Da magst du durchaus Recht haben , sandhofer. Für mich wird der Lyriker Heine allerdings weiterhin durch andere Hervorbringungen als diese beiden - dann wohl seine - Wortneuschöpfungen einer der größten unserer Sprache sein. Ich habe mal ein Seminar über " Deutschen Kitsch" ( es gab da eine wunderbare Textsammlung von Walter Killy) mitgemacht, und da gab es diese beiden Begriffe häufiger in Texten aus der "Gartenlaube" und anderen einschlägigen Magazinen und Autoren. Sie idealisieren weibliche Schönheit auf eine pflanzlich- passive Weise, die heute wohl eher lächerlich oder sogar anstößig wirkt.
Beiträge von finsbury
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Ulrich und die Frauen ... . In Kapitel 119 sucht ihn Gerda auf, vordergründig, um ihm eine wichtige Information ihres Vaters Leo Fischl über Arnheim zu übermitteln - dass dieser sich für den Erwerb galizischer Ölfelder interessiere (was auf dem Gebiet Österrreich-Ungarns liegt und einen ganz neuen Blick auf sein Engagement für Diotima und die Parallelaktion ermöglicht - in Wahrheit aber, um mit Ulrich eine erste Liebesbegegnung zu haben, denn sie ist in ihn verliebt, glaubt, dass er ihr gegenüber ähnlich empfindet und ist in einer erotisch überreizten Situation, da ihr Freund Hans sie zwar umarmt und küsst, den Vollzug jedoch mit Verweis auf die Reinheit ihrer Beziehung und der deutschen Jugend an sich ablehnt. Ulrich fühlt sich von Gerdas gelblicher Schärfe eher abgestoßen, aber - ganz im Rahmen des traditionellen Männerbildes, das Musil hier in seinen Helden projiziert - ist er allzeit bereit, sein Bestes zu tun, um eine ihn liebende Frau zu beglücken. Aber Gerdas Körper protestiert gegen ihr Vorhaben, sie bekommt einen hysterischen Anfall und flieht unverrichteter Dinge nach Hause.
Immer mehr bekomme ich hier den Eindruck, dass die ganzen gescheiterten Affairen Ulrichs, auch sein emotionales Unerfülltsein und seine Orientierungslosigkeit uns wohl im nächsten Buch zu einer Begegnung führen sollen, die eine neue Perspektive aufzeigt.
Währenddessen ist Walter nach der spannungsgeladenen Begegnung mit seiner Frau aufgebrochen, um sich in Kapitel 120 den Protest gegen die Parallelaktion anzusehen. Das Phänomen der Massenhysterie und des sich Aufgehobenfühlens in der Masse wird in diesem Kapitel thematisiert. Der Protestmarsch führt zu Graf Leinsdorfs Amtssitz, wohin sich Ulrich begeben, nachdem ihn Gerda verlassen hat. Er beobachtet nun die Protestierenden von der Warte des Adressaten aus und kann auch in dieser Rolle am Fenster stehend seinen Spott nicht verbergen, was ihm umso wütendere Drohungen einbringt, denn die Demonstranten halten ihn für Leinsdorf. Dieser dagegen verliert nicht die Contenance und bleibt dabei, dass es den Deutschnationalen am besten geht, wenn die anderen Nationalitäten in Kakanien mithilfe von Zugeständnissen ruhig gehalten werden.
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Heinrich Heine: Die Harzreise (Buchveröffentlichung 1826)
Heine (1797-1856) schrieb diesen – seinen ersten - Reisebericht nach einer Harzwanderung, die er im Herbst 1824 als Göttinger Student unternahm.
Die Reiseerzählung beginnt mit einem spöttischen Portrait der Universitätsstadt Göttingen, wo Heine auch mal relegiert wurde und wo er weder an den Professoren, der Verwaltung noch an den in schlagenden Burschenschaften organisierten Studenten ein gutes Haar lässt. Bis in seine Träume verfolgen ihn die verknöcherten Professoren.
Dem entgegen stehen die berührenden Naturerlebnisse, die Heine bei den Wanderungen im Harz beschreibt. Hier merkt man, dass der junge Heine noch ganz in der Romantik verwurzelt ist. Ganz nach dem Novalis Motto „Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren / Sind Schlüssel aller Kreaturen / Wenn die, so singen oder küssen / Mehr als die Tiefgelehrten wissen …“ kontrastiert Heine die trockenen Göttinger Professoren und die verknöcherten Verwaltungsbeamten, die es auf den Brocken verschlagen hat, mit der unmittelbaren Naturbegeisterung der jungen und einfühlsamen Menschen sowie vor allem der einfachen Landbevölkerung, die noch ganz in der mündlichen Erzähltradition lebt, die an Naturerlebnisse anschließt. Daher spielen auch Märchen eine große Rolle und werden als Teil einer als magisch wahrgenommenen Natur präsentiert. Die Erzählung bricht unmittelbar nach dem Besuch des Ilsesteins ab und beschreibt nur noch summarisch die Begegnung mit den anderen Flüsschen des Unterharz.
Ich habe den kleinen Text für eine analoge Leserunde nun zum dritten Mal gelesen und wieder viel Freude daran gehabt. Nur einige Metaphern in den Gedichten fand ich reichlich abgedroschen, wie den Rosenknospenmund und die Lilienfinger. Aber Heine stand damals ja noch ganz am Anfang seiner dichterischen Entwicklung.
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Ich muss vorher einräumen, dass ich gerade stark erkältet bin und die hier dargestellten Kapitel halb gelesen, halb geträumt habe. Schon vorher habe ich sicher vieles nicht richtig oder nicht tief genug begriffen, jetzt wird das noch stärker der Fall sein.
Kapitel 116: Nach einer weiteren Sitzung zur Parallelaktion mit insgesamt immer weiter bröckelnder Beteiligung stehen am späteren Abend Diotima, der gerade heimgekehrte Tuzzi und der erst jetzt aufgetauchte Graf Leinsdorf sowie Arnheim, General Stumm und Ulrich zusammen. Leinsdorf ist unzufrieden mit den ausbleibenden Ergebnissen der Beratung und spürt die Auflösungserscheinungen. Der General macht einen militärischen Vorschlag der Aufrüstung von Forts an der südtirolischen Grenze und wird dabei von Tuzzi unterstützt, der die Zustimmung seines Hauses, des Auswärtigen Amtes signalisiert. Das Ganze wird aber von den beiden selbst auf eine Ebene der Lächerlichkeit gehoben, die das Unvermögen der Abstimmung der verschiedenen Ressorts betrifft. Diotima beendet das Geplänkel, indem sie darauf hinweist, dass Österreich dann dem Vorbild des sich aufrüstenden Deutschlands folgen würde, welches die europäischen Nachbarn mit großem Argwohn beäugten.
Nun geht es eine Weile um Deutschlands Weg und den Grund dafür. Arnheim führt Deutschlands Großmannssucht auf seine Lage in Mitteleuropa und die damit starke Beobachtung durch die Nachbarn zurück, die über alles lästern und herziehen würden. Ulrich erinnert daran, dass es auch in Österreich eine starke deutschnationale Bewegung gebe und diese auch Demonstrationen gegen die Parallelaktion plane, weil man darin das Deutsche vermisse. Tuzzi glaubt inzwischen, dass Arnheim eigentlich ein Agent der Russen sei und deshalb dauernd im Hause seiner Frau weile und drängt damit seine Eifersucht zurück.
Dann wird es wieder kompliziert, weil Ulrichs Gedankenwelt referiert wird, diesmal im Symbol zweier Bäume sich ausdrückend. Der eine umfasst Tat, Struktur und Ratio, der andere die Seele, Vertrauen, Hingabe und Liebe, also Softskills, deren Ulrich schon in den vorherigen Kapiteln nicht Herr wurde und die auch hier wieder eher zerfasert als erhellt werden. Aus diesen Gedanken heraus fordert er plötzlich ein "Generalsekretariat der Genauigkeit und der Seele"
als Ziel oder Mittel der Parallelaktion, um überhaupt mal festzustellen, wie ein innerer empathischer Zusammenhalt für die Menschen in dieser zerrissenen Zeit mit ihren immer neuen technischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen und Herausforderungen und der damit einhergehenden tiefen Verunsicherung gefunden werden kann. Interessanterweise stimmt ihm Leinsdorf zu. Dennoch endet die Versammlung wieder ohne einen Hinweis auf ein tragfähiges Konzept.
In Kapitel 117 begegnen wir wieder unserem Buffo-Paar Rachel und Soliman, zwischen denen es nun zu einer erotischen Begegnung kommt, angeheizt von der körperlichen Hitze Solimans und seinem Wunsch nach Vollzug des Aktes, von seiten Rachels eher durch ihre unbestimmte, aber anscheinend nicht erfüllbare Zuneigung zu Ulrich und dem dadurch verursachten körperlichen Verlangen. Nach der körperlichen Begegnung fühlen sich aber beide voneinander abgestoßen, Rachel noch mit der zusätzlichen Sorge vor einer Schwangerschaft und trennen sich erstmal voneinander.Eine äußerst merkwürdige Begegnung zwischen Walter und Clarisse bietet das 118. Kapitel. Walter, der eigentlich in die Stadt möchte, um eine Demonstration der Deutschnationalen gegen die Parallelaktion zu beobachten, lehnt es aus beschützerischen Gründen ab, dass Clarisse ihn dorthin begleitet. Clarisse, in ihrer Autonomie verletzt, greift zu einem Band Nietzsche (einem Hochzeitsgeschenk Ulrichs), legt eine Stelle für sich so aus, dass sie sich gegen Walters musikalischen Dilettantismus richtet und beleidigt ihn entsprechend. Walter steht kurz davor, sie auch körperlich anzugreifen, vielleicht zu vergewaltigen, aber nach einigen Eskalationsstufen bezüglich Walters Kinderwunsch und ihrer Ablehnung desselben und ihrem Vorwurf, er sei mittelmäßig, gerät Walter in eine träumerische Vision, sieht sich auf der Straße zwischen Menschen und denkt gleichzeitig über seine Vorliebe für Fische nach, die nur in ihrer Welt überlebensfähig sind und daher klarer sind als die Menschen und andere Lebewesen, die in mehreren Sphären zurechtkommen. Diese Vision ist wohl seine Form von Eskapismus angesichts der aggressiven Situation mit Clarisse und vermag ihn etwas zu beruhigen. Daher empfindet er zwar starken Schmerz, als Clarisse den Vorschlag macht, er solle Ulrich töten, weil er auf diesen eifersüchtig sei, aber seine Aggression zerfällt, indem er Clarisse Wahnsinn unterstellt, diese verlässt das Haus und die Situation löst sich auf.
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Für die deutschsprachige Literatur der Achtziger Jahre habe ich jetzt Lyrik gelesen:
Sarah Kirsch: LandwegeFür den gleichen Zeitraum lese ich außerdem noch von Siegfried Lenz: Exerzierplatz.
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Sarah Kirsch: Landwege. Eine Auswahl 1980 bis 1985 (Lyrik, 1985)
Die Lyrikerin Sarah Kirsch lebte von 1935 bis 2013. Sie erlebte ihre Sozialisation als Jugendliche und junge Erwachsene in der DDR und wurde als Erstunterzeichnerin gegen die Biermann-Ausbürgerung aus der SED und dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. 1976 wurde ihr Ausreiseantrag genehmigt, und sie siedelte nach ein paar Jahren in West-Berlin 1983 nach Dithmarschen in Schleswig-Holstein über.
Der vorliegende Band vereint Gedichte aus drei vorherigen Veröffentlichungen und umfasst 15 zum damaligen Zeitpunkt neue Werke.
Zum Inhalt:
Kirschs Themen in den Gedichten und rhythmisierten Prosatexten dieses Bandes sind Eindrücke auf Reisen (Frankreich, USA), Auseinandersetzung mit den Repressionen in der DDR, aber vor allem die Begegnung des Ichs mit der Natur und die Gefährdung der letzteren. Das Erlebnis der norddeutschen Landschaft und der unterschiedlichen Jahreszeiten steht in den späteren Gedichten dieses Bandes im Mittelpunkt. Neben der Zerstörung der Natur und der Sehnsucht nach ihrer heilenden Schönheit stehen auch Befürchtungen über das Schicksal des Menschen, auch infolge von Konsum und kriegerischen Konflikten. Dabei wird Kirsch nie harsch, sondern bleibt immer zurückgenommen. Scheinbar harmonische Stimmungen werden durch Kleinigkeiten entlarvt oder grausige Geschehnisse in sanfte Atmosphäre gehüllt.
Zur Form:
Die Texte sind frei gestaltet, reimlos und mit sehr zurückgenommener Interpunktion, wohl um die Leser dazu zu bringen, aufmerksamer und vielleicht mehrfach zu lesen. Dem gleichen Ziel gilt wohl der Zeilensprung als prägendes Stilelement. Dabei wird auch öfter absichtlich gegen die Satzgrammatik verstoßen, so dass man sich den Sinn manchmal zusammensuchen muss. Öfter sind die Texte kürzer als lang, aber es gibt auch bis zu zwei Seiten lange Werke. Nomen und Adjektive sind die Hauptbedeutungsträger.
Ein schönes Beispiel:
Leben
Der Wind öffnet und schließt
Unaufhörlich die Stalltür
Winseln und Stöhnen
Rings in den Lüften
Wellen durchlaufen den Körper
Eines fuchsroten Katers der über
Die ungeschnittenen Wiesen geht.
(Aus: Katzenleben, 1984)
Ich kann nicht mit allen Gedichten etwas anfangen, aber einige mag ich sehr wegen ihrer eigenartigen Schönheit und der gleichzeitigen Beunruhigung, die sie ausstrahlen.
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Hoffentlich hast du das nicht auf nüchternen Magen gelesen! Very shocking für die Herrschaften, dass es nur sechs Speisen mit tierischem Eiweiß und Fett gibt.
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Noch einen Krimiklassiker für die Dreißiger Jahre
Eric Ambler. Die Maske des Dimitrios
Und nun lese ich für die Achtziger Jahre in der deutschsprachigen Literatur nach Jahrzehnten endlich mal wieder Siegfried Lenz: Exerzierplatz -
Ich bin am Ende des umfangreichen zweiten Teils des ersten Buches und werde im Laufe des Oktobers ins zweite Buch übergehen. Außerdem lese ich eine "nackte" no-name-Ausgabe aus dem Anaconda-Verlag, da Ausgaben mit Kommentar womöglich über Antiquariate, aber sonst unerschwinglich sind.
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Ich muss ehrlicherweise auch sagen, dass mir diese sich oft wiederholenden Kapitel voller theoretischer Auseinandersetzungen über den Wandel der Zeit vom Idealismus zum Materialismus und was dergleichen mehr ist, zum Teil inzwischen doch ziemlich schwerfallen. Insbesondere Ulrichs Tiraden in der Art eine advocatus diabolus, die Musil für dessen Gesprächspartner oft extra hochtrabend gestaltet, gehen mir des öfteren auf den Wecker, wenn sie auch immer wieder durch schöne Momente höherer Ironie durchbrochen werden. Mal sehen, wie die nächsten 150 Seiten werden. Jetzt ist erstmal wieder Pause.
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Kapitel 114 ist ein ebensolches Geschwurbel. Diotima, Arnheim und Ulrich treffen im Hof vor der Bibliothek General Stumm. Während Arnheim sich Stumm leutselig zuwendet und ihm von den Vorzügen Österreichs gegenüber Deutschland spricht - das völlig vom Kaufmannstum und dem Materialismus beherrscht sei - im Gegensatz zu Österreich, das noch seine Traditionen und den Glanz des Idealismus hochhalte, begeben sich Ulrich und Diotima in eine Ecke des Hofes, um miteinander erregt über die Beziehung Diotimas zu Arnheim zu flüstern. Ulrich fühlt sich durch seine letzten Erlebnisse und Diskussionen etwas seiner Rolle als Mahner und Analyst entfremdet und rät Diotima dazu, die Beziehung fleischlich werden zu lassen. Diotima fühlt sich angelegentlich von einer Kraft unbegrenzter Möglichkeiten ergriffen, versucht aber in ihren Äußerungen die ehrbare Fassade zu wahren. Ulrich dagegen schwurbelt mal wieder über das Allgemeine im Verhältnis zum Besonderen und die Unmöglichkeit, so zu leben, wie es einem großartige Bücher vorzugeben.
In Kapitel 115 fasst Bonadea den Plan, Ulrich aus den Fängen von Diotima, in denen sie ihn vermutet, zu erlösen und für sich zurückzugewinnen, denn ihre modische Orientierung an Diotima und der Versuch, in deren Kreise einzudringen, hatten nicht den gewünschten Erfolg So will sie nun Ulrich während einer Konzilsversammlung aufsuchen und ihm dort erzählen, sein unmittelbares Eingreifen zusammen mit Diotima sei für die Rettung Moosbruggers vor der Todesstrafe unmittelbar notwendig. Dieser Plan geht mithilfe Rachels insoweit auf, dass sie Ulrich in Diotimas Schlafzimmer trifft, das während der Festsitzungen als Möbel- und Garderobenablage dient. Allerdings kann sie ihn nicht überzeugen, in Sachen Moosbrugger tätig zu werden, der ihm eher als Gedankenexperiment denn als wirklich zu rettender Mensch erscheint. Immerhin ist er von Bonadeas aufgelöster und ehrlich wirkender Gerührtheit so angetan, dass er sich in zärtlicher Manier von ihr trennt.
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Puh, was für ein Geschwurbele es in Kapitel 113 zu ertragen gilt! Ulrich ist bei Gerda, Hans Sepp ist auch da. Dieser greift direkt Ulrichs distanzierte Haltung zu seiner Ideologie und dessen angebliches Eintreten für die kapitalistische Welt Leo Fischels an. Hans versucht, seinen Glauben zu erklären: Nicht die Definitionen, Berechnungen und Analysen der Welt, ihrer Menschen und Gegenstände würden zur Einsicht führen, sondern nur der Weg der Selbstentäußerung, hin zu einer "Gemeinschaft der vollendet Ich-losen", natürlich nur von Deutschen, die ausschließlich zu diesen mystischen Einsichten befähigt seien. Dabei stünde das Kind im Mittelpunkt, das sich seine eigene Welt mache, von gesellschaftlichen Zwängen und Gesetzen unbeeinflusst, zu solchen Kindern müssten alle Menschen wieder werden. Ulrich, der einerseits die Hohlheit (aber nicht die Gefährlichkeit) dieser Ideologie erkennt, ist andererseits von dem Eifer der jungen Leute berührt. Ihren eigenen Slang aufnehmend spiegelt er ihnen diese Ideen, indem er sie zu einer neuen Erkenntnis der weltumfassenden Liebe aufbauscht. Hans ist verärgert, dass Ulrich ihm kongenial das Heft seines Geschwafels aus der Hand nimmt, Gerda dagegen, die ja in Ulrich verliebt ist, fühlt sich angezogen, aber ist auch misstrauisch gegenüber Ulrichs Absichten. Die Ideologie der Selbstentäußerung steht der erotischen Beziehung zwischen Hans und Gerda entgegen, da Hans meint, sie seien für eine sexuelle Beziehung noch nicht reif, da sie noch nicht den entsprechenden Bewusstseinszustand erreicht hätten und stoppt daher immer an einem gewissen Punkt die erotische Tändelei. Dies lässt Gerda unbefriedigt zurück, die sich sowieso an einem Scheideweg zwischen einer möglichen erfüllten Liebesbeziehung und einem Leben als alternde Jungfer sieht, ein Lebensmodell, das sie sich aber durchaus vorstellen kann. Diese zwei Seiten nimmt Ulrich auch an ihr wahr und fühlt sich zugleich angezogen und abgestoßen.
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Wir kehren in Kapitel 110 mal wieder zu Moosbrugger zurück, der immer noch im Untersuchungsgefängnis sitzt und auf die Urteilsverkündung wartet. Ihm verschwimmt die Welt in ihren räumlichen und zeitlichen Dimensionen immer mehr. Auf der einen Seite leidend an der Bewegungslosigkeit, zu der er in seiner kleinen Zelle verdammt ist und am ständigen Hunger wegen der zu knappen Portionen sowie ewiger Langeweile fühlt er dennoch eine ihm zuwachsende Größe dadurch, dass er innerlich immer mehr von der realen Lebensteilnahme abrückt und ein zentrales Objekt der juristischen Auseinandersetzung ist.
Diese steht im Mittelpunkt des Kapitels 111, denn Ulrichs Vater ist über den Fall Moosbrugger ja in eine Auseinandersetzung mit seinem ehemaligen Kollegen und Freund Schwung geraten (vgl. Kap. 74), in der es darum geht, inwieweit geistige Unzurechnungsfähigkeit insgesamt oder nur zum Zeitpunkt der Tat in das Urteil und Strafmaß mit einbezogen werden muss. Genüsslich breitet Musil in diesem Kapitel die juristischen Haarspaltereien aus, mit denen sich die zwei ehemaligen Freunde und im Weiteren größere juristische Kreise bekriegen, denen die Reform des über sechzig Jahre alten Strafrechts obliegt. Nun möchte der Vater, dass sein Sohn sich in den höheren Kreisen, in die er ihn eingeführt hat, für ihn und seine Position verwende, weil Schwung im weiteren Verlauf der Debatte allzu persönlich geworden ist und Ulrichs Vater geradezu preußische Denkweisen unterstellt, was ja in den maßgebenden Kreisen, wie wir aus den letzten Kapiteln wissen, sehr schlecht ankommt.
Kapitel 112 befasst sich mit den Überlegungen Arnheims zu seinem Vater und Ulrich, die er im Beisein Solimans anstellt, der aber nur wissen will, ober er wirklich von einem König abstamme und ob er viel gekostet habe, was Arnheim beides verneint. Vermutlich werden wir in späteren Kapiteln noch erfahren, was diese arrogante Replik bei Soliman weiter bewirkt. In Arnheims Reflexionen geht es zunächst um seinen Vater, der - trotz mangelnder kaufmännischer Ausbildung - aufgrund seiner Intuition oft die richtigen Eingebungen bei Geschäfte hatte, für die er von dafür ausgebildeten Fachleuten anders beraten worden war. Dieser Intuition will Arnheim einen Anstrich von Größe zusprechen, der seinen Vater an die Seite der Götter stellt. Eigentlich geht es in diesem Kapitel aber um Ulrich, um dessen Ablehnung seiner selbst Arnheim weiß und darüber verärgert ist, den er aber dennoch unbedingt auf seine Seite ziehen will, da er eine gewisse Ähnlichkeit zwischen sich und ihm feststellt. Bei ihm seine Verfeinerung und besondere Stellung in der Gesellschaft, bei Ulrich dessen Wille, sich und seine geistigen Entscheidungen frei zu halten von allen gesellschaftlichen Vorteilen, die ihm durch Kompromisse und Beitritten zu bevorteilten Gruppen entstehen könnten. -
Die nächsten zwei Kapitel beschäftigen sich anhand unterschiedlicher Perspektiven mit den Besonderheiten Kakaniens.
In Kapitel 107 überlegt sich Graf Leinsdorf, wie er es schaffen kann, dass im Vielvölkerstaat Kakanien die unterschiedlichen Gruppen doch zu einem gemeinsamen Streben und Ziel für die Parallelaktion gewonnen werden könnten. Dabei gibt es einerseits die kleineren Nationalitäten wie die Tschechen oder Slowenen usw., die gerne gegen das Großreich unter Führung der Deutschen polemisieren, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen, aber letzten Endes, da sie viele und kleinere Gruppen sind, nach Leinsdorfs Meinung nicht den Staat Kakanien gefährden. Um sie zufriedenstellen, will er einen slawischen Grafen an eine besondere Position innerhalb der Planung der Parallelaktion bringen. Wenn er so die kleineren Nationen, die der Idee der Parallelaktion misstrauisch gegenüberstehen, zufriedengestellt hat, möchte er erreichen, dass diejenigen Deutsch-Kakanier, die der Idee der großdeutschen Lösung, d.h. der Vereinigung der beiden Kaiserreiche, positiv gegenüber stehen, zurückgedrängt werden, denn ihm ist das Preußisch-Deutsche, wie es zu der Zeit in ganz Europa wahrgenommen wird, sehr suspekt in seiner Großmannssucht und seinem aggressiven Sprachduktus (hier denkt Musil vermutlich besonders an Kaiser Wilhelm und seine Vordenker). Das wird durchaus von den Sympathisanten der großdeutschen Lösung, wie zum Beispiel in einem der vorherigen Kapitel dem christdeutschen Kreis um Gerda Fischel, wahrgenommen, so dass auch diese Kreise der Parallelaktion kritisch gegenüber stehen. In diesem Kapitel findet man wieder mal viele Hinweise, wie es zum Ausbruch des 1. Weltkriegs kommen konnte.Ähnliche Gedanken bewegen auch General Stumm in Kapitel 108, der sich zunächst damit auseinandersetzt, warum sich die kleineren Nationen Kakaniens als "unerlöst" bezeichnen, ein Wort, das er für viel zu groß für Interessenskonflikte hält.
Er erklärt sich das so, dass die Menschen in der modernen Zeit einfach kein festes Denkmodell, wie zum Beispiel im Mittelalter das Christentum mit seiner feudalen Ständeordnung, haben und daher unzufrieden sind, weil sie zwischen den über ihnen aufwallenden Ideen keinen echten Lebenssinn finden und so über alles schimpfen. Stumm kommt für sich zu dem Schluss, dass ein festes System wie das des Militärs, in dem die Sinnsuche durch die Militärordnung ersetzt wird, doch viel zu bieten habe, denn da würde Geist eigentlich gar nicht mehr benötigt.
Kapitel 109 kristallisiert eine Spielart der Unzufriedenheit der Zeit in Ulrichs ehemaliger Geliebten Bonadea, die immer noch nicht darüber hinweggekommen ist, dass Ulrichs Interesse an ihr nachgelassen und er sich scheinbar der von ihr gleichzeitig mit Eifersucht und Bewunderung betrachteten Diotima zugewandt habe. Sie versucht das zu überwinden, indem sie sich modisch und von der Haltung her an Diotimas Vorbild anpasst und damit die Leere, die sie vorher in erotische Verhältnisse getrieben hat, mit Äußerlichkeiten wie Modetrends und Kosmetik füllt: Lustigerweise bekommt ihr Mann erst jetzt, wo sie ihre Sinnlichkeit von der Erotik auf die dekorative Ebene verlagert hat, Angst, er könne betrogen werden, weil seine Frau plötzlich so um ihr Äußeres besorgt ist.Von Bonadeas Verhalten ausgehend stellt Musil unser Bedürfnis dar, uns in einfache Zusammenhänge zu flüchten, um die Komplexität der Welt nicht fürchten zu müssen. Dazu setzen sich in den Gesellschaften einfach zu verstehende Lebens- und Orientierungsmodelle durch, die eine Weile Halt geben, aber dann plötzlich infrage gestellt werden und in eine Krise führen, aus der dann irgendwann ein neues Orientierungsmodell erfolgreich hervorgeht.
Das erinnert mich an unsere heutige Zeit, in der immer mehr Menschen plötzlich nicht mehr mit der Demokratie zufrieden sind. Ich kann aber nur erschauern, wenn ich überlege, welches alternative Orientierungsmodell über die Demokratie den Sieg davontragen sollte ... .
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Für die 90er Jahre und nicht-deutschsprachige Literaturen habe ich jetzt von
Haruki Murakami: "Gefährliche Geliebte", in der Neuübersetzung "Südlich der Grenze, jenseits der Sonne" gelesen. Der Roman hat mir wenig gegeben. -
Im Kapitel 104 wird es mal wieder Zeit für das Buffo-Paar: Soliman hat Rachel inzwischen so gegen Arnheim beeinflusst, dass ihre angenommene Abneigung nun auch ein wenig auf ihre vorher so bewunderte Herrin abfärbt. Ulrich bekommt bei einem seiner Besuche mit, dass etwas zwischen den beiden läuft, auch im erotischen Bereich. Soliman stiehlt weiterhin Kleinigkeiten, mit denen er die Kammerzofe beschenkt, diese lässt sich dafür von ihm küssen, wenn diese Küsse auch noch recht kindlich sind. Hier muss man sich wieder aus heutiger Sicht sehr zusammenreißen, um die rassistisch beeinflusste Ausdrucksweise, die sich bei Musil immer bei der Beschreibung von Solimans Aussehen und Handlungen einschleicht, zu ertragen. Soliman möchte mit Rachel fliehen - wohin auch immer - und meint, dafür die Dokumente zu brauchen, die Arnheim angeblich über die hohe Abkunft seines Pagen besitzt. Also schleichen sie sich in Abwesenheit Arnheims und Diotimas in dessen Hotelzimmer und durchsuchen seine Sachen, finden jedoch die Dokumente nicht, einen Koffer kann Soliman nicht aufbrechen. Er erklärt Rachel prahlerisch die eleganten und teuren Besitztümer seines Arbeitgebers, steckt ihr einiges davon in ihre Taschen. Rachel erkennt zweierlei: Da Diotima, die vorher eher einfache Unterkleidung und Boudoir-Accessoires bevorzugte, nun plötzlich zu verspielten und eleganten Wäschestücken und anderen Kleinigkeiten neigt, müsse diese wohl ein ganz ordinäres Verhältnis mit Arnheim haben. Andererseits wird ihr bewusst, dass ihre Beziehung zu Soliman in unmoralische Tiefen führt, sie leert ihrer Taschen, verabschiedet sich mit einem Kuss und verlässt ihn.
Kapitel 105 und 106 beschäftigen sich wieder mit der Beziehung zwischen Arnheim und Diotima, in Kapitel 105 während ihrer Begegnungen und in Kapitel 106 in der Reflexion Arnheims darüber. Beide schwanken zwischen ihren hohen moralischen Ansprüchen einerseits und dem Wunsch nach einer körperlich-leidenschaftlichen Beziehung. Sie genießen ganz bewusst die moralische Überhöhung ihrer Liebe durch ihre Askese und werden von gesellschaftlichen und moralischen Rücksichten in den entscheidenden Momenten jeweils zurückgehalten. Dabei lässt der Autor immer wieder mehr oder weniger deutlich hindurchschimmern, dass diese hohe Moralität letzten Endes nur egoistische Rücksichtnahme auf ökonomische und Ansehenseinbußen oder auch das eigene Phlegma (Diotima) ist. Arnheim bemüht dafür im Folgekapitel sogar eine Vorstellung von einem Gottesreich, in dem er zum Berater Gottes wird und diesem erklärt, dass der Kapitalismus letzten Endes das beste Regime im Gottesreich sei, weil es die Handlungen des Menschen auf die Ebene von Angebot und Nachfrage verlegt und die Moral so organisiert, dass sich die Menschheit von selbst in eine Hierarchie gliedert, je nach der Größe des finanziellen Begehrens. So kann er es einordnen, dass er als angesehener Finanzmann und Großschriftsteller sich in Dingen der Leidenschaft zurückhalten muss, da jener nicht mit kaufmännischen Kalkulationen beizukommen ist. Dies macht er sich in einigen metaphorischen Träumen und Vorstellungen klar, die den Kontrollverlust symbolisieren.
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Kapitel 102 führt uns wieder ins Haus Fischel, des jüdischen Bankdirektors. Tochter Gerda und ihr Kreis junger Christdeutscher um Hans Sepp haben pikanterweise ausgerechnet diesen Ort zu ihrem Treff- und damit auch Kristallisationspunkt ihrer Suche nach der arischen Vervollkommnung ausgesucht. Die jungen Männer nehmen sich auch in Fischels Gegenwart nur wenig zurück und verbergen ihren Antisemitismus nur flüchtig hinter antikapitalistischen Phrasen.
Neben der Sinnsuche in einer höheren reinrassischen Entwicklung bekunden sie ihre Ablehnung der Parallelaktion, weil ihnen die welthaltige Stoßrichtung von Diotimas Vorgabe bekannt geworden ist, die natürlich ihrem Rassismus entgegensteht. Das ganze Kapitel ist trotz der wieder sehr sarkastisch-ironischen Schreibweise Musils schwer zu ertragen, weil wir ja - noch mehr als Musil zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Romans - um die Folgen der antisemitischen, nationalchauvinistischen Bewegung wissen. Jedenfalls ist Fischel sehr genervt, kommt aber nicht gegen Gerda und seine Frau an, so dass er nicht mehr so gerne früh nach Hause kommt und öfter nach Arbeitsschluss in den Parkanlagen spaziert. Hier trifft er auf Ulrich, den er ja einige Kapitel zuvor um Hilfe gebeten hatte, Gerda wieder zur Vernunft zu bringen, und der aber seither nicht gekommen war. Dieser bietet ihm an, Fischel nach Hause zu begleiten.
Dort sind sie in Kapitel 103 zusammen mit der ganzen Blase der jungen Christdeutschen. Es kommt zu einer Diskussion über die Vernunft und den Fortschritt. Beides lehnen die jungen Leute ab, weil das eigentlich zu Erkennende nicht von der Vernunft erfasst werden könne und die moderne Welt sowieso nicht zu tieferer Erkenntnis fähig sei. Ulrich vertritt die These, dass die einzelnen Elemente des Fortschritts und die Fortschrittsgläubigkeit vielleicht abgelehnt werden könnten, dass aber im Durchschnitt aller sowohl geistigen als auch technologischen Ideen/Erfindungen die Gesellschaft zweifellos irgendwie fortschreite. Es kommt zu einem Eklat zwischen Ulrich und Fischel einerseits und der Gruppe andererseits, die dann unter Führung von Hans Sepp das Haus verlässt. Gerda bleibt zornig zurück und wird mit Ulrich alleingelassen. Dieser versucht nun, ihr zu erklären, dass Gesetzmäßigkeiten nicht nur in Naturgesetzen, sondern auch in statistischen Berechnungen sozialer Phänomene liege, die sich dadurch im Einzelnen als gar nicht so außergewöhnlich manifestierten. Diese materialistische nüchterne Betrachtungsweise erzürnt Gerda, die sich von Ulrich gleichzeitig angezogen und abgestoßen fühlt. Jener, obwohl er für Gerda keine zärtlichen Gefühle hegt, fühlt sich fast dazu veranlasst, die Situation auszunutzen, aber ihre Ablehnung lässt auch für ihn den Zauber des Moments verblassen. -
Kapitel 100 (Hurra! Immerhin schon mal eine Landmarke auf dem Weg durch den Roman) zeigt und mal wieder General Stumm auf einem weiteren Höhepunkt zur Gewinnung von Diotimas Gunst. Er besucht die "weltberühmte Hofsbibliothek" mit 3,5 Mio. Bänden, um eine Übersicht über die großen Geistesblitze zu bekommen, aus denen man die Idee für die Parallelaktion gewinnen könnte. Er wundert sich darüber, dass der Bibliothekar ihm kein Buch darüber anbietet, sondern nur Bibliografien über Bibliografien, die die die Bücher mit den großen Ideen der Menschheit auflisten. Erst ein alter Bibliotheksdiener, der seine Erfahrungen aus der Betreuung der Bibliotheksbenutzer gewonnen hat, empfiehlt ihm Kants Schrift zu den Grenzen der Begriffe und des Erkenntnisvermögens. Aber General Stumm hat der Einblick in die Verwaltung dieser Massen von Büchern zu der Erkenntnis gebracht, dass eine jede Idee durch ihre Vervollkommnung und radikales Bis-zum-Ende-Denken letzten Endes ihre Praktikabilität verliert und zum Gegenteil ihres ursprünglich menschheitsdienlichen Gedankens verkommt. So sucht er nicht weiter nach dieser Idee, sondern sorgt sich darum, dass sich Diotima da verrennen könnte.
Das lange Kapitel 101 bringt eine Unterhaltung zwischen Ulrich und Diotima während einer "Konzilssitzung", aus der sie sich zunächst in das Garderobenzimmer und danach in das Dienstbotenzimmer Rachels zurückziehen, um keine falschen Vorstellungen zu wecken. Ulrich möchte wissen, wie es zwischen Arnheim und Diotima steht und wie stark Diotima in dieser Beziehung emotional engagiert ist, während seine Cousine ihm eine positivere Haltung zu Arnheim vermitteln möchte. Obwohl sie die destruktive Denkweise Ulrichs nicht mag, sieht sie doch in ihm ein wichtiges Korrektiv und einen Ansprechpartner, den sie nicht missen möchte und dem sie auch - wie sie meint - aufrichtig ihr Verhältnis zu Arnheim und ihre Gefühle dabei schildert. Ulrich nimmt ihr diese Leidenschaft allerdings nicht ab.
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Na, im Gegensatz zu den letzten vier Kapiteln sind die nun folgenden alle recht lang und wieder sprachlich so schön und witzig, dass man am liebsten die Hälfte herausschreiben möchte.
Wir kehren in Kapitel 97 zu Clarisse zurück. Es ist eine Art Fortsetzung von Kapitel 70, wo sie Ulrich eine fast inzestuöse Szene zwischen sich und ihrem Vater geschildert hatte. Wir erfahren von noch früheren erotischen Erlebnissen, die sie mit 14 oder 15 in der Sommerfrische gemacht hatte, wo ein Freund der Familie, der Freigeist Dr. Meingast und sein Adlatus sie mehrfach intim berührten und der Erregung, die das bei ihr auslöste. Auch der Kinderwunsch ihres Mannes löst Fantasien bei ihr aus, sie sieht sich selbst als die mögliche Mutter eines weiteren Gottes, meint aber, dass Walter momentan ihren Ansprüchen an Heldentum und Besonderheit nicht genüge. Auch Ulrich will sie auf dem Gebiet der Erotik prüfen, denn nicht er selbst, aber sein Titel als Mann ohne Eigenschaften erzeugen bei ihr ein geistesverwandschaftliches Gefühl und dementsprechende auch sinnliche Anziehungskraft.
Thema des nächsten Kapitels 98 ist der KuK-Staat Kakanien selbst. So wie man ihn gar nicht recht zu bezeichnen weiß, mit seinen monarchischen und Volkstiteln, besteht er auch nicht als zusammengehörendes Gebilde. Das ungarische Königreich erscheint noch relativ homogen, aber das kaiserliche Österreich ist nur ein Konstrukt aus widerwillig zusammengebundenen Nationalitäten, die sich kaum etwas zu sagen haben und für die man ein Konstrukt finden müsste, das sie eint. Das ist ja auch schon das Grundproblem der tragenden Idee, die die Parallelaktion finden soll, deshalb Diotimas Idee des Weltösterreichs. Das Ganze wird wieder unübertrefflich witzig in Metaphern (Kakaniens schwarzgelbe Hose und rot-weiß-grüne Jacke) und Konstrukten ausgedrückt, die sich zum Beispiel Graf Leinsdorf für die Problematik überlegt.
In Kapitel 99 lernen wir Tante Jane kennen, eine ehemalige Klavierlehrerin und geliebte Gesellschafterin von Ulrich und seiner Schwester während Aufenthalten bei seiner Großtante. Diese Tante Jane verkörpert hier Authentizität. Sie war ein großer Liszt-Fan und trug seit der Begegnung mit ihm ein schwarzes Kleid in Form einer Art Soutane, dazu eine Perücke, deren Frisur und Farbe Liszts Haartracht glich. Auch hatte sie ihre große Liebe und Leidenschaft mit einem spielsüchtigen Fotografen erlebt und hielt im Nachhinein nicht ihm, aber dem von ihm verursachten Gefühl die Ehre.Diese ganz und echt wirkende Frau wird mit den Ideen und Menschen der zeitgenössischen Gegenwart verglichen, die große Ideen und Gefühle nicht begreifen und deshalb auf ein Niveau herunterbrechen, mit dem sie ihr aufgeblasenes Ego füllen können. Sie geben den Dingen keine Struktur und lassen alles im Ungefähren, immer mit der Entschuldigung, so sei eben die neue Zeit.
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Mir ist gerade aufgefallen, dass ich mir im Buchdeckel schon über 20 Passagen notiert habe, die ich später in mein Lesefrüchte-Buch übertragen will. Da werde ich Tage mit zu tun haben! Aber es ist immer wieder toll, wie Musil Dinge auf den Punkt bringt oder sie besonders schön und witzig ausschmückt.