Hallo Ihr drei,
am Wochenende hatte ich den Roman zu Ende gelesen und ihn schmunzelnd wieder zurück ins Bücherregal gestellt.
May hat gezeigt, dass sie die manipulative junge Frau ist, für die ich sie schon bei Beginn der Erzählung hielt. Newland hat mich doch sehr enttäuscht, wie er selbst seinen Vorsätzen May gegenüber nicht nach kommt und sein Leben ganz der ‚leisure society‘ widmet. Und Ellen? und Ned Winsett? leider werden beide Protagonisten nicht klar genug von Edith Wharton gezeichnet, und ich bleibe auf meinen Empfindungen sitzen. Haben sie sich wirklich so mit der Zeit entwickelt, wie ich es gerne für beide Charaktere hätte
May wurde von ihren Eltern zur perfekten Ehefrau in der alten New Yorker Gesellschaft erzogen. Zu Beginn des Romans stellt sie die personifizierte Unschuld dar, zu Ende ist sie allein das wissende, manipulierende und Fäden ziehende Weib. Dabei zeigt Edith Wharton ihr Talent als Schriftstellerin, wenn sie May dem Leser immer nur durch die Augen Newlands vorführt, der May nie anders als wie die blühende Unschuld des ersten Kapitels wahrnimmt. Er durchschaut nie May Manöver, ahnt kaum an welcher kurzen Leine sie ihn führt. Somit grenzen die kurzen Treffen mit Ellen fast an Wunder.
May spürt genau Newlands Gefühle für Ellen und weiß genau, wie sie zu parieren. Ihr Timing dabei ist bewundernswert. Egal ob ihr Brief aus Florida, das Telegramm mit der Zusage zum vorgezogenen Hochzeitstermin oder das Geständnis schwanger zu sein, immer versteht May, wie ihre Position als Newlands Frau zu zementieren. Selbst beim Gespräch mit dem Sohn kurz vor ihrem Tod, zeigt May wie gut sie Newland verstand, er war unglücklich in der Liebe, doch pflichtbewusst, und beide frönten sie die gleichen gesellschaftlichen Werte.
Edith Wharton zeichnet voller Ironie in May Archer die perfekte Ehefrau der reichen New Yorker Gesellschaft ihrer Zeit. Sie versteht ihren Mann folgerichtig zu führen und betitelt als ‚vulgär‘ alles was von ihren persönlichen Normen abweicht.
Newland sehnt sich nur nach einem liebevollen Leben, reich an intellektuellen Erkenntnissen und frei von gesellschaftlichen Zwängen, so wie Ellen Olenska und Ned Winsett es anscheinend ihm vorleben. Das geruhsame Arbeitsleben in einer Rechtsanwaltskanzlei um 1900 will ihm nicht genügend, aber schlussendlich erhebt er sich nicht aus dem Sessel der Bequemlichkeit, der da den Namen ‚Pflicht‘ trägt.
Grüße
Babur