Emile Zolas Romanzyklen


  • Die Geschichte ist übrigens die Geschichte der in Frankreich sehr berühmten Kaufhauskette Le Bon Marché.


    Zola (Nick eines Forenmitgliedes) erwähnte auch, dass in Lisabon das Kaufhaus "au bonheur des dames" nachgebaut wurde.
    Hier im Thread auf der Seite 2 hat er ein Bild dazu gepostet.


    http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,2153.15.html
    (etwas runterscrollen).


    Grüße von
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Aus Emile Zolas „Manifest“ des literarischen Naturalismus (1868, Vorwort zur 2. Auflage seines Romans „Thérèse Raquin“:


    „Ich habe in diesem Roman Temperamente studieren wollen und nicht Charaktere. … Ich habe Gestalten gewählt, die allmächtig von ihren Nerven, und ihrem Blut beherrscht werden, keinen freien Willen besitzen und zu einer jeden Handlung ihres Lebens von dem Verhängnis ihres Leibes gezwungen werden. Sie sind menschliche Tiere, nichts weiter. … Eine Seele fehlt vollständig … Ich hoffe, man versteht allmählich, daß mein Ziel vor allem ein wissenschaftliches gewesen ist. … Man wird sehen, daß jedes Kapitel die Erforschung eines merkwürdigen Falles der Psychologie bedeutet. … Ich habe einfach an zwei lebenden Körpern die zergliedernde Arbeit vorgenommen, welche Chirurgen an Leichen vornehmen.“


    Das ist naive Wissenschafts- und Fortschrittsgläubigkeit des 19. Jahrhunderts, soziologischer Positivismus und Materialismus übertragen auf die Literatur! Nun habe ich eine etwas genauere Idee, warum ich mit Zola nicht warm werden mag …


    Knut Hamsun, dessen „Mysterien“ ich derzeit mit Staunen lese, hat sich mit der Ästhetik und Poetik Zolas auseinandergesetzt („Mysterien“ war nicht zuletzt so etwas wie ein Gegenentwurf zum Naturalismus) und schließlich befunden, dass es sich dabei um „Quacksalberdichtung“ handele.


    Viele Grüße


    Tom

  • Hallo Tom,


    Das ist naive Wissenschafts- und Fortschrittsgläubigkeit des 19. Jahrhunderts, soziologischer Positivismus und Materialismus übertragen auf die Literatur! Nun habe ich eine etwas genauere Idee, warum ich mit Zola nicht warm werden mag …


    Was allerdings nicht ausschließt, dass die Personen Zolas durchaus ein Abbild lebender Personen sein könnten. Zola sah sich wohl als Aufdecker psychologischer Fallstudien, was ihm schon irgendwie gelingt.


    Inwieweit der freie Wille wirklich frei ist, müsste man diskutieren, bei Zola sind die Temperamente abhängig von ihrer Umgebung, ihres Standes und ihrer Erziehung und dadurch eben bedingt frei. Ich würde sagen, dass diese äußeren Zwänge nach wie vor sehr stark sind und kann auch die Handlungen der Personen Zolas nachvollziehen.


    Gruß von Steffi

  • Wir hatten hier einen Leserundenversuch zu Zolas Nana. Ich kann weitgehend die Einschätzung Sir Thomas' teilen, auch wenn Steffi durchaus Recht hat: Die Tatsache, dass eine solche positivistisch-materialistische Konzeption den Figuren zugrunde liegt schließt eine differenzierere Darstellung nicht aus. Allerdings vermochte ich eine solche nicht zu entdecken. Mir scheint, als ob Zolas Bedeutung eine nur noch literaturhistorische wäre.


    Grüße


    s.

  • Zola ist sperrig zu lesen, und seine Inhalte sind manchmal abstoßend. Aber die Charaktere, die er schildert, habe ich in dieser Gnadenlosigkeit bisher kaum gelesen und sehe darin seine auch heute noch anhaltende Bedeutung. Gerade seine schroffe Personendarstellung ist das Besondere bei ihm. Wie schon unten geschrieben: Besonders der Roman "Die Erde" ist phasenweise wirklich schwer erträglich, aber die Personen sind gleichzeitig lebensecht und Archetypen gesellschaftlich bedingten Verhaltens.



    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)


  • Zola ist sperrig zu lesen, und seine Inhalte sind manchmal abstoßend. Aber die Charaktere, die er schildert, habe ich in dieser Gnadenlosigkeit bisher kaum gelesen und sehe darin seine auch heute noch anhaltende Bedeutung. Gerade seine schroffe Personendarstellung ist das Besondere bei ihm. Wie schon unten geschrieben: Besonders der Roman "Die Erde" ist phasenweise wirklich schwer erträglich, aber die Personen sind gleichzeitig lebensecht und Archetypen gesellschaftlich bedingten Verhaltens.



    finsbury


    Sperrig finde ich ihn nun wiederum gar nicht. Manchmal etwas öde, aber das hängt vom Buch ab. Ich habe gestern erst "Ein feines Haus" aus dem Regal gezerrt und was da so ein lieber Nachbar über den Nächsten bzw. zu ihm ganz anders, aber am Ende eigentlich alle so untereinander... Sehr wirklichkeitsnah und von unleugbarer Wahrheit und Aktualität. Und dermaßen flüssig geschrieben für mein Empfinden, dass ganz schnell, ratz-fatz, 100 Seiten weggelesen waren.


    Immerhin habe ich an der gleichen Seitenzahl bei der Kartause eine Woche geknabbert... Ihr wisst schon, das Buch, das dalaut Vollmann:

    Zitat

    Immer das, wovon die Befangen des Geschmacks, wie ihn die übrige Kunst uns gelehrt hat, sagt: das kann er doch nun wirklich nicht tun - genau das tut Stendhal in diesem Buch; und nur reißen uns das Tempo, der Glanz und die Schönheit des Lebens hinweg über alle Befangenheiten. Und die Kunst? Sie wird vielleicht darin bestehen, dass wir das Buch ich mehr unterscheiden vom Leben, dass wir sie beide ineinanderwerfen und, in dem wir uns lesend selber vergessen, dem schöneren Leben hier ablesen, wozu wir dasein könnten, und in der Vergessenheit des Lesen sind.


    Tempo, Glanz????


    Öhm. Nun ja.
    :winken:
    Poppea

  • Hallo,


    es ist interessant zu lesen wie verschieden Zola gelesen wird und wurde,
    Da bleibt mir nichts anderes übrig als mir selbst ein Bild zu machen.
    Es stellt sich natürlich die Frage, ob das daran liegt weil er Naturalist ist,
    denn oft ist die Gnadenlosigkeit mit der die Naturalisten erzählen nicht jedermanns
    Sache.


    Schönen Gruß,


    Lauterbach

  • Da bleibt mir nichts anderes übrig als mir selbst ein Bild zu machen.
    Es stellt sich natürlich die Frage, ob das daran liegt weil er Naturalist ist,
    denn oft ist die Gnadenlosigkeit mit der die Naturalisten erzählen nicht jedermanns
    Sache.


    Ich stimme dir zu ! Naturalismus ist nicht jedermanns Sache und Zola scheint die Gemüter sehr zu polarisieren !


    Ich erwecke seine Romane gerne aus dem literaturhistorischen Schlaf :zwinker: und sperrig fand ich noch keines der Bücher, die ich bisher gelesen habe - ganz im Gegenteil ergibt sich bei mir immer ein gewisser Lesesog. Zu gerne nehme ich am Schicksal der, zugegeben, etwas einfach oder besser, geradlinig gestrickten Personen teil - vielleicht muss man einfach Interesse an Menschen haben, um seine Geschichten gut zu finden ?


    Sperrig zu lesen fand ich z.B. Jean Paul, mit dessen Humor oder überhaupt dem romantischen Humor komme ich schlecht zurecht. Vielleicht dann doch besser Zola, da gibts nämlich so gut wie gar keinen Humor - ist halt doch eher was für Melancholiker, die sowieso schon immer wussten, dass das Leben nicht lebenswert ist und dass das schon zu Zeiten Zolas so war :breitgrins:


    Gruß von Steffi


  • Vielleicht dann doch besser Zola, da gibts nämlich so gut wie gar keinen Humor - ist halt doch eher was für Melancholiker, die sowieso schon immer wussten, dass das Leben nicht lebenswert ist und dass das schon zu Zeiten Zolas so war :breitgrins:


    Gruß von Steffi


    Dem muss ich heftig widersprechen und werde wenn ich wieder zuahsue bin gleich ein Zitat hier reinstellen! So und nun kann keiner sagen, ich hätte Euch nicht gewarnt!! :smile:


    :winken:
    P.


  • Interessant, mit Jean Paul konnte ich auch rein gar nichts anfangen, ich fand ihn auch sehr sperrig zu lesen.
    Aber hier im Forum gibts bestimmt eine Menge die uns da widersprechen werden. :winken:


    Gruß, Lauterbach

  • Hallo,


    interessant, wie unterschiedlich man Begriffe verstehen kann: S p e r r i g bedeutet ja wohl, dass sich beim Lesen Sperren in einem aufbauen. Meine Sperre bei Zola ist nicht seine Erzählweise oder der Plot, beides ist leicht zu konsumieren. Was mir die Lektüre erschwert, ist, dass in kaum einem der mir bekannten Romane eine Person vorkommt, die ich sympathisch finde. Alle sind Getriebene, die sich oft selbst oder andere ins Unglück treiben. Ich bin kein Happy-End-Typ, aber ich kann auch nicht glauben, dass wir eine Gattung voller Monster und Opfer sind.
    Dass aber bestimmte Umstände viele Menschen zu einem bestimmten Verhalten treiben, das hat Zola meiner Meinung nach in einer auch heute noch gültigen Form beschrieben.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()


  • interessant, wie unterschiedlich man Begriffe verstehen kann: S p e r r i g bedeutet ja wohl, dass sich beim Lesen Sperren in einem aufbauen. Meine Sperre bei Zola ist nicht seine Erzählweise oder der Plot, beides ist leicht zu konsumieren.


    Hallo,


    "sperrig" bedeutet für mich wiederum, daß die Erzählweise nicht leicht zu konsumieren ist, z.B. weil es von Schachtelsätzen nur so wimmelt.



    Von Zola habe ich bisher nur Thérèse Raquin gelesen, das ist allerdings sehr lange her. Eigentlich wollte ich schon länger mal wieder ein Buch von ihm lesen, um zu sehen, ob ich damit was anfangen kann. Hier im Regal stehen Nana und Das Geld...


    Viele Grüße
    thopas


  • S p e r r i g bedeutet ja wohl, dass sich beim Lesen Sperren in einem aufbauen.


    Achso, ich denke bei sperrig auch an in erster Linie unzugänglich den Stil betreffend.


    Zitat

    Alle sind Getriebene, die sich oft selbst oder andere ins Unglück treiben. Ich bin kein Happy-End-Typ, aber ich kann auch nicht glauben, dass wir eine Gattung voller Monster und Opfer sind.


    Zola beschreibt ja nur einen winzig kleinen Teil der Gesellschaftschicht, vorzugsweise an der untersten Ebene. Dass sich da besonders viele Opfer tummeln, halte ich für nachvollziehbar, dass es so einfach nicht ist, da herauszukommen und die Menschen dann resignieren, ebenfalls. Und ja, vielleicht ist es wirklich auch eine Sache der persönlichen Haltung, ich tendiere eher zu "Monstern und Opfern".


    Zolas Ziel ist ja auch in erster Linie nicht, eine Geschichte zu erzählen, sondern eine möglichst objektive Zustandsbeschreibung. Gerade in den Passagen, in denen es um das alltägliche Leben geht, z.B. wie es in einem Waschhaus zugeht, wieviel der Waschplatz kostet oder welche Falten eine Bluse oder ein Hemd mit welchem Bügeleisen erhalten, finde ich sehr gelungen.


    Gruß von Steffi

  • Aus "Ein feines Haus":


    Zitat

    ... Dann kam die Rede auf Duveyrier. So ein Unglück, ein reicher Mann, Justizbeamter, sich derart von den Frauen zum Narren halten zu lassen! Immer mußte er welche in den entlegensten Stadtvierteln an den Endhaltestellen der Omnibuslinien haben: Dämchen mit eigener Wohnung, die anspruchslos waren und sich als Witwen ausgaben; irgendwelche Wäsche- oder Kurzwarenhändlerinnen, die Läden, aber keine Kundschaft hatten; aus dem Schmutz gezogene Dirnen, die ausstaffiert und in ihre Wohnung eingesperrt wurden, zu denen er regelmäßig einmal in der Woche hinging, so wie sich ein Beamter in sein Büro begibt. Trublot jedoch nahm ihn in Schutz: zunächst einmal sei sein Temperament daran Schuld; sodann gäbe ja so eine verdammte Frau wie seine nicht bald wieder. Schon in der ersten Nacht, sage man, habe er ihr Entsetzen eingeflößt, da seine roten Flecken sie angeekelt hätten. Daher dulde sie auch gern Geliebte bei ihm, deren Gefälligkeiten ihr eine Last vom Halse nähmen, obgleich sie mit der Ergebung einer anständigen Frau die allen Pflichten genügen wolle, zuweilen noch diese scheußliche Fron auf sich nehme.


    "Die ist also anständig?" fragte Octave interessiert.
    "O ja, anständig, mein Lieber! Alle guten Eigenschaften: schön, ernst, wohlerzogen, gebildet, geschmackvoll, keusch und unausstehlich!"

    :breitgrins:


    Ganz besonders pikant ist es, wenn man weiß, dass Octave die Dame erst unlängst von einem mittäglichen Schäferstündchen hat Heim kommen sehen, die Haare noch zerzaust, die Lider schläfrig...


  • Achso, ich denke bei sperrig auch an in erster Linie unzugänglich den Stil betreffend.


    Ich auch, also vom Stil her :smile: Nur zur Info, da ich auch öfter sperrig schreibe :zwinker:

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • Ich habe den Tipp bekommen, auch einmal den Rougon-Macquart-Zyklus von Zola zu lesen. Die ersten beiden Baende (Das Glueck der Familie Rougon /Die Beute) habe ich bereits gelesen.Es gefällt mir sehr. Da ich auch noch parallel die menschliche Komödie von Balzac und die Suche von Proust lese, habe ich einen guten Vergleich. Zola kommt meiner Meinung Balzac kaum Etwas nach. Eine sehr interessante Millieustudie in einem wunderbaren Schreibstil.

    Gerade über die einfachsten Dinge ist es oft am schwierigsten zu schreiben.


  • Ich habe den Tipp bekommen, auch einmal den Rougon-Macquart-Zyklus von Zola zu lesen. Die ersten beiden Baende (Das Glueck der Familie Rougon /Die Beute) habe ich bereits gelesen.Es gefällt mir sehr. Da ich auch noch parallel die menschliche Komödie von Balzac und die Suche von Proust lese, habe ich einen guten Vergleich. Zola kommt meiner Meinung Balzac kaum Etwas nach. Eine sehr interessante Millieustudie in einem wunderbaren Schreibstil.


    Hallo stevenomen,


    herzlich willkommen hier im Klassikerforum. :blume:


    Da hast Du Dir ja das ganz große Programm ausgesucht: Balzac, Proust, Zola (und nebenbei noch die Russen). Respekt!
    Du hast Recht: Zolas beste Sachen sind imo sogar besser, als die weniger guten von Balzac. Wirklich schlechtes haben beide nicht geschrieben. Aber wer solche Werke verfasst, kann nicht immer nur auf höchstem Niveau schreiben. Ich würde mich freuen, wenn Du über Deine weiteren Leseerfahrungen hier berichten würdest.


    Gruß


    Hubert

  • Der dritte Band der Rougon-Macquard-Reihe spielt im "Bauch" von Paris, in den Markthallen, "Les Halles". In fast impressionistischer Manier gelingt es Zola ein dichtes Abbild dieser Markhallen zu schaffen. In synästhetischen Beschreibungen riecht, dampft, blüht, stinkt Alles. Alle Sinneseindrücke wurden beschrieben: riechen, schmecken, sehen, fühlen, tasten. Ein Kaleidoskop der Sinne. Darin die Handlung des Strafentflohenen Florent, der durch politische Umtriebe wieder auf die Strafkolonie nach Guayana verurteilt wird. Starke Charaktere, wie die der Fleischersfrau Lisa oder der Fischverkäuferin Normande, ein großartiger Handlungsrahmen und Spannung bis zum Ende. Ein wahrer Höhepunkt in Zolas "Rougon-Macquard".

    Gerade über die einfachsten Dinge ist es oft am schwierigsten zu schreiben.