Straßentheater

  • Theater ist ja so vielfältig und da ich in letzter Zeit viel Deutsche Klassiker (Goethe, Schiller) gesehen hatte, habe ich mir am letzten Wochenende mal was ganz Anderes gegönnt und das 12. Internationale Straßentheaterfestival in Ludwigshafen besucht.
    Neunzehn Acts aus sieben Ländern verwandelten an neun Schauplätzen den öffentlichen Raum in der Innenstadt in eine Bühne. Begonnen hatte das Festival am Donnerstag mit einer speziell für den Ludwigsplatz kreierten Inszenierung der aus dem legendären CIRQUE GOSH hervorgegangenen Berliner „Artistokraten“, einem hochkarätig besetztem Ensemble aus Mimen, Tänzern, Musikern und Akrobaten, die mit ihrer „Show Baroque“ begeisterten. Im Mittelpunkt der Show stand die ironische Stilisierung des Barock, wobei sowohl komödiantische Spielszenen als auch akrobatische Darbietungen beeindruckten.

  • Berufsbedingt konnte ich mir das Tagesprogramm des Straßentheaterfestivals am Freitag nicht ansehen, aber das Nachtprogramm ab 22.30 Uhr auf dem Europaplatz faszinierte genug:


    Mit akrobatischen Glanzleistungen erzählte das holländische „Theater Gajes“ die Geschichte vom Ritter mit dem traurigen Gesicht, der nicht von seinen Überzeugungen abzubringen ist, neu: Als Weggefährten wählt er beim „Theater Gajes“ nicht Sancho Panza, sondern Sancha eine Frau – trotzdem ist Don Quixote ständig auf der Suche nach seiner imaginären Traumfrau: Dulcinella und hat für Sancha keinen Blick übrig. Mit dem sehr blauäugigen Rosinante, einer etwas schiefen Windmühle, lockigen Schafen, Schauspielern auf Stelzen und einer überzeugenden Bühnenmusik (hervorragend die Cellistin) brachten die Holländer Theater für alle Sinne.

  • Am Samstag (30. Juli 2011) habe ich dann das Programm der internationalen Truppen ausgiebig genossen:


    Ab 15.00 Uhr „Parada Narrnia“ ein Klassiker des Straßentheaters, der seit der Uraufführung vor 12 Jahren von der Gruppe „Grotest Maru“ europaweit gezeigt wird. Die Darsteller, Mitglieder des Hofstaates der vergessenen Königin (der große Vogel, der traurige Prinz, der magische Gärtner …) spielten in durchweg weißen Phantasiekostümen, auf Stelzen mit Gestik, Mimik und Bewegung mit dem begeisterten Publikum.



    Danach „Tukkersconnexion“ mit der „Orange Frau“. Die Holländerin Godelieve Huijs, errang mit diesem Walkact vor zwei Jahren den Weltmeistertitel beim World Statues Festival, - in Ludwigshafen raste sie mit ihrem Koffer durch die Bismarckstraße und führte uns, immer im Dialog mit dem Publikum, die Hektik unserer Zeit vor Augen.


    Die „Compagnie Azimuts“ aus Lothringen startete mit diversen Instrumenten auf ihre Expedition „Les Branks – Fanfare d’intervention urbaine“, die das Überleben im Großstadtdschungel zum Thema hatte. Ausgestattet mit extravaganten Kostümen im Safari-Look mischten sich die Musiker ins urbane Leben und zogen nicht nur das Publikum sondern z.B. auch die Schaufensterpuppen eines geenterten Modegeschäfts in ihr Programm mit ein.


    Begeistert von dieser Produktion hab’ ich mir auch die andere französische Musiktheatergruppe angesehen: „Cie Tuttifrutti“ entführten in „Un air de fete“ das Publikum auf einer poetischen und clownesken Reise in bunten Kostümen durch die Welt der Musik. Zwei Frauen und drei Männer (Trompete, Klarinette, Saxophone, Posaune und Basstuba) gaben ein virtuoses Konzert – ein Augen- und Ohrenvergnügen der französischen Art.


    Der 20-jährige Taiwanese William Wei-Liang Lin gilt als weltweit bester Diabolospieler. Zusammen mit seiner MHD-Crew gab er eine temporeiche Show auf dem Rathausplatz. „Diabolo Art of Taiwan“ hieß die spektakuläre Darbietung der jungen Artisten aus Taiwan voller Eleganz und Dynamik – einfach faszinierend.


    Bevor ich mich dann vor dem Nachtprogramm noch den kulinarischen Köstlichkeiten im Bistro „Peach“ widmete habe ich mir noch die drei bezaubernden Tänzerinnen der britischen Gruppe „Mimbre“ angesehen: die in ihrem poetischen Programm vom Abschied, vom Reisen und von der Kraft der Freundschaft berichteten.

  • Im Nachtprogramm ab 22:30 Uhr gab’s noch mal ein Highlight, für viele Zuschauer und auch für die örtliche Presse, das Highlight, für mich ein zweites Highlight nach dem holländischen „Don Quixote“.


    An der „Circomedia“ (einer Akademie für Trapez, Akrobatik und Körperperformance im englischen Bristol) haben sie sich kennen gelernt und 2004 die, nach einer Wissenschaftsmethodik der Scholastik benannte, Gruppe „Ockham’s Razor“ gegründet. Auf dem Hans-Klüber-Platz zwischen Hack-Museum und Philharmonie gaben sie ihr aus drei unterschiedlichen Szenen bestehendes Programm „Triple Bill“:


    Bei „Arc“ zeigten Charlotte Mooney, Tina Koch und Alex Harvey tänzerische Akrobatik auf höchstem Niveau. Auf einer Art fliegender Teppich, der aber sehr grobmaschig aus Eisenrohren gestrickt war, formierten sich die drei in luftiger Höhe mal zu einer „ménage à trois“ mal zu „Drei sind einer zu viel“. Zuletzt trieben sie es so toll, dass der „Teppich“ kippte und das Spiel jetzt an einer Art Sprossenwand weiterging. „In Kombination mit wunderschönen Klavierklängen war das zum Weinen schön“, schrieb die örtliche Presse.


    In der zweiten Szene „Memento Mori“ zeigten ein Mann und eine Frau an einem Trapez das gleiche Thema (Verlässlichkeit versus Verletzlichkeit) aber mit völlig anderen Mittel. Hier standen keine akrobatischen Höhenflüge im Vordergrund sondern poetische Bilder.


    Während die ersten zwei Teile anrührend intensiv waren, war der dritte Teil „Every Action“ humorvoll verspielt. Zwei Männer und zwei Frauen hingen sprichwörtlich in den Seilen, kletterten abwechseln hoch oder ließen sich hochziehen und dann ging’s wieder nach unten, bis die anderen Drei einmal einen oben hängen ließen – bei einer „ménage à trois“ ist halt der Vierte „Einer zu viel“



    Zwischen den einzelnen Szenen entführte die seit dreizehn Jahren in London lebende japanische Musikerin Nao Masuda in die rhythmische Welt der traditionellen japanischen Trommelkunst Taiko. Erstaunlich wie kraftvoll die zierliche Japanerin zuschlagen konnte.


    Taiko-Trommeln stammen ursprünglich aus China, wo sie in Tempel z.T. anstelle von Gongs verwendet wurden. Mit dem Buddhismus wurden sie nach Japan exportiert und hier fanden sie vielfältige Verwendung:
    In der schamanischen Shinto-Religion zum Beschwören des Sturm- und Wettergottes Susanoo, bei den Bauern als Begleitmusik zur Feldarbeit, bei den Fischern als Alarmsignal bei Überfällen, bei den Samurai als Angriffssignal und seit dem 14. Jahrhundert im „No-Theater“ - und von da in andere Theaterformen übernommen ist es heute eine eigenständige Bühnenkunst.


    Als Beschwörung des Wettergottes scheint das Taiko-Trommeln aber auch heute noch erfolgreich zu sein, in Ludwigshafen jedenfalls war Susanoo gnädig und ließ auch weit nach Mitternacht den Hans-Klüber-Platz noch bis auf den letzten Platz besetzt und die begeisterten Zuschauer nach dem Ende der Show stehend Beifall spenden.