• Und wenn ich daran denke, dass ich den Grünen Heinrich immer noch ungelesen in meinen Bücherkisten lagern habe, fühle ich schon wieder ein beklemmendes Gefühl... Die Lektüre wird aber nachgeholt, schließlich handelt das Buch von einem meiner literarischen Lieblingsthemen...


    Grüße zum Wochenende, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Ja, F.A.. Den grünen Heinrich musst du unbedingt einmal lesen. Einer der ganz großen Entwicklungsromane. Auch ein sehr versöhnlicher Schluss, und wenn du ein Freund von Romanen zur Malerei bist, solltest du auf keinen Fall zögern und schleunigst mit der Lektüre beginnen. Gell.
    :mail:
    t.

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "troll"

    Ja, F.A.. Den grünen Heinrich musst du unbedingt einmal lesen. Einer der ganz großen Entwicklungsromane. Auch ein sehr versöhnlicher Schluss, und wenn du ein Freund von Romanen zur Malerei bist, solltest du auf keinen Fall zögern und schleunigst mit der Lektüre beginnen.


    Zustimmung zum Ganzen, Frage zu einem Detail: Ich meine mich zu erinnern, dass der versöhnliche Schluss erst in der 2. Fassung stattfindet, oder? Auch habe ich ihn eher als resignativ in Erinnerung denn als versöhnlich. Aber das ist wohl Definitionsfrage.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen!


    Ich habe gerade wieder einmal "Das Sinngedicht" durchgelesen. Zwar ist die Rahmenerzählung in ihrem Ablauf vorhersehbar, aber die einzelnen Novellen, die sich Reinhardt und Lucia erzählen sind wunderhübsch. Empfehlenswert!


    Grüsse


    sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zustimmung zum Ganzen, Frage zu einem Detail: Ich meine mich zu erinnern, dass der versöhnliche Schluss erst in der 2. Fassung stattfindet, oder? Auch habe ich ihn eher als resignativ in Erinnerung denn als versöhnlich. Aber das ist wohl Definitionsfrage.


    So isses!


    In der ersten Fassung findet er bei der Rückkehr fremde Menschen im Haus der (verstorbenen) Mutter und er fühlt sich an ihrem Tod schuldig.
    "...sein Leib und Leben brach. und er starb in wenigen Tagen: So ging denn der tote grüne Heinrich auch den Weg hinauf in den alten Kirchhof, wo sein Vater und seine Mutter lagen. Es war ein schöner freundlicher Sommerabend, als man ihn mit Verwunderung und Teilnahme begrub, und es ist auf seinem Grabe ein recht frisches und grünes Gras gewachsen."


    In der zweiten Fassung findet er die Mutter zwar im Sterben, aber noch lebend und nach ihrem Tod ein Schreiben von ihr, durch das er sich exculpiert fühlen kann.
    Außerdem hat Keller die Judith in der zweiten Fassung für ihre Rolle "verjüngt", was, wie er an Theodor Storm schreibt, dem er diesen Rat verdankt, den Schluß des Grünen Heinrich in eine hellere Beleuchtung setze und ein freundlicheres Finale erlaube, ohne dem Ernst der ursprünglichen Tendenz Abbruch zu tun.
    Und uns ist's ja auch so lieber :smile:
    Gruß
    g.

  • Also wenn der "Grüne Heinrich" noch immer ungelesen ist: ich empfehle dringend die Urfassung. Keller ist im Alter etwas prüde geworden und hat die schönsten Stellen zensuriert.


    Beste Grüsse


    Uhu

    Das Universum, das andere die Bibliothek nennen [...] (J.L. Borges, Die Bibliothek von Babel)

  • Dem grünen Heinrich habe ich auch schöne Errinerungen zu verdanken. Ich habe ihn gelesen, als ich etwa so alt wie der Protagonist war und hat mich damals sehr begeistert.

  • Der "Grüne Heinrich" ist einer meiner Lieblingsromane. Ich sehe in dessen Tonfall viel Ähnlichkeit zu Jean Paul - immer erscheint die Sprache etwas heiter, die Sicht auf die Welt ist eine halb-spaßhafte, aber dieser belustigte Ton scheint immer kurz davor, in tiefe Melancholie zu kippen. Ich erinnere mich gerne an all die Begebenheiten in diesem Roman . . .


    Im Moment lese ich Gottfried Kellers "Pankraz, der Schmoller" (aus der Sammlung "Die Leute von Seldwyla"). Ich bin wieder sehr begeistert. Es ist unglaublich, wie Keller allerlei Oberflächen beleuchtet, die mir das Lesen vergnüglich machen, um mehrere Seiten später deren Tiefe kund zu tun, die mir Schrecken einjagt. Ich glaube, dass es bereits berechtigt ist, Keller einen meiner Lieblingsschriftsteller zu nennen.

  • Moin, Moin!


    Er [Gottfried Keller] und sein Freund Arnold Böckling sitzen im Wirtshaus und schweigen sich an. Trinken hie und da einen Schluck. Kommt einer herein, setzt sich an den Tisch, trinkt und schweigt auch. Nach einer halben Stunde sagt er: "Heiß heut!" Trinkt. Nach einer weiteren halben Stunde geht er. Hebt Keller den Kopf und sagt zu Böcklin: "Gut, daß er gegangen ist, der Schwätzer." (Urs Widmer: Das Geld, die Arbeit, die Angst, das Glück, S. 178)


  • Der "Grüne Heinrich" ist einer meiner Lieblingsromane. Ich sehe in dessen Tonfall viel Ähnlichkeit zu Jean Paul - immer erscheint die Sprache etwas heiter, die Sicht auf die Welt ist eine halb-spaßhafte, aber dieser belustigte Ton scheint immer kurz davor, in tiefe Melancholie zu kippen.


    Einen Lieblingsroman würde ich den "Grünen Heinricht" nicht gerade nennen, aber er hat (in der Ursprungsfassung) sicher seine Qualitäten. Wirklich heiter geht es mMn. nicht zu im Leben des Helden. Unfähig, seine Liebe zu gestehen, hin und hergerissen zwischen dem lebendigen Vollweib Judith und der ätherisch-morbiden Anna, trifft er die denkbar schlechteste Entscheidung (nämlich die der leidenden Entsagung). Auch die Künstlerkreise, in den er später verkehrt, sind nur ausnahmesweise lebenslustig, z.B. während des Karnevals, und verlogen bis ins Mark. Heinrich lebt vollkommen parasitär, er verbraucht das wenige Geld seiner armen Mutter, macht Schulden und ist nur kurz vor der Abreise aus München in der Lage, eigenständig ein wenig Geld zu verdienen - bezeichnenderweise nicht mit echter Kunst.


    Für mich ist "Der grüne Heinrich" ein zutiefst melancholisch-pessimistisches Werk. Es geht um das Scheitern als Künstler, das Scheitern im Leben. Und um den (Selbst)Betrug der Kunst. Schon als Schüler der dubiosen Habersaatschen Werkstatt täuscht Heinrich seinen Lehrer mit boshaftem Vergnügen: "Ich erfand, irgendwo im Dunkel des Waldes sitzend, immer tollere und mutwilligere Fratzen von Felsen und Bäumen und freute mich im voraus, dass sie mein Lehrer für wahr erachten würde.“


    In München vervollständigt er diese "illusionäre" Art des Malens. Heinrich "zog es vor, eine ideale Natur fortwährend aus dem Kopf zu erzeugen, anstatt sich die tägliche Nahrung aus der einfachen Wirklichkeit zu holen. … Er versenkte sich nun ganz in jene geistreiche und symbolische Art. … Die Gegenstände waren fast immer solche, deren Natur er nicht aus eigener Anschauung kannte, ossianische oder nordisch mythologische Wüsteneien, zwischen deren Felsenmälern und knorrigen Eichenhainen man die Meereslinie am Horizont sah, düstere Heidebilder mit ungeheuren Wolkenzügen oder förmliche Kulturbilder, welche etwa einen deutschen Landstrich im Mittelalter, mit gotischen Städtchen, … kurz ein ganzes Weichbild aus einem andern Jahrhundert ausbreiteten."


    Zur Kunst hat er zu diesem Zeitpunkt allenfalls noch ein extrem nüchternes, materielles Verhältnis. Deshalb lässt Keller (der vermutlich all dies so oder ähnlich erlitten hat) seinen Helden verarmen, scheitern und schließlich sterben. Was für ein Kontrast zu der heimeligen Rosenhaus-Athmosphäre in Stifters "Nachsommer"!

  • In der Sinn & Form 6/2019 gibt es einen sehr schönen Essay von Ernst Osterkamp zu "Gottfried Kellers Berlin". Der Autor räumt darin mit einigen Vorstellungen über Kellers Zeit in Berlin auf und spricht vom Berlin der Jahre 1850-1855 als Hauptstadt der Schweizer Literatur - nicht nur wegen Kellers Aufenthalt in der Stadt, in der wesentliche Teile seines Werks entstanden, sondern auch wegen der dort grassierenden Gotthelf-Verehrung. Keller setzt er in diesem Aufsatz vor allem auch in Beziehung zu Karl Gutzkow (von dem ich nichts kenne, was sich aber ändern sollte).


    Sehr lesenswert und auch mit feinem Humor geschrieben.

  • Keller setzt er in diesem Aufsatz vor allem auch in Beziehung zu Karl Gutzkow (von dem ich nichts kenne, was sich aber ändern sollte).

    Das ist ja interessant! Ich wusste nicht, dass Keller und Gutzkow sich kannten. G. wirkt auf mich wie eine typisch Berliner Pflanze, was man auch sehr schön an einigen Kapiteln der Ritter vom Geiste nachvollziehen kann. Keller hätte ich da nicht gesehen.

    Zu den "Rittern vom Geiste" hatten wir hier übrigens mal eine Leserunde.

  • Danke, finsbury! In die Leserunde schaue ich mal rein.


    Osterkamp beschreibt es so: Keller hat Gutzkow bewundert und geachtet, wenn auch nicht persönlich (er bezeichnete ihn mal als "Ratte"), dafür umso mehr literarisch. Osterkamp stellt auch die These auf, dass Keller sich in Abgrenzung zu Gutzkow nicht an großstädtische und zeitlich aktuelle Themen wagte, sondern sich bewusst in ein anderes Milieu begab, um nicht mit Gutzkow konkurrieren zu müssen. Der Markt war einfach schon besetzt... Und als er dann später mit Martin Salander doch einmal einen Vorstoß wagte, ging das schief.


    In der Tat (so Osterkamp) ist ja bemerkenswert, dass Keller trotz eines mehrjährigen Aufenthalts in Berlin in literarischer Hinsicht kein Verhältnis zu dieser Stadt gewonnen hat.