Beiträge von scheichsbeutel^


    Bei solchen Zitaten muss man natürlich auch erwähnen, dass Ecce homo von 1888 stammt und dass Nietzsche im Januar 1889 einen geistigen Zusammenbruch durch progressive Paralyse erlitt, wie man vermutet war Syphilis die eigentliche Ursache und bis sich Syphilis so weit entwickelt hat, dass ein geistiger Zusammenbruch eintritt, vergehen Jahre die dann meist zunächst durch Schwachsinn später aber auch durch Wahnsinn geprägt sind.


    Angesichts der Tatsache, dass noch heute Millionen Menschen daran glauben, vor 2000 Jahren habe der Heilige Geist ein semitisches Hirtenmädchen besprungen, worauf diese dann bei unversehrtem Hymen einen Gott gebar, hielt sich Nietzsche trotz progressiver Paralyse doch erstaunlich gut und präsentiert sich - Syphilis hin oder her - auch in dem erwähnten Satz geistig gesünder denn die erwähnten Anhänger der Parthenogenese.


    Grüße


    s.


    Jedenfalls finde ich das Schädigen öffentlichen Rufes von Schriftstellerkolleg(Inn)en eine eitle und neidische Angelegenheit, besonders, wenn es tote Schriftstellerkolleg(Inn)en betrifft, die sich nicht mehr verteidigen können. Bücher solcher Rufmörder werde ich nicht lesen, ich will doch keine Beihilfe leisten. Ist es nur eine Unsitte dieser Tage, oder ist es eine alte Unsitte, die jetzt besonders um sich greift? Auch die Literatur hat also ihre Neiddebatten und ihre Profilierungssüchtigen. Alles menschlich, allzumenschlich, aber ohne mich. FA


    Das ist doch kindisch, würde es doch bedeuten, dass mit Einsetzen der Verwesung ein literarisches "santo subito" ausgesprochen würde und man den inkriminierten Schriftsteller - und habe er noch so Gräuliches verbrochen - nicht mehr kritisieren dürfte. Nur weil jemand das Zeitliche gesegnet hat, ändert sich doch nicht die Qualität des Geschriebenen. Tot zu sein ist mithin keine Eigenschaft, die von Kritik befreit. :rollen:


    Grüße


    s.


    Wo liegen denn die Unterschiede? Die der Leseweise? In der Quantität wohl hoffentlich nicht. NOCH weniger als ich kann man nicht lesen. ;-) Ich lese fast nie parallel, sondern nur sequentiell.


    Und die des Geschmacks? Du nur Klassiker?


    Hallo Markus,


    Unterschiede - etwa im Leseverhalten. Nicht so sehr "sequentielles" oder "paralleles" Lesen (typischerweise gehörst du zu ersten Gruppe und ich zur zweiten), sondern im Leseplan, im "Abarbeiten" deiner Lesevorhaben, Dinge, die ich mir so nie vorstellen könnte. Etwa eine bestimmte Anzahl Bücher pro Zeiteinheit zu lesen oder sich derlei auch nur vorzunehmen.


    In der Rezeption: Bei dir erfahre ich meist nicht, wie du die einzelnen Bücher beurteilst oder ob sie dir überhaupt gefallen haben. Du zitierst aus Büchern, meine (nur sehr eingeschränkt öffentlichen) Notizen sind solche _über_ Bücher, mir ist das einzelne Zitat Anlass für Kommentare.


    In der Auswahl: Mehr als die Hälfte des Gelesenen sind bei mir Sach- und Fachbücher, Sekundärliteratur. In der Belletristik unterscheidet sich unser Leseverhalten nicht allzu sehr, ich lese zwar relativ viel Klassiker (von denen allerdings nicht wenige m. E. ein heute bloß noch literarhistorisches Interesse beanspruchen können, aus welchem anderen Grund man etwa Heyse oder Zola heute noch lesen sollte entzieht sich meiner Kenntnis), aber auch "moderne" Autoren (zumeist cum tempore: 10 Jahre ++ nach ihrem ersten Erscheinen).


    Skeptisch stimmt mich auch dein bekennendes Hessetum: Ich kann mir einfach nicht vorstellen, was man in der nach-adoleszenten Lebensphase an ihm noch finden kann. Ich will das hier nicht wieder alles erörtern (und habe das in einem anderen Thread teilweise auch schon getan, wo ich mich über die Tatsache verbreitet habe, dass sowohl Pippi Langstrumpf als auch Harry Haller irgendwann als Ideal einer natürlichen Entwicklung zum Opfer fallen), ich halte Hesse für einen wunderbaren Einstieg in die Literatur (bei Jugendlichen), weil er neben den anarchistischen Versatzstücken (Drogen- und Gewaltexzesse etwa im Steppenwolf) auch die Liebe zu Büchern, Wissen, Literatur zu vermitteln versteht (etwa in Narziss und Goldmund), Hesse entspricht auch der Zerrissenheit dem Heranwachsenden zwischen Leben-Wollen und melancholisch-morbider Entsagungsattitüde. Dass man derlei aber mit 40 auch noch schätzt, kann ich nur schwer verstehen. (Wenn ich mich mal als Psychologe betätigen darf: Ich vermute bei dir eine Art von Dankbarkeit für Hesse, Dankbarkeit für das Erwecken der Liebe zu Büchern, für das Eröffnen dieser ganzen Welt der Literatur. Und aufgrund dieser Tatsache ist er auch in seinen Büchern sakrosankt, denn ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass etwa der "Steppenwolf-Traktat" mit seinen Einsamkeits- und Unverstandenheitsergüssen dir immer noch als "große" Literatur erscheint. Vielleicht liegt aber das auch an meinem mangelnden Vorstellungsvermögen ;)).


    Grüße


    s.


    Diese Resonanz tut sehr gut.


    Ich kann für mich nur feststellen, dass ich, trotz unserer offenkundig völlig verschiedenen Leseweise und eines teilweise ebenso unterschiedlichen Geschmacks, sicher schon rund 10 Bücher einzig deshalb gelesen habe, weil du sie erwähnt bzw. auf deiner Seite daraus zitiert hast. Wenn also der Sinn deiner Postings u. a. darin besteht, andere zur Lektüre bestimmter Bücher anzuregen, so hast du ihn in Bezug auf meine Person erfüllt.


    Grüße


    s.


    Von der Biografie die R. Friedenthal geschrieben hat, kenne ich nur die ersten Kapitel, aber wenn sie insgesamt so wie seine Luther und Hus Biografien ist, dann ist sie auch ein Schmuckstück.


    Da kann ich nur zustimmen. Friedenthal erfüllt genau die von Librerio gewünschten Anforderungen.


    Grüße


    s.


    Diese ökologischen Endzeitszenarien füllen mittlerweile sicher einige Regalmeter, was die Ransmayersche Kunst nicht abwerten soll, denn: Trotz aller Kritik habe ich große Teile der "Letzten Welt" durchaus gern gelesen.


    Manchmal muss es eben "Kitsch" sein ... :zwinker:


    Hmm - als "ökologisches Endzeitszenario" hab ich das gar nicht empfunden. Ich zweifle auch, ob es so gemeint war, allerdings müssten wir, um dies zu verifizieren, Ransmayr eine Anfrage schicken.


    Diesen Ethnokitsch für den aufgeschlossenen Sozialarbeiter habe ich etwa bei Aitmatov gefunden (z. B. in dieser unsäglichen Lagerfeuerliebesgeschichte Dshamilja, die als ach so romantische figuriert, sprachloses Gitarrengeklimper mit verträumt tiefsinnigem Blick wie bei einem Jungscharzeltlager; der "Schneeleopard", mir nur in Teilen bekannt, soll noch schlimmer sein). Aber du hast schon Recht: Manchmal muss es Kitsch sein - und wenn er in Ransmayrscher Verkleidung daherkommt, so ist das so schlimm nun gar nicht ;).


    Grüße


    s.


    Kein Smilie? :breitgrins:


    Mein Fehler :smile: - ich meinte die Tageszeitung "Österreich", die das Unglaubliche geschafft hat, das Niveau der Kronenzeitung oder der BILD noch zu unterbieten. - Österreich (das Land) als Gesamt"Kitsch"-Werk? In weiten Teilen (Lederhosenarchitektur und Lippizanergehopse mit Sisy-Rufen untermalt; zwischen schneebedeckten Berggipfeln lässt man noch Thomas Bernhard mit Gamsbarthut erscheinen) möglich - und wohl ganz ohne Smilie.


    Grüße


    s.

    Zu Ransmayr und Kitsch:


    Bei der Kritik an Ransmayr monierst du (wie schon in einem früheren Posting) die Tatsache, dass er die Ovidschen Figuren verwendet (die er teilweise modifiziert, aber in ihren Grundhaltungen kaum ändert). Das, wie schon erwähnt, lässt sich bei der Aufarbeitung eines alten Stoffes nun mal nicht ändern, konstituiert im Gegenteil sogar eine solche Aufarbeitung. Und dass diese Figuren jene Eigenschaften beibehalten, für die sie teilweise namensgebend wurden, ist nun auch nicht wirklich überraschend. Famas Gemüseladen als Tratschzentrale ist einer ähnlichen Überlegung geschuldet, die es den meisten Don Juan Nachdichtern gefallen ließ, denselben nicht als Zölibatär auftreten zu lassen. Tereisias bleibt meist Seher, Ödipus hat einen Hang zu älteren Damenm häufig verwandt. Ad infinitum.


    Nicht die Tatsache an sich, sondern das Wie der Darstellung kann einzig kritisiert werden. Im Gegensatz zu dir empfand ich es als keineswegs platt, sondern sorgfältig durchkomponiert. Mir gefiel dieses Spiel mit den "ewigen" Geschichten, die sich da immer mit nur geringfügigen Veränderungen wiederholen, eine implizite Anerkennung der zeitlosen Schönheit der Metamorphosen, die alles Menschliche abzudecken vermögen. Und mir gefällt auch Ransmayrs Sprache, die sehr genau zu sein pflegt, keineswegs eine Art Kunstprosa (auch im Sinne des Malte) darstellt (dem man im übrigen den Kitschvorwurf sehr viel leichter zu machten vermöchte - denn teilweise erinnert er doch auch an den "Cornet" - und dieser ist nun wirklich süßlich).


    Ransmayr behandelt m. E. auch kein Modethema, er bedient sich zumeist ähnlicher Szenarien: Das Ausgeliefertsein des Menschen gegenüber einer fühllosen Natur, spezifisch Menschliches angesichts einer Umwelt, einer Ewigkeit, vor der alle diese Eitelkeiten sich ein wenig lächerlich ausnehmen. Gerade auch die Landschaftsdarstellungen, Stimmungen dieser Gegend sind - m. E. - hervorragend beschrieben, Beschreibungen, die mich wohl auch deshalb beeindruckten, weil ich längere Zeit auf einer Ägäisinsel zugebracht habe und die Unwirtlichkeit dieser Gegend jenseits aller Touristenzentren in der kalten Jahreszeit erfahren habe. Die Gegenüberstellung Mensch - Natur ist charakteristisch für Ransmayrs Bücher (Die Schrecken des Eises und der Finsternis, Morbus Kitahara, Der fliegende Berg).


    Der Musilsche Text über den Kitsch hat nur wenige Seiten (allzu lang sollten als die in Frage kommenden Winterabende nicht sein). Ich habe ihn v. a. deshalb zitiert, weil er auf treffende Weise die Schwierigkeit der Definition von "Kitsch" mit seiner mathematisch anmutenden Umschreibung zeigt. Vor allem scheint Kitsch (und darauf will Musil u. a. hinaus) keine Sache an sich zu sein, sondern muss im entsprechenden Zusammenhang gesehen werden. Das man den von dir zitierten Satz als Kitsch bezeichnen könnte, liegt auf der Hand: Solche Beispiele ließen sich aber immer finden - so könnte allein der Titel des zweiten Buches der Recherche (Im Schatten junger Mädchenblüte) auch für ein Werk Hedwig Courths-Mahlers dienen. Und mit kitschverdächtigen Rilkezitaten kann man Hundertschaften erschlagen.


    Aber nicht nur der textuelle Kontext ist gemeint. Musils Beispiel der singenden Donkosaken, die er als reines Gemälde, dann lebendes Bild sieht und schließlich in den Schützengraben des Ersten Weltkrieges versetzt ist ein gut gewähltes Beispiel. Ich habe auf Verliebtheiten hingewiesen. Die Tatsache des Erlebens macht aus dem Kitsch Wirklichkeit - und indem er Wirklichkeit wird, bleibt seine Kitschigkeit auf der Strecke. So blättert das Leben den Kitsch vom Leben - und ob aus ihm Kunst wird, ist wieder eine ganz andere Frage. Wenn er aber Kunst wird, muss er eine Art Mehrwert für sich beanspruchen können, ein etwas, das über das bloße Faktum hinausweist, sonst wird die Geschichte von Frau Pilcher geschrieben und dem ZDF verfilmt. <b>Alles</b> nun eignet sich für eine solche Kunst, wenn es denn einen Künstler gibt - nochmal das Recherche-Beispiel: Warum kann Proust den Leser mit seinen pubertären Eifersüchteleien faszinieren, mit diesen eigentlich mehr als langweiligen Beziehungen zwischen Swann und Odette, dem Erzähler und Gilberte (was für eine im Grunde trivial-dümmliche Jugendliebe) bzw. Albertine? Weil er eben die Sprache, die geeigneten Bilder findet, Nuancen zutage fördert und so die eigentlich profane Qual des verliebten Pubertierenden auf eine höhere Ebene stellt.


    Und natürlich gibt es individuelle Unterschiede des Kitschempfindens (in der Kunst als auch im Leben). Was vor allem in der Kunst ein Mensch als Kitsch empfindet, ist sehr stark davon abhängig, inwieweit dem Kunst- bzw. Kitschkonsumenten "nichts Menschliches" fremd ist, inwieweit er sich auf sich selbst einzulassen vermag (wobei manchmal halt auch wenig da ist, worauf der/die Betreffende sich einlassen kann), inwieweit er seine Beweg- und Abgründe analysiert, dies will und kann (wobei ein temporär - etwa durch Alkohol - beeinträchtigter Geisteszustand durchaus aus einem an und für sich nicht zu Trivialitäten neigenden Menschen einen dumm-kitschigen Zeitgenossen zu machen vermag, der dann auf genau so einfach-reduzierte Weise funktioniert wie es für viele Leute der Normalzustand ist). Broch (glaub ich) hat Hitler als kitschig bezeichnet (und also den Kitschbegriff auf andere Vereinfachungen angewandt), womit etwa Tageszeiungen wie BILD, Kronenzeitung oder Österreich als Inbegriff des Kitsches zu verstehen werden.


    Grüße


    s.


    @scheichsbeutel:




    Danke! Ich bin so erleichtert! Schon die bei dir sonst unübliche inflationäre Verwendung von Smilies zeigt mir, dass ich beruhigt sein kann, oder?


    Kannst du ;). Die durchaus bewusste Inflation der Grinsegesichter sollte das tatsächlich klar machen. Ich neige überhaupt relativ wenig zum Übelnehmen, manchmal aber zur Ignoranz, wenn ein Urteil über ein Buch mir seitens des Betreffenden einen Zugang zur Literatur offenbart, der wenig oder gar nichts mit meiner Rezeption zu tun hat. Denn das führt zu fruchtlosen Grundsatzdiskussionen. Ansonsten sind solche unterschiedlichen Urteile eher befruchtend, zeigen Sichtweisen, die - aus welchen Gründen auch immer - andere Lesarten nahelegen (wenn man diesen auch nicht unbedingt zustimmen muss - aber selbst der Widerspruch zwingt den Schreiber, sich mit eigenen Meinungen noch einmal auseinanderzusetzen, was denn wohl zum Sinn und Zweck von Foren gehört).


    In der Tat nicht, tut das jemand? Ich wollte damit sagen: die Metamorphosen beflügeln die Phantasie, das muss aber ja nicht gleich in ein Buch ausarten. Ich schreib ja auch nicht über den Piccolo-Abruzzo- Betreiber. Es war zudem ein nicht ganz ernst gemeinter Einwurf!


    Ansonsten: Wie gesagt, mich stört vor allem die Verwurstung des armen Ovid und die Beliebigkeit und Bescheidenheit des Endprodukts.


    Das mit dem "überall anzutreffenden Reinkarnationen" Ovidscher Provenienz klang schon nach einem solchen Vorwurf. Was die Bescheidenheit betrifft sind wir verschiedener Meinung, ich fand - wie erwähnt - diese Art der Neufassung sehr gelungen, sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Bescheiden würde ich in einem positiven Sinn verwenden: Ransmayr erzählt sehr zurückhaltend, spielt mit den doppelten Figuren, nirgends aufdringliche Sinngebung, bemühtes Anbiedern an den philologisch Gebildeten (der man, um die Geschichte schätzen zu können, auch nicht zu sein braucht). Die doppelten (dreifachen? - denn einiges sieht erst in der Zukunft seiner Erfüllung entgegen) Zeitebenen sind sehr gelungen, spielen mit dem Ewigkeitstopos der Literatur, sind wohl auch als Hommage an die Metamorphosen zu verstehen.


    Vielleicht ist deine ablehnende Haltung auch darin begründet, dass du es nach der eben erfolgten Lektüre als eine Art Sakrileg empfindest, dass sich da einer an die "Verwurstung" des Themas gemacht hat (allerdings gibt es - vielleicht von der Bibel abgesehen - kein Werk, das öfter eine solche Verarbeitung erfuhr - ob in Literatur, Malerei oder Musik).


    Grüße


    s.


    Nachtrag 1: Ob mit "Trivia" nicht einfach eine bekannte Segeljachtform gemeint war? http://www.trivia.de/


    Nachtrag 2: Kitsch kann man Ransmayr m. E. nicht vorwerfen. Ein schöner Ausgangspunkt für eine solche Diskussion bietet Musil in den Unfreundlichen Betrachtungen, allerdings ist mir's jetzt zuviel, das alles abzutippen (und gemeinfrei wird der Kerl erst in zwei Jahren). Endet aber in folgenden Syllogismen:


    "Die Kunst blättert den Kitsch vom Leben.
    Der Kitsch blättert das Leben von den Begriffen.
    Und: Je abstrakter die Kunst wird, desto mehr wird sie Kunst.
    Je abstrakter der Kitsch wird, desto mehr wird er Kitsch.


    Zwei herrliche Syllogismen. Wer sie auflösen könnte!


    Nach dem zweiten scheint es, dass Kitsch = Kunst ist. Nach dem ersten aber ist Kitsch = Begriff - Leben. Kunst = Leben - Kitsch = Leben - Begriff + Leben = zwei Leben - Begriff. Nun ist aber, nach II, Leben = 3 x Kitsch und daher Kunst = 6 x Kitsch - Begriff.


    Also was ist Kunst?"


    Tatsächlich aber gehen seine Ausführungen weiter, er geht von einer Aufführung von Donkosaken aus und stellt diese in die Wirklichkeit eines Schützengrabens. Dann beginnt sich die Kitschdimension zu verändern und zu verlaufen, ähnlich vielleicht, wie es die meisten schon erlebt haben bei und mit Liebesgeschichten, die einzig dadurch, dass sie erlebt worden sind, plötzlich nicht mehr nur kitschig sind. "Das Leben ist gut, soweit es der Kunst standhält: was nicht kunstfähig am Leben ist, ist Kitsch!


    Aber was ist Kitsch?"


    Nochmals Grüße


    s.

    Hallo!


    Ich nehme nicht übel :smile:. Wobei: Einzelne Sätze als Beleg für - z. B. - Kitsch zu zitieren ist immer ein wenig gefährlich (natürlich: Meine Wenigkeit kann sich manchmal solcher Gemeinheiten auch nicht enthalten ;)). Um deine Kritik zu entkräften müsste ich wohl ein Wiederlesen der "Letzten Welt", vielleicht keine so schlechte Idee. Ich habe den Ransmayr als ein sprachlich sehr gelungenes, homogenes Ganzes in Erinnerung, die "Detektivgeschichte" als unwichtig, viele Passagen natürlich aus dem Original übernommen, aber in gelungener Weise modernisiert. Wenn man mir Postmoderne endlich schlüssig definieren könnte, würde ich möglicherweise auch mit dem Lang-Zitat mehr anzufangen wissen. (Bei solchen Sätzen polemischen Zuschnitts habe ich - auch aus eigener Erfahrung ;) - manchmal den Eindruck, dass sie um ihrer selbst und nicht des besprochenen Werkes willen geschrieben werden.)



    Ich kann verstehen, dass jemand, der die Metamorphosen gelesen hat - und Ransmayr hat sie intensiv gelesen, ursprünglich wollte er sie nur übersetzen, hätte er es doch getan! - überall ovidische Reinkarnationen zu sehen meint.



    Das jemand, der die Metamorphosen nacherzählt, die Metamorphosen nacherzählt, kann ihm allerdings nicht vorgeworfen werden ;).


    Grüße


    s.


    @scheichsbeutel
    dann werde ich die Fakten die Tadié mir lieferte (was mir persönlich schon hilfreich war) mit deiner Empfehlung ergänzen und zwar mit dem Buch "Céleste Albaret: Monsieur Proust". Du nanntest dieses Buch ein Kleinod.


    Ja, ich habe dieses Buch wirklich mit großem Vergnügen gelesen und: Ich gedenke Tadié in ebensolcher Weise zu handhaben, als Ergänzung.


    Das mit einer - möglichen - Haymanschen Verwandtschaft interessiert mich auch, ich konnte bislang keinen Hinweis finden. Da Ronald Hayman aber zahlreiche Biographien veröffentlicht hat, darf man wohl vermuten, dass es sich um eine rein zufällige Namensgleichheit handelt.


    Grüße


    s.

    Hallo!


    An der Seriosität Tadiés hege ich keinen Zweifel. Eine umfangreiche, akribische Faktensammlung, aus der ein lesbares Buch zu machen der Sammler vergessen hat.


    Das Spekulative Haymans kann ich bislang so nicht bestätigen, auch wenn sich Sätze finden (aber dergleichen liest man leider auch bei Tadié), die einem die Lektüre schon einigermaßen verhageln können. Etwa: "Prousts Homosexualität wurzelte in seiner Mutterfixierung." Wieder einmal glaubt da jemand bezüglich sexueller Präferenzen tiefenpsychologische Ursachenforschung betreiben zu müssen und konstruiert einen Zusammenhang, der nicht mehr "Wahrheit" für sich in Anspruch nehmen als irgendein beliebiger anderer (etwa: Prousts Homosexualität wurzelt in der übermächtigen Vaterfigur, wird durch den nachgeborenen Bruder verursacht, auf den er eifersüchtig ist und ihn deshalb durch übermäßige Liebe in sein Familiendasein zu integrieren sucht etc. etc.). Aber - wie erwähnt - für mich bislang lesbarer als Tadiés Faktenmanie, die ja häufig gar nichts zum Verständnis Prousts beiträgt.


    Na mal sehen, ob ich mich durch beide Biographien durchzuquälen vermag. (Das Wiederlesen der "Recherche" macht hingegen großes Vergnügen, noch mehr als vermutet.)


    Grüße


    s.


    oweia - die Biographie kommt ja garnicht gut bei dir weg !
    völlig uninspiriert kam sie mir nicht vor, wenn die Details auch mich verwirrten und die Fußnoten nur schwer einen Überblick gewähren. Doch im Gegensatz zu der Biographie von Ronald Hayman, die ich persönlich für sehr unübersichtlich halte, war ich mit Tadie dann doch sehr zufrieden. Ich fand mich schneller bei Tadie zurecht.
    (Unzufrieden bin ich über die Qualität des gebundenen Buches; die Bindung bricht sehr leicht)


    Tadié erinnert mich an einen Mitstudenten, ein wandelndes Lexikon, gefüllt mit Fakten bis unter die Hirnschale, dessen größte Freude es war, dem Professor eine falsche Jahreszahl nachweisen zu können. Solche Leute werden später professionelle Leserbriefschreiber, bessern Tippfehler in Internetforen aus oder durchforsten den Kulturteil von Onlinezeitungen, um sich bei Entdeckung einer falschen Jahreszahl vor Freude einzunässen. Vom enzyklopädischen Wissen einmal abgesehen war er ein beachtlicher Einfaltspinsel, dem es gänzlich an Haus- bzw. Sozialverstand mangelte.


    Tadié beschreibt und beschreibt, ich erfahre alles über Äußerlichkeiten, kein Leberfleck bleibt verborgen - und wäre am Revers von Proust eine Nadel angebracht, er würde mir die genaue chemische Zusammensetzung nennen. Und so habe ich eine wunderbar detaillierte Außenaufnahme, eine Fotographie dessen, der die Recherche geschrieben hat. Auf diese Weise aber hätte er auch den Kutscher seines Großonkels beschreiben können.


    Das Buch mutiert zum bloßen Nachschlagewerk; gestern habe ich mit Hayman begonnen. Erst wenige Seiten gelesen, aber der erste Eindruck ist so schlecht nicht. Verwirrend vielleicht (wenn man die Recherche kennt, dann liest sich's - bislang - leicht), in jedem Fall angenehmer als Tadié. Was hat dir, JMaria, bei Hayman missfallen?


    Grüße


    s.


    Die Bindung beider Bücher ist im übrigen sehr gut; selbst wenn ich Tadié ein wenig rücksichtslos behandelte, er würde es überstehen.

    Hallo!


    Von den dümmlichen, psychoanalytischen Einsprengseln einmal abgesehen --- (so will Marcel natürlich mit Maman kopulieren, wenn er mit ihr im Freibad ist, in "einer Überschreitung gleich jener Urszene [...] gibt sich die fast nackt erblickte Mutter-Aphrodite dessen [Zeus'] Verlangen hin", was nun darin begründet sei, dass Proust im Santeuil die Mutter mit Venus vergleicht, welche nichts anderes als "das Verlangen des Zeus" ist, wodurch das "Wasser nichts anderes ist als sein immer wieder schuldiges, immer wieder bestraftes und immer von neuem entstehendes Verlangen". Bei so viel Blödsinn braucht man schon einen guten Magen) --- Tadié wird der Stofffülle einfach nicht Herr:


    Aus dem umfangreichen Detailwissen ein organisches Ganzes zu machen ist eine hohe Kunst - und er beherrscht sie offenbar nicht. So kommt es ständig zu Ausführungen der Art, dass ein Bekannter des Vaters ein Werk geschrieben habe, das von x renzensiert wurde, wobei die Schwester des x den y geheiratet hat, dessen Hund z gebissen habe. Z nun wiederum ... usf. Tadié sollte sich ein Beispiel an Harpprechts Mann-Biographie nehmen, der auf rund 2000 Seiten nur ganz selten (bei der Emigrationszeit) über die Stränge schlägt und ein Zuviel an Detailinformation präsentiert. Harpprecht aber spielt ganz offenbar in einer anderen Liga, er ist kein Nur-Biograph, sondern ein umfassend gebildeter, intelligenter, mit einem Gutteil an Hausverstand gesegneter Autor, etwas, was Tadié (nämlich Hausverstand) völlig fehlt.


    Grüße


    s.

    Hallo!


    Jean-Yves Tadiés Biographie begonnen (einige 100 Seiten gelesen) - und alles andere als begeistert. Er wird der Materialfülle nicht im geringsten Herr, seine Manie, alle irgendwie auch nur im entferntesten mit der Sphäre Prousts in Berührung kommenden Personen aufzuzählen, nimmt zeitweise grotesk-komischen Charakter an. Etwa im Unterkapitel Madame Arman de Caillavet, wo eine halbe Seite Namen an Namen gefügt werden, sinn- und zwecklos, als ob man ein Telefonbuch memorierte.


    Tatsächlich ist diese Biographie nichts anderes als eine ins Kraut geschossene Seminar- oder Diplomarbeit, Abertausende von Fußnoten, eine Unmenge an Sekundärliteratur, aber völlig uninspiriert, sodass man den Eindruck hat, "Daten der Welt-(Proust-)Geschichte" zu lesen, ein chronologisch geordnetes, enzyklopädisches Machwerk, das das Leben und Werk Prousts unter einer Fülle von (häufig belanglosen) Einzelheiten völlig untergehen lässt. Und wenn der Autor tatsächlich einmal von seinem studentischen Schreibstil ablässt, ist es allzu offenkundig, dass er so gut wie nichts von Werk, Motivation, Leben Prousts verstanden hat. Er scheint ein braver Philologe zu sein, ein biederer Arbeiter mit psychoanalytischem Einschlag. Das Ergebnis ist entsprechend langweilig - und dort, wo Tadié auf seine akademische Aufzähl- und Sammelwut verzichtet, von beachtlicher Simplizität.


    Grüße


    s.


    Vielleicht ist Proust ein ähnliches Schicksal beschieden wie Kafka, über den man auch nur psychoanalytische Termini liest, die mit einem Menschen (welchem auch immer) bestenfalls zufällig etwas zu tun haben. Der Proustleser kennt die Episode des kleinen Jungen, dessen Angst, wenn auch nur scherzhaft, an den Locken gezogen zu werden. Eine Angst, die erst durch die abgeschnittenen Haare behoben wird. "Was ist diese Angst, auf das Haar Samsons übertragen, anderes als die Angst vor der Kastration?" Ich habe die Stelle bei Tadié mehrfach gelesen, um der Ironie auf die Spur zu kommen: Vergeblich. Ich wusste gar nicht, dass man auch heute noch ernsthaft und mit Verve solchen Unsinn vortragen kann. (Das kurze Kapitel über Onanie enhält ähnlichen Unsinn, vor allem dort, wo es Bezug auf das Werk nimmt, den Jean Santeuil, wo dann gleich Iris- und Fliederduft als Sinnbild für Selbstbefriedigung stehen.)


    Insel 881 - 890, die "Die Chronik der Sperlingsgasse" erschien schon früher (Insel 370), gehört nicht zu dieser Serie. Es fehlt dir also:


    Bd 1 (it 881): Stuttgarter Erzählungen
    Bd 2 (it 882): Krähenfelder Geschichten
    Bd 3 (it 883): Horacker
    Bd 5 (it 885): Im alten Eisen
    Bd 9 (it 889): Hastenbeck


    Grüße


    s.


    Deshalb habe ich wohlweislich auch nicht Josef und seine Brüder erwähnt, sondern den Film Die zehn Gebote mit Charlton Heston als Gott. :breitgrins: Aber ist das dann eine schöne Ergänzung zum 2. Buch Mose? - Geschmacksache!


    Tja, ich werde den Verdacht nicht los, dass wir mit unseren (rein zufällig gewählten) Beispielen unterschiedliche Ziele verfolgen ;).


    Den Film kenn ich nicht; nur der, der da Gottvater verkörpert, ist mir als Vertreter der Waffenlobby ein Begriff. Man könnte, fällt mir da im Schreiben ein, den Vogel ja wieder auf den Berg Sinai verfrachten und auf eine der dort umherschwirrenden Boden-Boden-, Boden-Luft- oder sonstwie startbaren Raketen hoffen, auf irgendetwas Sprengstoffliches, das sowohl dem Beduinengott als auch dem Waffenlobbyisten den Garaus macht. Wobei es egal wäre, ob das Geschoß israelischer oder palästinensischer Herkunft wäre. (Anschließend würden sie sich dann wohl wieder in der Haare geraten darüber, wer denn nun das Verdikt Nietzsches erfüllt habe.)


    Grüße


    s.


    So ging es mir leider mit dem gesamten Werk, lieber Scheich. Aber Ransmayr erhält eine zweite Chance mit seiner Letzten Welt.


    Überrascht mich wirklich. Trotz dieser Konstruktionsschwächen ist Morbus Kitahara doch ein Buch, das sprachlich überzeugt und eine sehr eindrückliche Atmosphäre besitzt. Von den neueren Büchern kenne ich nicht alles (beim "Fliegenden Berg" konnte ich mich der Lobeshymnen nicht so ganz anschließen); die für mich besten waren die erwähnte "Letzte Welt" und "Der Weg nach Surabaya" (Reiseessays). Aber auch "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" habe ich sehr gerne gelesen. Ransmayr behandelt häufig Menschen in Extremsituationen, macht dies aber sehr behutsam, wirkt nie reißerisch. Und beeindruckt (mich) durch eine sehr genaue Sprache.


    Vielleicht versöhnt dich die Beschreibung der metamorphosen, ovidschen Einsamkeit in Tomi.


    Grüße


    s.


    Das Video ist wirklich gut gemacht, meine tiefländliche Internetverbindung geriet allerdings einigermaßen ins Schwitzen beim Laden ;)

    Hallo!


    Das hier ein der Semantik geschuldetes Problem vorliegt habe ich vermutet ;). Es lag offenbar an der "Vorbereitung", die da suggeriert, dass Ovid zum Steigbügelhalter für Ransmayr degradiert würde. Das sollte selbsredend nicht zum Ausdruck kommen. Allerdings: Könnte man, deine Nachbesserung berücksichtigend, extrapolieren und sagen, dass "Josef und seine Brüder" eine ideale Ergänzung zur Genesis sind? :breitgrins:



    Das von dir empfohlene Buch kenne ich nicht. Habe gerade bei Youtube eine sehr schöne Puppenspiel-Szene nach der Letzten Welt gesehen mit vorgelesenen Passagen aus dem Buch. Hat mich sehr angesprochen! Danke für den Tipp!


    Deinen Lesegewohnheiten und Beurteilungen nach zu schließen vermute ich, dass dir die "Letzte Welt" tatsächlich ausgezeichnet gefallen wird. Allerdings: Ich hätte auch vermutet, dass Sir Thomas "Morbus Kitahara" gefallen würde, ein Buch, bei dem ich einzig die Rahmenhandlung bzw. den Schluss konstruiert, aufgesetzt empfand. Und ja, ich schätze Ransmayr, wenngleich ich seine Flattersatzversuche im "Fliegenden Berg" als nicht wirklich gelungen bezeichnen würde.


    Grüße


    s.

    Da musste ich doch etwas schmunzeln. Ovids Metamorphosen als Vorbereitung für Ransmayrs Letzte Welt? Nicht umgekehrt? Das ist ja fast so als würde einem geraten, zur Vorbereitung für Die zehn Gebote von Metro Goldwyn Meyer die Bibel zu lesen.


    Weil viele der Gestalten aus den "Metamorphosen" mehr-weniger verfremdet in der "Letzten Welt" vorkommen. Und wenn man ihre Originalfunktion nicht kennt, man auch die Funktion bei Ransmayr nur schwer versteht.


    Ich sehe daran gar nichts Besonderes: Ist doch auch die Kenntnis des Neuen Testamentes vor der Lektüre von Saramago oder Kazantzakis anzuempfehlen, genauso das erste Buch Mose vor "Josef und seine Brüder". Und die Ilias vor Christa Wolfs Kassandra und und und ... Gerade die ganzen antiken Stoffe sind häufig zum Verständnis rezenter Literatur notwendig. Und da sollte man selbstverständlich jene vor dieser lesen. Wie nicht???


    Grüße


    s.


    Würde man es umgekehrt machen, verstünde man viele Bearbeitungen, Verfremdung, Ironisierungen überhaupt nicht. Den Einwurf kann ich nun gar nicht nachvollziehen.