Beiträge von scheichsbeutel^

    Hallo!


    An der Seriosität Tadiés hege ich keinen Zweifel. Eine umfangreiche, akribische Faktensammlung, aus der ein lesbares Buch zu machen der Sammler vergessen hat.


    Das Spekulative Haymans kann ich bislang so nicht bestätigen, auch wenn sich Sätze finden (aber dergleichen liest man leider auch bei Tadié), die einem die Lektüre schon einigermaßen verhageln können. Etwa: "Prousts Homosexualität wurzelte in seiner Mutterfixierung." Wieder einmal glaubt da jemand bezüglich sexueller Präferenzen tiefenpsychologische Ursachenforschung betreiben zu müssen und konstruiert einen Zusammenhang, der nicht mehr "Wahrheit" für sich in Anspruch nehmen als irgendein beliebiger anderer (etwa: Prousts Homosexualität wurzelt in der übermächtigen Vaterfigur, wird durch den nachgeborenen Bruder verursacht, auf den er eifersüchtig ist und ihn deshalb durch übermäßige Liebe in sein Familiendasein zu integrieren sucht etc. etc.). Aber - wie erwähnt - für mich bislang lesbarer als Tadiés Faktenmanie, die ja häufig gar nichts zum Verständnis Prousts beiträgt.


    Na mal sehen, ob ich mich durch beide Biographien durchzuquälen vermag. (Das Wiederlesen der "Recherche" macht hingegen großes Vergnügen, noch mehr als vermutet.)


    Grüße


    s.


    oweia - die Biographie kommt ja garnicht gut bei dir weg !
    völlig uninspiriert kam sie mir nicht vor, wenn die Details auch mich verwirrten und die Fußnoten nur schwer einen Überblick gewähren. Doch im Gegensatz zu der Biographie von Ronald Hayman, die ich persönlich für sehr unübersichtlich halte, war ich mit Tadie dann doch sehr zufrieden. Ich fand mich schneller bei Tadie zurecht.
    (Unzufrieden bin ich über die Qualität des gebundenen Buches; die Bindung bricht sehr leicht)


    Tadié erinnert mich an einen Mitstudenten, ein wandelndes Lexikon, gefüllt mit Fakten bis unter die Hirnschale, dessen größte Freude es war, dem Professor eine falsche Jahreszahl nachweisen zu können. Solche Leute werden später professionelle Leserbriefschreiber, bessern Tippfehler in Internetforen aus oder durchforsten den Kulturteil von Onlinezeitungen, um sich bei Entdeckung einer falschen Jahreszahl vor Freude einzunässen. Vom enzyklopädischen Wissen einmal abgesehen war er ein beachtlicher Einfaltspinsel, dem es gänzlich an Haus- bzw. Sozialverstand mangelte.


    Tadié beschreibt und beschreibt, ich erfahre alles über Äußerlichkeiten, kein Leberfleck bleibt verborgen - und wäre am Revers von Proust eine Nadel angebracht, er würde mir die genaue chemische Zusammensetzung nennen. Und so habe ich eine wunderbar detaillierte Außenaufnahme, eine Fotographie dessen, der die Recherche geschrieben hat. Auf diese Weise aber hätte er auch den Kutscher seines Großonkels beschreiben können.


    Das Buch mutiert zum bloßen Nachschlagewerk; gestern habe ich mit Hayman begonnen. Erst wenige Seiten gelesen, aber der erste Eindruck ist so schlecht nicht. Verwirrend vielleicht (wenn man die Recherche kennt, dann liest sich's - bislang - leicht), in jedem Fall angenehmer als Tadié. Was hat dir, JMaria, bei Hayman missfallen?


    Grüße


    s.


    Die Bindung beider Bücher ist im übrigen sehr gut; selbst wenn ich Tadié ein wenig rücksichtslos behandelte, er würde es überstehen.

    Hallo!


    Von den dümmlichen, psychoanalytischen Einsprengseln einmal abgesehen --- (so will Marcel natürlich mit Maman kopulieren, wenn er mit ihr im Freibad ist, in "einer Überschreitung gleich jener Urszene [...] gibt sich die fast nackt erblickte Mutter-Aphrodite dessen [Zeus'] Verlangen hin", was nun darin begründet sei, dass Proust im Santeuil die Mutter mit Venus vergleicht, welche nichts anderes als "das Verlangen des Zeus" ist, wodurch das "Wasser nichts anderes ist als sein immer wieder schuldiges, immer wieder bestraftes und immer von neuem entstehendes Verlangen". Bei so viel Blödsinn braucht man schon einen guten Magen) --- Tadié wird der Stofffülle einfach nicht Herr:


    Aus dem umfangreichen Detailwissen ein organisches Ganzes zu machen ist eine hohe Kunst - und er beherrscht sie offenbar nicht. So kommt es ständig zu Ausführungen der Art, dass ein Bekannter des Vaters ein Werk geschrieben habe, das von x renzensiert wurde, wobei die Schwester des x den y geheiratet hat, dessen Hund z gebissen habe. Z nun wiederum ... usf. Tadié sollte sich ein Beispiel an Harpprechts Mann-Biographie nehmen, der auf rund 2000 Seiten nur ganz selten (bei der Emigrationszeit) über die Stränge schlägt und ein Zuviel an Detailinformation präsentiert. Harpprecht aber spielt ganz offenbar in einer anderen Liga, er ist kein Nur-Biograph, sondern ein umfassend gebildeter, intelligenter, mit einem Gutteil an Hausverstand gesegneter Autor, etwas, was Tadié (nämlich Hausverstand) völlig fehlt.


    Grüße


    s.

    Hallo!


    Jean-Yves Tadiés Biographie begonnen (einige 100 Seiten gelesen) - und alles andere als begeistert. Er wird der Materialfülle nicht im geringsten Herr, seine Manie, alle irgendwie auch nur im entferntesten mit der Sphäre Prousts in Berührung kommenden Personen aufzuzählen, nimmt zeitweise grotesk-komischen Charakter an. Etwa im Unterkapitel Madame Arman de Caillavet, wo eine halbe Seite Namen an Namen gefügt werden, sinn- und zwecklos, als ob man ein Telefonbuch memorierte.


    Tatsächlich ist diese Biographie nichts anderes als eine ins Kraut geschossene Seminar- oder Diplomarbeit, Abertausende von Fußnoten, eine Unmenge an Sekundärliteratur, aber völlig uninspiriert, sodass man den Eindruck hat, "Daten der Welt-(Proust-)Geschichte" zu lesen, ein chronologisch geordnetes, enzyklopädisches Machwerk, das das Leben und Werk Prousts unter einer Fülle von (häufig belanglosen) Einzelheiten völlig untergehen lässt. Und wenn der Autor tatsächlich einmal von seinem studentischen Schreibstil ablässt, ist es allzu offenkundig, dass er so gut wie nichts von Werk, Motivation, Leben Prousts verstanden hat. Er scheint ein braver Philologe zu sein, ein biederer Arbeiter mit psychoanalytischem Einschlag. Das Ergebnis ist entsprechend langweilig - und dort, wo Tadié auf seine akademische Aufzähl- und Sammelwut verzichtet, von beachtlicher Simplizität.


    Grüße


    s.


    Vielleicht ist Proust ein ähnliches Schicksal beschieden wie Kafka, über den man auch nur psychoanalytische Termini liest, die mit einem Menschen (welchem auch immer) bestenfalls zufällig etwas zu tun haben. Der Proustleser kennt die Episode des kleinen Jungen, dessen Angst, wenn auch nur scherzhaft, an den Locken gezogen zu werden. Eine Angst, die erst durch die abgeschnittenen Haare behoben wird. "Was ist diese Angst, auf das Haar Samsons übertragen, anderes als die Angst vor der Kastration?" Ich habe die Stelle bei Tadié mehrfach gelesen, um der Ironie auf die Spur zu kommen: Vergeblich. Ich wusste gar nicht, dass man auch heute noch ernsthaft und mit Verve solchen Unsinn vortragen kann. (Das kurze Kapitel über Onanie enhält ähnlichen Unsinn, vor allem dort, wo es Bezug auf das Werk nimmt, den Jean Santeuil, wo dann gleich Iris- und Fliederduft als Sinnbild für Selbstbefriedigung stehen.)


    Insel 881 - 890, die "Die Chronik der Sperlingsgasse" erschien schon früher (Insel 370), gehört nicht zu dieser Serie. Es fehlt dir also:


    Bd 1 (it 881): Stuttgarter Erzählungen
    Bd 2 (it 882): Krähenfelder Geschichten
    Bd 3 (it 883): Horacker
    Bd 5 (it 885): Im alten Eisen
    Bd 9 (it 889): Hastenbeck


    Grüße


    s.


    Deshalb habe ich wohlweislich auch nicht Josef und seine Brüder erwähnt, sondern den Film Die zehn Gebote mit Charlton Heston als Gott. :breitgrins: Aber ist das dann eine schöne Ergänzung zum 2. Buch Mose? - Geschmacksache!


    Tja, ich werde den Verdacht nicht los, dass wir mit unseren (rein zufällig gewählten) Beispielen unterschiedliche Ziele verfolgen ;).


    Den Film kenn ich nicht; nur der, der da Gottvater verkörpert, ist mir als Vertreter der Waffenlobby ein Begriff. Man könnte, fällt mir da im Schreiben ein, den Vogel ja wieder auf den Berg Sinai verfrachten und auf eine der dort umherschwirrenden Boden-Boden-, Boden-Luft- oder sonstwie startbaren Raketen hoffen, auf irgendetwas Sprengstoffliches, das sowohl dem Beduinengott als auch dem Waffenlobbyisten den Garaus macht. Wobei es egal wäre, ob das Geschoß israelischer oder palästinensischer Herkunft wäre. (Anschließend würden sie sich dann wohl wieder in der Haare geraten darüber, wer denn nun das Verdikt Nietzsches erfüllt habe.)


    Grüße


    s.


    So ging es mir leider mit dem gesamten Werk, lieber Scheich. Aber Ransmayr erhält eine zweite Chance mit seiner Letzten Welt.


    Überrascht mich wirklich. Trotz dieser Konstruktionsschwächen ist Morbus Kitahara doch ein Buch, das sprachlich überzeugt und eine sehr eindrückliche Atmosphäre besitzt. Von den neueren Büchern kenne ich nicht alles (beim "Fliegenden Berg" konnte ich mich der Lobeshymnen nicht so ganz anschließen); die für mich besten waren die erwähnte "Letzte Welt" und "Der Weg nach Surabaya" (Reiseessays). Aber auch "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" habe ich sehr gerne gelesen. Ransmayr behandelt häufig Menschen in Extremsituationen, macht dies aber sehr behutsam, wirkt nie reißerisch. Und beeindruckt (mich) durch eine sehr genaue Sprache.


    Vielleicht versöhnt dich die Beschreibung der metamorphosen, ovidschen Einsamkeit in Tomi.


    Grüße


    s.


    Das Video ist wirklich gut gemacht, meine tiefländliche Internetverbindung geriet allerdings einigermaßen ins Schwitzen beim Laden ;)

    Hallo!


    Das hier ein der Semantik geschuldetes Problem vorliegt habe ich vermutet ;). Es lag offenbar an der "Vorbereitung", die da suggeriert, dass Ovid zum Steigbügelhalter für Ransmayr degradiert würde. Das sollte selbsredend nicht zum Ausdruck kommen. Allerdings: Könnte man, deine Nachbesserung berücksichtigend, extrapolieren und sagen, dass "Josef und seine Brüder" eine ideale Ergänzung zur Genesis sind? :breitgrins:



    Das von dir empfohlene Buch kenne ich nicht. Habe gerade bei Youtube eine sehr schöne Puppenspiel-Szene nach der Letzten Welt gesehen mit vorgelesenen Passagen aus dem Buch. Hat mich sehr angesprochen! Danke für den Tipp!


    Deinen Lesegewohnheiten und Beurteilungen nach zu schließen vermute ich, dass dir die "Letzte Welt" tatsächlich ausgezeichnet gefallen wird. Allerdings: Ich hätte auch vermutet, dass Sir Thomas "Morbus Kitahara" gefallen würde, ein Buch, bei dem ich einzig die Rahmenhandlung bzw. den Schluss konstruiert, aufgesetzt empfand. Und ja, ich schätze Ransmayr, wenngleich ich seine Flattersatzversuche im "Fliegenden Berg" als nicht wirklich gelungen bezeichnen würde.


    Grüße


    s.

    Da musste ich doch etwas schmunzeln. Ovids Metamorphosen als Vorbereitung für Ransmayrs Letzte Welt? Nicht umgekehrt? Das ist ja fast so als würde einem geraten, zur Vorbereitung für Die zehn Gebote von Metro Goldwyn Meyer die Bibel zu lesen.


    Weil viele der Gestalten aus den "Metamorphosen" mehr-weniger verfremdet in der "Letzten Welt" vorkommen. Und wenn man ihre Originalfunktion nicht kennt, man auch die Funktion bei Ransmayr nur schwer versteht.


    Ich sehe daran gar nichts Besonderes: Ist doch auch die Kenntnis des Neuen Testamentes vor der Lektüre von Saramago oder Kazantzakis anzuempfehlen, genauso das erste Buch Mose vor "Josef und seine Brüder". Und die Ilias vor Christa Wolfs Kassandra und und und ... Gerade die ganzen antiken Stoffe sind häufig zum Verständnis rezenter Literatur notwendig. Und da sollte man selbstverständlich jene vor dieser lesen. Wie nicht???


    Grüße


    s.


    Würde man es umgekehrt machen, verstünde man viele Bearbeitungen, Verfremdung, Ironisierungen überhaupt nicht. Den Einwurf kann ich nun gar nicht nachvollziehen.

    Hallo!


    Heute auf Ö1 einen Bericht über bzw. ein Interview mit Harry Mulisch gehört. Sympathiewerte einer Darmspülung, arrogant, dumm, protzt damit, dass er mit 2000 Frauen geschlafen hätte wie ein Dorfdiscokönig und dass alle ihn Kritisierenden nur neidig auf seine schriftstellerischen Fähigkeiten seien. Puh, der wird's schwer haben beim Wiederlesen, so etwas völlig auszublenden gelingt mir meist nicht (auch wenn Arschlochexistenzen durchaus zu guten schriftstellerischen Leistungen fähig sind).


    Grüße


    s.


    Jetzt bin ich aber leicht erstaunt. Gerade von Dir hätte ich ein paar abfällige Bemerkungen über dieses Buch erwartet. :wink:


    Ich war eigentlich auch erstaunt, denn nach dem, was da von euch kam, klang das nach handfester Abfälligkeit ;). Ich habe mein - möglicherweise rudimentäres - Gedächtnis bemüht, aber nichts allzu Negatives zutage fördern können. Allerdings liegt die Lektüre sicher über 15 Jahre zurück und fällt in eine Zeit, in der ich für's Lesen relativ wenig Zeit erübrigen konnte. Angesichts der Tatsache, dass ich gerade deine (Anna Magdalenas) Beurteilungen sehr zu schätzen weiß, neige ich zur Annahme, dass du mit deinem Verdikt näher an der Realität liegst ;). (An das "supergescheite Komakind" habe ich etwa so gar keine Erinnerung mehr - und gerade solche Konstruktionen fallen in der Regel der Verdammung anheim. Das Buch steht noch im Bücherschrank. Ob ich mir durch Wiederlesen das Schwinden meines Erinnerungsvermögens als auch meine mangelnde Kritikfähigkeit offiziell bestätigen lassen sollte?)


    Grüße


    s.

    Zum einen sollte eine Leseempfehlung nicht fehlen bei dieser Runde: Ransmayrs "Die letzte Welt", ein wirklich hervorragendes Buch, das die Zeit der Verbannung in Tomi behandelt und für dessen Lektüre die "Metamorphosen" eine ideale Vorbereitung darstellen.


    Zur Verbannung Ovids (die sich wohl nie mehr ganz klären lassen wird): Er dürfte ob seiner erotischen Gedichte schon früh sich den (noch verhaltenen) Zorn des Augustus zugezogen haben (außerdem hätte er der iulischen Gesetze wegen nicht nur wegen eines seiner freizügigen Werke eingesperrt werden können, hatte aber wohl einflussreiche Fürsprecher); entscheidend scheint schlussendlich die Verwicklung in eine delikate Geschichte mit der Kaisertochter Julia gewesen zu sein, die zur gleichen Zeit verbannt wurde.


    Grüße


    s.

    So gar gräulich habe ich "Die Entdeckung des Himmels" nicht in Erinnerung, eine Art phantastischer Realismus, der den Südamerikanern zwar meist besser gelingt - aber fürchterlich? Hingegen fand ich "Die Prozedur" schlimm, eitel, selbstgefällig, pseudointellektuelles Gewäsch.


    Grüße


    s.


    ich kann dir OmegaGreen empfehlen.


    Ich bin dieser deiner Empfehlung gefolgt und habe sie für gut befunden :smile:. Beim Orange hatte ich ähnliche Probleme: Je nach Bildschirm war es doch recht knallig.


    Grüße


    s.


    War auch nur als Scherz gemeint, obwohl "Zuckerwatte" nicht das ist, was ein Dichter über sein Werk hören will. Aber Deine Bemerkung war sicher nicht der Grund für Evas Ausstieg.


    Dich als Beitragschreiberin berücksichtigend hatte ich durchaus die Vermutung, dass es so ernst nicht gemeint war ;). Aber nachdem schon Gontscharow die Watte als ein wenig despektierlich gebrandmarkt hatte, wollte ich nur zum Ausdruck bringen, dass dies alles "so" nicht (oder nur ein gaaaaaaaanz klein wenig) beabsichtigt war ;).


    Grüße


    s.

    angesichts der Tadie Biographie fällt mir ein: Wieviel Intimes wollt Ihr von einem Autor wissen? Und ist es wichtig für das Werkverständnis, zu wissen, welche eventuell ausgefallenen, ungewöhnlichen sexuellen Vorlieben der/die Autor/in hatte?
    :winken:


    Mich interessieren biographische Informationen außerordentlich, weil sie manchmal/häufig zum besseren Verständnis des Werkes beitragen. Meist will ich, sobald ich ein Buch zu lesen begonnen habe und es mir einigermaßen gefällt, etwas über den Hintergrund, das Leben des Autors wissen (wenn ich dieses Wissen nicht schon vorher erworben habe): Lese ich Kertesz (oder Hilsenrath), will ich etwas über ihr reales Leben unter dem NS-Regime wissen, wobei sich die Neugier nicht bloß auf potentielle Opfer sondern auch die Täter, ev. Mitläufer bezieht (so stellten wir uns im anderen Forum vor kurzem die - noch unbeantwortete Frage - warum Hans Erich Nossack nicht in der Wehrmacht war. Nossack war aber mit Sicherheit kein Nazi, sondern vor dem Krieg bekennender Kommunist, der aber aus irgendwelchen Gründen offenbar nicht zur Wehrmacht eingezogen wurde. Solche Fragen stellen sich m. E. ganz automatisch beim Lesen ein.) Es ist - für mich - ein Unterschied, ob etwa Kertesz das Leben in Buchenwald aus eigener Erfahrung oder anhand fremder Berichte beschreibt.


    Ab und zu hat ein solches Hintergrundwissen auch eine amüsante Note: So führt alle Welt, wenn von Eifersucht die Rede ist, Proust im Munde - aber nicht alle wissen, dass die gute Albertine ein Albert war. (Zusammengesetzt aus ... und ..., ich weiß, dass es so einfach nicht ist ;)). Amüsant insofern, als dass es auch heute noch genügend Menschen gibt, bei denen die Vorstellung homosexueller Liebe dumm und klischeebehaftet ist - und die durch eine solche Beschreibung einer vorgeblich heterosexuell konnotierten Vorstellung von Beziehung, Liebe, Eifersucht - vielleicht (leider nur vielleicht) ins Grübeln kommen könnten.


    Grüße


    s.

    Das klingt reichlich harsch. Sicher kippt es bei Rilke manchmal ins Süßliche um. Ich erinnere mich da beispielsweise an das „Florenzer Tagebuch“, wo ihn irgendwelche Blumen (Stiefmütterchen, Margariten, Ranunkeln?) ernst anschauen, als ob sie ihm einen Auftrag erteilen wollten oder so ähnlich. Bei solchen Stellen bin ich immer etwas peinlich berührt. Auch wenn er auf junge Mädchen oder Frauen zu sprechen kommt, geht es mit Rilke regelmäßig ein bisschen durch. Aber ätherische Zuckerwatte? Du scheinst mit Lyrik wirklich nicht viel anfangen zu können.


    Das stimmt nicht ganz so (aber teilweise). Ich habe ausdrücklich das Liebesgedicht gelobt.


    Mich wundert auch, dass Eva so sang- und klanglos entschwunden ist und auch noch all ihre Beiträge nachträglich gelöscht hat. So hätte ich sie gar nicht eingeschätzt. Wahrscheinlich ist sie von unserer unergiebigen und unsensiblen Leserunde enttäuscht. Oder lag es an scheichsbeutels „ätherischer Zuckerwatte“? Dieses abfällige Urteil kann einen Rilkeverehrer aber auch in den Grundfesten erschüttern. :rollen:


    Sollte dies tatsächlich daran gelegen haben tut es mir leid. Andererseits habe ich Teile des Buches vorher explizit gelobt und finde die "Zuckerwatte" nun so schlimm auch nicht. Als "harsche" Kritik wollte ich das nicht verstanden wissen.


    Grüße


    s.


    Ich habe übrigens inzwischen das Buch zu Ende gelesen. Im Nachhinein gesehen war der Anfang eigentlich noch das Interssanteste, für mich besser zu Lesende und auch zu Verstehende. Gerade zum Ende hin schreibt Rilke viele Abschnitte über Personen, die ich mir kaum bis gar nicht erschließen kann [...]


    Ich habe das ganz ähnlich empfunden. Einige Passagen über Paris, über den Tod fand ich ganz wunderbar, der lakonisch-traurige Tonfall auf den ersten Seiten, das in den Händen liegen bleibende Gesicht, Beschreibung von Gerüchen, Geräuschen, später das Gedicht (Lied) über entsagende Liebe. Aber immer öfter inhaltsleere Sätze, Sätze, die auch mehrfach gelesen nur Sinn ergeben, wenn man die entsprechende Sekundärliteratur zwecks Exegese zur Verfügung hat (wenn sie überhaupt dann Sinn ergeben bzw. dieser Sinn nicht erst von den Kommentatoren konstruiert wird). Wobei ich es für einen Makel halte, wenn für das Verstehen beinahe jeden Abschnitts eine umfangreiche Erläuterung vonnöten ist.


    Das mit den Ab- und Anmeldungen sehe ich ähnlich (nebst Löschen von Beiträgen) - und ich kann das auch nicht nachvollziehen. Wobei es meiner Erfahrung nach als Administrator häufig dieselben sind, die sich unter verschiedenen Identitäten vorstellen und die darauf vergessen, dass man allein über die IP schon feststellen kann, dass x nun als y und früher als z geschrieben hat (für dieses Forum bleibt das für mich natürlich bloße Vermutung). Ärgerlich ist, dass durch das Löschen der logische Zusammenhang einer Diskussion verloren gehen kann.


    Grüße


    s.


    Wahrscheinlich ist es das, und mir scheint noch, dass Rilke weltabgewandter war und nicht so abgesichert wie es Proust war.


    Rilkes (angebliche) Armut wurde von ihm selbst in Briefen und diversen Klagen in die Welt gesetzt und entsprach keineswegs der Realität (s. Donald A. Prater: Ein klingendes Glas; eine sehr gelungene Rilke-Biographie). Auch führte er - bis auf seine letzten, durch Krankheit bestimmten Lebensjahre - keineswegs ein Eremitendasein, wobei auch Proust nicht dem verbreiteten Klischee entsprach, 10 Jahre in seinem verdunkelten Räumen wegen Krankheit eingeschlossen gewesen zu sein und ausschließlich seiner Recherche gedient zu haben.


    Grüße


    s.