Daniel Kehlmann - Die Vermessung der Welt

  • Hallo !


    Nachdem ich gerade wieder über eine begeisterte Rezension dieses Buches gestolpert bin, muss ich endlich mal loswerden, dass ich das Buch absolut schlecht finde.


    Ein wohlmeinender Bruder hat mir dieses Buch zu Weihnachten geschenkt, er hat es selbst gelesen und fand es - wunderbar. Begeistert fing ich an, Biographien über Humboldt und Gauß im Lichte der Aufklärung, das klang genau so, als könnte es mit gefallen.


    Aber schon nach einigen Seiten wurde mir klar, nein, über solche einseitig-plakative Charaktere will ich nichts wissen. Während Humboldt noch einigermaßen gut wegkommt, entpuppt sich Gauß als egomanischer, beziehungsunfähiger Mensch, eben so, wie man sich ein typisches Mathematiker-Genie vorstellt. Diese platten Anspielungen ziehen sich durch das ganze Buch, indem von der Aufklärung allerdings auch wenig zu spüren ist.


    Okay, ich hätte vielleicht die Humboldt-Biografie vor einigen Jahren nicht lesen sollen oder erst neulich den historischen Roman über die Wirkung von Kants Kritik zur reinen Vernunft. Vielleicht bin ich zu unsensibel und habe die Ironie nicht gefunden, für die dieses Buch immer so gelobt wird.
    Oder ich bin nicht die richtige Zielgruppe.


    Kennt von euch jemand dieses Buch ? Wie gefiel es euch ?


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen!


    Das neue Kehlmann-Buch kenne ich nicht, bin aber ein gewisser Kehlmannanhänger, als er noch für das Haus Suhrkamp schrieb, siehe hier:


    http://www.literaturcafe.de/cg…t_topic/f/5/t/001406.html


    Erstaunlich finde ich nur die Rezption dieses Autoren im Ausland, die niederländische Ausgabe war gleich ausverkauft, der "Knack" (der flämische "Der Spiegel") brachte ein mehrseitiges Intervieuw - nicht selbstverständlich für einen deutschsprachigen Autoren. Das Taschenbuch werde ich mir aber holen, denn bei all den Artikeln über das Buch, die ich las, muss ich irgendwann noch das Buch selbst lesen.


    Wie ihr seht, kann ich zur Zeit keine Wertung abgeben. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass Kehlmann die Geschmäcker und Gemüter spaltet, das habe ich bereits im Literaturcafé eingehend erlebt. Aber das muss können und dürfen, finde ich.


    Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo,
    Der Thread ist zwar nun schon ein bisschen veraltet, aber ich schreib mal trotzdem einige Sätze dazu.
    ,,Die Vermessung der Welt" habe ich vor ca. 3 Wochen gelesen. Ich bin mit recht großen Erwartunegn an das Buch herangegangen, und wurde ein wenig enttäuscht. Wirklich schlecht fande ich das Buch zwar nicht, aber als ich dann die letzte Seite gelesen hatte, habe ich mich doch gefragt, was mir dieses Buch sagen will. Es hätte meiner Meinung auch 30 Seiten vorher aufhören können, oder noch weitere 30 andauern könne. Es hätte m.E. keinen Unterschied gemacht.
    Es war zwar eine stellenweise recht amüsante Lektüre, deren Sinn ich allerdings nicht so recht verstehen kann.
    Insgesamt eine nettes Büchlein, aber nicht mehr.
    Viele Grüße
    Astrid

    Die Kultur der Menschheit besitzt nichts Ehrwürdigeres als das Buch, nichts Wunderbareres und nichts, das wichtiger wäre. (Gerhart Hauptmann)

  • Hallo zusammen,


    hier ein Artikel von "Die Zeit", die über den Literaturbetrieb handelt, und in der auch Ansichten Daniel Kehlmanns dargestellt werden. Eine kurzweilige Lektüre für Literaturfreunde. Ich finde den Kehlmann raffiniert und mag auch seine älteren Bücher. "Die Vermessung der Welt" kanne ich aber auch weiterhin nicht...


    Noch einen schönen Sonntag,


    FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo zusammen,


    Kehlmanns Dankesrede anlässlich der Verleihung des Thomas-Mann-Preises der Stadt Lübeck kann man in der FAZ nachlesen:


    Dionysos und der Buchhalter


    eine schöne Rede.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Könnte vielleicht jemand von Euch vermuten, wo liegt den Grund des Erfolgs von D. Kehlmann?


    Die Frage wurde woanders gestellt; ich antworte trotzdem mal hier, weil ich nur dieses Werk von Kehlmann kenne.


    Ich vermute ja, dass er mit diesem Buch den Rezensenten genau am archimedischen Punkt seiner Eitelkeit ausgehebelt hat. Zwei weltbekannte Deutsche, die in Deutschland trotzdem praktisch unbekannt sind (wo man also sich brüsten kann, wenn man nur schon ihre Namen richtig schreiben kann ...) und dazu noch die äusserst gehäufte Verwendung indirekter Konjunktivitis ... Um den Leser aber nicht zu überfordern ein ganz simples, schematisiertes Bild vom Naturwissenschafter. Dazu ein bisschen üble Nachrede ... Fertig ist der Kuchen, der dem Rezensentengaumen so unendlich schmeichelt ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo,
    ich habe von Kehlman ein Buch (Titel müßte ich nachschlagen) gelesen und mußte feststellen, das dies ein ganz schlechter
    Autor ist.
    Begründung: Kehlmann schreibt gerne über Naturwissenschaften, hat aber schlicht und einfach
    keine Ahnung davon. Zum anderen wechselt er oft unvermittelt, ohne in
    irgendeiner Form für den Leser ersichtlich, die Intentionen der Protagonisten.
    Ich denke der Erfolg beim Leser von Kehlmann läßt sich sicherlich zum
    Teil durch die gewählten Sujets erklären.
    Nun kann man einwenden, wer solch einen Erfolg (zumindest mit einem Buch) hat,
    kann so schlecht nicht sein. Doch kann er, man lese selbst.
    Gruß, Lauterbach

  • Vielleicht würde Dich "Ich und Kaminski" mit dem Autor versöhnen Lauterbach, schnell und witzig geschrieben, mit guten Dialogen. "Die Vermessung der Welt" liegt bei mir allerdings noch ungelesen im Regal...

    "Die Kunst des Nachdenkens besteht in der Kunst..., das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen. - Thomas Bernhard, Gehen

  • Die Frage wurde woanders gestellt; ich antworte trotzdem mal hier, weil ich nur dieses Werk von Kehlmann kenne.


    Ich vermute ja, dass er mit diesem Buch den Rezensenten genau am archimedischen Punkt seiner Eitelkeit ausgehebelt hat. Zwei weltbekannte Deutsche, die in Deutschland trotzdem praktisch unbekannt sind (wo man also sich brüsten kann, wenn man nur schon ihre Namen richtig schreiben kann ...) und dazu noch die äusserst gehäufte Verwendung indirekter Konjunktivitis ... Um den Leser aber nicht zu überfordern ein ganz simples, schematisiertes Bild vom Naturwissenschafter. Dazu ein bisschen üble Nachrede ... Fertig ist der Kuchen, der dem Rezensentengaumen so unendlich schmeichelt ...


    Hallo Sandhofer,


    deine Vermutung scheint mir sehr zutreffend. Meine Idee war, dass der Autor die zwei weltbekannten Deutschen “ausgenutzt” hat, um ohne einen wirklichen substanziellen Inhalt Erfolg zu haben. Danke für deine Antwort.


    alamire

  • deine Vermutung scheint mir sehr zutreffend. Meine Idee war, dass der Autor die zwei weltbekannten Deutschen “ausgenutzt” hat, um ohne einen wirklichen substanziellen Inhalt Erfolg zu haben.


    Ihr sprecht mir aus der Seele! So funktioniert auch der Erfolg etlicher anderer Bücher.
    "Und Nietzsche weinte" z.B. wurde auch hochgelobt und - war enttäuschend .


  • Ihr sprecht mir aus der Seele! So funktioniert auch der Erfolg etlicher anderer Bücher.
    "Und Nietzsche weinte" z.B. wurde auch hochgelobt und - war enttäuschend .


    Trivialliteratur mit einer Priese psychoanalytischer Fabel. Mit Nietzsche, Breuer, Lu Salome und viel Gemenschel. Zwischendurch fand ich es ganz nett, las sich in deutscher Übersetzung auch sehr einfach.

  • Hallo!


    Ich hätte nicht geglaubt, mich je zum Kehlmann-Verteidiger entwickeln zu müssen: Aber er scheint mir hier zu schlecht wegzukommen. Die "Vermessung der Welt" besitzt durchaus all jene Fehler, die hier angemahnt wurden (von den ein wenig platten Charakteren bis zu dem - leider oft hilflosen - Spiel mit naturwissenschaftlichen Versatzstücken). Und der Autor besitzt Eigenschaften als Person, sich verkaufender Autor, die ich wenig schätze: Das Tingeln durch Talkshows oder aber seine in einer Auseinandersetzung mit Franzobel bewiesene Humorlosigkeit, Borniertheit, Wichtigmacherei.


    Dennoch meine ich bei dem vorliegenden Buch unzweifelhaftes Talent beim Autor ausmachen zu können: Es gibt witzige Dialoge, geistreiche Beschreibungen, wenn er auch immer wieder offenkundig auf Mainstream und Verkaufserfolg zu schielen scheint. Das ist ihm anzukreiden, umso mehr, als er es aufgrund des Erfolges seiner Bücher - finanziell - sicher nicht mehr notwendig hätte (allerdings macht Erfolg wohl noch abhängiger als die Gier nach Geld). Dennoch sehe ich in ihm einen Autor, der durchaus die Fähigkeiten besäße, gute Bücher zu schreiben.


    Grüße


    s.

  • Zustimmung. Deswegen, vermute ich mal, hacken wir auch so auf ihm herum ...



    Wenn du diesen Thread als eine Art pädagogische Züchtigungsmaßnahme für den guten Kehlmann verstehst, bin ich gerne dabei. Aber ich würde eben aus dem Grund, dass er offenbar Talent zu besitzen scheint, nicht ausschließen wollen, wieder etwas von ihm zu lesen. Er ist keine Jenny Zoe.


    Im übrigen scheint es mir hier oft so zu sein, dass ein Autor umso besser wegkommt, je länger er bereits vor sich hinmodert. Und der Verwesungsgrad sollte doch kein Beurteilungskriterium bilden.


    Grüße


    s.

  • Wenn du diesen Thread als eine Art pädagogische Züchtigungsmaßnahme für den guten Kehlmann verstehst, bin ich gerne dabei. Aber ich würde eben aus dem Grund, dass er offenbar Talent zu besitzen scheint, nicht ausschließen wollen, wieder etwas von ihm zu lesen.


    Da hast Du mich ertappt, zugegeben. Also sagen wir: Ich werde in der nächsten Zeit, bis er etwas abgehangen ist, keinen weiteren Kehlmann lesen. OK? :breitgrins:


    Er ist keine Jenny Zoe.


    Mein Gott! Erinnere mich bloss nicht an die! :entsetzt:


    Im übrigen scheint es mir hier oft so zu sein, dass ein Autor umso besser wegkommt, je länger er bereits vor sich hinmodert. Und der Verwesungsgrad sollte doch kein Beurteilungskriterium bilden.


    Ja? Ich hatte eher den Eindruck, dass wir eigentlich recht artig auf allen gleichermassen herumhacken. :breitgrins:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Da hast Du mich ertappt, zugegeben. Also sagen wir: Ich werde in der nächsten Zeit, bis er etwas abgehangen ist, keinen weiteren Kehlmann lesen. OK? :breitgrins:


    Gut. Aber dann! - und da ich - noch - ein relativ gutes Gedächtnis mein eigen nenne, werde ich dich hier - oder drüben in intimeren Gefilden - zu einer Kehlmann-Leserunde nötigen (Kehlmannleserunde, wie das schon klingt ;-), das kommt ja einer Kanonisierung gleich).


    Ob ich mir damit allerdings selbst einen Gefallen zu tun im Begriffe bin - ich weiß nicht ...


    Grüße


    s.

  • Ich habe gestern begonnen und bereits über 100 Seiten gelesen. Das Buch fesselt mich, und ich frage mich sehr oft was dabei tatsächlich Biographisches aus dem Leben Humboldt ist.
    Daher habe ich mir in der Bib dieses Buch [kaufen='3423137398 '][/kaufen] über Humboldt bestellt: Es ist ein Treiben in mir


    Besonders gefallen hat mir übrigens gleich ein Satz am Anfang des Buches: Seltsam sei es und ungerecht, sagte Gauß, so recht ein Beispiel für die erbärmliche Zufälligkeit der Existenz, dass man in einer bestimmten Zeit geboren und ihr verhaftet sei, ob man wolle oder nicht. Es verschaffe einem einen unziemlichen Vorteil vor der Vergangenheit und mache einem zum Clown der Zukunft.


    Katrin

  • Ich hab die Vermessung der Welt vor wenigen Monaten gelesen. Neue Literatur ist für mich eigentlich ein Tabu und gehe mit der einzigen Erwartung dran, vollständig von mangelnder Tiefe und Anspruchslosigkeit enttäuscht zu werden.
    Vielleicht hat mir das Buch deshalb besser gefallen als euch. Sicher, es ist keine Weltliteratur, aber den Anspruch stellt es doch auch gar nicht. Es ist ein sehr einfaches, relativ flaches Werk in allereinfachster Sprache und von geringem Umfang. Ich hatte es in anderthalb Tagen eines Wochenendes gelesen.
    Für das Verständnis des Buches halte ich es für völlig unerheblich wie exakt seine Darstellungen auf historischen Tatsachen beruhen. Er hat schlicht Die Wissenschaft dargestellt, wie sie ist. Sie kann Jahrhunderte vor sich hindümpeln oder auch durch ein einzelnes Genie einen unfassbaren Sprung erfahren. Gleichzeitig sind diese Genies in der Regel relativ unbekannt oder werden gar verspottet. Humboldt, der überhaupt kein Genie hatte, dafür aber mit einer endlosen Disziplin und unergründlicher Neugier und einem bisschen wissenschaftlichen Instinkt ausgestattet gewesen ist, stellt in diesem Buch im Grunde den alltäglichen Wissenschaftler dar, während Gauß die Rolle des Genies vertritt. Während Humboldt morgens in aller Frühe aufsteht und praktisch pausenlos an irgendwas arbeitet, setzt sich der Beinahe-Lebemann Gauß mal eben 15Minuten hin, denkt etwas nach und revolutioniert die Mathematik. Humboldt wird für seine Entdeckungen gerühmt und bewundert, während Gauß sich vor jedem rechtfertigen muss, wozu denn diese Theoriegebilde gut sein sollen. All diese Unterschiede hat Kehlmann mit einer unterhaltsamen und humoristischen Kunst hervorragend offengelegt. Heutzutage ist die Leistung von Gauß nicht aus der Wissenschaft wegzudenken und doch hat er tatsächlich "nur" ein wenig nachgedacht, während Humboldt die Welt bereist und tatsächlich vermessen hat. Seine Leistung ist aber ebensoschnell veraltet , wie die kartografische Leistung (nicht aber deren theoretische Grundlage!) von Gauss, die er zum Broterwerb verrichtete. Kehlmann wollte schlicht den Prozess der Wissensschaffung auf ihren verschiedenen Wegen zeigen. Interessant in diesem Zusammenhang sind auch die Ausblicke auf die Zukunft, die er einem prophetischen Gauß in den Mund legt, die aber zum großen Teil auf dem von ihm gelegten theoretischen Fundament basieren.


    Übrigens ist es sogar völlig unwichtig. DIe Leistungen von Gauß liegen fast ausschließlich jenseits jeglicher Grundlagenausbildung und finden nur Verwendung von Fachleuten, nichtsdestotrotz ist z.B. sein Integralsatz ein unabdingbarer Bestandteil von Technik und Wissenschaft. Wen interessiert es da ob ein Buch der Unterhaltungsliteratur für den Durchschnittsmenschen sowas korrekt wiedergibt?