Zu meinem persönlichen Abschluss der Leserunde hier meine Besprechung:
John Galsworthy: Die Forsyte-Saga (1906-1921)
John Galsworthys (1867-1933) berühmter Familienroman, für den vor allem er 1932 den Literatur-Nobelpreis bekam, erschien in drei Teilen mit zwei dazwischen geschobenen Erzählungen von 1906 bis 1931. Die Saga fand später ihre Fortsetzung mit den ebenfalls dreiteiligen Romanen „Moderne Komödie“ und „Das Ende vom Lied“.
Inhalt
Die Geschichte beginnt 1886 mit der Verlobung zwischen June Forsyte und Philipp Bosinney, einem jungen Architekten. Zu diese Feier erscheint die ganze Familie, bestehend aus den sechs Söhnen und vier Töchtern des Begründers des Forsyte-Vermögens, des ersten Jolyon, des „großen Baumeisters“, der sein Vermögen als Bauträger bem Ausbau des immer weiter wachsenden Londons gemacht hatte. Die sechs Brüder, von denen Jolyon, der älteste und sein ihm im Alter nächster Bruder James die größten Rollen innerhalb ihrer Generation im Roman spielen, bauten diesen Reichtum alle weiter aus, ob als Rechtsanwälte, Kaufleute, Verleger oder anderes. Eigentum ist ihr eigentlicher Glaube, und danach streben sie. Wobei das nicht nur Geld und Dinge, sondern auch Frauen anbetrifft. Und damit ist schon der Antrieb der Handlung benannt. Soames, der Sohn von James, hat Irene Heron, ein ungewöhnlich schönes Mädchen, das in einer unglücklichen häuslichen Umgebung lebte, geheiratet, obwohl sie ihm offen bekannte, dass sie ihn nicht liebe und ihn nur unter seinem Schwur heiratete, er würde sie freigeben, wenn sie sich nicht in die Ehe finden könne.
Beide führen nun seit vier Jahren eine unglückliche Ehe, als sich Irene und Bosinney, der Verlobte von June und Architekt, der für Soames ein Haus im nahe gelegenen Richmond baut, leidenschaftlich verlieben. Soames erfährt von dem Verhältnis und vergewaltigt - rasend vor Eifersucht – seine Frau. Als Bosinney davon erfährt, ist er so verstört, dass er unter ein Londoner Fuhrwerk gerät und stirbt.
Irene flieht und lässt sich als Klavierlehrerin in einem ärmeren Stadtteil nieder. Nach zwölf Jahren verspürt Soames immer stärker den Wunsch nach einem Sohn, der sein angehäuftes Vermögen erben soll und sucht Irene auf, um sie entweder dazu zu überreden, zu ihm zurückzukehren oder sich von ihm scheiden zu lassen. Irene schreckt vor ihm zurück, kann ihm aber auch keinen aktuellen Scheidungsgrund in Form einer Affaire bieten. Kurz zuvor hat der alte Jolyon, das Oberhaupt der Familie, Irene zufällig näher kennen gelernt und berücksichtigt sie in seinem Testament mit einem großzügigen Legat, das ihr ein sorgenfreieres Leben ermöglicht. Zum Testamentsvollstrecker ernennt er seinen Sohn – den jungen Jolyon – der früher in Ungnade gefallen war, weil er seine Frau, die Mutter von June, für die Gouvernante seiner Tochter verlassen hatte. Vater und Sohn haben sich aber inzwischen versöhnt. Der alte Jolyon kaufte das Haus in „Robin Hill“, das Soames durch Bosinney hatte bauen lassen und nie bewohnte, weil sich Irene von ihm getrennt hatte. Die Jolyons wohnen dort nun mit der Familie des Sohnes. Nach dem Tod seiner Frau verliebt sich der junge Jolyon in Irene, die beiden nehmen den Scheidungsgrund für Soames auf sich und heiraten.
20 Jahre später begegnen sich die Kinder von Soames, der eine Französin geheiratet hatte, Fleur und Jon, der Sohn von Irene und dem jungen Jolyon, und verlieben sich ineinander. Fleur, die das Eigentumsdenken ihres Vaters geerbt hat, will Jon unbedingt haben. Dieser aber erfährt schließlich von seinem sterbenden Vater, was Soames Irene angetan hat und beendet die Beziehung zu Fleur. Aus Verzweiflung heiratet diese den jungen Adeligen Michael Mont, der ihr schon länger den Hof macht.
Stil und meine Meinung
Galsworthy macht dem Leser von Anfang an klar, dass der Forsyte-Clan paradigmatisch für das Besitz-Bürgertum steht, das während der viktorianischen Ära seine Macht ausbaute und schließlich – symbolisiert durch die Heirat zwischen Fleur und Michael am Ende des Romans – zum Land besitzenden Adel aufschließen kann. Die einzelnen Familienmitglieder spiegeln unterschiedliche Seiten dieses Charakters, der auf das Anhäufen von Vermögenswerten ausgerichtet ist und diesem Geschäft alles andere, insbesondere Gefühle und zwischenmenschliche Beziehungen, unterordnet. So findet man sich zwar regelmäßig bei dem jüngsten Bruder – Timothy - und den bei ihm wohnenden unverheiratet gebliebenen Schwestern zusammen, aber nicht aus emotionaler Bindung heraus, sondern um sich in den Ansichten der anderen widerzuspiegeln und Fühlungsvorteile zu nutzen. Gerne nutzt Galsworthy das Tableau gesellschaftlicher Zusammenkünfte, um die Facetten des Forsyte-Tums ironisch beleuchten zu können. Die Hauptpersonen des Romans – der alte und junge Jolyon, James und Soames sowie Fleur werden in Innen- und Außensicht dargestellt, allein Irene bleibt ausschließlich die Außensicht vorbehalten, obwohl sich die innere Handlung fast ausschließlich um sie dreht. Sie verkörpert für Galsworthy, wie er auch im Nachwort herausstellt, die Idee der Schönheit, die sich nicht besitzen lässt und sich nur in Freiheit entfalten kann. Dass Soames als reinste Verkörperung des Forsytetums, sie trotz seiner Leidenschaft für sie nicht besitzen und halten kann, macht seine Lebenstragik aus und legt den emotionalen und beziehungspsychologischen Mangel der besitzenden Klasse offen.
Dieser Roman ist sehr gut lesbar, spannend, witzig und analytisch, auch nach 100 Jahren immer noch einer der großen Klassiker der englischen Literatur des 20. Jahrhunderts.