Beiträge von scheichsbeutel^

    Ich lese nun schon einige Zeit an Chaucers "Canterbury Tales". Mit gemischten Gefühlen und relativ wenig Begeisterung (Dünndruckausgabe des Insel-Verlages in der Übertragung von Martin Lehnert). Als das Interessantest empfand ich bislang den ausführlichen Anmerkungsteil, der Text selbst (liegt es an der Übersetzung? glaube ich fast nicht) liest sich etwas holpernd, wenig eingängig. Natürlich, Englisch aus dem 14. Jahrhundert ins Deutsche von heute zu übertragen und dem Original einigermaßen treu zu bleiben ist sicherlich schwer. Aber wie gesagt - mitreißend ist das nicht gerade. Hat jemand diesbezüglich Erfahrungen?


    lg


    s.

    Oder andere Facetten :belehr: schön, dass er so political correct gar nicht war, solche Autoren tun dringend not.

    Schwierig mit dem Text, ich kenne mich in der Zeit, der Literatur der Zeit einfach zu wenig aus.

    Naja, polical correctnis muss selbstredend nicht unbedingt sein. Aber patriotische Gesülze über Deutschtum im Ersten Weltkrieg brauche ich auch nicht.


    M. E. ist eine kommentierte Ausgabe nicht unbedingt notwendig. Wer jetzt historisch nicht völlig unbeleckt über diese Zeit ist, braucht derlei nicht.


    Meine Lektüre liegt - wie erwähnt - zurück. Aber ich habe sie als erhellend bezüglich der politischen Einstellung von Th. Mann in Erinnerung - und habe das für mich weitergesponnen: Was, wenn er keine jüdische Frau gehabt hätte, keinen älteren Bruder, der dezidiert links war - wie hätte er sich dann in der Nazi-Zeit verhalten? - so wie Adorno, der in seiner Einfalt und in seinem Opportunismus eine Anfrage bezüglich Aufnahme in die Reichsschrifttumkammer gestellt hat?


    Mit Th. Mann assoziiert man fast automatisch (in Bezug auf Politik) seine BBC-Ansprachen, seine Haltung zum NS-Reich. Man vergisst möglicherweise, dass solche Einstellungen nicht in Stein gemeißelt sind, oft recht kontingente Ursachen haben. Insofern habe ich die Lektüre als anregend im Gedächtnis, als Zeitdokument. (Ich bin mir nicht sicher: Aber ich glaube, dass es auch Bestrebungen gab, die "Betrachtungen" zu schönen, manches wegzulassen.)


    So nebenbei: Ich liebe Manns Romane, fast alle (bis auf "Königliche Hoheit", der wenig Substanz hat, ein bisschen wie Zuckerwatte schmeckt).


    lg


    s.

    Aus heutiger Sicht ist die Lektüre an manchen Stellen schwer zu ertragen, und es mag Leser geben, die sich eine eindeutigere Distanzierung des Autors von seiner Hauptfigur gewünscht hätten. Ich aber finde, dass gerade diese kommentarlosen Einblicke in die Seele eines egomanen Lüstlings viel stärker wirken, als man durch irgendwelche moralischen Entrüstungen erzielen könnte.

    Das macht m. E. die Qualität des Textes aus, Casanova als sich selbst überlebender, narzisstischer Egomane, der nun im Alter noch nicht mal auf seinem ureigensten Gebiet reüssieren kann. Einsam, unfähig zu jeder Beziehung, einzig vermeintlich sexuelle Erfüllung suchend erinnert er an Humbert Humbert - und um einen solchen Blick hinter die Kulissen des "glücklichen" Frauenhelden Casanova schien es Schnitzler zu gehen. Da wäre eine moralinsaure Betrachtungsweise kontraproduktiv, Literatur muss sich ja nicht selbst erklären oder gar auf der Rückseite jedes Buchblattes die entsprechende Interpretation liefern.

    Ich hatte seinerzeit überlegt teilzunehmen. Aber bei mir gibt's Leselisten nur in meinem Kopf, und an die halte ich mich auch nicht. Stelle fest, dass es auch dieses Jahr Schwerpunkte gab, die sich entwickelt haben. Aber das ist vorab nie abzusehen. Unsystematischer Leser, seit jeher. Aber auch ein Vielerlei kann irgendwann ein Viel ergeben.

    Ich kann das vollinhaltlich unterschreiben. Es gibt diese Listen im Kopf, das Wissen um ein Lesenwollen bestimmter Bücher, aber ich bin nicht in der Lage, daraus ein vielleicht sogar zeitlich vorbestimmtes Programm zu entwickeln. Zum Teil beneide ich die Konsequenz solcher Leser, ich aber stolpere dann immer wieder über Zufälligkeiten (etwa das durch das Abschreiten der Bücherregal aufgrund seniler Bettflucht) und lese dann plötzlich (wie in diesem Jahr) etwa 8 große Dickensromane (ohne zuvor auch nicht im entferntesten daran gedacht zu haben.


    lg


    s.

    Ich würde die Elenden auch wiederlesen - ich kenne das Buch seit Jahren und finde es einfach nur großartig.

    Aber ich will mir jetzt auch nicht zuviel vornehmen. Fürs nächste Jahr plane ich einige seit langem aufgeschobene Zweitlektüren. Wie - glaube ich - schon mal hier besprochen, will ich aber nicht nur Klassiker auf die Liste setzen, bzw. eine gemischte Liste machen.

    Nur die Forsyte-Saga oder auch die beiden Folgeromane? Liest sich ja recht leicht und - meine Lektüre liegt erst wenige Jahre zurück - auch überaschend angenehm. Eigentlich lohnen sich alle drei Bände (also auch die "Moderne Komödie" und das "Ende vom Lied"). Ich war jedenfalls positiv überrascht, hatte mehr Kitsch, weniger Ironie erwartet. Möglicherweise spielte in diese Erwartungshaltung die mehrteilige Verfilmung hinein, die in meiner Jugend im Fernsehen lief.


    Und schön, dass es so viele "Elend-Interessierte" gibt. So werde ich der Lektüre weniger leicht entkommen ;).


    Lg


    S.

    Wie immer zweigleisig daheim Papier, unterwegs eBook:

    Thomas Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen (Fischer Klassik PLUS, Text der Großen Frankfurter Ausgabe).

    Die habe ich immer wieder nur in Auszügen gelesen, das wäre mal eine durchgehende Lektüre wert. - Oder - je länger ich darüber nachdenke, kenne ich das doch ganz? Jedenfalls erhält der politisch korrekte Th. Mann nicht unerhebliche Schrammen durch diese Lektüre.

    Das Wort Wettbewerb habe ich eingebracht, weil mich die ständigen Challenges als Bezeichnung nervten. Natürlich ist es kein Wettbewerb untereinander, sondern mit sich selbst und sollte ursprünglich auch dazu dienen, hier die Frequenz etwas zu erhöhen, indem man über die zu lesenden und gelesenen Bücher miteinander diskutiert und sie vielleicht auch vorstellt.
    Ich freue mich übrigens sehr, nach langer Zeit mal wieder etwas von dir zu lesen, scheichsbeutel^ !

    Danke für die lieben Worte! - Dann habe ich also das im Grunde richtig interpretiert. - Da unser Literatur-Forum meist nur mehr zum Austausch über die altersbedingten Verfallserscheinungen dient (und ich mir ohnehin vorgenommen hatte, hier mal wieder ab und zu zu schreiben), hatte ich überlegt, mich mit einer Liste von seit Jahrzehnten ungelesenen Büchern zu beteiligen. Falls vorgenannte Erscheinungen das nicht zu verhindern wissen.


    Ein Klassiker, der seit gut 40 Jahren hier steht, ist V. Hugo: Die Elenden. Aber wie erwähnt - da gäb's noch mehr. Ich hoffe, dass es mir gelingen möge, mich ein wenig an den Unterhaltungen zu beteiligen. Und ich finde die Leseerfahrungen anderer oft anregend. Ob ich tatsächlich eine Liste zustande bringen werde, weiß ich nicht (ich vermute, dass ich schon im voraus frustriert wäre, ahnend, wie viel davon ich dann doch nicht lesen würde. Mal sehen.


    Lg


    s.

    Eine Frage, um meinem Unverständnis abzuhelfen: Worin besteht der "Wettbewerb"? Geht es nur darum, eine Liste zu erstellen und diese im Laufe eines Jahres "abzuarbeiten" (wobei ich Lesen und Arbeit - in seiner herkömmlichen Bedeutung - nicht wirklich in Zusammenhang bringen will) und dabei also um einen Wettbewerb mit sich selbst respektive seinen Vorsätzen oder aber (auch) um anderes?


    Grüße


    s.

    Hallo!


    Was muss man im Zweitberuf sein, um sich auf diese Weise echauffieren zu können - Deutschlehrer, Leserbriefschreiber? Ein nachlässiges Lektorat kann natürlich ärgerlich sein, noch seltsamer will mir aber dieses freudige Sich-Einnässen beim Finden eines Grammatik-Syntax-Orthographie-Fehlers erscheinen. Gut, ich war auch stolz, als ich als 8jähriger in der Volksschule eine Urkunde bekam für meine Rechtschreibkünste. Aber im fortgeschrittenen Alter sein Selbstbewusstsein durch das Aufdecken echter oder vermeintlicher Grammatikfehler aufzupolieren? Denn diese Fehler sind nicht immer Fehler: Entstehen sie doch häufig durch Verkürzungen, die der geneigte Leser im Geiste ergänzen soll (darf) - etwa beim oben monierten Butterkeks. Denn offensichtlich will man hier <b>dem</b> Erfinder gratulieren (und das zu Recht im Dativ), ohne aber für eine solche Gratulation Platz gefunden zu haben auf der Ankündigung.


    Nein, ich singe nicht das Loblied auf alle Sprachverhunzer. Aber wenn bei einem Buch - statt über den Inhalt zu berichten - einzig über alle 50 Seiten auftretende Grammatikfehler geschrieben wird, fühle ich mich doch sehr an altertümliche und eigentlich der Vegessenheit angehörende Schulaufsatzbeurteilungen erinnert: Nein, leider kein "Sehr Gut" trotz des originellen Inhalts: Denn ein "das(s)"-Fehler ist unverzeihlich. Setzen!


    Grüße


    s.


    [pre][size=3]2 Nephi 6:15
    And they that believe not in him shall be destroyed,
    both by fire, and by tempest, and by earthquakes, and by bloodsheds,
    and by pestilence, and by famine. And they shall know that the Lord is God, the Holy One of Israel.[/size]
    [/pre]


    Die Propheten haben das Ganze nur poetischer betrachtet, später, beim <b>Heiligen</b> Thomas v. Aquin liest sich das eher wie ein Rundschreiben des KGB: "Wird er nachträglich [d. h. nach zweimaliger Ermahnung, wie das in einem Paulusbrief gefordert wird] noch hartnäckig befunden [des Falschglaubens, der 'haeresi'], so trifft die Kirche, auf seine Bekehrung nicht mehr hoffend, die Vorsorge für das Heil der anderen, indem sie ihn von der Kirche durch den Bannspruch abtrennt; sie überlässt ihn dann weiterhin dem weltlichen Richter zur Ausschließung aus der Welt durch den Tod." Wie das bei Diktaturen jedweder Couleur oder im Christentum zu sein pflegt: Man ist aus moralischen Gründen (um der "anderen" willen - oder zur Erhaltung eines reinrassigen Volkskörpers oder der proletarischen Revolution wegen) zu töten gezwungen und man muss den Henkern dankbar sein, dass sie dieses schwere Amt auf sich nehmen. Amen.


    Grüße


    s.

    Hallo!


    Ich halte Klarheit, Verständlichkeit für eine Tugend des Schreibens an sich, unabhängig davon, ob es sich um geistes- oder naturwissenschaftliche Themen handelt. Der Hinweis auf eine allenthalben notwendige Fachterminologie ist zumeist eine Ausrede: Fast immer lassen sich komplizierte Sachverhalte verständlich darstellen. Wobei vor allem in den Geisteswissenschaften eine Art sich Berauschen am eigenen Wortgeklingel - im Rahmen der Postmoderne (aber nicht nur) - en vogue ist. Das heißt im Gegenzug natürlich nicht, dass man sich einer twitterkonformen Sprache bedienen muss.


    Dem inkriminierten Satz über wandelnde Stoiker und deren Antipoden auf dem Mars scheint eine gewisse Selbstgefälligkeit anzuhaften: Jedenfalls erfahre ich dadurch mehr über den Schreiber als über das besprochene Buch. Da will sich auch mal ein Kritiker als Schöngeist und Sprachkünstler versuchen. Ob der Versuch diesfalls gelungen ist darf bezweifelt werden :zwinker:.


    Grüße


    s.


    Wenn ich die Verantwortung über das Archiv einer berühmten Persönlichkeit hätte, dann würde ich das auch so machen. Der Literaturberieb muss immer Mal wieder angeheizt werden und das macht man auch mit "sensationellen" Funden von belanglosem Zeugs, das sich dann zu sensationellen Neuinterpretationen eignet.


    Ähnliches ging mir auch durch den Kopf. Nachdem schon sämtliche Briefwechsel des Arztes des Freundes des Vetters einer Bekannten eines Schulkollegen von Thomas Mann publiziert worden sind, ist's mal wieder Zeit für eine "Sensation". Honi soit ...


    Grüße s.


    Wenn, dann höchstens temporär. Mein Host stellt auf neue Server um ... :winken:


    Temporär regelmäßig des Nächtens ;). Serverumstellung ist eine Sisyphustätigkeit. Jedenfalls scheint die Nichterreichbarkeit keine antiösterreichische zu sein - wie schon öfter vermutet.


    Grüße


    s.

    Hallo,


    wie Leibgeber schon erwähnte: Der Grat zwischen übergroßem und mangelndem Selbstbewusstsein ist ein schmaler.


    giesbert: Der Problematik einer solchen Gleichsetzung bin ich mir schon bewusst (weshalb ich auch in Klammern einschränkend hinzufügte "sofern er das mit der Lösung auch nur einigermaßen ernst meinte ..."). Du kannst wahrscheinlich eher beurteilen, ob er seine mathematischen Bestrebungen ernst nahm (im Sinne anspruchsvoller, wissenschaftlicher Tätigkeit) oder als amüsantes Steckenpferd betrachtete. Soweit mir die Person Schmidt bekannt ist (in zugegebenermaßen recht rudimentären Teilen) scheint Selbstironie nicht zu seinen Haupteigenschaften gezählt zu haben, eher schon Selbstüberschätzung (aus welchen Gründen auch immer).


    Grüße


    s.