Arthur Schnitzler

  • Hallo zusammen,


    Erstveröffentlichung einer Novelle die Schnitzler 1894 schrieb, "Später Ruhm".


    http://www.faz.net/aktuell/feu…paeter-ruhm-12926300.html



    Hier geht's zu einem Auszug:
    http://www.faz.net/aktuell/feu…paeter-ruhm-12926298.html


    Verlag: Paul Zsolnay Verlag (17. Mai 2014)


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    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Arthur Schnitzler: Casanovas Heimfahrt (1917)


    Diese Novelle des österreichischen Schriftstellers Arthur Schnitzler (1862-1931) behandelt einen fiktiven Aufenthalt des historischen Lebemannes und Frauenhelden Giacomo Casanova (1725-1798) auf dem Landsitz eines Freundes in der Nähe Mantuas.

    Inhalt:
    Casanova ist nach Jahrzehnten des Exils – „in seinem dreiundfünfzigsten Lebensjahr“ - auf dem Weg zurück in seine Heimatstadt Venedig, aus deren Staatsgefängnis, den Bleikammern, er als junger Mann geflohen war. In Mantua trifft er zufällig einen alten Bekannten, dem er in dessen Jugend die Heirat mit Amalia ermöglicht hatte. Olivo lädt ihn auf sein Landgut ein, und Casanova nimmt dort für zwei ereignisreiche Tage Aufenthalt. Die Familie, drei Töchter zwischen zehn und dreizehn und Amalia, empfangen den alten Freund herzlich, ja Amalia scheint sogar daran interessiert, die alte Liebesbeziehung wieder aufleben zu lassen. Casanova indes entbrennt Hals über Kopf für die Cousine der Familie, Marcolina, eine zurückhaltende, gelehrte junge Frau, die sich insbesondere der höheren Mathematik verschrieben hat. Marcolina durchschaut Casanova sofort und weist ihn spöttisch und geistig überlegen in seine Schranken, als er vor ihr mit seinen Schriften gegen Voltaire renommieren will. Dieser versucht nun Amalia zu manipulieren, Druck auf Marcolina auszuüben, damit diese ihm zu Willen sei. Amalia weist das aber ab mit dem Hinweis auf die hohe Moral ihrer Cousine. Doch in den späten Stunden der gleichen Nacht, nach einem Glücksspiel mit dem benachbarten Marchese, dem Offizier Lorenzi und anderen Nachbarn, erlebt der schlaflos im Garten wandelnde Casanova, wie Marcolina Lorenzi nach einer eindeutig miteinander verbrachten Liebesnacht aus ihrem Zimmer in den Park entlässt. Bereits am folgenden frühen Nachmittag, nachdem der enttäuschte Casanova aus Frust die älteste, dreizehnjährige Tochter Olivos und Amalias vergewaltigt hat, ergibt sich für ihn die Möglichkeit, zu seinem Ziel zu gelangen. Indem er Lorenzi anbietet, dessen hohe Spielschulden zu begleichen, verlangt er von diesem, dass er ein letztes Stelldichein mit Marcolina vereinbare, bevor er zu seinen Truppen eile, ihm seinen Offiziersmantel überlasse, sodass Casanova in der Rolle Lorenzis bei der Ersehnten zum Zuge kommt. Die Intrige geht auf, aber Marcolina wendet sich, nachdem sie im dämmernden Tag den alternden Casanova erkannt hat, angeekelt von diesem ab. Auf dem Weg zu seiner Kutsche, mit der er nach Venedig weiterreisen will, fängt ihn Lorenzi ab und duelliert sich mit ihm. Dabei tötet Casanova den Offizier und reist sofort ab. In Venedig angekommen übernimmt er Spitzeldienste für die von ihm zutiefst verachtete venezianische Regierung, denn das war der Deal, wieder in Venedig wohnen zu dürfen.

    Stil und meine Einschätzung:
    Die Novelle wird ohne Erzählerkommentar in Er-Perspektive mit Innensicht erzählt. So erfahren wir viel über die widersprüchlichen Gefühlswelten Casanovas, der sich nicht mit dem Attraktivitätsverlust beim andern Geschlecht durch sein Altern abfinden kann und in den glänzenden Erinnerungen an seine Eroberungen vergangener Jahre schwelgt. So bricht immer wieder Gewalt aus ihm hervor, um sich die Genüsse zu verschaffen, die ihm in seiner Glanzzeit von selbst zufielen. Auch dass er sich dazu hergibt, Spitzeldienste für die verhasste venezianische Regierung zu übernehmen, löst in ihm zeitweise Selbstekel aus, dennoch wird dies immer wieder von seiner Eigenliebe und Selbstüberschätzung überdeckt.

    Schnitzler erzählt dies alles ganz aus der Perspektive der Hauptgestalt, benutzt dabei auch oft die Technik des Bewusstseinstroms. Dabei legt er Casanova auch eine Kernstelle in den Gedankengang:

    Hatte er nicht schon unzählige Male erfahren, dass in jedes wahrhaft lebendigen Menschen Seele nicht nur verschiedene, dass sogar scheinbar feindliche Elemente auf die friedlichste Weise darin zusammenwohnten?“ Dies alles findet in einer paradiesischen Landschaft in Oberitalien statt, deren heiße Tage und schwüle Nächte die Atmosphäre zusätzlich anheizen.

    Nicht nur Casanova offenbart uns seine egomane Gewalt zur Durchsetzung seiner Interessen und die Ambivalenz seiner Lebenshaltung, sondern auch einige Nebenfiguren wie der Marchese und Lorenzi, die aus Eigennutz bedenkenlos andere in Mitleidenschaft ziehen.

    Aus heutiger Sicht ist die Lektüre an manchen Stellen schwer zu ertragen, und es mag Leser geben, die sich eine eindeutigere Distanzierung des Autors von seiner Hauptfigur gewünscht hätten. Ich aber finde, dass gerade diese kommentarlosen Einblicke in die Seele eines egomanen Lüstlings viel stärker wirken, als man durch irgendwelche moralischen Entrüstungen erzielen könnte.

    Die ganze Handlung auf dem Landsitz ist der Fantasie des Autors entsprungen, dagegen ist nachgewiesen, dass Casanova tatsächlich nach seiner Rückkehr in Venedig Spitzeldienste versehen hat.

    Ich kannte bisher nur Schnitzlers Wiener Stücke „Reigen“ und „Liebelei“, die mir nicht besonders viel sagen, Schnitzler als Prosaschriftsteller beeindruckt mich mit dieser Novelle dagegen umso mehr.

  • Aus heutiger Sicht ist die Lektüre an manchen Stellen schwer zu ertragen, und es mag Leser geben, die sich eine eindeutigere Distanzierung des Autors von seiner Hauptfigur gewünscht hätten. Ich aber finde, dass gerade diese kommentarlosen Einblicke in die Seele eines egomanen Lüstlings viel stärker wirken, als man durch irgendwelche moralischen Entrüstungen erzielen könnte.

    Das macht m. E. die Qualität des Textes aus, Casanova als sich selbst überlebender, narzisstischer Egomane, der nun im Alter noch nicht mal auf seinem ureigensten Gebiet reüssieren kann. Einsam, unfähig zu jeder Beziehung, einzig vermeintlich sexuelle Erfüllung suchend erinnert er an Humbert Humbert - und um einen solchen Blick hinter die Kulissen des "glücklichen" Frauenhelden Casanova schien es Schnitzler zu gehen. Da wäre eine moralinsaure Betrachtungsweise kontraproduktiv, Literatur muss sich ja nicht selbst erklären oder gar auf der Rückseite jedes Buchblattes die entsprechende Interpretation liefern.

  • Das macht m. E. die Qualität des Textes aus, Casanova als sich selbst überlebender, narzisstischer Egomane, der nun im Alter noch nicht mal auf seinem ureigensten Gebiet reüssieren kann. Einsam, unfähig zu jeder Beziehung, einzig vermeintlich sexuelle Erfüllung suchend erinnert er an Humbert Humbert - und um einen solchen Blick hinter die Kulissen des "glücklichen" Frauenhelden Casanova schien es Schnitzler zu gehen. Da wäre eine moralinsaure Betrachtungsweise kontraproduktiv, Literatur muss sich ja nicht selbst erklären oder gar auf der Rückseite jedes Buchblattes die entsprechende Interpretation liefern.

    Da hast du sicherlich Recht, und in diesem Sinne hatte ich ja auch argumentiert. Aber einem sogenannten "woken" Lesepublikum würde diese indirekte Kritik wohl nicht mehr reichen.

  • Nun habe ich eine Schnitzler- Biogafie gelesen, die mich etwas ratlos zurücklässt.


    Hartmut Scheible: Schnitzler (Rowohlts Bildmonografien, 1976)


    Inhalt

    Arthur Schnitzler wurde 1862 in Wien als Sohn des jüdischen Arztes und Klinikchefs Prof. Dr. Johann Schnitzler und seiner Frau Louise Schnitzler geboren. Vom Vater für die Nachfolge bestimmt studierte er Medizin und arbeitete auch lange in diesem Beruf. Nebenbei baute er sich aber auch eine schriftstellerische Karriere auf, bei der in den ersten Jahrzehnten seines Schaffens die Dramatik in ihrer öffentlichen Wirkung überwog. Schnitzler verarbeitet in seinen Werken die grundlegende Unstimmigkeit seiner Epoche, die einerseits an den überkommenen patriarchalischen Machtverhältnissen mit ihrer monarchisch - feudalen Struktur sowie dem aufklärerischen Gestus des liberalen Bürgertums festhielt und andererseits aber durch die Industrialisierung und Verstädterung, das Aufkommen neuer Gesellschaftsschichten und die explosionsartige Entwicklung der Wissenschaften zu einer Orientierungslosigkeit bzw. zu einer Flucht in Ideologien führte, seien diese nun nationalistisch-rassistisch oder positivistisch, weil viele Menschen die Diskrepanz nicht anders verarbeiten konnten. Schnitzler nahm sich nun in diesem Umfeld sehr oft literarisch der Geschlechterbeziehung an und enthüllte in seinen Dramen und seiner Prosa die Hohlheit der überkommenen Beziehungen in Ehe und Liebschaft, innerhalb und zwischen den Gesellschaftsschichten. Dabei gelingen ihm gekonnte Portraits gebrochener Persönlichkeiten, wie zum Beispiel „Leutnant Gustl“ und „Fräulein Else“. Vor allem bei den Frauencharakteren stellt er einfühlsam die Einwirkung der gesellschaftlichen Verhältnisse auf das Leben und die Psyche der Protagonistinnen dar, denen meist die Möglichkeit des selbstbestimmten Lebens versagt ist. Die tiefgehende Analyse der psychischen Persönlichkeit weisen Schnitzler als einen Zeitgenossen Freuds aus, der aber sich weigert, das Unbewusste als schicksalhaften Einflussfaktor zu akzeptieren. Schnitzlers große Zeit der öffentlichen Anerkennung liegt in dem Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg, wo die Aufführung seiner Werke, insbesondere des „Reigens“ und der „ Liebelei“ zu regelrechten Theaterskandalen führt. Nach dem Krieg kann Schnitzler, obwohl hier entscheidende Prosawerke - wie „Fräulein Else“ und die „Traumnovelle“ – entstehen, nicht mehr an frühere Erfolge in der Öffentlichkeit anknüpfen. Vom Selbstmord seiner Tochter Lilli 1928 zutiefst erschüttert, erholt er sich davon nicht mehr und stirbt 1931 an einer Gehirnblutung.


    Zur Gestaltung und meine Meinung

    Scheible ist ein beinharter Literatursoziologe, der in seiner Darstellung Schnitzlers weniger dessen Lebensereignisse und -eindrücke als die Analyse seiner Stücke aus der entsprechenden Richtung zugrunde legt. Ich halte die Literatursoziologie – in Kombination mit anderen Interpretationsansätzen – für eine legitime und sinnvolle Art der Herangehensweise an literarische Werke, aber in dieser Biografie fehlt mir so ziemlich das Biografische, das ja nun jenseits der gesellschaftlichen Verhältnisse auch Einfluss auf das Werk nimmt. Zusätzlich erschwert wird die Lektüre durch den typischen literatursoziologischen Duktus, der zwar auch mein Studium bestimmte, aber dennoch ziemlich anstrengend war und ist. Ich schätze diesen Band trotzdem, weil ich ihn nach der Lektüre weiterer Werke Schnitzlers bestimmt noch öfter in die Hand nehmen werde, um Scheibles Interpretationsansätze mit meinen eigenen Leseeindrücken zu vergleichen, aber er lässt mich in Bezug auf die sehr interessante Persönlichkeit Schnitzlers und seine privaten Lebensumstände etwas orientierungslos zurück.

  • Arthur Schnitzler: Erzählungen (1897 – 1926)


    Der Band vereinigt acht Erzählungen Schnitzlers aus knapp 30 Jahren, von denen ich eine –Casanovas Heimfahrt – hier schon letztes Jahr vorgestellt habe (#2).


    Die Frau des Weisen (1897)

    Der Ich-Erzähler erholt sich nach seiner Promotion auf einer dänischen Insel in der Sommerfrische. Dort trifft er Friederike wieder, die Frau des Professors, bei denen er als Abiturient ein Jahr wohnte. Zwischen Friederike, die mit ihrem Sohn auf der Insel ist und sich in vierzehn Tagen mit ihrem Mann in Kopenhagen treffen will, und dem Ich-Erzähler hat sich am letzten Tag seines Aufenthaltes bei dem Paar etwas zugetragen, über das beide eine Zeitlang nicht reden, bis es am Ende der Geschichte, bei einem Ausflug zu einer Nachbarinsel, doch zur Sprache kommt. Dabei hat der Professor sich so geschickt verhalten, dass er sich den Namen im Titel der Novelle verdient hat. Dieses Verhalten hält den Ich-Erzähler davon ab, mit der Frau eine Verhältnis zu beginnen.


    Schnitzler entwickelt in dieser kurzen Novelle eine flirrende Stimmung: Man spürt die Heiterkeit des nordischen Sommers und auch die darunter liegenden Schwüle, die aus dem ungeklärten Verhältnis der Protagonisten resultiert.


    Die Toten schweigen (1897)

    Ein junger Wiener wartet mit einem gemieteten Fiaker auf seine verheiratete Geliebte, um mit ihr eine Kutschfahrt zum Prater zu unternehmen. Die Frau nutzt für das Stelldichein eine Abendveranstaltung, zu der ihr Mann geladen ist. Als die Geliebte eintrifft, ist sie sehr nervös, hat Angst, Bekannten zu begegnen und entdeckt zu werden. Nachdem der junge Mann das Ziel der Fahrt in ein Viertel geändert hat, wo niemand sie kennt , beruhigt sie sich und tauscht mit ihrem Geliebten Zärtlichkeiten aus. Da fährt der betrunkene Kutscher mit den zu schnellen Pferden gegen ein Hindernis, der Fiaker neigt sich zur Seite und die Passagiere schleudern hinaus. Kurz darauf kommt die junge Frau zu sich und muss erkennen, dass ihr Geliebter wahrscheinlich tot ist. Sie fordert den Kutscher auf, Hilfe zu holen und will bei dem Verunglückten warten. Als der erste Schock vorüber ist, merkt sie, in welche Lage sie geraten würde, wenn sie in dieser Situation mit dem Rettungsdienst und der Polizei reden müsste und verlässt den Schauplatz, bevor der Kutscher zurückkommt. Sie schafft es ungesehen bis nach Hause, bevor ihr Mann heimkommt und kann auch die verschmutzte Kleidung noch wechseln. Es scheint, als ob sie sich aus der Affäre gezogen hätte, aber dann redet sie wie im Traum und ihr Mann schöpft Verdacht.


    Diese Geschichte gefällt mir nicht so sehr: Es geht um einen moralischen Konflikt und wie sich die Frau vor sich selbst für ihr unehrenhaftes Verhalten entschuldigt und dennoch scheitert. Der Anfang dieser ebenfalls kurzen Geschichte ist wieder durch schöne Stimmungsschilderungen des stürmischen Abends auf den Wiener Straßen gekennzeichnet, ab dem Unfall jedoch schlägt nicht nur die Stimmung um, sondern auch der Erzählstil und geht in die Innenperspektive mit Bewusstseinsstrom der Frau.

  • "Die Toten schweigen" hatte ich als Gymnasiastin in einem Lesebuch, ich erinnere mich ganz gut. Besonders an den Begriff "Franz Josefsland", mit dem ich damals nichts anfangen konnte. Ich weiß auch noch, dass mir die Geschichte auch nicht besonders gefiel, ich fand dieses "die Toten schweigen" (das, meine ich mich zu erinnern, der Frau in Gegenwart ihres Ehemannes versehentlich über die Lippen kam) so pompös.

  • "Die Toten schweigen" hatte ich als Gymnasiastin in einem Lesebuch, ich erinnere mich ganz gut. Besonders an den Begriff "Franz Josefsland", mit dem ich damals nichts anfangen konnte. Ich weiß auch noch, dass mir die Geschichte auch nicht besonders gefiel, ich fand dieses "die Toten schweigen" (das, meine ich mich zu erinnern, der Frau in Gegenwart ihres Ehemannes versehentlich über die Lippen kam) so pompös.

    Lustig, genau die beiden Sachen sind mir auch aufgefallen. Mit Franz-Josef-Land hatte ich bisher die arktische Inselgruppe verbunden, weshalb ich kurzfristig irritiert war. Dass die Frau ausgerechnet diese Phrase, die auch im Titel steht, ausspricht, scheint mir auch eher unwahrscheinlich. Sie kann sich auch etwas weniger hochgestochen verraten.
    Aber insgesamt sind Ehe - und andere Beziehungsgeschichten nicht so mein Genre, weshalb Schnitzler, obwohl er sehr gut erzählt, wohl nicht zu meinen Lieblingsschriftstellern zählen wird.

  • Lieutenant Gustl (1900)


    Der 25jährige Leutnant Gustl verbringt einen Abend im Oratorienkonzert, weil ihm sein Kamerad dessen Karte überlassen hat. Gustl langweilt sich bei dieser ihm ungewohnten Veranstaltung und hängt seinen Gedanken nach, über das morgige Duell gegen einen jüdischen Anwalt, der eine sehr moderat abwertende Bemerkung über die Offiziersehre gemacht hatte und seine Geliebte Steffi. Nach dem Konzert rempelt er in der Schlange vor der Garderobe aus Eile einen vor ihm Stehenden an und beleidigt ihn. Der aber - der Leutnant erkennt ihn als einen Bäcker, der im gleichen Kaffeehaus verkehrt wie er - greift Gustls Degen , raunt ihm leise zu, er solle sich beruhigen und bezeichnet ihn als „dummer Bub“. Auch droht er ihm, seinen Degen zu zerbrechen und Skandal zu machen, wenn sich Gustl jetzt nicht beruhige, alles so leise, dass es die Umstehenden nicht hören können. Bevor Gustl noch reagieren kann, ist der Bäcker verschwunden. Gustl ist zutiefst betroffen, da er von jemandem in seiner Offiziersehre beleidigt wurde, der nicht satisfaktionsfähig ist und sieht als einzigen Ausweg den Selbstmord, denn der Bäcker könnte ja die Geschichte weiter erzählen, und auch vor sich selbst scheint Gustl mit der Erinnerung nicht leben zu können. Der junge Leutnant begibt sich in den Prater und verbringt dort in Gedanken versunken die Nacht. Am nächsten Morgen will er noch kurz in seinem gewohnten Kaffeehaus frühstücken, bevor er sich auf seinem Zimmer erschießt, seine Waffe liegt dort im Nachtschränkchen. Da erfährt er von dem Kellner, dass den Bäcker gestern Nacht einem Schlaganfall erlegen ist. Erleichtert legt Gustl seine Selbstmordgedanken ad acta und geht zum Alltag über.

    Die Erzählung wird vollständig aus der Innensicht Gustls erzählt – die Einführung des Bewusstseinsstroms in die deutschsprachige Literatur beginnt genau hier, um einiges früher vor den berühmten angelsächsischen Autoren wie Joyce und Woolf, die diese Technik vervollkommnen. Die Selbstmordgedanken des jungen Leutnants und ihre Begründung wirken auf den Leser wie Satire, obwohl Gustls tiefe Betroffenheit überall deutlich wird, wenn er auch immer wieder abschweift. Es ist eine den Niedergang der KuK-Gesellscha
    ft sehr genau erklärende Fallstudie.

  • Der blinde Geronimo und sein Bruder (1900)


    Carlo hat in seiner Jugend unabsichtlich seinem kleineren Bruder Geronimo das Augenlicht durch ein Blasrohr genommen. Um dies zu büßen, bricht er seine Lehre ab, besteht darauf, dass sein Bruder das Gitarrenspiel erlernt und begleitet diesen, der dazu recht gut singen kann, beim Betteln in Oberitalien. Sie sind im Spätsommer im Hof eines Gasthauses an einem Alpenpass in Südtirol und betteln bei den vorbeiziehenden Reisenden, die einen Aufenthalt zum Pferdewechsel haben. Ein Reisender wirft in Carlos Dose, der immer das Geld einsammelt, einen Franc, behauptet aber gegenüber Geronimo, als Carlo für einen Moment abgelenkt ist, er habe 20 Francs in Form eines Goldstücks dort hinein geworfen und der Blinde solle aufpassen, dass er nicht betrogen werde. Dann reist er weiter. Geronimo verdächtigt nun seinen Bruder, ihm den Goldtaler unterschlagen zu haben, um ihn zum Beispiel mit der Wirtsmagd durchzubringen. Carlo kann ihn von diesem Verdacht nicht abbringen und ist verzweifelt, weil er nun bemerkt, dass sein ganzes Opfer an Geronimo abprallt und dieser ihm gegenüber schon immer misstrauisch war. So stiehlt er zwei Reisenden, die im Gasthaus übernachten, in der Nacht einen Goldtaler aus der Börse und gibt ihn seinem Bruder am sehr frühen Morgen, nachdem dieser aufgewacht ist. Der aber meint weiterhin, dass Carlo ihm bestimmt schon viel Geld unterschlagen habe und diesen Goldtaler jetzt nur herausrücke, weil Geronimo sich das nicht mehr gefallen lasse. Carlo ist zutiefst enttäuscht, dass der Diebstahl für umsonst war, sorgt aber erstmal dafür, dass beide aus dem Wirtshaus verschwinden, bevor die bestohlenen Reisenden wach werden. Auf dem Weg hinab ins Tal werden sie von einem Gendarmen angehalten, der sie auf die Wache mitnimmt, weil die Benachrichtigung des Diebstahls schon per Telegramm ins Tal gemeldet wurde. Geronimo merkt nun, was sein Bruder um seinetwillen getan hat und entschuldigt sich durch einen Kuss, womit die Geschichte endet.

    Ich fand die Erzählung spannend und gleichzeitig tieftraurig. Die sinnlose Aufopferung des älteren Bruders und die tiefe Gruft zwischen den Geschwistern wird ganz zurückhaltend beschrieben, ohne dass der Autor zu viel auf der Gefühlsorgel spielt. Als am Ende die Verhaftung droht, ist man trotzdem erleichtert, weil das Verhältnis zwischen den Brüdern endlich in Ordnung scheint.


    Das Schicksal des Freiherrn von Leisenbohg (1903)


    Schon seit zehn Jahren ist der Freiherr von Leisenbohg in die Sängerin Kläre Hell verliebt und unterstützt ihre Karriere, wo er kann. Er reist ihren Engagements hinterher und ist bei ihren Vorstellungen regelmäßig dabei. Dennoch erhört ihn Kläre nicht, sondern unterhält in diesen Jahren ganz offen Liebesbeziehungen zu den unterschiedlichsten Männern. Die letzten drei Jahre über ist sie mit einem Grafen zusammen, der bei einem Reitunfall so schwer verletzt wird, dass er in ihren Armen stirbt. Kläre setzt nach zwei Monaten ihre Karriere fort, ist aber anscheinend zutiefst traurig über den Tod dieses Geliebten und geht keine neue Beziehung ein. Da erscheint ein stattlicher norwegischer Tenor, Sigurd, der auf Wagner-Rollen spezialisiert ist, sich sehr für sie interessiert und sich auch mit Leisenbohg anfreundet, welcher weiterhin immer in Kläres Nähe weilt. Auch für diesen Kollegen, der für Spirituelles sehr empfänglich ist, scheint die Sängerin nichts zu empfinden, im Gegenteil, in der Nacht, bevor der Norweger abreist, erhört sie endlich Leisenbohg und wird seine Geliebte. Dieser schwebt am nächsten Tag, von der Geliebten heimgekehrt, auf Wolke sieben, muss aber schon am Nachmittag erfahren, dass sie mit unbekanntem Ziel abgereist ist. Unruhig fährt er durch die Welt, bis ihn ein nachgeschickter Brief Sigurds erreicht, der ihn dringend zu sich nach Norwegen bittet. Der Freiherr folgt der Aufforderung und findet einen gealterten Sänger vor, der sich wegen irgendetwas quält. Er vertraut Leisenbohg an, dass er seit dem Tag nach seiner Abreise aus Wien der Geliebte von Kläre war, aber sie verlassen musste, weil sie ihm mitteilte, ihr verstorbener Geliebter habe den ersten Mann, dem sie sich nach seinem Tode hingebe, verflucht, einen frühen Tod zu sterben und in die Hölle zu fahren. Als der Freiherr das hört, bekommt er einen Schlaganfall und stirbt. Sigurd schreibt einen erleichterten Brief an Kläre und bittet sie zu sich.


    Die Pointe dieser Geschichte am Ende ist sehr gelungen, ansonsten hat sie mir nicht so viel gegeben. Ich finde sie auch nicht so stimmungsvoll wie die anderen Erzählungen.

  • Fräulein Else (1924)


    Die junge Else, Tochter eines spielsüchtigen jüdischen Juristen und seiner naiven Frau, befindet sich mit Tante und Cousin in einem Hotel in den italienischen Alpen. Sie bekommt einen Expressbrief von ihrer Mutter aus Wien, die sie bittet, bei dem auch im Hotel weilenden Freiherrn Dorsday 30 000 Gulden zu erbitten, die sofort an einen Gläubiger des Vaters überwiesen werden sollen, andernfalls lande dieser im Schuldgefängnis. Dieser habe schon einmal dem Vater mit 8000 Gulden aus der Klemme geholfen. Das junge Mädchen, die den ältlichen Lebemann Dorsday äußerst unangenehm findet, grübelt darüber nach, ob sie ihn um das Geld bitten solle, denn sie weiß, dass ihr Vater wegen seiner Spielsucht dauernd in solche Krisen kommt, weswegen er auch niemand anderen mehr um Geld bitten kann. Else, die sich ansonsten darüber Gedanken macht, wen sie attraktiv findet und wie sie ihre Sinne ausleben würde, wenn sie frei wäre, wehrt sich innerlich gegen das Ansinnen der Eltern, bittet den Freiherrn dann aber aus Angst, ihr Vater könne sich das Leben nehmen, doch um das Geld. Dieser, der bereits die früher geliehenen 8000 Gulden verloren hat und weiß, dass er auch den jetzt zu leihenden Betrag nie wiedersehen wird, knüpft die Überweisung an eine Bedingung, die ihm seine Lüsternheit stellt: Er möchte, dass sich ihm Else in der gleichen Nacht um 12 Uhr für eine Viertelstunde nackt präsentiert. Else weist ihn zwar nicht sofort ab, ist aber empört und beschäftigt sich mehrere Stunden damit, wie sie der Situation entkommen könnte. Schließlich beschließt sie, sich öffentlich nackt zu zeigen, um damit der Forderung nachzukommen und den Freiherrn zu beschämen. Sie sucht ihn – nur mit ihrem langen Mantel bekleidet, im Musikzimmer auf und zeigt sich allen dort Versammelten nackt, bekommt einen Lach- und Schreianfall und fällt scheinbar in Ohnmacht. Ihre rasch herbeigerufenen Verwandten lassen sie notdürftig bedeckt auf ihr Zimmer bringen, wo sie sich in einem unbewachten Moment mit Veronal vergiftet, das sie sich schon vor der Aktion bereitgestellt hatte. Kurz nach der Einnahme möchte sie noch gerettet werden, kann sich aber nicht mehr artikulieren und dämmert weg.


    Auch diese Novelle ist – wie „Leutnant Gustl“ - wieder vollständig als innerer Monolog geschrieben, das äußere Geschehen wird ausschließlich zeitgleich aus den Gedanken Elses geschildert. Ihr Bewusstseinsstrom zeigt ein intelligentes und sinnliches junges Mädchen, das sich die Freiheit wünscht, sich ihre(n) Partner selbst zu wählen und das nun durch die Forderungen ihrer Eltern, die sich durchaus denken können, dass der Freiherr so eine große Summe nicht so ohne weiteres hergeben wird, sich verschachert sieht, ohne dass sie das Schicksal ihres Vaters grundsätzlich würde ändern können. Der Leser erlebt die Tragik hautnah mit, wie ein junger Mensch an den Konventionen der Zeit und dem Egoismus seiner Nächsten zerbricht. Eine intensive und sehr berührende Erzählung.


    Spiel im Morgengrauen (1927)


    Leutnant Willi Kasda wird eines Morgens von einem ehemaligen Kameraden, der aufgrund von Spielschulden unehrenhaft aus der Armee entlassen wurde, aufgesucht. Dieser – inzwischen verheiratet, Vater und oft in finanziellen Nöten – hat mehrfach Gelder aus der Kasse des Büros, wo er jetzt arbeitet, „entliehen“. Nun droht eine Revision und er muss so schnell wie möglich an 1000 Gulden kommen. Er weiß, dass Willi aus armen Verhältnissen stammt, aber einen wohlhabenden Onkel hat. Kasda klärt ihn nun darüber auf, dass er vom Onkel keine Zuwendungen mehr bekommt und dieser auch den Kontakt zu ihm abgebrochen habe. Aber vielleicht – er fahre am Sonntag nach Baden (bei Wien), dort nehme er häufiger an einer Spielerrunde teil - winke ihm ja das Glück und dann könne der Kamerad die 1000 Gulden haben. In Baden gewinnt Willi zuerst mit seinen 120 Gulden, die er noch hat, wird dann immer risikobereiter, hat zwischenzeitlich 5000 Gulden gewonnen und verliert diese dann in der letzten Viertelstunde des Spiels an einen Honorarkonsul aus dubiosen Verhältnissen, der ihm obendrein sein Geld zum Spielen zur Verfügung stellt. So hat Willi innerhalb dieser kurzen Zeit nicht nur sein Geld und seinen Gewinn verspielt, sondern noch 11 000 Gulden Spielschulden gegenüber dem Konsul angehäuft. Dieser nimmt ihn zwar in seiner Kutsche in der Nacht nach Wien mit zurück, besteht aber auf Rückzahlung der Ehrenschuld bis zum Mittag des übernächsten Tages. Andernfalls melde er Willi dem Regiment, was zu seiner Entlassung führen würde. Willi ist verzweifelt und besucht seinen Onkel. Dieser aber hatte inzwischen geheiratet, eine junge Frau, mit der Willi mal eine Liebesnacht gehabt hatte und die danach Prostituierte wurde. Diese Frau hat den Onkel nur unter der Voraussetzung eines Ehevertrags geheiratet, der das Vermögen auf sie überschreibt und ihm nur eine geringe monatliche Rente sowie das Wohnrecht in seinem ehemals eigenen Haus überlässt. Willi besucht darauf diese Frau, die als Geschäftsfrau arbeitet und das Vermögen anlegt und vermehrt. Sie reagiert freundlich, aber zurückhaltend auf seine Bitte und will es sich bis zum Abend überlegen, dann werde sie ihm Nachricht schicken, ob er das Geld haben könne. Abends kommt sie selbst zu ihm in die Kaserne und die beiden verleben noch einmal eine gemeinsame Nacht. Am nächsten Morgen aber gibt sie ihm nur 1000 Gulden, denn er hat ihr nach der ersten Nacht auch 10 Gulden hingelegt als Lohn, obwohl sie sich ihm aus Zuneigung hingegeben hatte. Die 1000 Gulden schickt er durch seinen Burschen zu seinem ehemaligen Kollegen, damit der wenigstens gerettet ist und erschießt sich. Kurz darauf kommt der Onkel mit den restlichen 10 000 Gulden, die ihm seine Frau doch noch gebracht hat.

    Im Gegensatz zu den meisten der hier vorgestellten Geschichten handelt es sich um eine an äußeren Handlungen reiche Erzählung. Aber auch hier schildert Schnitzler, wie ein junger, eigentlich ganz vernünftiger Mensch an einer einzigen Übersprungshandlung scheitert und letzten Endes daran zugrunde geht, dass er selber in der Vergangenheit konventionell gehandelt hat, indem er die junge Frau, ohne nachzudenken, wie eine Hure behandelt hatte. Nun muss er selber sterben, weil die Frau sich scheinbar rächt, die militärischen Konventionen eine Ehrenschuld nicht gestatten und er für sich keinen anderen Ausweg außerhalb des Militärs sieht, dem schon sein Vater und Großvater angehörten.



    Fazit:

    Schnitzler ist ein Erzähler des Scheiterns an einer empathielosen, dünkelhaften Gesellschaft, die den Konventionen eine viel stärkere Bestimmung über das Individuum gestattet als es über sich selbst hat.