Beiträge von Knabe


    Moin, Moin!


    <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Weltb%C3%BChne">Die Weltbühne</a>, das linke Wochenblatt, ein publizistischer Monolith der Weimarer Republik, der sie für uns Heutige so widerspiegelt und veranschaulicht und der mit so berühmten Herausgebern wie <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Tucholsky">Kurt Tuchsolsky</a> und <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_von_Ossietzky">Carl von Ossietzky</a> glänzte, wird uns leichter zugänglich gemacht durch eine gezielte Auswahl an wichtigen Beiträgen, durch die wir einen Überblick zu gewinnen, der uns durch eigenes Stöbern nur sehr viel mühsamer, wenn überhaupt, gelänge. <a href="http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3867320268/leipzigerbuch-21">Aus Teutschland Deutschland machen. Ein politisches Lesebuch zur 'Weltbühne'</a> ist ein mehr als 500-seitiges Kompendium aus dem Berliner Lukas-Verlag, zu welchem ein <a href="http://www.weltbuehne-lesen.de/">eigene Webseite</a> existiert. Die Zeit schrieb: "In neun thematisch gegliederten Kapitel präsentiert dieser Band eine gelungene Auswahl: politische Leitartikel, kritische Analysen, Essays, Reportagen, Porträts. Man staunt und fragt sich, warum es ein Periodikum dieser Qualität heutzutage nicht mehr gibt." Vorgestellt auch im <a href="http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/819729/">DLR</a>.


    Was für ein Buch! DANKE, Dostoevskij, für den Hinweis!

    Hallo Telemachos!


    2. Der Geliebte sei besonders ehrenwert, wenn er auch dem Liebenden zugetan sei, denn der ist ja sowieso vom Gott besselt.


    Mir erscheint das wie ein Analogon zur Kübeltheorie (175e), die Sokrates ja als falsch abgetan hat.


    Wieso erscheinen dir die von Phaidros herangezogenen Mythen nicht in sich schlüssig? Darf ich die Beispielsmythen der Übersicht halber für mich zusammenfassen?


    a) Alkestis ist bereit, für ihren Gatten zu sterben. Diese Tat beeindruckt die Götter so sehr, dass sie sie wieder aus dem Hades entlassen. (179c f)
    b) Orpheus will nicht aus Liebe in den Tod, sondern ist listig darauf bedacht, lebend in den Hades zu gelangen, was die Götter missbilligen. (179d)
    c) Achill wird auf die Inseln der Seligen geschickt, weil er selber mit der Entscheidung, seinen Liebhaber Patroklos zu rächen, freiwillig in den Tod geht. (179e f)


    Phaidros zeigt damit anhand von Beispielen auf, dass die Götter die Tüchtigkeit im Zusammenhang mit der Liebe bewundern und belohnen.


    Gruß
    ein neugieriger Knabe


    habe die romane nicht gelesen, aber könnte das nicht eine absichtliche verkehrung sein, eine scheinbare umdrehung und zugleich gleichmachung der geschlechter? so als verwirrung für den leser, der zuerst denken mag malina wäre eine frau, die sich dann als mann entpuppt und doch ein und dasselbe ist.


    Das glaube ich nicht. Ich zumindest gewöhnte mich leicht an die Tatsache, dass Malina männlich sei. Auch seine Sprache ist "männlich" im Sinne von souverän und gefasst, im Gegensatz zur Protagonistin, die eine wirre Ergebenheit zu sein scheint.


    Yoana, vielleicht gibt es nicht nur im Schreiben erkennbare Tendenzen zwischen Weiblich und Männlich, sondern auch im Lesen.
    Denn diejenige, die mir Bachmanns Romane mit Vorsicht empfahl, sagte mir auch, dass sie viele Frauen kenne, die Bachmann über alles lieben, gleichzeitig aber auch viele Männer, die sie ganz und gar unverständlich finden. Keinen einzigen Mann, sagte sie mir damals, kenne sie, die Bachmann schätze. Nun also bin ich der erste in ihrem Bekanntenkreis... ;)


    Gruß


    Sehr schön, Sir Thomas! Danke sehr!

    Die Rede des Pausanias (180c – 185c), also die zweite Rede, wirft nun ganz neue Aspekte ein.


    Ich denke, dass die Rede zu lang ist, um sie hier in einem Beitrag abzutun. Ich will vorsichtig sein und zunächst nur bis 181c gehen.


    Erstens finde ich im Übergang 180c eine erneute Äußerung über die mündliche Überlieferung des Symposions merkwürdig:

    Zitat

    Phaidros habe etwa eine derartige Rede gehalten, sagte Aristodemos. Nach Phaidros hätte es noch einige weitere (Reden) gegeben, an die er sich aber nicht genau erinnere. Diese überging er […]


    Merkwürdig, weil solche Informationen sehr nebensächlich scheinen, sodass man sich als Leser vielleicht fragt: Wozu erwähnt er das?


    Zweitens war für mich eine Verdopplung des Eros und der Aphrodite überraschend (180c ff). Die Existenz Eros’ sei nach Pausanias an die Existenz der Aphrodite gekoppelt; da es aber zwei Aphrodite gebe, nämlich eine himmlische (Urania) und eine gewöhnliche (Pandemos), gebe es auch zwei Eros (Erotes?). Man müsse sich erst festlegen, über welchen Eros man reden möchte.


    In 181a meint Pausanias, dass jede Handlung weder schön noch hässlich sei. Nur die Art der Handlung lege ihre Qualität fest. „Auch nicht jeder Eros ist schön und würdig, gepriesen zu werden, sondern (nur) der, der dazu anleitet, in schöner Weise zu lieben.“


    Nach 181b ist der Eros der gewöhnlichen Aphrodite (Pandemos) offenbar nicht würdig, gepriesen zu werden, da er vulgär sei. So bevorzugen diejenigen, die nach dem vulgären Eros lieben: Frauen, Körper und Unvernünftigkeit, anstatt Knaben, Seelen und Vernunft.


    (a) hat auch eine militärische Bedeutung: Ein Heer aus Liebenden. Ursprünglich habe ich über eine solche Vorstellung gelacht, so à la schwule Bundeswehr. Tatsächlich gab es aber in Griechenland solche Bestrebungen, so vor allem die Heilige Schar von Theben:


    Ja, aber laut Reclam-Kommentar erst im Jahr 380 v. Chr., also kurz nach der Entstehung des Platon'schen "Symposion" und Jahrzehnte nach der Rede des Phaidros.


    Der bisher schönste Satz in meinen Augen: "denn etwas Göttlicheres ist der Liebende als der Geliebte" (180b). Es ist offenbar ehrenwerter und edler, zu lieben, als geliebt zu werden.


    Ja, Kaspar, in den letzten zwei oder drei Tagen war ich häufiger abgelenkt. Es sollte aber ab morgen wieder rascher vorangehen.


    Gruß


    Im Großen und Ganzen stimme ich deiner Interpretation zu. Aber wenn man etwas pedantisch sein will, dann scheint sie mir nicht schlüssig (z. B. würde man doch daraus schließen müssen, dass "wir" beim ersten Kosten vom Baum der Erkenntnis dann doch nicht volle Erkenntnis erhalten haben, sondern nur halbe?). Aber es sind lauter schülerhafte, unsinnige Spekulationen, womit ich das Forum nicht so gerne belästigen will. Höchstens in einer Leserunde :rollen: :zwinker:


    Gruß

    Der musiktreibende Sokrates ist mir neu! Danke für die (und für viele andere) Informationen!


    Da du, Kaspar, die verschiedenen Liebschaften aufdeckst, frage ich mich, wie Platon eigentlich die Personen auswählte. Bisher hatte ich den Eindruck, dass Sokrates der einzige Wichtige sei, dass alle anderen Personen beliebig austauschbar seien. Außer, wie erwähnt, bei der Apollodoros'schen Missstimmung über die Philosophie, da dachte ich, es könne eine Art "Insider" über Apollodoros sein.


    (Obwohl - so unsinnig sind die Informationen nun doch wieder nicht. Eryximachos [Erastes] bezieht sich ja auf Phaidros [Eromenos] und fordert von diesem die erste Rede. Die verschiedenen Reden werden dann möglicherweise andere Einblicke gewähren... noch kann ich's nicht beurteilen!)


    Sokrates als Lustgreis? Ja, die Stelle erschien mir als eine rätselhafte Antizipation, die sich mögl. auf Diotimas Erläuterungen beziehen. Bisher also kann ich nicht viel darüber sagen.


    Gruß


    (P.S. Zur [Husserl'schen] Phänomenologie: Gerade diese "Wesenschau" war mir nie ganz einleuchtend, aber das sollte ich vielleicht an anderer Stelle herausfinden...)
    (P. P. S. Zu "Ion": Hrm, da schweige ich an dieser Stelle lieber... meine Meinungen darüber vielleicht in einer anderen Leserunde ["Platons Frühwerk"] :breitgrins: )

    Gibt es eine kommentierte "Titan"-Ausgabe?


    Kaspar, bei meiner ersten Schulmeisterlein Wutz-Lektüre ging es mir sehr ähnlich wie dir, aber da war ich noch 16. Ein Jahr später versuchte ich's noch einmal, und es gefiel mir schon besser, war aber noch immer nicht mein Ding, ich hielt ein Referat darüber, bei dieser Gelegenheit sprach mein Professor die liebevollsten und enthusiastischsten Worte über Jean Paul, die ich so lange im Kopf behalten habe, bis ich im letzten Sommer "Siebenkäs" las. Es hat mich von vorn bis hinten begeistert, dass ich beinahe meinte, Jean Paul wäre jetzt mein neuer Lieblingsautor. Im Nachsommer dann las ich "Flegeljahre", ein Roman, der mich in der Meinung tausendmal bestätigte.


    Aber sollte ich deswegen "Titan" lesen? Ich habe hier schon öfter gelesen, dass er auch für Jean Paul-Liebhaber eine große Enttäuschung sein könne.


    Gruß


    Den gleichen Eindruck hatte ich vom "Brief einer Unbekannten". Der Versuch, mit billigen Phrasen sentimental und pathetisch zu wirken, scheitert darin so jämmerlich, dass ich nicht weiß, ob Zweig diese Novelle wirklich ernst meinte.


    Irgendwann werde ich vielleicht ein Drama von ihm lesen, und noch die "Welt von gestern", ansonsten, glaube ich, werde ich wohl wie Sir Thomas die Finger von ihm lassen.


    Gruß

    Hallo Kaspar und Telemachos



    Kaspar, ich merke, du fügst immer neue Überschriften in die Beiträge ein, was den ganzen Ordner viel übersichtlicher macht!


    Aber es leitet zum Thema des Rausches über (176d): der Rausch sei also den Menschen nachteilig, sagt Eryximachos. Das kontrastiert sehr mit der berauschten (enthusiastischen) Rede der Diotima. Es erinnert mich auch an die Struktur des Dialogs Phaidros: da wird zu Anfang die Liebe abgewehrt mit dem Argument, sie treibe zum Wahnsinn und Rausch, was jedoch S. später im Dialog umkehrt und den Wahnsinn / Rausch / Ekstase der Liebe preist (vgl. die Interpretation von J. Pieper vom "göttlichen Wahnsinn" im Phaidros).


    Ich würde das auch gerne wieder zurückbiegen auf das Thema des Wissens als Traum, den S. zu Anfang verkündet (175e), denn beide Formen erscheinen uns irrational (Traum, Rausch); sie erinnern an Kultisches, während der Verstand in Person des Eryximachos erklärt, Berauschtsein sei dem Menschen schädlich. Es geht also mit dem Trinken um nichts weniger als um den rechten Zugang zur "Wahrheit". Ich habe den Eindruck, hiermit entfernt sich Platon vom "wahren" Sokrates.


    Du meinst, Plato entferne sich mit dem unvernünftigen Traum & Rausch vom historischen Sokrates? Aber hat Platon im "Ion", einem Frühwerk - und es heißt ja, dass Platons Frühwerk den historischen Sokrates wahrscheinlich wahrhaftiger porträtiere - hat Platon also im "Ion" Sokrates nicht Ähnliches sagen lassen? Dass die Rhapsodie eigentlich eine göttliche Eingebung sei, die auch rauschhaft vonstatten geht, und lobt Sokrates diese Gabe nicht in höchsten Zügen?


    Du machst mich auf "Phaidros" sehr neugierig. Den will ich nun auch lesen. Zuerst aber das Symposion, und es ist, Kaspar, sehr gut, dass du schon auf Alkibiades und Diotima Bezug nimmst; so weiß ich, worauf zu achten ist! Viele der hier bereits begonnenen Gesprächsfäden scheinen sich ja auch erst im Laufe des Dialogs zu klären. Da ist es gut, das jetzt noch Unklare aufzuzeigen, dass wir's nicht vergessen.


    Gruß





    Ach so, noch etwas!
    1.) Was heißt "phänomenologisch"?
    Ich habe in den letzten Monaten zwar mehrere Definitionen gelesen, aber nie so ganz begriffen, was es denn heißt. :
    Ist es das, was Gontscharow "nebenan" (http://www.klassikerforum.de/i…51.msg34570.html#msg34570) von Pessoa zitiert:



    Das Fragment 458 , in dem Bernardo seine Art des Sehens und Anschauens darlegt, ähnlich wie Rilkes Konzeption des "reinen Schauens", das er in den Dinggedichten und im " Malte Laurids Brigge"( " Ich lerne sehen") entwickelt :" ... sie (die Dinge) mit dem Ausdruck zu erleben, den sie abgetrennt von dem ihnen auferlegten Ausdruck besitzen. Im Fischweib die menschliche Wirklichkeit erkennen, unabhängig davon, dass man sie Fischweib nennt und weiß, es gibt sie, und sie ist Händlerin. Den Polizisten sehen, wie Gott ihn sieht. Alles zum ersten Mal wahrnehmen..."


    2.) Ja ja, ich mag zu lästig sein, aber, Kaspar, könntest du Nietzsches "musiktreibenden Sokrates" bitte näher erläutern?


    :redface: :redface: Es tut mir Leid, dass ich mit meinen Fragen diesen Ordner etwas in die Uferlosigkeit treibe!


    Ich habe mich jetzt ein bisschen eingelesen und ich muss gestehen, dass ich bisher nicht wusste, dass die ganzen Dichter und Denker in so großem Kontakt zueinander standen.


    Bis jetzt macht mir das Studium der Autoren extrem viel Spaß.


    Katrin


    Recht spannend fand ich auch Briefe von den "Vorklassikern" (wenn man so will ...), z. B. Gleim, Ramler, Uz, Klopstock, Lessing, Mendelssohn, Nicolai usw., die sie untereinander schrieben. Ich glaube, wenn man eine Briefsammlung solcher Autoren in der Bibliothek findet, könnte man den Literaturbetrieb des 18. Jahrhunderts auf sehr schöne Weise kennen lernen. :)

    Hallo, Jaqui, danke für's Antworten! Ja, dass unsere Sünden durch das nochmalige Essen vom Baum der Erkenntnis aufgehoben werden, scheint mir eine naheliegende Deutung, war mir aber bisher nicht so plausibel. Verständlicher finde ich die griechische Mythologie, wenn sie besagt, dass die Büchse der Pandora, die alles Unheil auf Erden brachte, noch einmal geöffnet werden muss, weil die Hoffnung ("elpis") noch liegen geblieben ist, da die Büchse zu früh geschlossen wurde.


    Ich frage mich nur, ob die Behauptung, wir müssten noch einmal vom Baum der Erkenntnis essen, etwas Unmögliches verlangt.


    Mir erscheint der Text sehr religiös (oder mystisch), ich glaube, mit ein wenig Meditation wird man den Schlüssel finden...


    Gruß

    Wenn ein Erzanfänger geduldet wird und wenn die Leserunde lange offen bleiben kann,
    dann will ich Pascal mitlesen.


    Kaspar (und andere) -
    welche Vorlektüren zu Pascals "Gedanken" empfiehlst du?


    Gruß

    Ich hoffe, ich übereile mich nicht, wenn ich schon vom nächsten Abschnitt spreche.


    176a - 177e
    Gibt es über diesen Abschnitt viel zu diskutieren? Mir erscheint er wie ein Übergang (einer von mehreren?) Richtung Kerninhalt des Stückes:
    Denn die Teilnehmer des Trinkgelages beratschlagen nach dem Essen, wie man die Zeit nun verbringen sollte. Es solle nicht zwanghaft viel getrunken werden, da die meisten Teilnehmer vom Symposion tags zuvor Erholung benötigten. Stattdessen setzt sich Erixymachos mit dem Vorschlag durch, dass jeder Teilnehmer eine Rede auf Eros halten müsse (177d). Phaidros, der eigentliche Urheber dieser Idee, solle mit der ersten Rede beginnen.


    Interessant ist die Feststellung, dass es angeblich bis dahin überhaupt keine Lobrede oder Hymnen auf diesen Gott Eros gegeben haben soll. (Umso überraschender für mich, da ich meinte, dass Homer auf die wichtigsten Götter Hymnen geschrieben hat; aber im [URL=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,2897.msg34561.html#msg34561]Matierialien-Ordner[/URL] erläutert Kaspar, dass Eros bei Homer noch unbekannt sei –)


    Gruß

    Hallo!



    Danke, Knabe und Telemachos für die Klarstellung. Wieder ein Beispiel verwirrender Übersetzungen. Inzwischen scheint mir auch die Schleiermachersche Übersetzung nicht mehr das Nonplusultra.


    Hrm; vielleicht sollte man nicht so streng sein. Wieder spreche ich nur als Laie, aber das Wort "malakos" hat im Griechischen offenbar auch eine kuriose Entwicklung durchgemacht. Mein Griechisch-Professor erzählte uns nämlich, dass heute "malaka" als Schimpfwort im Gebrauch ist. Übersetzen würde man es, so mein Professor in einer vorsichtigen Andeutung, mit "Wichser". Vielleicht hatte das Wort schon zu Schleiermachers Zeiten eine Wandlung in eine derbe Richtung getan und Schleiermacher irrte sich infolgedessen, aber bei Plato scheint mir doch der "Sanfte" am Passendsten.



    Zitat

    Meines Wissens wird ausschließlich im Symposium dieser "katatonische" Zug des Sokrates erwähnt, und zwar 174e und 220c-d (im Krieg). Auch wird eine art meditative Haltung des Sokrates in den Wolken des Aristophanes berichtet, und dieser erscheint ja auch im Symposium. Ob sich da ein Querverweis ergibt?


    Zwar bin ich noch nicht bei 220c-d (ich halte mich am langsamen Tempo dieser Leserunde), aber die Herausgeber meiner Ausgabe antizipieren im Kommentar bereits, dass dieses einsame Nachdenken kein kurioser Einzelfall, sondern ἤθος (Sitte, Gewohnheit) des Sokrates sei. (Denn so soll es bei 220 erwähnt sein.) In der Tat aber scheint Platon nur im "Symposion" diese Gewohnheit zu erwähnen.


    Zitat

    Dieses Stehenbleiben hat zu einigem Rätselraten geführt. Ist es der berüchtige Sokratische daimon, mit dem er "spricht" während des Nachsinnens? Wohl kaum, denn der schlägt unmittelbar zu und gibt keine Lösungen, sondern nur Kritik (Textstelle ist mir entfallen).


    Ich meine mich auch an eine solche Textstelle zu erinnern: Xenophons Memorabilien (Erinnerungen an Sokrates).



    Sokrates ist, wenn überhaupt einer, derjenige, der ans Licht trat, die Sonne gesehen hat und vielleicht unwillig ist, in die Höhle zurückzukehren. Er verrichtet aber sehr wohl seine Pflichten (Gebet an die Sonne) und kommt, wenn auch später, zum Gastmahl.


    Sehr guter Verweis zur "Politeia" und ihrem Höhlengleichnis! Dass er ein Gebet an die Sonne verrichtet erscheint mir beinahe so, als ob Platon seine eigene Einleuchtung der Ideenlehre und des Höhlengleichnisses illustriere. Aber ist das Gebet an die Sonne eine Pflicht? Nun ja, wie gesagt, noch bin ich nicht bei 220, aber aus dem Höhlengleichnis zu schließen scheint mir die einzige Pflicht die zu sein, in die Höhle zurückzukehren und den Gefesselten die höheren Stufen der Wahrheiten zu zeigen.



    Dass dies tatsächlich etwas mit jenem Doxa-/Episteme-Thema der Politeia zu tun hat, wird belegt durch das anschließende Gespräch zwischen Agathon und Sokrates, wo es um die "Kübeltheorie" des Wissenserwerbs geht (ein Ausdruck von Popper), 175d, also, wo Agathon meint, die Weisheit des S. könne zu ihm überfließen, sobald er sich neben ihn lege. Der aus der Sonne kommende Philosoph sollte also seine Weisheit den Höhlen-(Andron-)Bewohnern quasi löffelweise einflößen, was aber nicht möglich ist. Übrigens, an dieser Stelle eine Wiederholung des "Zwischengeplänkels" zwischen Apollodoros und Freunde, 172f.


    (Fettgedrucktes im Zitat ist von mir hervorgehoben)


    Nicht möglich? Mit dem Daneben-Liegen allein wahrscheinlich nicht, aber er kann sie doch belehren, ja er soll es ja tun, wenigstens dem Höhlengleichnis nach. (Ja, ich weiß, ich springe gerade in ein anderes Werk...) Was sagt Popper? Dass die Kübeltheorie nicht stimme? Haben wir aber nicht erst vor wenigen Tagen festgestellt, Platos Meinung sei, dass das Sprechen Erkenntnisse fördere? Sonst hätte Morgenstern mit seiner pessimistischen Aussage, jedes Gespräch sei nur Selbstgespräch, wohl Recht. (Denn der Versuch, die in der Höhle zu überzeugen, erschiene mir, wenn der Versuch scheitern muss, höchst sinnlos).


    Gruß


    Noch eine ganz kurze Anmerkung zu Ap: In 173c wird dem Apollodor von den Freunden ein Beiname gegeben. Bei Schleiermacher wird er "der Tolle" genannt, bei Susemihl "der Schwärmer", in einer uralten Reclam-Ausgabe steht "der Sanfte". Hmm. Was sagt ihr? Vom Kontext her erschiene mir "der Sanfte" am plausibelsten.


    Im Original heißt sein Beiname "μαλακ̀ος" (malakos), was ich auch mit dem "Sanften" übersetzen würde. Gemoll schlägt "weich", "zart", "mild" vor, vom Tollsein und Schwärmen ist im Wörterbuch keine Rede.


    Ich grab den alten Thread mal aus:


    Ich habe gestern "Über das Marionettentheater" gelesen und ehrlich gesagt habe ich es nicht ganz kapiert. Was will Kleist damit sagen und was hat der Bär am Schluss in der Geschichte zu suchen? Ich bin echt ratlos.


    Das mit dem Baum der Erkenntnis und so weiter, das habe ich ja halbwegs verstanden, aber der Rest hat mich eigentlich nur vollkommen verwirrt.


    Beim Lesen dachte ich, dass mit dem Bär ein Wesen gemeint ist, das ganz Reflex ist und also mit Kleists Worten "kein Bewußtsein" hat, folglich die reinste Grazie (oder, in diesem Fall, ein unbesiegbares Fechttalent) besitzt.
    Über die sonderbaren Behauptungen im Marionetten-Text musste ich sehr staunen. Ist es nicht schon erschütternd, in einer Fabrik Maschinen zu sehen, die sich tatsächlich mit einer Anmut höchsten Grades bewegen, so wie es kein Mensch zustande bringen würde?! Diese Beobachtung scheint mir sehr tiefgreifend. Ein Religionsprofessor sagte mir einmal, die 'Wissenschaft', die sich mit den Fragen und Problemen "vom Anfang und vom Ende" beschäftigt, sei die Ethik. Der Anfang, religiös betrachtet, ist, mein' ich, der Sündenfall, das Ende ("eschaton") das Jüngste Gericht. Die Beziehung der modernen Technik und der Menschen zueinander erschien mir bei der Kleist-Lektüre als ein tiefethisches Problem, das mit dem Sündenfall begann und am Jüngsten Gericht beendet wird. (...worauf ja die Sprecher Bezug nehmen)


    Aber das sind nur meine damaligen stürmischen Eindrücke gewesen, die nicht gerade Glaubwürdigkeit suchen. ;)




    Darf ich dich (und allen andern) nun fragen, wie du den Satz verstanden hast: dass wir noch einmal vom Baum der Erkenntnis essen müssen, um wieder reinste Unschuld zu erlangen?


    Zitat


    Sehr gut dagegen fand ich "Die Familie Schroffenstein", die ich heute in einem Rutsch gelesen habe. Beim Lesen musste ich zwar manchmal den Kopf schütteln und habe mir nur gedacht, das glaubt doch kein Mensch, aber es ist zumindest klar was Kleist sagen will. Alles in allem zwei sehr nette Lektüren, bei der ich beim ersten etwas Schwierigkeiten hatte.


    Nenne mich lästig, aber mir liegt die Lektüre schon einige Monate zurück, so dass ich mich nicht mehr an alles erinnern kann. So bitte ich dich, mich zu erinnern: Was wollte Kleist (deiner Auffassung nach) mit diesem Drama sagen?


    Gruß

    Ihr zwei,
    sehr schöne Beiträge und scharfsinnige Deutungen! :klatschen: Ich bin sehr begeistert von euch!



    Eine Kleinigkeit nur noch: Wo steht, dass Aristodemos barfuß läuft? Diese Stelle habe ich scheinbar übersehen.


    Das scheint mir, zumindest nach raschem Durchsehen, aus dem Text nicht ersichtlich, aber in meinem Personenverzeichnis steht:


    "ARISTODEMOS VON KYDATHENAI: begeisterter Anhänger des Sokrates, der ihn auch in Äußerlichkeiten wie der Gewohnheit, barfuß zu gehen, imitierte; Erzähler der Ereignisse bei Agathons Symposion."


    Danke, Kaspar, für die Eros- und Päderastie-Texte!


    Gruß