Spiegel vorhält und das kommt auch einigermaßen rüber, doch ist die Figur für mich nicht realisierbar. Ich kann für die Figuren nichts empfinden; von den Frauen weiß man zuwenig.


    und obwohl Wharton für diesen Roman einen Pulitzerpreis bekommen hat, finde ich ihr "Haus der Freude" um einiges besser verarbeitet und die Protagonisten lebendiger.


    Babur, schön dass du dich entschlossen hast mitzumachen.


    Wolf, Steffi, ihr seid vermutlich schon durch?
    Ich komme zum 31. Kapitel.


    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Ich kann für die Figuren nichts empfinden ...


    Hallo Maria,


    Auch ich empfinde nichts für die Protagonisten des Romans und sicherlich insb. nichts für Newland, alle sind sie zu weit von meiner Welt entfernt (wie ich auch heute nichts für unsere ‚leisure society‘ empfinde).


    Mittlerweile habe ich 24 Kapitel des Romans gelesen, und es zeigt sich, dass May fest das Leben ihres jungen Ehemannes in die Hand genommen hat, sie ist wahrlich ihrer Mutters Tochter. Newland ist tief in diese müßiggehende Gesellschaft des New Yorks der 1870er Jahre verwurzelt. Einerseits fühlt er sich ruhelos und die Zwänge dieses Lebens belasten ihn. Andererseits zeigt doch die kleine Szene bei der alten Oma Mingot, wo er Ellen bewusst nicht vom Ufer abholt, dass sein Traum eines Lebens mit Ellen ins Reich der Fantasie gehört. Er würde ihm nie seine gesellschaftliche Position opfern.


    Noch weitere Träume oder Überlegungen hat Newman aufgegeben. Zu Beginn des Romans malte er sich so schön aus, wie er seine junge Ehefrau nach seinem Vorbild modellieren würde, ihr seinen Geschmack für Literatur näher bringen. Kaum verheiratet rudert er in alte männliche Gepflogenheiten und gesellschaftliche Normen zurück. Schlussendlich sucht er den geringsten Widerstand im Leben, auch wenn er sich dabei ungewöhnlich ruhelos fühlt.


    Bisher habe ich das Gefühl, dass Newlands Sehnsucht nach einem freieren, fantasievolleren Leben allein dank seiner Gedanken an Ellen erfüllt wird. Ist sie es nicht, die letztendlich Newland offen durchschaut und sich und ihn als Gefangene der Normen ihrer Gesellschaft sieht?


    Draußen gewittert es gleich. Vielleicht komme ich doch heute Abend zum Weiterlesen, denn nach Schwimmbad mit Cocktails und Film auf Gartenleinwand ist mir bei dem Wetter nicht zu Mute, eher nach einem guten Glas Wein zu Hause.


    Grüße


    Babur

  • Hallo zusammen !


    Zitat

    Wolf, Steffi, ihr seid vermutlich schon durch?
    Ich komme zum 31. Kapitel.


    Nein, ich komme zum 29. Kapitel.


    Es beruhigt mich ja etwas, dass ihr die Protagonisten auch als so weit entfernt empfindet. Ich kann zwar die Motive der Personen durchaus nachvollziehen, und, wie Babur es so schön erläutert hat, ist auch Newlands Handeln ganz schlüssig. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass es mehr symbolische Personen als echte, lebende sein sollen. Sie stehen für bestimmte Ansichten und gesellschaftliche Konventionen, aber lebendig wirken sie nicht. Auch die relativ kurzen Kapitel erlauben immer nur eine kleine Momentaufnahme.


    Trotzdem, ich finde diesen Ausflug in die New Yorker Gesellschaft sehr interessant und amüsant.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    ich habe den Roman inzwischen fertiggelesen.


    Zitat von "Babur"


    Andererseits zeigt doch die kleine Szene bei der alten Oma Mingot, wo er Ellen bewusst nicht vom Ufer abholt, dass sein Traum eines Lebens mit Ellen ins Reich der Fantasie gehört.


    Das ist auch die Quintessenz in der Schlußszene des Romans: Newland erkennt, daß seine Beziehung zu Ellen sich besser nur im Reich der Fantasie und der Erinnerung abspielt, weshalb er am Ende auf eine mögliche Wiederbegegnung mit Ellen verzichtet.


    Newland, der bei seiner Frau May eine gewisse "Blindheit" festgestellt hat (siehe den Vergleich mit dem blinden Höhlenfisch), ist selbst ein Kind seiner Zeit, fest eingebunden in die gesellschaftlichen Strukturen, weder freier noch weitsichtiger als May, die, wie am Ende klar wird, von seiner Liebe zu Ellen wußte.


    Zitat von "Steffi"


    Trotzdem, ich finde diesen Ausflug in die New Yorker Gesellschaft sehr interessant und amüsant.


    Ja, denn es ist doch eine ganz eigene und für mich auch einigermaßen fremdartige Welt, die da geschildert wird.


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Newland, der bei seiner Frau May eine gewisse "Blindheit" festgestellt hat (siehe den Vergleich mit dem blinden Höhlenfisch), ist selbst ein Kind seiner Zeit, fest eingebunden in die gesellschaftlichen Strukturen, weder freier noch weitsichtiger als May, die, wie am Ende klar wird, von seiner Liebe zu Ellen wußte.


    Hallo zusammen,


    blinder Höhlenfisch - was für eine Fehleinschätzung von Newland, denn eigentlich ist er doch derjenige, der eingeschränkt ist in seiner "Sehfähigkeit". Sobald May ihre eigenen Ansichten über die betreffenden Werke, die er liest, äußert, blockt er ab, denn es verleidet ihn. Dass May etwas über seine Liebe zu Ellen ahnt oder weiß, vermutete ich bereits, als er in seiner Bibliothek mit ihr sitzt und zu ihr sagt, dass er Luft brauche. Steffi hat es kürzlich erwähnt, in May steckt mehr, nur kratzen wir Leser an der Oberfläche.


    Schöne Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    Kapitel 32:
    ein sehr starkes Kapitel !
    Eindrucksvolle Bilder: wir sind wieder in der Oper und wieder singt Christine Nilsson die Margarethe; May zerreisst ihr umgeändertes Hochzeitskleid an der Kutsche; sie berichtet Newland, dass Ellen nach Europa geht!


    letzter Satz aus dem Kapitel:
    Das zerrissene und beschmutzte Hochzeitskleid schleppte hinter ihr her über den Boden.


    so kraftvoll habe ich kein Kapitel zuvor empfunden.


    Schöne Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    ich bin nun durch.


    Zitat

    so kraftvoll habe ich kein Kapitel zuvor empfunden.


    Ich meine auch, dass die ganze Geschichte gegen Ende Fahrt aufnimmt.


    Es stellt sich für mich am Ende die Frage, wieviel der Einzelne gewillt ist, für die Gesellschaft etwas zu geben, seine eigene Individualität oder Träume aufzugeben. Die Frauen, May und Ellen, sind da sehr realistisch, für sie zählt die Sicherheit und die Geborgenheit innerhalb ihrer Kreise und dafür geben sie ihre Freiheit und ihre Wünsche auf. Ellen sehr direkt, sie beugt sich sogar dem Kodex und geht zurück nach Europa, weil sie gefährlich für Newland werden könnte. May auf indirekte Weise, sie opfert sich schlußendlich für ihre Kinder auf und lebt die ihr seit Geburt zugedachte Rolle.


    Newland hat da ja mehr romantische Vorstellungen. Er sieht sein Glück deutlich in der Freiheit und dem Abenteuer, die ihm das Leben mit Ellen und der Kunst und Musik bietet. Aber aufgrund der Umstände schafft er es nicht, sich von den gesellschaftlichen Zwängen zu befreien. Insoweit würden er und Ellen vielleicht auch nicht zueinander passen, sie sucht die Sicherheit, er die Freiheit.


    Inwieweit hängt das persönliche Glück von der Gesellschaft ab und wieviel seiner Individualität und von seinem persönlichen Glück ist man bereit aufzugeben ?
    Man sieht, dass sich die Gesellschaft in Richtung Individualität weiterentwickelt - Newlands Sohn Dallas kann die uneheliche Tochter Beauforts heiraten und Architekt werden. Es scheint, dass nichts mehr aufgegeben werden muss, um in der Gesellschaft bestehen zu können, allerdings ist man damit auch immer mehr auf sich allein gestellt. Ich glaube auch, dass sich in Amerika diese Entwicklung zu einer auf den Einzelnen gerichteten Gesellschaftsform schneller oder anders als in Europa entwickelte.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    auch ich bin durch.


    Bilde ich es mir ein oder wurde von irgendeinem Zeitpunkt an nicht mehr von 'Newland' sondern von 'Archer' gesprochen. Mir fiel das erst gegen Ende auf, als von einem anderen, einem jungen Newland die Rede war.


    Überrascht war ich von dem Begriff "Blume des Lebens" im Kapitel 34.
    Steffi, heißt es im Original etwa "Flower of Life"?


    Der Begriff scheint heute in der Esoterik beheimatet zu sein:


    http://www.floweroflife.de/


    ich hätte eher ein Formulierung wie "(Blaue) Blume der Sehnsucht" erwartet, als Symbol für Romantik.


    Newlands Ausflug in die Politik dauerte auch nur 1 Jahr. Eigentlich ist er für den Müßiggang geschaffen. Geld war ja vorhanden.


    Zitat

    Inwieweit hängt das persönliche Glück von der Gesellschaft ab und wieviel seiner Individualität und von seinem persönlichen Glück ist man bereit aufzugeben ?


    Man sieht, dass sich die Gesellschaft in Richtung Individualität weiterentwickelt


    Gute Frage. Es brachte zumindest eine gewisse Freiheit, die sich Archer zeit seines Lebens wünschte.


    Herzliche Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo JMaria,


    hier der englische Text:


    Something he knew he had missed: the flower of life.


    Ach ja, in meinem Vorwort steht, dass es zwei andere Plots gibt, die Wharton geschrieben hat.
    In der ersten Version ist Newland mit May verlobt, als er sich in Ellen verliebt. Er heiratet May, aber später trifft er sich mit Ellen in Florida, um mit ihr dort zu leben. Schnell erkenne sie, dass sie in Wirklichkeit nichts gemeinsam haben und kehren nach New York zurück, wo niemand von der Affäre weiß. Bald kehrt Ellen nach Europa zurück.


    Im zweiten Plot entlässt May Newland aus der Verlobung und er heiratet Ellen. Ein gemeinsames Leben in der New Yorker Society ist nicht möglich, da Ellen sich dort nicht einfügen kann und Newland nicht nach Europa will. Ellen verlässt ihn und kehrt nach Europa zurück, Newland verbringt sein weiteres Leben bei seiner Mutter und Schwester.


    Gruß von Steffi



  • Im zweiten Plot entlässt May Newland aus der Verlobung und er heiratet Ellen. Ein gemeinsames Leben in der New Yorker Society ist nicht möglich, da Ellen sich dort nicht einfügen kann und Newland nicht nach Europa will. Ellen verlässt ihn und kehrt nach Europa zurück, Newland verbringt sein weiteres Leben bei seiner Mutter und Schwester.


    Gruß von Steffi


    achja, das hätte ich ihm gegönnt *hüstel*
    dennoch bin ich froh, dass Wharton so und nicht anders das Ende gestaltet hat. Auch dass er in Paris sich doch nicht mit Ellen trifft, finde ich in sich stimmig.



    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()