Arthur Schnitzler

  • Hallo zusammen,


    Erstveröffentlichung einer Novelle die Schnitzler 1894 schrieb, "Später Ruhm".


    http://www.faz.net/aktuell/feu…paeter-ruhm-12926300.html



    Hier geht's zu einem Auszug:
    http://www.faz.net/aktuell/feu…paeter-ruhm-12926298.html


    Verlag: Paul Zsolnay Verlag (17. Mai 2014)


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    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Arthur Schnitzler: Casanovas Heimfahrt (1917)


    Diese Novelle des österreichischen Schriftstellers Arthur Schnitzler (1862-1931) behandelt einen fiktiven Aufenthalt des historischen Lebemannes und Frauenhelden Giacomo Casanova (1725-1798) auf dem Landsitz eines Freundes in der Nähe Mantuas.

    Inhalt:
    Casanova ist nach Jahrzehnten des Exils – „in seinem dreiundfünfzigsten Lebensjahr“ - auf dem Weg zurück in seine Heimatstadt Venedig, aus deren Staatsgefängnis, den Bleikammern, er als junger Mann geflohen war. In Mantua trifft er zufällig einen alten Bekannten, dem er in dessen Jugend die Heirat mit Amalia ermöglicht hatte. Olivo lädt ihn auf sein Landgut ein, und Casanova nimmt dort für zwei ereignisreiche Tage Aufenthalt. Die Familie, drei Töchter zwischen zehn und dreizehn und Amalia, empfangen den alten Freund herzlich, ja Amalia scheint sogar daran interessiert, die alte Liebesbeziehung wieder aufleben zu lassen. Casanova indes entbrennt Hals über Kopf für die Cousine der Familie, Marcolina, eine zurückhaltende, gelehrte junge Frau, die sich insbesondere der höheren Mathematik verschrieben hat. Marcolina durchschaut Casanova sofort und weist ihn spöttisch und geistig überlegen in seine Schranken, als er vor ihr mit seinen Schriften gegen Voltaire renommieren will. Dieser versucht nun Amalia zu manipulieren, Druck auf Marcolina auszuüben, damit diese ihm zu Willen sei. Amalia weist das aber ab mit dem Hinweis auf die hohe Moral ihrer Cousine. Doch in den späten Stunden der gleichen Nacht, nach einem Glücksspiel mit dem benachbarten Marchese, dem Offizier Lorenzi und anderen Nachbarn, erlebt der schlaflos im Garten wandelnde Casanova, wie Marcolina Lorenzi nach einer eindeutig miteinander verbrachten Liebesnacht aus ihrem Zimmer in den Park entlässt. Bereits am folgenden frühen Nachmittag, nachdem der enttäuschte Casanova aus Frust die älteste, dreizehnjährige Tochter Olivos und Amalias vergewaltigt hat, ergibt sich für ihn die Möglichkeit, zu seinem Ziel zu gelangen. Indem er Lorenzi anbietet, dessen hohe Spielschulden zu begleichen, verlangt er von diesem, dass er ein letztes Stelldichein mit Marcolina vereinbare, bevor er zu seinen Truppen eile, ihm seinen Offiziersmantel überlasse, sodass Casanova in der Rolle Lorenzis bei der Ersehnten zum Zuge kommt. Die Intrige geht auf, aber Marcolina wendet sich, nachdem sie im dämmernden Tag den alternden Casanova erkannt hat, angeekelt von diesem ab. Auf dem Weg zu seiner Kutsche, mit der er nach Venedig weiterreisen will, fängt ihn Lorenzi ab und duelliert sich mit ihm. Dabei tötet Casanova den Offizier und reist sofort ab. In Venedig angekommen übernimmt er Spitzeldienste für die von ihm zutiefst verachtete venezianische Regierung, denn das war der Deal, wieder in Venedig wohnen zu dürfen.

    Stil und meine Einschätzung:
    Die Novelle wird ohne Erzählerkommentar in Er-Perspektive mit Innensicht erzählt. So erfahren wir viel über die widersprüchlichen Gefühlswelten Casanovas, der sich nicht mit dem Attraktivitätsverlust beim andern Geschlecht durch sein Altern abfinden kann und in den glänzenden Erinnerungen an seine Eroberungen vergangener Jahre schwelgt. So bricht immer wieder Gewalt aus ihm hervor, um sich die Genüsse zu verschaffen, die ihm in seiner Glanzzeit von selbst zufielen. Auch dass er sich dazu hergibt, Spitzeldienste für die verhasste venezianische Regierung zu übernehmen, löst in ihm zeitweise Selbstekel aus, dennoch wird dies immer wieder von seiner Eigenliebe und Selbstüberschätzung überdeckt.

    Schnitzler erzählt dies alles ganz aus der Perspektive der Hauptgestalt, benutzt dabei auch oft die Technik des Bewusstseinstroms. Dabei legt er Casanova auch eine Kernstelle in den Gedankengang:

    Hatte er nicht schon unzählige Male erfahren, dass in jedes wahrhaft lebendigen Menschen Seele nicht nur verschiedene, dass sogar scheinbar feindliche Elemente auf die friedlichste Weise darin zusammenwohnten?“ Dies alles findet in einer paradiesischen Landschaft in Oberitalien statt, deren heiße Tage und schwüle Nächte die Atmosphäre zusätzlich anheizen.

    Nicht nur Casanova offenbart uns seine egomane Gewalt zur Durchsetzung seiner Interessen und die Ambivalenz seiner Lebenshaltung, sondern auch einige Nebenfiguren wie der Marchese und Lorenzi, die aus Eigennutz bedenkenlos andere in Mitleidenschaft ziehen.

    Aus heutiger Sicht ist die Lektüre an manchen Stellen schwer zu ertragen, und es mag Leser geben, die sich eine eindeutigere Distanzierung des Autors von seiner Hauptfigur gewünscht hätten. Ich aber finde, dass gerade diese kommentarlosen Einblicke in die Seele eines egomanen Lüstlings viel stärker wirken, als man durch irgendwelche moralischen Entrüstungen erzielen könnte.

    Die ganze Handlung auf dem Landsitz ist der Fantasie des Autors entsprungen, dagegen ist nachgewiesen, dass Casanova tatsächlich nach seiner Rückkehr in Venedig Spitzeldienste versehen hat.

    Ich kannte bisher nur Schnitzlers Wiener Stücke „Reigen“ und „Liebelei“, die mir nicht besonders viel sagen, Schnitzler als Prosaschriftsteller beeindruckt mich mit dieser Novelle dagegen umso mehr.

  • Aus heutiger Sicht ist die Lektüre an manchen Stellen schwer zu ertragen, und es mag Leser geben, die sich eine eindeutigere Distanzierung des Autors von seiner Hauptfigur gewünscht hätten. Ich aber finde, dass gerade diese kommentarlosen Einblicke in die Seele eines egomanen Lüstlings viel stärker wirken, als man durch irgendwelche moralischen Entrüstungen erzielen könnte.

    Das macht m. E. die Qualität des Textes aus, Casanova als sich selbst überlebender, narzisstischer Egomane, der nun im Alter noch nicht mal auf seinem ureigensten Gebiet reüssieren kann. Einsam, unfähig zu jeder Beziehung, einzig vermeintlich sexuelle Erfüllung suchend erinnert er an Humbert Humbert - und um einen solchen Blick hinter die Kulissen des "glücklichen" Frauenhelden Casanova schien es Schnitzler zu gehen. Da wäre eine moralinsaure Betrachtungsweise kontraproduktiv, Literatur muss sich ja nicht selbst erklären oder gar auf der Rückseite jedes Buchblattes die entsprechende Interpretation liefern.

  • Das macht m. E. die Qualität des Textes aus, Casanova als sich selbst überlebender, narzisstischer Egomane, der nun im Alter noch nicht mal auf seinem ureigensten Gebiet reüssieren kann. Einsam, unfähig zu jeder Beziehung, einzig vermeintlich sexuelle Erfüllung suchend erinnert er an Humbert Humbert - und um einen solchen Blick hinter die Kulissen des "glücklichen" Frauenhelden Casanova schien es Schnitzler zu gehen. Da wäre eine moralinsaure Betrachtungsweise kontraproduktiv, Literatur muss sich ja nicht selbst erklären oder gar auf der Rückseite jedes Buchblattes die entsprechende Interpretation liefern.

    Da hast du sicherlich Recht, und in diesem Sinne hatte ich ja auch argumentiert. Aber einem sogenannten "woken" Lesepublikum würde diese indirekte Kritik wohl nicht mehr reichen.

  • Nun habe ich eine Schnitzler- Biogafie gelesen, die mich etwas ratlos zurücklässt.


    Hartmut Scheible: Schnitzler (Rowohlts Bildmonografien, 1976)


    Inhalt

    Arthur Schnitzler wurde 1862 in Wien als Sohn des jüdischen Arztes und Klinikchefs Prof. Dr. Johann Schnitzler und seiner Frau Louise Schnitzler geboren. Vom Vater für die Nachfolge bestimmt studierte er Medizin und arbeitete auch lange in diesem Beruf. Nebenbei baute er sich aber auch eine schriftstellerische Karriere auf, bei der in den ersten Jahrzehnten seines Schaffens die Dramatik in ihrer öffentlichen Wirkung überwog. Schnitzler verarbeitet in seinen Werken die grundlegende Unstimmigkeit seiner Epoche, die einerseits an den überkommenen patriarchalischen Machtverhältnissen mit ihrer monarchisch - feudalen Struktur sowie dem aufklärerischen Gestus des liberalen Bürgertums festhielt und andererseits aber durch die Industrialisierung und Verstädterung, das Aufkommen neuer Gesellschaftsschichten und die explosionsartige Entwicklung der Wissenschaften zu einer Orientierungslosigkeit bzw. zu einer Flucht in Ideologien führte, seien diese nun nationalistisch-rassistisch oder positivistisch, weil viele Menschen die Diskrepanz nicht anders verarbeiten konnten. Schnitzler nahm sich nun in diesem Umfeld sehr oft literarisch der Geschlechterbeziehung an und enthüllte in seinen Dramen und seiner Prosa die Hohlheit der überkommenen Beziehungen in Ehe und Liebschaft, innerhalb und zwischen den Gesellschaftsschichten. Dabei gelingen ihm gekonnte Portraits gebrochener Persönlichkeiten, wie zum Beispiel „Leutnant Gustl“ und „Fräulein Else“. Vor allem bei den Frauencharakteren stellt er einfühlsam die Einwirkung der gesellschaftlichen Verhältnisse auf das Leben und die Psyche der Protagonistinnen dar, denen meist die Möglichkeit des selbstbestimmten Lebens versagt ist. Die tiefgehende Analyse der psychischen Persönlichkeit weisen Schnitzler als einen Zeitgenossen Freuds aus, der aber sich weigert, das Unbewusste als schicksalhaften Einflussfaktor zu akzeptieren. Schnitzlers große Zeit der öffentlichen Anerkennung liegt in dem Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg, wo die Aufführung seiner Werke, insbesondere des „Reigens“ und der „ Liebelei“ zu regelrechten Theaterskandalen führt. Nach dem Krieg kann Schnitzler, obwohl hier entscheidende Prosawerke - wie „Fräulein Else“ und die „Traumnovelle“ – entstehen, nicht mehr an frühere Erfolge in der Öffentlichkeit anknüpfen. Vom Selbstmord seiner Tochter Lilli 1928 zutiefst erschüttert, erholt er sich davon nicht mehr und stirbt 1931 an einer Gehirnblutung.


    Zur Gestaltung und meine Meinung

    Scheible ist ein beinharter Literatursoziologe, der in seiner Darstellung Schnitzlers weniger dessen Lebensereignisse und -eindrücke als die Analyse seiner Stücke aus der entsprechenden Richtung zugrunde legt. Ich halte die Literatursoziologie – in Kombination mit anderen Interpretationsansätzen – für eine legitime und sinnvolle Art der Herangehensweise an literarische Werke, aber in dieser Biografie fehlt mir so ziemlich das Biografische, das ja nun jenseits der gesellschaftlichen Verhältnisse auch Einfluss auf das Werk nimmt. Zusätzlich erschwert wird die Lektüre durch den typischen literatursoziologischen Duktus, der zwar auch mein Studium bestimmte, aber dennoch ziemlich anstrengend war und ist. Ich schätze diesen Band trotzdem, weil ich ihn nach der Lektüre weiterer Werke Schnitzlers bestimmt noch öfter in die Hand nehmen werde, um Scheibles Interpretationsansätze mit meinen eigenen Leseeindrücken zu vergleichen, aber er lässt mich in Bezug auf die sehr interessante Persönlichkeit Schnitzlers und seine privaten Lebensumstände etwas orientierungslos zurück.