Balzac: Die menschliche Komödie

  • Hallo,


    der Insel Verlag bietet eine Kassette mit 20 Romanen von Balzac aus der menschlichen Komödie an. Die Informationen auf der Homepage des Verlags über diese Ausgabe sind vollkommen unzureichend und ich möchte deshalb die Teilnehmer am Klassikforum fragen, ob sie mir empfehlen können diese ca. 7000 Seiten noch irgendwo in meine Wohnung zu quetschen um sie irgendwann zu lesen. Die Versuchung ist groß aber 101 EUR auch keine kleine Investition. Von Balzac habe ich nur „Vater Goriot“ gelesen, einen der Romane aus „Die menschliche Komödie“.
    Im Voraus schon meinen Dank an die, die mir mit ihrem Ratschlag beistehen.´


    W.

  • Hallo!


    Na ja - das ist mal gerade 1,5 ¢ pro Seite ... :zwinker:


    Aber mich musst Du nicht fragen. Ich finde einiges von Balzac - wie z.B. den Père Goriot - sehr gelungen; aber Balzac war ein Vielschreiber und die Qualität seiner Werke ist deshalb sehr unterschiedlich, finde ich.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Bloom,


    laut Amazon enthält die Kassette die folgenden Romane und Erzählungen:


    "Eugenie Grandet", "Ursule Mirouet", "Ein Junggesellenheim", "Die alte Jungfer", "Pierrette", "Verlorene Illusionen", "Die Geschichte der Dreizehn", "Glanz und Elend der Kurtisanen", "Tante Lisbeth", "Vetter Pons", "Vater Goriot", "Oberst Chabert", "Gobseck", "Die Frau von dreißig Jahren", "Der Landarzt", "Die Lilie im Tal", "Die Chouans - Rebellen des Königs", "Das Chagrinleder", "Das verfluchte Kind", "Eine dunkle Affäre"


    Die kenne ich zwar bei weitem nicht alle, aber sie gehören zu den Bekanntesten (und damit vielleicht auch zu den besten), die er geschrieben hat.


    Es gab auch kürzlich eine Komplettausgabe der Menschlichen Kommödie im Koffer für 100 Euro. Es waren recht einfach aufgemachte Taschenbücher als Nachdruck der Rowohlt-Ausgabe aus den 50-er Jahren.


    Viele Grüße,
    Zola

  • Danke für die Hinweise und Bemerkungen.
    Zwanzig Romane von Balzac sind wohl doch etwas zu viel für mich. Deshalb habe ich mich, mit Hilfe von Vollmanns „Falschmünzer“ und „Roman-Navigator“, für eine kleinere Auswahl entschieden. Es werden zunächst „Verlorene Illusionen“ und „Glanz und Elend der Kurtisanen“ sein. Falls noch jemand einen Tipp für weitere Romane hat, dann bitte ich um einen kurzen Hinweis.
    Die Bücher von Vollmann sollte man in die Kategorie: „Gefährliche Drogen“ einstufen. Jedes Mal, wenn ich mir darin Rat hole, werde ich auf Romane aufmerksam, mit denen ich mich gar nicht beschäftigen wollte.

  • Hallo Bloom,


    "Verlorene Illusionen" ist hervorragend, "Glanz und Elend" hat mir nicht ganz so gut gefallen. Da das Buch die Fortsetzung von "Verlorene Illusionen" ist, lohnt es sich aber den Roman direkt anschließend zu lesen (was du wahrscheinlich auch automatisch tun wirst, da Du nach den "Verlorenen Illusionen" wahrscheinlich gar nicht mehr aufhören kannst, zumindest war es bei mir so :zwinker:)
    Ansonsten würde ich Dir für den Einstieg noch "Das Chagrinleder" und "Vater Goriot" empfehlen, zwei eher kürzere Romane.


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo Bloom und alle,


    ich kann Zola nur zustimmen: "Verlorene Illlusionen" ist grandios und das beste, was ich von Balzac bisher gelesen habe. Mir haben auch "Glanz und Elend" gut gefallen, aber sie sind z.T. ein bisschen kitschig.
    "Das Chagrinleder" ist auch lohnenswert, aber ganz anders: Es ist eine Mischung von typischem Balzac-Realismus und E.Th.A. Hoffmann.


    "Oberst Chabert" und "Die Frau von dreißig Jahren" habe ich noch gelesen, die haben mich aber nicht unbedingt vom Hocker geholt.


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo,


    ich bin neu hier und als großer Freund der Literatur Balzacs fühle ich mich gleich angesprochen.


    "Vater Goriot" ist großartig, ebenso die "Illusionen", die "Kurtisanen" fand ich fast besser, doch als hervorragenden Einstieg finde ich " Das Haus der ballspielenden Katze" oder "Tante Lisbeth" besser geeignet Der erstgenannte Roman ist kurz genug, um nicht gleich zu verschüchtern, bietet aber das ganz typische Spektrum der Balzacschen Charaktere. Der zweitgenannte Roman ist noch ausgefeilter, als der erste, aber auch umfangreicher.


    Ich lese übrigens gerade an der "Kehrseite der Geschichte unserer Zeit", auch fein, moralisch bisher fast mit dem "Landarzt" zu vergleichen, welcher nun die Basis für das moralische Programm einer politischen Organisation wäre...


    Ich empfehle allen Lesern, speziell denen, die nicht französische Geschichte, Literatur des 18. Jahrhunderts (und früher), sowie katholische Theologie studiert haben, die Ausgaben beispielsweise des Aufbau-Verlages, da diese Anmerkungen zu einzelnen Anspielungen haben. Nur so läßt sich wirklich der Geist dieser Bücher verstehen. Kiepenheuer bietet auch diese Anmerkungen und bestimmt noch andere mehr. Ich habe die komplette "Menschliche Komödie", doch leider die vom Diogenes Verlag (Abdruck von Rowohlt), also ohne Erläuterungen. Damals habe ich nur auf den Preis geachtet - ein großer Fehler!


    Viele Grüße vom Andi an die anderen Balzac-Freunde.


  • Ich habe die komplette "Menschliche Komödie", doch leider die vom Diogenes Verlag (Abdruck von Rowohlt), also ohne Erläuterungen. Damals habe ich nur auf den Preis geachtet - ein großer Fehler!


    Ich musste auf den Preis achten, damals, weil ich ein armer Student war.
    Hatte mir die Bücher fast komplett aus Ramschkästen zusammengesucht.
    Hab einige Zeit lang sehr intensiv Balzac gelesen, wohl auch eher unkritisch, und später einzelne Werke mal wieder.


    Den hier genannten Titeln kann ich so aus der Erinnerung noch "Die Kleinbürger" hinzufügen, eine treffende, recht giftige Milieuschilderung.


    Warum Balzac mich immer wieder fasziniert, kann ich mir nicht begründen.
    Versuche es auch nicht.


    Er ist jedenfalls ein Autor, den ich in Masse lesen mag, und zwar auch die schwächeren Werke, und die Qualität schwankt schon.


    Irgendwann demnächst ist er mal wieder dran.


    Hab begonnen, mir antiquarisch die Bände der von Ernst Sander herausgegebenen Ausgabe, Dünndruck, 12 Bände, zusammenzusuchen. Die sind sehr preiswert zu finden!
    (Erschien seinerzeit auch in Einzelausgaben als Goldmann TB.)


    Die Werke sind jeweils versehen mit Vorbemerkung zu Entstehungs- und Veröffentlichungsgeschichte, (eher knappen) Anmerkungen, und Biographischen Notizen über die Romangestalten.
    Die Anordnung folgt Balzacs Plan.


    Ich hab mal versucht, eine Bewertung verschiedener Balzac-Übersetzungen aufzustöbern, aber da wurde ich nicht fündig.
    Ich denk mal einfach, schlechter als die anderer Ausgaben werden sie nicht sein .....


    Gruß
    Leibgeber

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Warum Balzac mich immer wieder fasziniert, kann ich mir nicht begründen.


    Vielleicht liegt es bei dir wie bei mir an seiner völlig wertungsfreien Schreibe. Meiner Meinung nach urteilt Balzac nicht. Er stellt zusammen und er stellt dar und er be- und ergründet, aber genau genommen urteilt er nie. Das ist selten für die damalige Zeit. Fast alle anderen großen Autoren (z. B. Dickens) geben ein Schwarz-Weiß-Bild der Menschen ab und Balzac vereint Gut und Böse in einer Figur. Seine Helden haben auch Fehler und das macht sie menschlich.


    :smile:


  • Ich empfehle allen Lesern, speziell denen, die nicht französische Geschichte, Literatur des 18. Jahrhunderts (und früher), sowie katholische Theologie studiert haben, die Ausgaben beispielsweise des Aufbau-Verlages, da diese Anmerkungen zu einzelnen Anspielungen haben. Nur so läßt sich wirklich der Geist dieser Bücher verstehen. Kiepenheuer bietet auch diese Anmerkungen und bestimmt noch andere mehr.


    Anzumerken waere noch, dass zumindest die Anmerkungen von Kiepenheuer (damals noch ohne Witsch) einen leicht realsozialistischen Einschlag haben. Stoert mich aber auch nicht. (Engels war Balzac-Fan, also war Balzac einer der Guten.)

  • Ich lese die menschliche Komödie immer wieder mal zwischendurch. Balzac beschreibt hier das wagte Leben mit Lieb, Trug und Lug und mit wahren Gefuehlen und Emotionen. Kaum Einer wie Balzac hat für mich schönere Romanfiguren geschaffen.

    Gerade über die einfachsten Dinge ist es oft am schwierigsten zu schreiben.

  • Habe soeben Pierrette aus der menschlichen Komödie gelesen. Kein Highlight dieses kleine Büchlein, aber doch Bewegend das Schicksal der kleinen Pierrette, die zu ihrer tyrannischen Cousine kommt und gequält und schikaniert wird, bis sie an einer Verletzung durch die Cousine im Streit wenig später stirbt.

    Gerade über die einfachsten Dinge ist es oft am schwierigsten zu schreiben.

  • Bin im Moment mit dem Haus zur Ballspielenden Katze fertig geworden. Eine wiklich ergreifende Geschichte um das Schicksal einer Tuchhändlerstochter, die einen Künstler zum Ehemann nimmt. M.m.n. eine fein beobachtetes Sittenportäit des beginnenden 19. Jahrhunderts, welches mich in seiner Endkonsequenz zutiefst erschütterte.


    Im Anschluss habe ich gleich noch die herrliche Geschichte von Pierre Grassou gelesen, die sich ebenfalls in meiner Ausgabe befand.


    Gruß
    Meier

    "Es gibt andere Geschichten auf einem andern Blatt Papier, doch jede ist mit der ersten verwandt" * Keimzeit

    Einmal editiert, zuletzt von meier ()

  • Zitat

    Oh, Balzac! Und wenn man dann mal tatsächlich Selbstmordgedanken hegte, könnte man sie nie realisierten, weil man wüßte, daß da immer noch ein ungelesener Balzac herumliegt.


    Allerdings sollte man es tunlichst vermeiden, in einer ostdeutschen Ausgabe das Nachwort zu lesen, ohne am Verfasser Vergeltung üben zu können. Denn es ist wirklich eine Frechheit, was dort zum Teil hineininterpretiert wurde.


    Gruß
    Meier

    "Es gibt andere Geschichten auf einem andern Blatt Papier, doch jede ist mit der ersten verwandt" * Keimzeit

  • Szenen aus dem Privatleben
    Das Haus zur “Ballspielenden Katze”

    “Das Haus zur Ballspielenden Katze” erzählt die Geschichte von Augustine, die behütet in einem strengen und recht freudlosen Elternhaus aufwächst. Als sich der erfolgreiche und wohlhabende Maler Théodore in sie verliebt, ist es um die naive junge Frau geschehen.

    “Die Frau eines Mannes von Talent zu sein, seinen Ruhm zu teilen! Welche Verheerung mußte diese Vorstellung in dem Herzen eines Kindes anrichten, das im Schoße einer solchen Familie aufgewachsen war? ... Ein Sonnenstrahl war in dieses Gefängnis gefallen. Plötzlich liebte Augustine. Sie wurde von einer solchen Fülle schmeichlerischer Empfindungen überwältigt, daß sie ohne weitere Erwägung erlag.”

    Nachdem verschiedene Hindernisse überwunden sind – Augustines ältere Schwester Virginie muss unter die Haube gebracht, die Einwände der Eltern beruhigt werden –, heiraten Augustine und Théodore. Man ahnt, was kommt: Nach einer ersten glückseligen Zeit holt das junge Paar die Wirklichkeit ein. Die Unterschiede in Erziehung, Interessen und Lebenserfahrung werden deutlich und führen zu einem unglücklichen Ende.

    Meisterhaft stellt Balzac die familiären, aber auch die gesellschaftlichen Verhältnisse und damit das Scheitern der Ehe dar. Sehr gelungen finde ich auch die Beschreibung des titelgebenden Hauses. Jeder Satz ein Pinselstrich, der ein lebendiges Bild zeichnet.

    Die Erzählung hat mir ausgezeichnet gefallen.

  • Eine schöne Besprechung eines anscheinend sehr typischen Balzac-Textes!
    Von den Franzosen mag ich Balzac mit am liebsten, weil er so ausgezeichnet Menschen in den Verstrickungen ihrer gesellschaftlichen Gegebenheiten darstellen kann, ohne auf die Individualität zu verzichten. Die kleineren Sachen von ihm habe ich allerdings noch nicht gelesen, außer den "Tolldreisten Geschichten", die aber in einen anderen Zusammenhang gehören.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • finsbury
    Ich kenne erst vier oder fünf Texte der Menschlichen Komödie, aber ja, ich denke, das ist wirklich typisch Balzac. Ich bewundere seine "Sezierkunst", das ganz feine, genaue Beschreiben der Verhältnisse und auch die Variation der Situationen und Figuren. Das Lesen hat viel Freude gemacht.