Beiträge von Sir Thomas

    Ähm, ich meine unser Gespräch weiter oben in diesem Strang. Die Frage, wie (moderne) Musik in einem Roman dargestellt wird. Richard Powers macht das außergewöhnlich gut und rollt anhand seiner Hauptfigur (eines Komponisten) die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts auf. Besonders geglückt ist ein Kapitel, in der er die Schilderung eines musikalischen Volkshochulkurses in einem Altenheim zu Olivier Messiaens 'Quartett auf das Ende der Zeit' verschränkt mit einer sehr lebhaften Schilderung der Entstehung und Uraufführung des Stückes in einem deutschen Kriegsgefangenenlager.


    Das ist mehr als eine Fußnote - oder zumindest eine ziemlich lange ... :breitgrins:


    Aus Juan Carlos Onettis "Das kurze Leben" - ein weitgehend humorfreies Werk, deshalb umso wirkungsvoller:


    Das ist ein wenig positive Reklame für ein Buch, das seit einem gefühlten halben Jahrhundert in einer Regalecke verstaubt ... :redface: Ich hatte schon vergessen, dass ich es besitze. Mal schauen, ob ich es in diesem Jahr noch lesen werde. Deine bisherigen Einlassungen klingen nach einer Empfehlung.

    Lieber sandhofer!


    Ich fände es toll, wenn Du die letzten Beiträge in diesem Ordner (ich meine die zu "Doktor Faustus") abtrennen und in den Thomas Mann-Thread verschieben könntest.


    Vielen vorauseilenden Dank! (a bissl Süßholz muss sein, gell?)


    ... Das hat aber wahrscheinlich viel damit zu tun, dass ich grundsätzlich einfach gerne Bücher lese, bei denen ich den Eindruck habe, dass der Autor/die Autorin klüger ist als ich ...


    Viele Autoren sind klüger als ich (das nehme ich zumindest an), was mich nicht im geringsten stört, denn im Idealfall "erklären" sie mir eine unbekannte Welt mit Schirm, Charme und Melone ... Wenn der Glanz eines Werks mich anstrahlt und wärmt, akzeptiere ich jede Form der "Belehrung" durch den Autor.


    Warum warst du im Boykott??


    Das steht im Fontane-Ordner (Beitrag vom 14. August 2012). Hier ein Auszug: Nach der Fontane-Leserunde im vergangenen Jahr ("Unwiederbringlich") sowie nach der Lektüre von "Jenny Treibel" unmittelbar im Anschluss daran, habe ich beschlossen, von diesem Autor nichts mehr zu lesen. Die letztgenannten Romane sind von durchschaubarer Machart, das Personal eine Aneinanderreihung von Klischees, die viel gerühmten Dialoge werden irgendwann langweilig. "Effi Briest" und Teile des "Stechlins" möchte ich von dieser Kritik ausnehmen, denn mit diesen Büchern verbinde ich positive (vermutlich weil tiefer in der Vergangenheit liegende) Leseerlebnisse.


    Gottfried Benn schrieb 1949 über Fontane: "Dieser Autor war immer gegen mein Empfinden. … Er hat Sicherheit, Kontur und Überlegenheit, er wird mit seinem Thema fertig, er ist innerhalb der deutschen Romaninferiorität eine große Leuchte. … Aber das Pläsierliche, ein Präservativ der Moral, ... entzieht ihm den Rang." Fontane als Kleinmeister unter den mittelmäßigen Autoren der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts? Ich halte das für einigermaßen zutreffend.

    Es ist ein großartiges Buch, das dunkelste von Thomas Mann, aber mit tiefen Einblicken in Kunst, Welt und Seele. Mich beeindrucken auch die Dialoge, in denen vieles von dem deutlich wird, was die Menschen in Deutschland seinerzeit umtrieb. Das Buch geht für mich aber auch an Grenzen. Das Echo-Kapitel etwa kann ich kaum ertragen. Wie da die Zerstörung eines Kindes beschrieben wird, ist kaum auszuhalten.


    Neben der Lesefassung von Gert Westphal gibt es auch noch eine ausgezeichnete Hörspielfassung auf 10 CDs, die ich ebenfalls sehr empfehle.


    Ich habe "Doktor Faustus" zweimal gelesen. Ja, es ist großartig, es ist dunkel - und doch irgendwie nicht "rund" und daher in all seiner Größe misslungen. Es ist ein Buch, das den Leser überfordert - und ich wage die Behauptung, dass auch der Autor viele Passagen einfach von Schönberg und Adorno übernommen hat, ohne sie ganz zu verstehen. Das ist nicht wirklich dramatisch, führt aber dazu, dass das Werk belehrt und nicht auf Augenhöhe mit dem Leser operiert. Es ist ein reiches Buch, aber es schenkt dem Leser nichts - vor allem keine eigenen Gedanken bzw. die Möglichkeit, diese zu entwickeln. Dieses Werk ist permanent schlauer als der Leser, und in seiner Vollendung und Perfektion lässt es keinen Raum für Ergänzungen durch die eigene Phantasie oder Erfahrung - was zum Teil natürlich auch in der Wahl des Stoffs (Musik- und Musiktheorie) begründet ist.


    Das alles ist mir erst relativ spät bewusst geworden. Heute komme ich deshalb zu folgendem Resumée: "Doktor Faustus" ist in Bezug auf Gedankentiefe und philosophischen Gehalt ein großes Buch. Aber es ist ein Buch, das uns (als Leser) nicht braucht, weil sein kalter Glanz uns nicht erreicht und uns nicht mitstrahlen lässt. Es steht da um seiner selbst willen - ohne uns zu berühren. Das haben übrigens auch die Zeitgenossen nach dem Krieg so oder ähnlich empfunden. Die Ablehnung des Werks war vehement.


    Mir geht es übrigens mit den meisten Opern, die ich kenne, genauso: Ich finde die Libretti eine Zumutung, die Handlung und das Personal trivial und die Musik oftmals auf Effekt gebürstet.


    Nun, so ist sie nun einmal - die Oper. Es ist ihre Natur, ihr Wesen - und das ist nicht zu kritisieren, so lang nicht versucht wird, daraus mehr zu machen und den "Ring des Nibelungen" auf eine Stufe mit "Faust" oder "Hamlet" zu stellen (obwohl auch in diesen Werken viel "Gebürstetes" steckt).



    Wagner ist Verführung, bodenlose Lockung, der ich folge ...


    D'accord, aber dieses Locken verfängt bei mir nur für eine ganz kurze Zeit - nie wieder über drei bis vier Stunden!!!

    Heute ist wohl im Forum der Tag des beherzten Urteils. :zwinker:


    Abgesehen davon, dass ich mir schon einige Parallelen zwischen R. Wagner und K. May denken kann, halte ich Wagner weder für einen Pfuscher noch für eine Dilettanten. Wie kommst Du zu diesem Urteil, bzw. magst Du es ein wenig substantiieren??


    Wenn Du gestattest, dass ich es bei einigen Stichpunkten belasse:


    - Der Stil seiner überlangen Opern ist musikalische K o l p o r t a g e. Die zum Teil recht schönen Keimzellen seiner Ideen (die hochgelobten „Leitmotive“) werden sinnlos überfrachtet und theatralisch ausgedehnt – fast so, als würde er für den schieren Umfang eines Werks entlohnt.
    - Das Personal seiner Opern ist so t r i v i a l wie Kara Ben Nemsi, Old Shatterhand und Winnetou.
    - Die bekanntlich von ihm selbst angefertigten Libretti bewegen sich auf dem Niveau k i n d i s c h e r Abzählreime.
    - Sein theoretisches Geschwafel vom „Gesamtkunstwerk“ ist schwer erträglich bis u n s i n n i g. Das antisemitische Gewäsch lasse ich mal unberücksichtigt, weil es mit Kunst und Musik nichts zu tun hat.


    Ich hoffe, diese kurze Aufzählung genügt Dir. Zu jedem Punkt könnte ein versierter Musikwissenschaftler endlose Abhandlungen schreiben (was vielleicht auch schon geschehen ist). Im Übrigen gibt es berufenere Kritiker als mich, die zu ähnlich negativen, wenn auch anders akzentuierten Urteilen über Richard Wagners Musik kommen (z.B. E. Hanslick, J. Brahms, F. Nietzsche, C. Debussy, T. Mann und H. Rosendorfer).


    Best wishes!


    Tom


    Hallo Maria,


    das verspricht viele interessante Stunden! Leider habe ich noch keine Ahnung, wo ich die Zeit dafür hernehmen soll ...


    Trotzdem: wertvoller Tipp, Danke!!!!


    Verschiedentlich wird angedeutet, dass zwischen Adorno und Krakauer zeitweise auch eine homoerotische Beziehung bestand. Das ist heutzutage so hipp, dass du dich wirklich entstauben und in den Briefwechsel vertiefen solltest.


    Um es mal nicht bei Andeutungen zu belassen: Zwischen den beiden knistert es erheblich! Der ältere Kracauer ist in dieser Beziehung der Leidende, während Adorno der Sache eher ein wenig distanziert gegenübersteht. Das ist allerdings nur eine Randthematik in diesem Briefwechsel, der sich ansonsten auf philosophische, literarische und gelegentlich auch musikalische Fragen konzentriert.


    An einer Stelle habe ich übrigens heftig die Augen aufgerissen: Es muss wohl eine Schrift des gemeinsamen Freunds Ernst Bloch geben, in der Karl May und Richard Wagner als im Grunde identische Phänomene des deutschen Geistes beschrieben werden. Das ist stark - halte ich R. Wagner doch für einen mindestens so großen Pfuscher und anmaßenden Dilettanten wie K. May! Schade, dass dieses Thema von Adorno nur angedeutet und schnell beiseite geschoben wird.


    Gerade lese ich den Roman "Ginster" von Siegfried Krakauer.


    Kracauer - das war noch einer der guten "Linken", zu einer Zeit, als es diese Spezies noch gab. Seine filmtheoretischen Essays habe ich in leidlich angenehmer Erinnerung, das Werk über die Angestellten und seine fiktionalen Texte kenne ich leider nicht. Die Erwähnung von "Ginster" erinnert mich Gott sei Dank daran, dass der seinerzeit hochgelobte Briefwechsel mit Adorno einer längst überfälligen Lektüre harrt. Ich werde das Buch mal suchen und - im Erfolgsfall - sorgfältig entstauben.


    Mit Benn habe ich jetzt begonnen und seinen Essay zum Aufbau der Persönlichkeit gelesen. Da reibt man sich schon etwas verwundert die Augen, welche Sicht der Mediziner Benn seinerzeit vertreten hat.


    Der o.g. Aufsatz aus dem Jahr 1930 ist noch harmlos. Ab 1933 schwelgt Benn in Züchtungsphantasien - Nietzsches "Übermensch" hatte ihm ziemlich mächtig zugesetzt ...


    Und wenn der Mensch züchterisch nicht auf Trab gebracht werden kann, dann helfen Drogen. Im Vorwort seines 1948 erschienenen Essaybands "Ausdruckswelt" faselt Benn von einem anthropologischen Gesetz, das uns bestimmte, eine antinaturalistische Natur zur Geltung zu bringen, eine Wirklichkeit aus Hirnrinde zu erschaffen, ein provoziertes Leben aus Traum und Reiz und Stoff … zu erleben. An anderer Stelle dann: Potente Gehirne stärken sich nicht durch Milch, sondern durch Alkaloide. Es gibt keine Zweifel: Der Mann war reif für das Methadon-Programm.