Oktober 2004: Dante Alighieri «Divina Commedia»

  • Hello ihr,


    Zitat von "Sandhofer"

    Dürer (glaube ich), Luther, Jakob Böhme, Gutzkow, Arnim, Lichtenberg ... Gib mal "Welt Madensack" bei Google ein. Das Bild wurde offenbar sogar weit ins 19. Jh. hinein verwendet.


    Achso, das war dann ein Missverständnis meinerseits. Ich hatte generell an etwas Hässliches, Abstoßendes gedacht, das sich hinter einer schönen Larve verbirgt - bzw. eben an das umgekehrte Motiv, das man aus Sagen und Märchen kennt.


    Zitat von "Maja"

    So wie ich es verstanden habe, lobt Dante vor allem die Einheit des römischen Reiches unter einem starken Herrscher und die Pax Augusta. Zu seiner Zeit fehlte in Italien diese starke Hand.


    Hm, eigentlich ist es ja auch heute noch so, dass in unsicheren Zeiten aufstrebende Diktatoren ein leichteres Spiel haben, und umgekehrt beim Sturz eines Regimes schnell Anarchie ausbricht. Offenbar neigen die Menschen dazu, wenn sie mit der aktuellen Situation unzufrieden sind, das Gegenteil zu idealisieren ...


    Zitat von "Maja"

    Das Wiederkäuen symbolisiere das Meditieren über die Hl. Schriften, die theologische Weisheit. Die gespaltene Klaue bedeute allegorisch die Gerechtigkeit, d.h. Unterscheidung zwischen Gut und Böse sowie zwischen geistlichen und weltlichen Gütern.


    Also im Endeffekt sind sich unsere Kommentare eh einig - nur macht meiner eben noch den kleinen Umweg über Thomas von Aquin.


    Zitat von "Maja"

    könnte man es nicht auch so verstehen, dass Dante gerade wegen der Jenseitsreise auf den rechten Weg kommt und des Paradieses würdig wird?


    Hm, das klingt durchaus logisch nachvollziehbar ... aber jetzt frage ich mich: Weiß Dante das, oder glaubt er von vornherein, bereits des Paradieses würdig zu sein? Immerhin kommt ja im 21. Gesang wieder so eine gewisse Stelle: da weist Vergil den Dichter Statius darauf hin, dass Dantes Platz "bei den Guten" sei. Meint er damit, dort sei sowieso sein Platz, oder dort wird im Endeffekt (nach der Reise) sein Platz sein? Oder ist das jetzt Haarspalterei?


    Zitat von "Sandhofer"


    von Wartburg übersetzt: "bis zu dem feuchten Ufer". Also wohl Schlamm, Matsch u.ä.


    Bei mir heißt es "bis zu seinem feuchten Fuß".


    Zitat von "Maja"

    Mich amüsierte die Stelle, wo Dante bei Statius' Vergil-Schwärmerei schweigen soll, sich aber durch den Anflug eines Lächelns verrät!


    Die Stelle ist einfach herrlich! :breitgrins:


    Zitat von "Maja"

    Mir kommen die Grenzen bzw. Übergänge zwischen den Kreisen fast fliessend vor.


    Ja, in der Hölle wurde dem Wechsel von einem Ring in den anderen irgendwie mehr Aufmerksamkeit gewidmet ... andererseits: aus der Hölle gibt es kein Entrinnen mehr, da hat der eigene Aufenthaltsort (aus Sicht der Seelen) wohl mehr Bedeutung als im Purgatorium, wo das Ziel letztendlich doch das Paradies ist. Hm, war das jetzt verständlich?


    Zitat von "Sandhofer"

    In Gesang 22 erklärt Statius, warum er Christ geworden ist. Nämlich durch Vergil. Er nimmt Bezug auf Vergils Verse in den Bucolica (4, 5-7), die ja dem Mittelalter generell als Hinweis dafür galten, dass Vergil die Geburt Christi prophezeit hat.


    Zuerst hat es auf mich paradox gewirkt: ein Heide als christlicher Missionar!? Und auch wenn die m.a. Interpretation der Bucolina die Erklärung dafür liefert, musste ich als heutiger Mensch doch schmunzeln.


    Zitat von "Sandhofer"


    "Die Stunde war's, die ungehemmtes Steigen fordert;" - also wohl "ledig" im Sinne von "ungebunden".


    So weit bin ich eigentlich noch nicht, aber ich habe mal vorgeblättert. Bei mir lautet es schlicht:
    Es war jetzt keine Zeit mehr zu verpassen;
    Offenbar eine sehr freie Übersetzung, wenn ich mir eure beiden anschaue.


    Herzliche Grüße,
    Bluebell

    "Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of books she wants to read, who has had a library card since she was twelve."

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Maja"

    Gesang 16:


    Bei mir lautet das
    ...dieweil der Hirte, der vorangeht
    nur wiederkäut, doch nicht die Klauen spaltet.

    Mein Kommentar verweist hier nicht auf Th. v. Aquin, nur auf das mosaische Gesetz, gemäss welchem als reine Tiere gelten, "was die Klauen spaltet und wiederkäut."
    Das Wiederkäuen symbolisiere das Meditieren über die Hl. Schriften, die theologische Weisheit. Die gespaltene Klaue bedeute allegorisch die Gerechtigkeit, d.h. Unterscheidung zwischen Gut und Böse sowie zwischen geistlichen und weltlichen Gütern.


    Das eben ist - afaik - Thomas' Deutung!


    Zitat von "Maja"

    könnte man es nicht auch so verstehen, dass Dante gerade wegen der Jenseitsreise auf den rechten Weg kommt und des Paradieses würdig wird?


    Dass dem tatsächlich so ist, zeigt sich m.E. in den Szenen im irdischen Paradies.


    Zitat von "Bluebell"

    Ich hatte generell an etwas Hässliches, Abstoßendes gedacht, das sich hinter einer schönen Larve verbirgt


    Nun ja: Kann man es noch genereller haben, als die ganze schöne Dame Welt?


    Zitat von "Bluebell"

    in der Hölle wurde dem Wechsel von einem Ring in den anderen irgendwie mehr Aufmerksamkeit gewidmet ...


    Ist Dir der Engel, der jedesmal auftaucht und jedesmal noch schöner und eindrücklicher geschildert wird, nicht genug? :zwinker:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,

    Zitat von "Sandhofer"

    Das eben ist - afaik - Thomas' Deutung!


    Das könnten die ja schreiben! Ich werde es in meinen Anmerkungen ergänzen.
    (Bin sowieso nicht mehr so begeistert von Reclam, seit sie "Profeten" mit f schreiben :grmpf: )


    Zitat

    In der Hölle wurde dem Wechsel von einem Ring in den anderen irgendwie mehr Aufmerksamkeit gewidmet ...


    Ist Dir der Engel, der jedesmal auftaucht und jedesmal noch schöner und eindrücklicher geschildert wird, nicht genug? :zwinker:


    Stimmt. Der Engel kommt, das habe ich erst jetzt beim Nachblättern bemerkt, auch immer an der gleichen Stelle: vor Beginn des Aufstiegs zum nächsten Kreis.
    Die guten oder schlechten Beispiele sind dagegen manchmal im Kreis, manchmal auch schon im Vorhergehenden.
    Sind Euch übrigens die Seligsprechungen aufgefallen, die immer im Umfeld der Engel zitiert werden?


    Herzliche Grüsse,
    Maja

    Einmal editiert, zuletzt von ()

  • Hallo zusammen!


    Unterdessen bin ich ins irdische Paradies vorgestossen.


    Gesang 26: Die Wollüstigen büssen hier. Dante nimmt aber nicht irgendwelche als Beispiele, sondern Dichter. Das gibt ihm zugleich die Möglichkeit eines dichtungtheoretischen Exkurses. Und wir sehen ein bisschen besser, warum wir Dante noch heute lesen, die von ihm im Purgatorio angetroffenen aber bestenfalls noch Namen für den Spezialisten sind: Er dichtete mit Herz.


    Im 27. Gesang macht Dante nochmals die Busse der Seelen mit. Er büsst so für seine übergrosse Neigung zur sinnlichen Liebe. Es ist interessant, wie Dante genau dort mitmacht, wo er sich selber betroffen fühlt. Und dies, ohne speziell damit "anzugeben".


    Jetzt kommt auch die Lea nochmals vor. Allerdings nur als Traumgestalt. Sie verkörpert das tätige Leben. Aber mir ist ehrlich gesagt immer noch nicht klar, warum sie Dante - entgegen der Überlieferung in den Apokryphen - ebenfalls von Jesus bei seiner Höllenfahrt aus dem Inferno herausgezogen haben will.


    Vergil verabschiedet sich, bleibt aber noch eine Weile bei Dante. Er tritt noch zusammen mit ihm im Gesang 28 ins irdische Paradies ein. Hier ist es nun Dante, der in einer Selbstverständlichkeit herumspaziert und ganz offensichtlich keinen Führer mehr braucht. Im übrigen wirkt dieses Paradies wie ein Naturschutzpark auf mich. Man möchte da mal Urlaub machen ...


    Dante trifft auf eine Frau. Obwohl er sich gerade von der Sünde der sinnlichen Liebe hat reinigen lassen, wirkt diese Frau ganz eindeutig sehr "sexy" auf ihn ... Mein Kommentar erklärt das damit, dass Dante hier dem Menschheitsideal gegenüber steht. Aber irgendwie scheint mir auch von Wartburg dieser Erscheinung gegenüber ratlos. Ich bin es auch. Dante ebenfalls - er kommt nicht ganz zu ihr, da er dazu den Fluss des Vergessens, Lethe, überqueren müsste.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "Bluebell"

    PS@Georg: Sei doch bitte so kollegial und halte nicht uns vor, dass dir dein mit freiem Willen gewähltes :breitgrins: Tempo eine ziemlich einsame Leserunde beschert hat.


    Liebe Bluebell,


    wenn du mir eine Stelle zeigen kannst, wo ich dir dein Lesetempo vorgehalten habe, dann will ich mich gerne für diese Vorhaltung entschuldigen, den dein Lesetempo geht mich in der Tat nichts an.
    Ansonsten (wenn es keine solche Stelle gibt), finde ich deine Bemerkung unangebracht (um mal das Wort unverschämt zu vermeiden.)


    Liebe Grüße


    Georg

  • Hallo Georg,


    wenn ich mich mal kurz einmischen darf.


    Ich lese hier ja immer mit und mit Deiner Bemerkung am 13.Dezember 2004 - 22:37


    Zitat von "Georg"

    und bin dann eher vorsichtig mich auf eine Diskussion einzulassen und so war diese Leserunde für mich, obwohl ich mich drauf freute, ein eher einsames Leseerlebnis.


    könnte man schon den Eindruck gewinnen. Vielleicht wolltest Du etwas anderes ausdrücken, aber das Problem beim geschriebenen Wort ist halt immer noch, dass Mimik und Gestik fehlt und so oft Mißverständnisse entstehen.


    Liebe Grüße
    nimue


  • Liebe nimue,


    als Chefin des Forums ist es dein gutes Recht dich einzumischen. Trotzdem muß ich dir hier widersprechen. Wenn ich Sandhofers Antwort auf meine Frage nach Dantes Gottesbild nicht gut finde, dann kann frau daraus keine Kritik an Bluebells Lesetempo ableiten, da haette dann auch Gestik und Mimik nichts mehr geholfen.


    Liebe Grüße


    Georg.

  • Hallo zusammen!


    Ja, das Purgatorio haben wir eigentlich schon verlassen. Wir (Dante, Vergil, Statius und ich :breitgrins: ) sind im irdischen Paradies. Und endlich - im Gesang 29 - erscheint Beatrice. D.h., noch nicht ganz; aber die Vorbereitungen zu ihrem Erscheinen werden getroffen. Noch einmal ruft Dante die Musen an, um dem Folgenden gerecht werden zu können. Doch selbst der Anruf der Musen erinnert hier nur noch wenig an den klassischen Musenanruf anderer Epiker. Entsprechend erscheint vor Dante jetzt auch nicht irgendetwas - er sieht symbolisch-allegorisch (ich möchte mich da im Moment nicht festlegen ...) die 24 Bücher des Alten Testaments, dahinter die 4 apokalyptischen Tiere, in der Mitte der Wagen der katholischen Kirche, gezogen von einem Greifen, der die Doppelnatur Jesu darstellt. Die 3 christlichen Tugenden, die 4 antiken Kardinaltugenden - alle sind sie da. Dante steht dieser Erscheinung ratlos gegenüber - noch ratloser allerdings Vergil.


    Gesang 30: Der Zug stoppt. Einer der alten Männer (i.e. der Bücher des Alten Testaments) tritt vor und ruft Beatrice vom Himmel. Nach von Wartburg wohl das Hohe Lied. Sie erscheint, eingehüllt in Rot, Grün, Weiss (= Liebe, Hoffnung, Reinheit - gemäss von Wartburg). Eigentlich eine merkwürdige Sache, dass es seine ehemalige Liebe ist, die Dante nun ins Paradies führen soll. Theologisch nicht unbedenklich, imho.


    Beatrice benimmt sich allerdings zu Beginn gar nicht lieb mit Dante. Sie klagt ihn coram publico seiner Sünden an, wirft ihm seine irdischen Versäumnisse vor.


    Vergil, zu dem sich Dante in seiner Angst wenden will, ist - verschwunden.


    Allerdings wird sie ihn erst im 31. Gesang direkt ansprechen. (Auch das einzige Mal, wo Dante in der Commedia beim Namen genannt wird.) Beinahe scheitert Dante noch, denn es kostet ihn eine unsägliche Mühe, seine Sünden einzugestehen. Dante geht nun hier mit sich selber ebenso hart ins Gericht, wie er es vorher mit den Sündern in der Hölle tat.


    Eine Vision (oder die Fortsetzung der bisherigen?) schliesslich erlebt Dante in Gesang 32: die Korruption der Kirche wird ihm dargestellt. Es ist auch während dieser Vision, dass er von Beatrice den Auftrag erhält, alle seine Erlebnisse in den 3 Reichen aufzuzeichnen, auf dass die Menschen daraus lernten.


    Der Gesang 33 beendet die Vision und weist in die Zukunft. Wieder, wie schon zu Beginn des Inferno, kommt dieser unerklärliche Hinweis auf einen Retter der korrupten Kirche. Dante war hier überaus kühn; ebenso kühn wie in seiner Selbstanklage.


    Ja, und nun will ich zuerst einmal über das Purgatorio nachdenken ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,
    unterdessen bin ich auch im irdischen Paradies, mitten in Beatrices Strafpredigt!


    Gesang 26: Wieder einmal eine Parallele zur Hölle, dort waren im 26. Gesang die Flämmchen, zu denen auch Odysseus gehörte. Auch hier wird wieder der Wissensdurst betont, diesmal derjenige der Schatten.
    Auch eine parallele Strafe kommt vor: in der Hölle büssen die Sodomiter in Feuer (-regen).
    Herrlich fand ich den Vergleich in V. 67 - 70:
    Nicht anders sieht man staunend sich verwirren
    Den Bauern und ihn schauen und verstummen,
    Wenn er als Tölpel in die Stadt gekommen,
    Als dort die Seelen all zu sehen waren.


    Ist bei Euch der Schluss, Verse 140 - 147 irgendwie speziell übersetzt? Dieser sei im Original provençalisch, aus Ehrerbietung gegen den provençalischen Dichter Arnaut. In manchen Übersetzungen wird das berücksichtigt (in meiner nicht :sauer: )


    Zu Gesang 27: Hat jemand eine Erklärung für Vers 29/30:
    So geh nur hin und hol dir selber Glauben
    Mit eigner Hand am Saume deines Mantels.

    ???


    Zitat von "Sandhofer"

    ...macht Dante nochmals die Busse der Seelen mit. Er büsst so für seine übergrosse Neigung zur sinnlichen Liebe. Es ist interessant, wie Dante genau dort mitmacht, wo er sich selber betroffen fühlt.


    Hier kommt nun das Feuer als Reinigung, das ich in der Hölle vermisst hatte.
    Und am Ende hat es so viel Licht, dass man gar nicht sagen kann, wann der Gang durchs Feuer genau fertig ist. Die Übergänge vom Feuer zum Engel zur untergehenden Sonne sind fliessend.
    Zu Lea und Rahel habe ich mich gefragt, ob eine Parallele darin zu sehen ist, dass Jakob um beide 7 Jahre dienen musste. Das könnte den 2 mal 7 Kreisen, die Dante durchlaufen ist (je nach Zählweise...), entsprechen.
    Am Schluss wieder die starke Betonung des eigenen Willens:
    Nun nimm zum Führer deinen eignen Willen


    Gesang 28:

    Zitat von "Sandhofer"

    Im übrigen wirkt dieses Paradies wie ein Naturschutzpark auf mich.

    Guter Vergleich!!


    Im Triumphzug im 29. Gesang engagiert sich Dante in der Kontroverse um den biblischen Kanon: Mit den 24 Greisen folgt er der nicht unumstrittenen Beschränkung des Hieronymus auf 24 Bücher des AT. Dafür schliesse er andere Werke ("deuterocanonical"??) aus, die in der lat. Kirchenbibel aufgenommen waren und die er in der Commedia zitiere.
    Über die Reihenfolge der Schriften im NT wurde im frühen 13. Jh. in Paris akademisch gestritten: Die einen wollten "Apg. - Paulusbriefe - 4 kath. Episteln", die anderen "Apg. - 4 kath. Episteln - Paulusbriefe". Dante löst das Problem, indem er Apg. und Paulusbriefe nebeneinander stellt (zwei Greise in Vers 134), und so eine Wahl unnötig macht.
    Soviel aus dem Cambridge Companion, "Dante and the Bible".


    Die Verwechslung der goldenen Leuchter als Bäume hat mich an die Verwechslung der Riesen mit Türmen in der Hölle erinnert.


    Zitat von "Sandhofer"

    Noch einmal ruft Dante die Musen an, um dem Folgenden gerecht werden zu können.


    Da habe ich wohl wieder eine merkwürdige Übersetzung (37 - 39):
    O heilige Musen, wenn um euretwillen
    Ich Hunger, Frost und Wachen je erduldet,
    Nun hab ich Grund, von euch den Dank zu fordern.

    Das klingt ja, als ob er seinen eigenen Anteil am Werk betonen wollte und Dank für seinen Arbeitseinsatz forderte?!


    Zitat von "Sandhofer"

    Eigentlich eine merkwürdige Sache, dass es seine ehemalige Liebe ist, die Dante nun ins Paradies führen soll. Theologisch nicht unbedenklich, imho.

    Ich weiss nicht, wie weit man Beatrice symbolisch-allegorisch als "Christus" oder "die Theologie" verstehen soll.


    Liebe Grüsse,
    Maja
    PS: Was bedeutet eigentlich "imho" :confused:

  • Hallo zusammen!


    Ein kleiner Marschhalt zwischen Purgatorio und Paradiso.


    Ich habe - zusammengefasst - miterlebt, wie die irdischen Gefühle und Prioritäten zusehends zusammenschmelzen. Immer weniger werden die irdischen Dinge in den Vordergrund gestellt, bis schliesslich im irdischen Paradies auch Dante selber alles Irdische von sich wirft. Somit sind wir nun bereit für die himmlischen Dinge ..


    Vergil: Dante hat es wunderbar verstanden, dem Leser diese Dichterfreundschaft über Jahrhunderte eingänglich zu machen. Ich vermisse den alten Römer richtig ein wenig, und ich weiss noch nicht, ob Beatrice ein Ersatz für ihn werden wird. Doch das ist wohl von Dante so beabsichtigt, indem die irdische Vernunft etwas völlig anderes und uns halt auch um einiges vertrauteres ist als die göttliche Offenbarung. (Für die Beatrice zu halten ich im Moment geneigt bin.)


    Immer weniger "Action" - immer mehr contemplatio. Irgendwie scheinen Lea und Rahel schon so etwas wie das Hintergrundmuster der ganzen Reise zu bilden.


    Nun, lassen wir uns überraschen. Ich habe übrigens gerade im Paradiso mein altes Buchzeichen wiedergefunden - von damals, als ich im 4. oder 5. Gesang gescheitert bin. (Ich hatte allerdings immer in Erinnerung, dass ich weitergekommen wäre :redface: .) Ich hoffe, zusammen mit Euch diesmal bis zum Schluss zu kommen ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen


    Hab' schon ein wenig ins Paradiso 'reingeschnuppert - jetzt kommt der schwere theologische Stoff! Mal schauen, zu Thomas von Aquin wird's nicht mehr reichen; aber eine kleine Einführung in sein Denken werde ich in den nächsten Wochen noch lesen (müssen).


    Was mir auch noch aufgefallen ist: das Bild der Frauen in der Commedia. Die meisten (in Paradiso 1 treffen wir gerade auf Gegenbeispiele; die werden für ihre Passivität aber dann auch nur halbherzig belohnt, indem sie im äussersten Kreis des Paradieses bleiben müssen, noch weit entfernt von Gott und seinem Licht) - die meisten Frauen, wollte ich sagen, sind bei Dante äusserst aktiv und selbstbestimmend gezeichnet. Ob nun das Liebespärchen im Inferno, das in actu getötet wurde, ob nur von ihnen erzählt wird, wie im Purgatorio häufig, ob Beatrice - sie alle sind eigentlich bedeutend "emanzipierter", als ich das ursprünglich erwartet hätte. Nun gar Beatrice, die disputiert einem Theologen und Scholastiker zum Trotz. Nix von Mulier taceat in ecclesia! (Und den Korintherbrief hat Dante ja sicherlich gekannt!)


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen!


    Ich bin offenbar der einzige der Runde, der zwischen den Feiertagen hier ist ...


    Ich bin zum Thema 'Frauen und Seelenheil' (so nenne ich es mal; ich meine jetzt hauptsächlich die Rolle von Beatrice in der Commedia) unterdessen unterdessen noch auf Teilhard de Chardin gestossen, den französischen Mystiker, Naturwissenschafter und Jesuiten des letzten Jahrhunderts. Auch er postuliert, zur letzten mystischen Erfüllung des Mannes, die Notwendigkeit der Frau. Er spricht auch ganz klar von Amor, nicht von Caritas, wenn er die Frau meint. (Auch wenn er, ebenfalls ganz klar, nicht von fleischlicher Liebe spricht, sondern diesen Amor auf einer anderen Ebene angesiedelt sieht.) Dazu sind mir dann gleich noch zwei weitere Assoziationen aufgestossen: Platons Gastmahl einerseits, in der Mann und Frau als zwei Hälften eines ursprünglichen Ganzen dargestellt werden (von einer Frau!); Goethes Faust II andererseits, bzw. dessen Schluss: Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan.


    Ob sich daraus eine alternative Theologie bilden liesse?


    Grüsse


    Sandhofer

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  • Hallo zusammen,
    hallo Sandhofer!


    Ich bin eigentlich auch hier, aber es sind Schulferien... :spinnen:


    Zitat von "Sandhofer"

    (Auch das einzige Mal, wo Dante in der Commedia beim Namen genannt wird.)


    Bei mir ist das in Gesang 30. Amüsiert hat mich, wie er sich 8 Zeilen später (erst) entschuldigt, dass er seinen Namen nennen "musste".
    Auch Vers 84 fand ich lustig, wo die Engel "In te Domine" singen,
    sie sind bis "pedes meos" nur gekommen.
    Unterbrochener Chorgesang bei Engeln? :breitgrins:


    In 31 ist mir nur aufgefallen, wie stark jetzt die Augen und was dazugehört betont werden. Vorher waren doch oft alle Sinne einbezogen.


    Heute abend lese ich noch 32 und 33, und starte dann auch ins Paradies.
    Ich war vom Purgatorio positiv überrascht, da eigentlich immer primär von der Hölle gesprochen oder geschwärmt wird. Ich fand es mindestens ebenso kurzweilig zu lesen. Vielleicht weil ich auch selber nicht damit rechne, in der Hölle zu landen, hat es mich stärker angesprochen, irgendwie menschlicher. Ein bisschen "flach" finde ich, dass die Sünden auf den traditionellen Katalog der 7 Todsünden reduziert sind, die Hölle war da phantasievoller. Aber vielleicht ist es tatsächlich so, dass die anderen Sünden und Laster letztlich auf diese 7 zurückgeführt werden können, wie wir es bei Neid und Schadenfreude gesehen haben.


    Zitat von "Sandhofer"

    Hab' schon ein wenig ins Paradiso 'reingeschnuppert - jetzt kommt der schwere theologische Stoff! Mal schauen, zu Thomas von Aquin wird's nicht mehr reichen; aber eine kleine Einführung in sein Denken werde ich in den nächsten Wochen noch lesen (müssen).


    Wäre toll, wenn Du zu Thomas einiges erläutern könntest! Ich habe zufällig meine alten Vorlesungsnotizen wieder gefunden, aber die taugen wohl nicht viel... Ich strenge mich aber an, die "Theology of Dante" noch zu schaffen, und die "Introduction to Paradiso" von Rachel Jacoff. Vielleicht kann xenophanes da noch helfen??


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Maja"

    Auch Vers 84 fand ich lustig, wo die Engel "In te Domine" singen,sie sind bis "pedes meos" nur gekommen.
    Unterbrochener Chorgesang bei Engeln? :breitgrins:


    In meiner Übersetzung wird nichts davon angetönt, dass die Engel unterbrochen würden. Die hören einfach nach 9 Versen auf ...


    Zitat von "Maja"

    In 31 ist mir nur aufgefallen, wie stark jetzt die Augen und was dazugehört betont werden. Vorher waren doch oft alle Sinne einbezogen.


    Danke für den Hinweis. Das geht im Paradiso weiter.


    Zitat von "Maja"

    Wäre toll, wenn Du zu Thomas einiges erläutern könntest!


    Mach dir nicht zuviel Hoffnungen ...


    Ich bin unterdessen ins Paradiso eingedrungen.


    Dante ruft zu Beginn von Gesang 1 wieder jemand an, ihm beim Abfassen seines Werks zu helfen. Es sind aber nicht mehr die Musen, es ist ihr 'Chef' - Apollo, der ihm beistehen soll. Damit gibt uns Dante auch zu verstehen, dass er nicht 'nur' ein "poeta philosophus" sein will (wie Vergil), sondern ein "poeta theologus". Und plötzlich, Dante weiss nicht wie, hat er das irdische Paradies verlassen und steigt auf ins himmlische.


    Ein erster(?), für mich allerdings noch nicht befriedigender Anlauf wird genommen, um Dante die theologische Seite des freien Willens zu erklären.


    Nun erst, in Gesang 2 warnt Dante seine Leser. Es soll ihm nur folgen, wer genug Mut habe.


    Im übrigen halten wir uns in der Sphäre des Mondes auf (im Mond? in seiner Substanz?). Beatrice widerlegt Dante in scholastisch-logischer Manier dessen Ansichten über die Flecken im Gesicht des Mondes. Eine philosophierende Frau! Das Frauenbild des Dante wird für mich immer interessanter ...


    Im 3. Gesang erst treffen wir auf die 'Bewohner' des ersten Kreises des Paradieses. Zum letzten Mal treten die Seelen mit irdischem Aussehen vor Dante. Ein Zeichen dafür, dass sie es im Leben halt noch nicht so wahnsinnig weit gebracht haben, der weiterführenden Gnade Gottes würdig zu sein. Es sind denn auch hier die untergebracht, die im Leben dem Üblen, das von aussen an sie getragen wurde, zu wenig Widerstand geleistet haben - v.a. auch die, die den Schleier genommen haben und von Verwandten gezwungen wurden, aus dem Orden wieder aus- und in eine (politische) Ehe einzutreten. Realistische Frauenschicksale des Mittelalters - völlig entgegengesetzt dem, was Dante zu entwerfen sich anschickt. Kein Wunder, müssen diese Frauen im untersten Himmel bleiben.


    Der dritte Gesang führt Dante wieder zu theologischen Fragen, die im vierten dann behandelt werden. So erfahren wir, dass die Seelen eigentlich alle im Empireo wohnen; sie werden hier nur zur Verdeutlichung ihres 'inneren' Abstandes zu Gott in verschiedenen Sphären vorgestellt. Man nimmt Rücksicht auf die beschränkte menschliche Vorstellungskraft. (Ganz allgemein scheint mir Dante im Paradiso stärker an den herrschenden theologischen Ansichten übers Paradies orientiert zu sein als im Inferno und im Purgatorio.)


    Gesang 5 behandelt dann das theologische Problem des Gelübdes bzw. seiner Auflösung. Und zum Schluss fliegen wir in einem Augenblick (wortwörtlich!) vom Mondhimmel in den des Merkur.


    Hier angekommen, im 6. Gesang, stellt Dante nochmals eines der tragenden Motive der Commedia ins Zentrum: die Idee des Imperiums. Das Römische Reich, das Römische Reich deutscher Nation, das Papsttum - sie stehen für Dante im Zentrum irdischen Handelns.


    Weiter bin ich noch nicht gekommen; und, um ehrlich zu sein: den 6. Gesang habe ich noch nicht ganz verstanden ...


    Grüsse


    Sandhofer

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  • Hallo zusammen,


    Eigentlich hatte ich gehofft, noch mit dem Paradies beginnen zu können, bevor ich im Schnee untertauche. Daraus wurde nichts, aber die Commedia ist eingepackt und ich werde jeden Abend ein bis zwei Gesänge lesen und mich am 8. oder 10. wieder melden.


    Liebe Grüsse und alles Gute im neuen Jahr,
    Maja

  • Hallo zusammen!


    Uff! Soweit ins Paradiso hinein habe ich es in drei Anläufen noch nie geschafft! Eine Leserunde hat schon ihr Gutes ...


    Im 7. Gesang hat mir ehrlich gesagt den bleibendsten Eindruck hinterlassen die Tatsache, dass Dante - ganz konform mit der damaligen Lehrmeinung - Tieren und Pflanzen die Unsterblichkeit abspricht. Hm.


    Somit entschweben wir im 8. Gesang in den Venus-Himmel. Der letzte noch mit der Erde verbundene Himmel. Es sei ja ein Missverständnis, argumentiert Dante, dass die Alten unter "amore" eben nur die fleischliche Liebe verstanden hätten. Für ihn existiert unter diesem Namen eine Kraft, die zu den grundlegenden des Universum gehört. Und - Beatrice ist das wandelnde Beispiel vor des Lesers Augen - ins Höchste sublimiert werden kann. Ein bisschen mittelalterliche Physik (Entstehung der Winde), dann aber steht einer der offenbar wichtigsten Gönner und Freunde Dantes vor dem geistigen Auge des Lesers: Karl Martell. Fürstenschelte (diesmal das Haus Anjou), die m.E. zeigt, dass Dante eben doch nicht ganz über seine politischen Gefühle Meister geworden ist. Jedenfalls ist das immer der Teil, wo ich ihn als am stärksten zeitgebunden empfinde. Interessant finde ich dann hingegen wieder, wenn die Liebe zum Schluss des Gesangs dann sogar via Aristoteles' Zoon Politikon zu einer (wie wir heute wohl sagen würden:) soziologischen Kraft der Vergesellschaftung des Menschen macht.


    Die Liebe bleibt Thema auch im 9. Gesang, wo Dante die trifft, die allenfalls zu viel bzw. ein falsches Objekt geliebt haben.


    Im 10. Gesang verlassen wir den Venus-Himmel und damit die Region des Paradieses, wo sich diejenigen aufhalten, denen trotz allem noch ein Mangel anhaftete. Wir gelangen in den Himmel der Sonne. Prompt trifft Dante die ganz grossen Kirchenväter hier: Thomas von Aquin, Albertus Magnus (den spätere Generationen ja auch zu einem Magier machten!), Augustin, Salomon (nun ja, nicht eigentlich ein Kirchenvater - aber wohl das Modell der Weisheit ...), Dionysios Aeropagita (der noch im Leibe die Ordnung der Engelscharen schaute, an der sich auch Dante orientieren wird), der hl. Ambrosius, Boëthius, Isidor von Sevilla, Beda Venerabilis etc.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus