Beiträge von Hubert


    Kennst du Vivaldis Flötenkonzert RV 443 und Locatellis Violinkonzert Op. 3, Nr. 10?


    Hallo finsbury,


    Locatellis Violinkonzert Op. 3, Nr. 10 kenne ich nicht, ja ich habe gerade festgestellt, dass ich auf meinem Windows Media Player Locatelli überhaupt nicht finde, muss ich wohl nachbessern. Das „CONCERTO FOR PICCOLO AND STRINGS IN C DUR RV 443 von Vivaldi läuft in meiner Endlosschleife mit. Das Flötenkonzert von Vivaldi, das mir im Moment am meisten hilft ist allerdings RV 439: Concerto g-moll »La Notte« op. 10 Nr. 2 – da meine Mutter vor kurzem gestorben ist, bin ich wohl zur Zeit eher auf moll gestimmt.


    Gruß


    Hubert


    Laut Fritz Senn heißt der Held von Ulysses weder Joyce noch Bloom noch Dedalus, der Held ist die Sprache selbst. Und auch Nabokovs Essay zum Ulysses kommt ganz ohne das aus, was Benn den "Anekdotenschleim" nannte, über den Literatur über biographische Parallelen erschlossen werden soll.


    In seinem Essay seiner als Buch erschienenen Vorlesung über Cervantes Don Quichotte, war sich Nabokov nicht zu blöd, die Siege und Niederlagen von Don Quichotte nachzuzählen und weil es ihm so passte, hat er sich sooft verzählt bis er zu dem Ergebnis kam Siege und Niederlagen halten sich die Waage und dieses Ergebnis dann so hingestellt, als hätte Cervantes das bewusst so gestaltet! Übrigens war dies fast die einzige Erkenntnis, die Nabokov dem Don Quichotte entnahm. Was ich sagen will: Nabokov mag noch soviel gute Romane geschrieben haben – als Literaturinterpret interessiert er mich nicht.


    Gruß


    Hubert


    Laut Fritz Senn heißt der Held von Ulysses weder Joyce noch Bloom noch Dedalus, der Held ist die Sprache selbst. Und auch Nabokovs Essay zum Ulysses kommt ganz ohne das aus, was Benn den "Anekdotenschleim" nannte, über den Literatur über biographische Parallelen erschlossen werden soll.


    Kannst Du mal die Fundstelle angeben, wo Senn das gesagt hat. Soweit ich mich erinnere hat er das über F’W gesagt und da hat er sicherlich Recht, weshalb mich dieses Buch auch nicht interessiert, - wenn ich etwas über Sprache wissen will, greife ich zu einem meiner 12 Duden-Bände, die auf meinem Schreibtisch griffbereit stehen und nicht zu einem Roman.


    Und selbst wenn Senn das über den Ulysses gesagt hätte, auch Experten geben nicht nur Gescheites von sich. Der Held im Ulysses ist die Sprache halte ich jedenfalls für noch dümmer als der Held im Ulysses ist die Stadt Dublin und einem, den ich bezüglich Ulysses für noch kompetenter als Senn halte, wird sogar das folgende Zitat zugeschrieben: „Wenn Dublin einmal zerstört wird, kann man es anhand des Romans Ulysses wieder aufbauen“ (sinngemäß zitiert) – dümmer geht’s nimmer!


    Hast Du eine Erklärung, warum Senn bei seinen Veranstaltungen „Reading Ulysses“ an der James Joyce Stiftung in Zürich drei Jahre braucht um einmal den Ulysses zu lesen, wenn es da nichts außer Sprache zu entdecken gibt und warum Senn neben seiner eigenen Sekundärliteratur zum Ulysses die Joyce-Biografie von Richard Ellmann enpfiehlt?


    Und warum denkst Du, hat Hans Wollschläger am 16. Juni 2004 bei einer Veranstaltung anlässlich 100 Jahre Bloomsday im Literaturhaus Frankfurt gesagt, dass man mit dem Ulysses erst beginnen sollte, wenn, man die Dubliner, das Portrait .. und eine gute Joyce-Biographie gelesen hat? Fehlte ihm da, die von Dir zitierte differenzierte Sichtweise?


    Joyce gehört "zu denen, die nur über sich geschrieben haben" - er war "ein Dichter seines Lebens". Falls die Beschäftigung mit klassischer Literatur in irgendeiner Weise zu einer differenzierten Sichtweise führen sollte, hat das hier augenscheinlich nicht gegriffen. Im Ulysses geht es also nur um Joyce? Das ist so zutreffend wie zu sagen, in "Anna Karenina" ginge es nur um Tolstoi, im "Odysseus" nur um Homer.


    Hallo Christian,


    dass Stendhal und Tolstoi Dichter ihres Lebens sind, stammt nicht von mir – ich habe es nur zitiert, eigentlich hätte ich gedacht, dass Du solche Zitate kennst, aber anscheinend habe ich Dich überschätzt. Dichter ihres Lebens heißt auch nicht, dass die nur über sich geschrieben haben, wir sprechen ja nicht von Ein-Personen-Romanen. Dass Du Homer in die Diskussion geworfen hast, zeigt mir, dass Du nicht diskutieren sondern polemisieren willst (weder hat Lost gesagt, dass Homer nur über sich selbst schreibt, noch ich, dass Homer ein Dichter seines Lebens ist) und deshalb habe ich auch keine Lust Dir den Unterschied zwischen diesen zwei Arten von Schriftstellern zu erklären, nur soviel: Homer, Balzac, Dostojewski und Zola sind keine Dichter ihres Lebens. Soviel Intelligenz, zu erkennen, dass eine Aussage die über einen oder zwei Schriftsteller gemacht wird, nicht für alle Schriftsteller gemeint ist, traue ich nicht jedem, aber Dir schon noch zu.


    In dem Roman „A Portrait of the Artist as a Young Man” beschreibt Joyce die Jugend von Stephen Dedalus, die eindeutig Parallelen zu seiner eigenen Jugend aufweist, aber auch manchmal freie Dichtung ist, es ist also keine Autobiographie, sondern ein biographischer Roman. Unterscheiden was Dichtung und Wahrheit ist, kann man imo nur wenn man Joyce Vita kennt.


    Wenn nun dieser Stephen Dedalus im Ulysses wieder auftaucht und zwar als einer der drei Hauptprotagonisten und in Fortsetzung des Portaits, warum soll dann der Ulysses nichts mit Joyce Leben zu tun haben?

    Hallo zusammen,


    zur Zeit habe ich soviel Stress, das ich Musik gar nicht als reiner Kunstgenuss hören kann, trotzdem brauch ich Musik – zur Entspannung und da gibt es für mich nichts besseres als Vivaldi und so laufen seine Violin- und Flötenkonzerte bei mir in einer Endlosschleife. Kennt ihr das auch: Musik in ihrer Funktion als Trost, als Entspannung, als ….?


    Gruß


    Hubert


    So, und jetzt ruft die Arbeit wieder!


    Bei Joyce hatlte ich es für unbedingt angebracht eine Biogarfie über ihn zu lesen. Er gehört zu denen, die nur über sich geschrieben haben.


    Hallo Lost,


    Du hast Recht, Joyce war, wie Tolstoi und Stendhal, ein Dichter seines Lebens, und bei solchen Autoren lohnt es sich immer , ja ist eigentlich sogar erforderlich, die Vita des Schriftstellers zu kennen.


    Gruß


    Hubert


    Ich hab mich sogar schon gefragt, ob Stendahl den Roman nach dem Diktat nicht wenigstens nochmal komplett gelesen hat, um manche Schnitzer glatt zu bügeln, die einfach passieren, wenn man den Text nicht ständig vor Augen hat.


    Hallo Ancama,


    nachdem ich inzwischen zwei Biographien über Stendhal gelesen habe, kann ich berichten, dass Stendhal teils weil er solche Schnitzer selbst erkannte, teils weil er sich die „Kritik“ seines Kollegen Balzac zu Herzen nahm, bald nach dem Erscheinen der „Kartause …“ begann diese zu überarbeiten. Diese Arbeit zog sich allerdings länger hin als das Diktieren der Urfassung und so wurde Stendhal dabei zunächst von einem ersten Schlaganfall dann vom Tode überrascht und deshalb müssen wir leider mit der unüberarbeiteten Urfassung vorlieb nehmen. – Dumm gelaufen. Aber so schlecht ist die Urfassung ja auch wieder nicht.


    Gruß


    Hubert


    Hallo Theresa,


    spät, hoffentlich nicht zu spät, heiße ich Dich herzlich willkommen hier im Klassikerforum. :blume: :blume:


    Welche Opern hörst Du den besonders gerne? Und guckst Du Dir diese auch im Theater an?


    Und hättest Du nicht Lust mal an einer Leserunde eines russischen Autors hier im Klassikerforum teilzunehmen?


    Liebe Grüße


    Hubert


    Jetzt mal "Le Sacre du Printemp" von Stravinsky, klingt heute gar nicht mehr so revolutionär wie noch vor
    100 Jahren :breitgrins:


    Gruß, Lauterbach


    Hallo Lauterbach,


    na ja, immerhin für viele Theaterindendanten noch zu revolutionär, so dass sie sich nicht trauen das Stück auf den Spielplan zu setzen und lieber zum x-ten mal „Den Nußknacker“ des anderen russischen Großmeisters der Ballettmusik bringen. Wenn Du mal Gelegenheit hast „Den Nußknacker“ und "Le Sacre du Printemps" innerhalb weniger Tage auf der Bühne zu erleben, dann wirst Du merken wie revolutionär Stravinskys Stück immer noch ist. Zwischen den Kompositionen liegen, man glaubt es kaum, nur gut 20 Jahre, aber imo liegen Welten dazwischen.


    Gruß
    Hubert

    Hallo Adrian,



    Ich bin erfreut, dieses Forum gefunden zu haben und grüße alle.



    herzlich willkommen hier im Klassikerforum :blume: :blume: :blume:
    und weiterhin viel Freude an Deiner aktuellen Lektüre „Dr. Faustus“



    Mich würde interessieren, ob sich eine Investion in die Kommentare von Thomas Mann lohnen würde. Ich bin da zurückhaltend, denn ich möchte zunächst die ursprünglichen Texte auf mich wirken lassen.


    Auch ich bin normalerweise der Meinung, dass man einen Roman erst ohne Sekundärliteratur lesen sollte, um dann später festzustellen was man alles nicht erkannt hat. Beim „Dr. Faustus“ ist das anders. Thomas Mann hat wohl selbst erkannt, dass man seinen „Dr. Faustus“ ohne „Anleitung“ nicht lesen kann und deshalb (einmalig in der Literaturgeschichte) gleich eine dazugeschrieben: „Die Entstehung des Doktor Faustus. Roman eines Romans“ und das würde ich Dir empfehlen, gleichzeitig mit dem „Dr. Faustus“ zu lesen.


    LG


    Hubert

    Hallo zusammen!


    Das Museum Sammlung Prinzhorn wurde 2001 in einem umgebauten Hörsaalgebäude der Uni Heidelberg eröffnet. Damit feiert das Museum in diesem Jahr sein 10-jähriges Jubiläum und zwar mit einer vielfältigen Ausstellung die die Wirkung der Sammlung auf andere Künstler zeigt: „Von Kirchner bis heute – Künstler reagieren auf die Sammlung Prinzhorn“.


    Die Ausstellung zeigte auf mehrere Locations verteilt, (neben dem Museum Sammlung Prinzhorn waren die Stadtbücherei, das Deutsch-Amerikanische Institut, das Museum Haus Cajeth und das Heidelberger Forum für Kunst beteiligt) vom 7. Mai bis 14. August 2011 mit Werken von mehr als 60 Künstlern, wie vielfältig die Auseinandersetzung mit dem Fundus der Sammlung war und immer noch ist. Da ich es erst am letzten Tag geschafft habe, die Ausstellung zu besuchen und Sonntags die Stadtbücherei usw. geschlossen sind, konnte ich mich ganz auf den Ausstellungsteil im Museum Sammlung Prinzhorn konzentrieren, aber das war interessant genug und ein paar Notizen will ich hier festhalten:


    Der Expressionist Ernst Ludwig Kirchner (1880 bis 1938), Gründungsmitglied der Künstlergruppe Brücke befand sich 1917/18 im Privatsanatorium Bellevue in Kreuzlingen. Dort beschrieb er in Briefen (die man, da ausgestellt, nachlesen konnte) Bilder seiner Mitpatientin Else Blankenhorn. Sein „Mystischer Gebirgsstil“ ab 1917 lässt sich mit den Bildern von Else Blankenhorn in Verbindung bringen. Das ausgestellte Gemälde „Wintermondlandschaft“ (Privatsammlung) von 1919 zeigte jedenfalls deutlich die gleiche Verwendung und Verteilung der Farben rot und blau wie bei einem gegenübergestellten Bild Blankenhorns aus der Sammlung.


    Ein anderer Expressionist, Alfred Kubin, schrieb nachdem er Bilder aus der Sammlung gesehen hatte: „Und nicht mehr lassen mich diese Dinge los“ und Adolf Hölzel nachdem er Bilder der Sammlung mit seinen verglichen hatte: „genau das gleiche“.


    Die Bauhauslehrer Oskar Schlemmer und Paul Klee schätzten Prinzhorns, am Anfang dieses Threads erwähnte und verlinkte Buch „Bildnerei der Geisteskranken“. Klee soll seinen Schülern Bilder aus diesem Buch mit den Worten „Das ist bester Paul Klee“ gezeigt haben.


    Auch der Surrealist Max Ernst (1891 bis 1976) war von diesem Buch begeistert und nahm es als Geschenk für Paul Éluard mit nach Paris. Dort wurde das Buch im Kreis um André Breton schnell zur (Bilder-) Bibel der Surrealisten.


    Interessant auch, das mir bisher nicht bekannte „Pandämonische Manifest“ von Baselitz und Eugen Schönebeck und die mir ebenfalls bisher nicht bekannte Ausstellungsgemeinschaft „Großgörschen 35“ um Lüpertz und Wolfgang Petrick.

    Hallo Tom,


    vielen Dank für den Link – scheint interessant zu sein, aber 73 Seiten, da werde ich wohl frühestens am Wochenende Zeit finden.



    - zu Deinem restlichen Beitrag, werde ich mich noch äußern, insbesondere ........ zu unserem gemeinsamen Freund Balzac.


    Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit Samstagsmorgens in Buchhandlungen abzuhängen, hat es mich letzten Samstag mal wieder in eine Leihbücherei verschlagen – auch ganz angenehm einen Vormittag dort zu verbringen. Mitgenommen habe ich mir u.a. ein Büchlein, dass mich in meiner Kindheit begeisterte: „Drei Dichter ihres Lebens: C…, Stendhal, T….“. Der Einfachheit halber zitiere ich einfach aus dem Essay „Gegenwart der Gestalt“:


    „Stendhal hat ein ganzes Jahrhundert , das neunzehnte, übersprungen, er startet im Dix-huitième, im groben Materialismus … und landet mitten in unserem Zeitalter …, der Wissenschaft gewordenen Seelenkunde. …..Lange zurück hinter seinen Zeitgenossen, hat er sie schließlich alle überflügelt mit Ausnahme Balzacs, denn so antipodisch sie auch im Kunstwirken sich gegenüberstehen, nur diese beiden, …, haben ihre eigene Epoche über sich hinaus gestaltet. Balzac, indem er die ….Übermacht des Geldes, und den Mechanismus der Politik … ins Monströse vergrößerte -: Stendhal …, indem er mit seinem …. Psychologenauge, … das Individuum zerkleinerte und nuancierte. Die Entwicklung der Gesellschaft hat Balzac recht gegeben, die neue Psychologie Stendhal. Balzacs Weltrevision hat die moderne Zeit vorausgeahnt, Stendhals Intuition den modernen Menschen.“


    LG


    Hubert


    [Noch ein Wort zu Stendhal (dem ja immer noch dieser Ordner gehört): In einem anderen Forum las ich jetzt die Bemerkung unseres Kollegen sandhofer, "Rot und Schwarz" sei wohl u.a. aufgrund einer diesbezüglichen Goethe-Äußerung unter die wegweisenden psychologischen Romane gefallen. Ich müsste das Buch noch einmal lesen, um zu prüfen, wieviel "Psychologie" darin enthalten oder nicht enthalten ist. Dazu habe ich allerdings weder Zeit noch Lust. Glauben wir also vorerst unserem Goethe - selbst wenn sich sein Diktum nur als folgenschwere Fehleinschätzung durch die Literaturkritik ziehen sollte.


    Hallo Tom,


    wie sich Goethe über „Rot und Schwarz“ geäußert hat, weiß ich nicht und spielt bei meiner Beurteilung der „Kartause …“ auch keine Rolle. Unabhängig davon, dass ich selbst in der Lage bin zu erkennen, dass Stendhal die Personen, die er beschreibt mit den Augen eines Psychologen sieht, ja manchmal direkt Freud vorwegnimmt, halte ich Harold Bloom nicht für einen Goethe-Nachplapperer und Nietzsche auch nicht. Der hat sich zu Stendhal u.a. wie folgt geäußert: In „Jenseits von Gut und Böse“ schreibt er: „….dieser letzte große Psycholog ….“ und in „Ecce Homo“: „Und wenn ich Stendhal gelegentlich als tiefen Psychologen rühme, ist es mir mit deutschen Universitätsprofessoren begegnet, dass sie mich den Namen buchstabieren ließen ..“. Und überhaupt: warum sollte Goethe, wenn er sich so über Stendhal geäußert hat, irren?


    LG


    Hubert


    Ich habe vor einigen Tagen noch einmal Prousts berühmte Analyse des Flaubert-Stils (enthalten in "Tage des Lesens") und die Flaubert-Briefe, die sich mit der Arbeit an "Madame Bovary" beschäftigen, gelesen. Um es kurz zu machen: Proust hält Flaubert für den Erfinder eines neuen Stils. Die Briefe Flauberts sprechen eine ähnliche Sprache. Da hat jemand jahrelang mit sich gerungen. Es ging Flaubert nicht darum, nur schön zu schreiben, sondern für den Roman die Sprache zu finden, die ihn endgültig vom Verdacht der seichten Unterhaltung befreit. Nicht ein abstraktes Stilideal ist sein Kriterium für künstlerisches Gelingen, sondern eine Sprache, die gegenüber dem Gegenstand des Erzählten absolut angemessen ist.


    Hallo Tom,


    nicht nur weil ich Proust verehre, sondern weil ich davon überzeugt bin: Ja, Flaubert war der Erfinder eines neuen Stils. Um zur „Wahrheit in der Literatur“ zu finden hat er sich wie keiner vor ihm um Objektivität und Distanz bemüht. Seine „Madame Bovary“ schrieb er deshalb wie ein Naturwissenschaftler impassible und impartial. Anders als Stendhal in der „Kartause …“ greift er nicht kommentierend in das Geschehen ein, sondern er schildert die Geschichte aus der Perspektive der Romanfiguren, wobei ihm der „discours indirect libre“ als bevorzugtes Mittel dient. Auch wenn es vorher schon realistische Tendenzen in der Literatur gab (u.a. bei Stendhal, aber auch bei Balzac): „Madame Bovary“ ist für mich die Geburtsstunde des literarischen Realismus.


    Anzumerken wäre noch, dass Flaubert seinen Romanfiguren oft seine eigene Meinung unterstellte. Dies und die Tatsache, dass er neben der „Wahrheit“ auch noch die „Schönheit“ suchte machen ihn zu einem sogenannten Realisten. Zum „wahren“ Realismus hat imo erst der Naturalist Zola gefunden, der die Suche nach „Schönheit“ zugunsten der Suche nach „Wahrheit“ aufgab. Tatsächlich ist ja die Wahrheit oft nicht schön!


    LG


    Hubert


    Nach der Schlacht geht die Jagd auf Fabrizio los. Er wird gejagt von seinem Vater und Bruder (warum, das wird nur angedeutet, sie waren Antinapoleaner), außerdem Fabrizio unter Spionageverdacht.


    Hier ist imo einiges durcheinandergeraten: Fabrizio wird nicht von seinem Vater und seinem Bruder gejagt, sondern vom Marchese del Dongo und dessen einzigem Sohn Ascanio. Fabrizio stand auch nicht unter Spionageverdacht, sondern erst Ascanio hat ihn aus Rache als Spion verleumdet und angezeigt. Der Ausdruck Antinapoleaner ist zumindest unglücklich gewählt, der Marchese del Dongo war nicht gegen Napoleon weil dieser die Ideale der Revolution verraten hat (das verstehe ich umter einem Antinapoleaner), sondern der Marchese war ein Feind der Aufklärung wie es im Roman explizit erwähnt wird und in der Folge ein Feind der Revolution, außerdem typisch Mann, mochte er das Kind seiner angetrauten Ehefrau, weil nicht von ihm gezeugt, nicht. Warum rächt sich Ascanio an Fabrizio, indem er ihn als Spion anzeigt? Das wird nicht angedeutet, sondern steht explizit im Text: … le marchesine Ascagne, voulut se mettre des promenades de ces dames; mais sa tante jetait de l’eau sur ses cheveux poudrés, ………
    Ascagne jura de se venger de Fabrice. »

    Im Nachtprogramm ab 22:30 Uhr gab’s noch mal ein Highlight, für viele Zuschauer und auch für die örtliche Presse, das Highlight, für mich ein zweites Highlight nach dem holländischen „Don Quixote“.


    An der „Circomedia“ (einer Akademie für Trapez, Akrobatik und Körperperformance im englischen Bristol) haben sie sich kennen gelernt und 2004 die, nach einer Wissenschaftsmethodik der Scholastik benannte, Gruppe „Ockham’s Razor“ gegründet. Auf dem Hans-Klüber-Platz zwischen Hack-Museum und Philharmonie gaben sie ihr aus drei unterschiedlichen Szenen bestehendes Programm „Triple Bill“:


    Bei „Arc“ zeigten Charlotte Mooney, Tina Koch und Alex Harvey tänzerische Akrobatik auf höchstem Niveau. Auf einer Art fliegender Teppich, der aber sehr grobmaschig aus Eisenrohren gestrickt war, formierten sich die drei in luftiger Höhe mal zu einer „ménage à trois“ mal zu „Drei sind einer zu viel“. Zuletzt trieben sie es so toll, dass der „Teppich“ kippte und das Spiel jetzt an einer Art Sprossenwand weiterging. „In Kombination mit wunderschönen Klavierklängen war das zum Weinen schön“, schrieb die örtliche Presse.


    In der zweiten Szene „Memento Mori“ zeigten ein Mann und eine Frau an einem Trapez das gleiche Thema (Verlässlichkeit versus Verletzlichkeit) aber mit völlig anderen Mittel. Hier standen keine akrobatischen Höhenflüge im Vordergrund sondern poetische Bilder.


    Während die ersten zwei Teile anrührend intensiv waren, war der dritte Teil „Every Action“ humorvoll verspielt. Zwei Männer und zwei Frauen hingen sprichwörtlich in den Seilen, kletterten abwechseln hoch oder ließen sich hochziehen und dann ging’s wieder nach unten, bis die anderen Drei einmal einen oben hängen ließen – bei einer „ménage à trois“ ist halt der Vierte „Einer zu viel“



    Zwischen den einzelnen Szenen entführte die seit dreizehn Jahren in London lebende japanische Musikerin Nao Masuda in die rhythmische Welt der traditionellen japanischen Trommelkunst Taiko. Erstaunlich wie kraftvoll die zierliche Japanerin zuschlagen konnte.


    Taiko-Trommeln stammen ursprünglich aus China, wo sie in Tempel z.T. anstelle von Gongs verwendet wurden. Mit dem Buddhismus wurden sie nach Japan exportiert und hier fanden sie vielfältige Verwendung:
    In der schamanischen Shinto-Religion zum Beschwören des Sturm- und Wettergottes Susanoo, bei den Bauern als Begleitmusik zur Feldarbeit, bei den Fischern als Alarmsignal bei Überfällen, bei den Samurai als Angriffssignal und seit dem 14. Jahrhundert im „No-Theater“ - und von da in andere Theaterformen übernommen ist es heute eine eigenständige Bühnenkunst.


    Als Beschwörung des Wettergottes scheint das Taiko-Trommeln aber auch heute noch erfolgreich zu sein, in Ludwigshafen jedenfalls war Susanoo gnädig und ließ auch weit nach Mitternacht den Hans-Klüber-Platz noch bis auf den letzten Platz besetzt und die begeisterten Zuschauer nach dem Ende der Show stehend Beifall spenden.


    Überzeugungsarbeit will ich nicht leisten, .... aber der Rückgriff auf die „nationale“ Überlieferung, ..... die Behandlung von Sagenstoffen, .....ist das nicht eines der Merkmale, die die für die Literatur der Romantik gelten?
    Scott, ---- dürfte von seiner Haltung her schon der Romantik nahe stehen und auch sein Bestreben, in seinen Werken das alte Schottland zu verklären, passt aus meiner Sicht dazu.


    Hallo Lost,


    unter folgendem Link
    http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Romantiker


    findest Du eine Liste der Romantiker. Unter Punkt 4.1. (England, Literatur) findet man u.a. Byron, Keats, Lamb, Shelley aber nicht Walter Scott, wohingegen unter Punkt 6.1. (Frankreich, Literatur) Stendhal neben Balzac, Dumas, Hugo u.a. genannt wird. Also Stendhal Romantiker, Scott nicht, wäre eine einfache Schlussfolgerung aber so einfach will ich es mir nicht machen und es wäre imo auch falsch. Ich bin mit Dir der Meinung, dass Scott auch romantische Romane geschrieben hat und die von Dir aufgezählten Argumente, die imo alle richtig sind, sprechen dafür. Aber die Frage war nicht ob Scott romantische Romane geschrieben hat, sondern ob „Ivanhoe“ ein romantischer Roman ist? Und da kann man Deine Argumente gegen Dich verwenden:


    Ja, Rückgriff auf „nationale“ Überlieferung ist ein Merkmal der Romantik und die ersten Romane Scotts spielen alle in seiner Heimat Schottland (Sir Tristrem, The Antiquary, Old Mortality, Rob Roy und vor allem The Bride of Lammermoor, unmittelbar vor Ivanhoe geschrieben und ein Musterbeispiel für romantische Literatur) aber gerade mit „Ivanhoe“ verlässt Scott seine schottische Heimat – der Roman spielt in England.


    Ja, auch die Behandlung von Stoffen aus Sagen und Märchen ist ein Merkmal der Romantik. Ein typisches Beispiel dafür wäre „Undine“ von Friedrich de la Motte Fouqué, aber „Ivanhoe“ behandelt keine Sagen- oder Märchenfiguren sondern ist ein historischer Roman, der historische Figuren behandelt, wenn auch nicht historisch korrekt.


    Themen der Romantik sind Sehnsüchte, Gefühle, Leidenschaften und seelisches Empfinden, also das Gegenteil von Action. Das ist meine Meinung und es ist Dein gutes Recht eine andere Meinung zu haben – auch ich will da keine Überzeugungsarbeit leisten.


    "Ivanhoe" von Sir Walter Scott kann man schon als "Actionroman" und zur Romantik zählend einschätzen denke ich.


    Hallo Lost,


    Scotts „Ivanhoe“ ist ein Historischer Roman und man kann ihn als „Actionroman“ bezeichnen. Aber, dass er ein romantischer Roman ist bezweifle ich. So wie nicht alle Romane die in der Zeit des Realismus geschrieben wurden realistische Romane sind, da gibt es auch noch naturalistische oder romantische Romane, so sind nicht alle Romane die in der Zeit der Romantik geschrieben wurden romantische Romane. Typische Vertreter der englischen Romantik waren Lord Byron und John Keats. Jetzt vergleich mal Byrons Manfred mit dem Ivanhoe (beide wurden fast zur selben Zeit geschrieben), möglicherweise merkst Du den Unterschied. Wenn nicht kannst Du ja mal versuchen mich davon zu überzeugen, das der Ivanhoe romantisch ist. Ich bin lernfähig.


    vielen Dank für das Bloom-Zitat. Interessant finde ich, dass er "Die Kartause ..." als romantisches Werk einstuft, was ich nachvollziehen kann und für richtig halte.


    Ja, und wenn man das erst mal akzeptiert dann beurteilt man den Roman natürlich auch ganz anders, zumindest kann es dann kein Actionroman mehr sein, jedenfalls ich habe noch nie von einem romantischen Actionroman gehört.


    Das halte ich für eine unglückliche Formulierung.


    Ja, die ist nicht nur unglücklich, sondern verunglückt, sorry (wenn man, wie ich, von anderen klare Formulierungen erwartet, muss man sich in solchen Fällen auch mal an der eigenen Nase packen)



    und die "Vollendung" des französischen Romans im 19. Jahrhundert ist deshalb nicht Stendhals, sondern Flauberts Verdienst.


    Der Stich geht an Dich und er sei Dir gegönnt, - zu Deinem restlichen Beitrag, werde ich mich noch äußern, insbesondere zu Prousts Meinung zu Flaubert und zu unserem gemeinsamen Freund Balzac.


    LG


    Hubert

    Am Samstag (30. Juli 2011) habe ich dann das Programm der internationalen Truppen ausgiebig genossen:


    Ab 15.00 Uhr „Parada Narrnia“ ein Klassiker des Straßentheaters, der seit der Uraufführung vor 12 Jahren von der Gruppe „Grotest Maru“ europaweit gezeigt wird. Die Darsteller, Mitglieder des Hofstaates der vergessenen Königin (der große Vogel, der traurige Prinz, der magische Gärtner …) spielten in durchweg weißen Phantasiekostümen, auf Stelzen mit Gestik, Mimik und Bewegung mit dem begeisterten Publikum.



    Danach „Tukkersconnexion“ mit der „Orange Frau“. Die Holländerin Godelieve Huijs, errang mit diesem Walkact vor zwei Jahren den Weltmeistertitel beim World Statues Festival, - in Ludwigshafen raste sie mit ihrem Koffer durch die Bismarckstraße und führte uns, immer im Dialog mit dem Publikum, die Hektik unserer Zeit vor Augen.


    Die „Compagnie Azimuts“ aus Lothringen startete mit diversen Instrumenten auf ihre Expedition „Les Branks – Fanfare d’intervention urbaine“, die das Überleben im Großstadtdschungel zum Thema hatte. Ausgestattet mit extravaganten Kostümen im Safari-Look mischten sich die Musiker ins urbane Leben und zogen nicht nur das Publikum sondern z.B. auch die Schaufensterpuppen eines geenterten Modegeschäfts in ihr Programm mit ein.


    Begeistert von dieser Produktion hab’ ich mir auch die andere französische Musiktheatergruppe angesehen: „Cie Tuttifrutti“ entführten in „Un air de fete“ das Publikum auf einer poetischen und clownesken Reise in bunten Kostümen durch die Welt der Musik. Zwei Frauen und drei Männer (Trompete, Klarinette, Saxophone, Posaune und Basstuba) gaben ein virtuoses Konzert – ein Augen- und Ohrenvergnügen der französischen Art.


    Der 20-jährige Taiwanese William Wei-Liang Lin gilt als weltweit bester Diabolospieler. Zusammen mit seiner MHD-Crew gab er eine temporeiche Show auf dem Rathausplatz. „Diabolo Art of Taiwan“ hieß die spektakuläre Darbietung der jungen Artisten aus Taiwan voller Eleganz und Dynamik – einfach faszinierend.


    Bevor ich mich dann vor dem Nachtprogramm noch den kulinarischen Köstlichkeiten im Bistro „Peach“ widmete habe ich mir noch die drei bezaubernden Tänzerinnen der britischen Gruppe „Mimbre“ angesehen: die in ihrem poetischen Programm vom Abschied, vom Reisen und von der Kraft der Freundschaft berichteten.