Beiträge von finsbury

    Hallo zusammen,

    Zitat von "sandhofer"


    Tut mir leid, wenn ich mich nicht mehr gemeldet habe ... zuviel Arbeit, zu wenig Gesundheit.


    Gute Besserung in beiderlei Hinsicht!
    Bei mir geht's jetzt auch nur noch langsam voran, da der Job wieder fordert.

    Zitat von "sandhofer"


    Ich bin irgendwo in den 20ern, was die Briefnummern betrifft.


    Glückwunsch! Davon kann ich nur träumen! Ich bin jetzt erst mit siebzehn fertig.


    Zitat von "sandhofer"


    finsbury: Bei Müssiggang und Gleichgültigkeit schwebt Schiller wohl der vom Rest der Welt ökonomisch wie geistig unabhängige Denker vor.


    Das widerspricht meinen Überlegungen nicht. Der arme Schiller! In dieser Situation ist er ja nur selten gewesen ... .


    Zum sechzehnten Brief:


    Hier hatte ich zunächst ein Problem mit dem Verb "auflösen", das Schiller wohl im Sinne von "mäßigen, eindämmen" benutzt, während meine Konnotationen des Verbs bisher immer eher gegenteilig waren.
    Schön finde ich die Begriffe der energischen und der schmelzenden Schönheit, obwohl auch diese Adjektive z. T. gegen den Strich gebürstet werden.


    Der siebzehnte Brief:
    Nun geht es aus der Welt der Ideale wieder in die Welt des Realen: Erhellend ist, wie Schiller hier ausführt, dass nicht die Schönheit an sich kritisierbar ist, sondern nur der Mensch, der ihre ideale Entfaltung hemmt.
    Aber nun stelle man sich einen Kritiker vor, der das bei seiner Rezension auseinanderdröselt: Die Idee des Schönen aus dem Werk extrahiert und dessen Schwächen den ignoranten Konsumenten vorwirft. Einfach für den Künstler, der kann ja dann nichts dafür, dass er seine Idee mit den Niederungen der Menschheit beschmutzen muss.




    HG
    finsbury

    Hallo,


    habe gerade von Jeffrey Eugenides "Die Selbstmordschwestern" beendet.
    Im Gegensatz zu "Middlesex", das mir sehr gut gefallen hat, finde ich diesen früheren Roman ziemlich manieriert und von der Erzählperspektive her problematisch.


    HG
    finsbury

    Hallo Zola und sandhofer,


    müssen wir denn jetzt unsere in diesem Thread angeführten Internetadressen ( die ja auch schon einen Materialienteil darstelllen) in den Extramaterialienthread hineinkopieren?


    Ich muss sagen, obwohl das wohl egoistisch klingt, es verdirbt mir etwas die Lust an von mir (mit)initiierten Lesrunden, wenn ich vorher stundenlang Internetrecherche betreiben muss, um einen Materialienthread eröffnen zu können. Wenn ich da an den Herodot denke, wird mir jetzt schon ganz anders ... . Bis man da die wichtigsten Sachen an Sekundärliteratur zur Auswahl im Netz angelesen hat, kann man ja das Primärwerk durchgelesen haben ... . :sauer:


    Zum weiteren Projekt "Exil", Zola, vielleicht zu Beginn nächsten Jahres?
    Da wird zwar auch der Herodot wohl irgendwann stattfinden, aber das ist ja wahrscheinlich ein Langzeitprojekt, während sich Exil vermutlich recht gut und verhältnismäßig unaufwändig lesen lässt. Wenn ich nicht stundenlang im Internet recherchieren muss ...

    Zitat von "Zola"


    Der hier gelesene war dann wohl für meinen Geschmack der beste.

    :bang:


    HG
    finsbury

    Hallo,


    und nun kommt im 15. Brief endlich der Begriff "Schönheit" zur Entfaltung, als Gegenstand des Spieltriebs, [als] lebende Gestalt.
    Interessant ist hier, dass Schiller das "Was" der Schönheit definiert, das "Wie" dagegen sei transzendental und daher nicht erforschlich.


    Hmm, hier finde ich das Ganze so schwammig wie die moralischen Grundsätze ... . Da muss wohl jeder selber ran, wie du , Maja so schön schreibst.


    Was ich auch noch nicht so ganz verstanden habe, ist, wieso Sch. Müßiggang und Gleichgültigkeit als bloß menschlichen Namen für das freieste und erhabenste Sein betrachtet:
    Soll das heißen, dass der sinnliche Trieb durch Müßiggang kontrolliert wird und der Formtrieb durch Gleichgültigkeit, so dass der Mensch weder von einem Gesetz/ Interesse (Form) noch von einer Arbeit (sinnliche Welt) zu sehr bestimmt wird?


    HG
    finsbury

    Sandor Marai: Die Glut


    Ein Werk um Schuld und Freundschaft, in einer eindrucksvoll impressionistischen Schreibweise. 1942 erschienen müsste der Roman alle interessieren, die Joseph Roth und Eduard von Keyserling mögen.


    HG
    finsbury

    Hallo Zola und andere,


    war ein paar Tage verreist, daher entschuldigt die Antwortpause.
    Danke für die Internethinweise.
    Ich denke, dass Feuchtwanger für alle
    seíne Behauptungen Belege hatte, wie auch immer er sie interpretiert hat.


    sandhofer: Bei einer solchen Minlileserunde halte ich einen Materialienthread für überflüssig.


    Zum Ende später, jetzt keine Zeit.


    HG
    finsbury

    Hallo zusammen,


    erst jetzt wahrgenommen und wenn auch altbekannt, macht es immer wieder Spaß zu diesen Fragen Stellung zu nehmen.


    A Welches ist euer Lieblingsbuch und warum?
    Kann ich nicht eindeutig sagen: Dostojevskij: Schuld und Sühne; Th. Mann: Doktor Faustus, Buddenbrooks; Tolstoj: Krieg und Frieden; Fontane: Der Stechlin, Dickens: David Copperfield ...
    Warum? Ich mag Romane, die die Analyse der menschlichen Seele mit einem gesellschaftlichen Panorama verbinden, dabei lieber die englisch-deutsch -russische Ausformung dieser Themenkreise als die französische, letztere empfinde ich häufig als ziemlich erbarmungslos. Ich mag es, wenn der Grundton menschenfreundlich und ein bisschen humorvoll ist.
    B Wer ist euer/eure Lieblingsschriftsteller(in) und warum?
    Die oben genannten mit der oben genannten Erklärung, dazu noch viele andere Romanautoren des Realismus.
    C Was sind eure literarischen Lieblingsthemen?
    Ebenso siehe oben: Gesellschaftliche Veränderungen, aufgezeigt an Familien- oder Einzelschicksalen
    D Sind/waren eure Lieblingsbücher und Schriftsteller(innen) dabei wechselnd?
    Ja, als junger Mensch standen die Russen absolut im Mittelpunkt, die deutsche Literatur begleitete auch aufgrund des Germanistikstudiums immer, heute bedeuten mir auch die englischsprachigen Literaturen sehr viel und einzelne Autoren des Orients, die auch den Gesellschaftsroman als Werkmittelpunkt haben, z.B. Nagib Machfus.


    E Wenn ihr nur zehn Bücher für unbestimmte Zeit auf eine einsame Insel (oder anderen Ort) mitnehmen dürftet, zu welcher schmerzlichen Auswahl und Bescheidung würdet ihr euch durchringen?


    Das will ich nicht mehr entscheiden: Ich hoffe, niemals in eine so entsetzliche Situation zu geraten.


    HG
    finsbury

    Hallo Zola und alle Interessierten,


    ich hoffe, du bist nicht böse, aber ich habe den Roman schon zu Ende gelesen:


    Es war zu spannend, wie sich Gustav Oppermann änderte und alles den Bach runterging, da mussten ein paar Nachtstunden für das dritte Buch herhalten.


    Zunächst danke für die Aufklärung Oppermann /Oppenheim: Du hast Recht, das Verhalten dieses Nazi-Namensvetters hätte auch im Buch nicht besser dargestellt werden können. Wieder ein Beispiel für den Realismus und die ungewöhnliche Hellsichtigkeit dieses Werkes.


    Im dritten Buch kommt gut heraus, wie unterschiedlich informiert die Exilanten und die Daheimgebliebenen waren: Annas Ungläubigkeit, als ihr Gustav von den Geschehnissen in Deutschland erzählt, gibt einen Einblick,
    wie unsere Eltern /Großeltern diese Zeit erlebten: Die vollständige Kontrolle der Presse und die durch den Spitzelstaat verängstigte Bevölkerung waren wohl Voraussetzung dafür, dass sovieles eigentlich Offensichtliche doch nicht wahrgenommen oder verdrängt wurde.


    Ich bin gespannt, wie du Gustav Oppermanns Einsatz am Romanende siehst: Ist es sinnloses Aufopfern, weil er mit den Geschehnissen und seiner eigenen bisherigen Rolle nicht fertig werden kann oder ist sein Tod sinnvoll und trägt auf lange Sicht zur Befreiung bei?


    Ein offenes Ende... und auch die Meinung des Autors ist nicht eindeutig herauszulesen. Auch die Romo-Biogafie gibt darüber keinen Aufschluss.


    So, nun warte ich auf deine weiteren Leseindrücke und werde dir dazu natürlich antworten.


    Insgesamt ein Klasse-Roman, gefällt mir noch besser als "Erfolg", was ich vorher kaum gedacht hätte.


    Auf längere Sicht hätte ich dann Lust auf "Exil" und im Vergleich dazu Seghers "Transit", vielleicht wärst du dann wieder dabei?


    HG
    finsbury

    Hallo zusammen, hallo Cosima,


    schön, dass du auch wieder dabei bist und sogar schon den ganzen Text gelesen hast. Respekt! :anbet:

    Habe jetzt den zwölfte und dreizehnten Brief gelesen. Uff ...


    Zwölfter Brief


    Nun geht es um die Triebe, die den Zustand und die Person antreiben. Sehr schön hier Schillers semantische Deutlichkeit in der Anmerkung, die den Inhalt eines Begriffs den ihn zugeordneten Präpositionen zuordnet.
    Mir wird jetzt der Inhalt des zwölften Briefs klarer: Wenn ich es recht verstehe, ist die Empfindung dem die Welt erfahrenden Trieb des sinnlichen Zustands zugeordnet, das moralische Gefühl gehört zu dem die Welt erfassenden Trieb der freien Person.
    Allerdings würde mich interessieren, welchen „objektiven“ Maßstäben das moralische Gefühl gehorchen soll, denn darauf geht Schiller bisher nicht ein.


    Dreizehnter Brief


    Die Kultur als Regulat zwischen den beiden Trieben steht hier im Mittelpunkt und es wird noch einmal betont, dass keiner der beiden trieb die Oberhand erhalten darf, weil sich dadurch schlimme Fehlentwicklungen ergeben, die, so die Anmerkung, ganze Bereich unserer Zivilisation, naturwissenschaftliche Erkenntnis und soziales Engagement, geprägt hat. Hier findet Schiller schöne Formulierungen für Charakterschwächen, die ich mir auch gerne zur Beherzigung in mein Stammbuch schreibe:


    Strenge gegen sich selbst mit Weichheit gegen andre verbunden, macht den wahrhaft vortrefflichen Charakter aus. Aber meistens wird der gegen andre weich Mensch es auch gegen sich selbst sein, und der gegen sich selbst strenge es auch gegen andre sein; weich gegen sich selbst und streng gegen andre ist der verächtlichste Charakter.


    HG
    finsbury

    Hallo Zola und alle Leser,


    zunächst mal vielen Dank für die vielen Internetnachweise, ich werde heute Abend mal nachforschen.

    Zitat von "Zola"


    Kann es sein, dass ein Jugendlicher, der hemmungslos zu einem Mord fähig ist, sich soweit erniedrigt, dass er um die Freundschaft und Anerkennung eines Menschen bettelt, den er aufgrund seiner Einstellung und seiner Weltanschauung eigentlich verachten müsste ?


    O ja, das denke ich schon: Dass man mordet und sich erniedrigt, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, sind doch zwei Seiten des Die-Kontrolle- Verlierens!

    Zitat von "Zola"


    Aber in der Zeit, in der er das geschrieben hat, wurde es bestimmt nicht als besonders gewalt- oder kriegsverherlichend angesehen, wenn man sich dazu noch den Text mancher Lieder und Nationalhymnen anschaut, die zu dieser Zeit entstanden sind.


    Da hast du sicherlich Recht, zumal Kleist wohl auch noch ziemlich jung war, als er dieses Elaborat verfasste.


    Nun zu dem frisch Gelesenen: Ich komme gut voran, da ich Zeit habe und das Buch so aufwühlend ist:


    Fertig mit zweitem Buch „Heute“


    Das ist schon sehr bedrückend, wie sich das Schicksal der einst mächtigen und anerkannten Familie ändert. Wie Barbarismus Humanität und Wahrheit aushebelt, habe ich selten eindrucksvoller dargestellt gelesen. Besonders Bertholds Fall und seinen Gang in den Tod finde ich sehr aufwühlend.


    Die literarische Kritik von früher, Feuchtwanger gehe hier zu geradlinig und kunstlos vor, finde ich aus heutiger Sicht im Gegenteil eine Stärke des Romans: Keine – böswillig formuliert - „Künstelei“ stellt sich diesen Schilderungen in den Weg, die für sich selbst sprechen. Im Übrigen ist die Darstellung des „stream of consciousness“, als Berthold in den Tod geht, schon sehr symbolhaft und fasst das Geschehene in Bildern zusammen, die zugleich der Erlebniswelt des Siebzehnjährigen Rechnung tragen.


    Den Rest des Tages komme ich nicht zum Lesen.


    HG
    finsbury

    Hallo Zola und alle LeserInnen,


    ich bin jetzt im zweiten Buch "Heute" an der Stelle angelangt, wo Martin Oppermann von Herrn Wels persönlich zu Verhandlungen über die Fusion beider Firmen geladen wird.
    Der Roman steigert sich furios: Als einen Höhepunkt empfinde ich die Szene zwischen Berthold und Vogelsang: Hier werden die Mechanismen der Macht jenseits aller Vernunft sehr deutlich gemacht.
    Kennst du von Alfred Andersch: Der Vater eines Mörders? Da geht es um ähnliche Strukturen: Andersch schildert ein autobiografisches Erlebnis seiner Jugend. Das Münchner Gymnasium, an dem er lernte, wurde vom Vater Himmlers geführt (daher der Titel) und ebenso beklemmend wie in der Berthold-Vogelsang-Szene werden in diesem Buch mehrere Schüler durch die Willkür der Macht dieses Mannes mehr oder weniger zerstört: Eine beklemmende und großartige Erzählung.
    Aber zurück zu unserem Buch, das mir auch sehr gut gefällt.
    Gut dargestellt finde ich auch die Beziehung zwischen Werner Rittersteg und Heinrich, die sich bis zum dem "Imponiermord" von Seiten Ritterstegs steigert. Feuchtwanger macht hier gut deutlich, wie alles Politische auch vom Persönlichen durchdrungen wird und politischen Taten häufig auch persönliche Eitelkeiten zugrunde liegen (kann man im Moment bei uns ja auch schön sehen). Neben den zum großen Teil hellsichtigen Ausführungen unseres guten Marx darf man diese Nebendimension nicht vergessen.

    Zitat von "Zola"


    Den Eindruck hatte ich auch. Kennst Du "Das Beil von Wandsbek" von Arnold Zweig ? Diesen Roman fand ich in der überladenen Symbolik, dem etwas schleppenden Handlungsverlauf und dem Mangel an einer prägnanten Hauptperson "Erfolg" sehr ähnlich.


    Ja, das sehe ich ähnlich. Das gilt für einige Romane A. Zweigs, obwohl sie auch viele gute Seiten haben. Ich habe außer dem Wandsbecker Beil noch "Der Streit um den Sergeanten Grischa" (das bisher für mich beste) und "Die Feuerpause" gelesen. Letztere hat ähnliche Mängel wie der von dir erwähnte Roman.


    Zitat von "Zola"


    Mir ist noch aufgefallen, dass Feuchtwanger sich etwas Spott an der mangelnden Bildung der führenden Nazis nicht verkneifen kann, so schreibt z.B. der nationalsozialistische Oberlehrer "Mein Kampf" heimlich in besseres Deutsch um.


    Wobei mich dies etwas erstaunt: Den "Kampf" habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen und reiße mich auch nicht darum. Aber im Unterricht lasse ich mitunter Nazireden analysieren, dabei auch solche von Hitler: Dabei fällt natürlich die begriffliche Verquastheit und die primitive Hammerschlagrhetorik ins Auge, aber massive syntaktische und grammatische Fehler sind mir noch nicht aufgefallen, und, wenn ich es recht verstehe, geht es um solche in Vogelsangs Korrekturen, denn der Inhalt ist für ihn ja sakrosankt.
    Vielleicht sind die Hitlerreden nach der Machtübernahme überarbeitet worden, bevor sie ans Licht der Öffentlichkeit kamen.

    Zitat von "Zola"


    Den Begriff "Hermann der Deutsche" für Hermann den Cherusker gab es wirklich, wie ich gerade herausfand, er wurde auch in Zeiten vor den Nazis geprägt. Zuerst hielt ich den Begriff für eine Erfindung der Nazis oder ihnen von Feuchtwanger spöttisch in den Mund gelegt (zu Hermanns Zeiten konnte man ja noch lange nicht von einem deutschen Volk oder einem deutschen Sprachraum reden).


    Das braune Gedankengut haben ja auch nicht erst die Nazis erfunden, diese Tradition existiert ja viel länger. Übrigens hat mich das Kleist-Gedicht doch sehr erschreckt: In meiner ansonsten literarisch eigentlich kompletten Kleist-Ausgabe fehlt es.
    Man kann es zwar in Ansätzen von den Zeitbezügen der Freiheitskämpfe her verstehen, aber die menschenverachtende Aggression ist schon hammerhart und kaum mit den so wunderbar durchgearbeiteten und tendenziell menschenfreundlichen, wenn auch oft verzweifelten Werken zu vereinbaren. Wobei er ja auch eine "Hermannsschlacht“ geschrieben hat ...


    HG
    finsbury

    Hallo Zola und alle Threadbesucher,


    Zitat von "Zola"

    Dass Gustav in vielen Punkte Jacques Tüverlin ähnelt, ist mir auch aufgefallen. Laut Nachwort von "Erfolg" war Jacques Lion Feuchtwangers alter ego. Vielleicht versuchte der Autor sich selbst nun in Gustav Oppermann darzustellen ?


    Ich habe nochmal in der Romobiogarafie nachgelesen und tatsächlich war es wohl so: Auch Feuchtwanger hatte sich noch zwei Jahre vor der Machtergreifung eine Villa ím Grunewald gekauft und auch das spätere Handeln Gustavs, dem wir hier noch nicht vorgreifen wollen, entspricht verzweifelten Ideen Feuchtwangers, die er dann wohl für sich verworfen hat.



    Zitat von "Zola"

    Ich habe jetzt etwa 80 Seiten gelesen und sehr schön ist ersichtlich wie die Nazis sich schon offen auch im Alltag als solche zu Erkennen geben - in der Gewißheit, dass sie bald das Sagen im Land haben.


    Sehr interessant finde ich, dass die Oppermanns (zumindest Martin Oppermann) als Möbelhändler Kapitalisten sind, also auch das "jüdische Großkapital" repräsentieren, gegen das die Antisemiten ja hauptsächlich hetzten.


    Genau dieses Großkapital repräsentierte ja auch Feuchtwangers Familie:
    Dass der Sohn sich dem schöngeistigen Leben widmen konnte und auch die Jahre der Emigration in vergleichbar großbürgerlilchen Verhältnissen verbringen konnte, verdankt er dem industriell-kapitalistaischen Geschäftssinn seines Vaters.


    Auch ich habe jetzt ungefähr achtzig Seiten gelesen - übrigens in der Taschenausgabe aus dem Aufbau-Verlag, welche Ausgabe hast du? -
    und muss die Aussage des ersten Eindrucks revidieren, dass Gustav im Mittelpunkt stehe: Bisher kann man das nicht so sehen. Obwohl die Erzählperspektive immer mehr aufgespalten wird, lässt sich alles gut nachvollziehen, weil alles in chronologischer Reihenfolge dargestellt wird und nur wenig symbolhafte Passagen enthalten sind. Diese einfache Erzähltechnik sahen Kritiker und auch Feuchtwanger selbst wohl als Mangel des Romans, der als zetigeschichtliches Dokument und Mahnung schnell entstehen sollte. Ich kann das bisher nicht unbedingt so empfinden: Zum Teil fand ich "Erfolg", der sowohl von Feuchtwanger als auch von den Kritikern als positives Gegenbeispiel hingestellt wurde, auf der Symbolebene zu überladen.(Dennoch ist er m.E. einer der ganz großen Romane der Weimarer Zeit.)
    In unserem hiesigen Roman schildert der Autor wirklich bedrückend, wie sich die Augen der Protagonisten vor der nahenden Katastrophe absichtlich verschließen, weil sie ihre gewohnte und geliebte Lebensweise nicht aufgeben wollen. Und das kann man ja schließlich keinem verdenken. Würden wir heute anders handeln?
    Einige schöne Symbole gibt es übrigens doch: So der sich vergrößernde braune Felck in der Wohnung Wolfssohns, bezeichnenderweise an der Zwischenwand zu seinem Nazinachbarn.
    Wolfssohns Aufenthalt im Café Lehmann erinnert mich stark an die Kneipenszenen in "Erfolg": Solche Lokalitäten sind wohl für Feuchtwanger Kristalllisationspunkte gemütlichen (Klein)bürgertums und gleichzeitig Diskussionsforen für die politische Bewusstseinsdarstellung dieser Schicht(en).


    HG
    finsbury

    Hallo zusammen, hallo sandhofer,


    tja, nun sind Ferien und ich habe endlich wieder Zeit zum Lesen. Alle beruflich Geknechteten haben mit Schiller eine schwere Bürde an den Hacken. Insofern denke ich, dass Maja :winken: noch aufschließen wird, mehr lesen ja sowieso nicht mit.
    Ich trete nun langsamer, da ich jetzt einigermaßen aufgeholt habe.

    Zitat von "sandhofer"

    Ich habe es eher so verstanden, dass Schiller hier den Sturm und Drang aufs Korn nimmt. Die Romantiker kamen doch erst kurze Zeit später.


    Ich habe nochmal die Daten nachgesehen und du hast natürlich Recht. Schiller hat ja schon 1791 mit den Briefen begonnen.


    Im Gegensatz zu seiner einführenden Bemerkung, dass seine Briefe kein durchkomponierterts Gedankengebäude seien (Die Freiheit des Ganges), empfinde ich sie als sehr gut und logisch miteinander verknüpft: Nachdem in den vorherigen Briefen die Krux des jetzigen Zeitalters erläutert wurde, wagt Schiller im zehnten Brief einen Parforceritt durch die Geschichte, um nachzuweisen, dass sich selbst bei den alten Griechen nicht ein vernunftbestimmtes und freiheitliches Staatswesen mit dem Aufblühen der schönen Künste paarte.
    Dann behauptet er, dass das wohl eben alles nicht die wahre Schönheit gewesen sei (Dieser reine Vernunftbegriff der Schönheit [...] weil er aus keinem wirklichen Falle geschöpft werden kann[...]).
    Das verwundert mich übrigens, wo bleibt denn da die Winkelmannsche edle Einfalt und stille Größe der Griechen, die auch Schiller ihnen noch in einem der vorhergehenden Briefe zuspricht?


    Nichtsdestotrotz, nach diesem geschichtlichen "Nachweis" muss nun die Abstraktion her, eine sehr logische Verfahrensweise, die selbst in den Naturwissenschaften besteht: Hypothese - Beobachtung - Negation - neue Hypothese.


    Der eilfte Brief fußt also auf Fichte, danke für den Hinweis, sandhofer. Dass die Idee der Person die Freiheit sei, das ist doch auch eine Fichtesche Idee?
    Der dialektischeAufbau dieses Kapitels forderte mich ganz schön: Ich musste erstmal alle Geräuschquellen beseitigen, um den Gedankengang einigermaßen nachvollziehen zu können.
    Mit dem letzten Absatz komme ich trotzdem noch nicht so recht klar, hoffentlich gibt Schiller in den nächsten Ausführungen dieser Abstraktion fleischliche Beispiele :zwinker: .


    HG
    finsbury

    Hallo zusammen,


    langsam hole ich etwas auf.


    Im achten Brief finde ich interessant, dass Schiller das bequeme
    Sichfügen unter den Zeitgeist eher den berufstätigen Menschen verzeiht, weil diese schließlich durch des Tages Mühen erschöpft sind, als dem Adel und der besitzenden Bourgeoisie (falls dieser Ausdruck erlaubt ist), die trotz ihres Müßiggangs den Weg des Bequemen gehen und im "Dämmerschein dunkler Begriffe" verharren. Wobei mich interessieren würde, was er damit genau meint?!
    In diesem Brief wird klar, dass die vernunftmäßigen Grundlagen zur Höherentwicklung des Menschen gelegt sind, allein der Trieb fehlt.
    Und wenn ich es recht verstehe, wird dieser im neunten Brief in die Hände der Kunst gelegt, die allein in der Lage ist, das Vernunftwerk in die sinnliche Ebene zu übersetzen.
    Dabei soll die Entwicklung des Menschen im Bereich des Vergnügens stattfinden, weil er sich hier eher durch die Blume sagen lässt, was höheres Menschenleben sei, als wenn man ihm direkt mit moralischen Traktaten und Anweisungen kommt. Ich denke, dieser Meinung sind auch heute noch viele Künstler, die in sich einen erzieherischen Auftrag verspüren.
    Aber nicht alle Künstler des Schillerschen Zeitalters haben - trotz der gespürten Berufung - den richtigen Weg eingeschlagen, sie sind zu ungestüm, orientieren sich an ungeeigneten Stoffen und wollen zu schnell zuviel erreichen, ohne ihre Ideen in sich zu klären.
    Meint Schiller hier die Romantiker?


    HG
    finsbury

    Hallo Zola und alle Interessierten,


    auch ich habe nun begonnen, bin aber aus Zeitgründen bisher nur bis zum Perspektivwechsel von Gustav zu Martin Oppermann gekommen. Der Roman ist wirklich gut zu lesen, was, wie du erwähnt hast, Zola, der Beschränkung auf die Hauptpersonen der Oppermanns und darunter besonders Gustavs zu danken ist. Man ist wirklich gleich mitten im Geschehen, was wir wohl dem Kunstgriff zu verdanken haben, dass das Aufwachen an einem Jubiläumsgeburtstag gleich geschickt mit einer Rückblende und einem Resumée verknüpft wird.


    Typisch für Feuchtwanger scheint mir, dass der Protagonist mit einer Blütenlese kapriziöser und geistreicher Weiblichkeit umgeben wird, auch hier treten sofort Sybil und Anna in Wettstreit um die Gunst Gustavs. Erinnert sehr an "Erfolg" mit Jacques Tüverlins Damenriege.


    Ebenso wie du, Zola, halte ich es nicht für notwendig, so viele Links zu Material zu setzen, googeln kann schließlich jeder selbst, aber interessant
    in Bezug auf Feuchtwangers Judentum und sein politisches Engagement scheint mir folgende Seite: http://www.br-online.de/bayern…nslaeufe-feuchtwanger.xml.


    Nachhaltig erstaunt es mich ebenso wie bei "Erfolg", wie früh Feuchtwanger auf Tendenzen der Gesellschaft (Erfolg) und Absichten der neuen Regierung (Oppermann) reagiert: Im Spätsommer 1933 geschrieben ist dieser Roman sicher in einem besonderen Maße zeitaktuell und prophetisch, ohne jetzt zuviel über den Inhalt zu verraten.


    Übrigens interessant, dass in vielen Internetseiten der Name Oppermann mit Oppenheim verwechselt wird, was ja der bürgerliche Name von Jud Süß war, soweit ich mich erinnere.


    HG
    finsbury

    Hallo Lesefreunde,


    konnte mich doch heute schon ein bisschen hinsetzen und euch hinterherhinken. Habe jetzt den langen sechsten und kurzen siebten bewältigt.


    Doch zunächst zu euren Ausführungen:


    Zitat von "Maja"


    Beim Übergang vom Natur- zum Vernunftzustand braucht es eine Stütze, weil der Mensch/Staat während der Verbesserung weiter funktioneren muss.


    Diese Krux zieht sich in seinen Überlegungen durch bis in den siebten Brief, den ich gerade beendet habe. Bin gespannt, wie Schiller das Problem löst, wie der Staat beschaffen sein soll, der die Menschen bei ihrer ästhetischen Erziehung unterstützen soll.


    Im siebten Brief stellt er m.E. immer wieder den französischen und deutschen Weg einander gegenüber: In Frankreich regiert mit Robespierre die Willkür des Naturmenschen, in Deutschland dagegen löscht die Unterdrückung durch den Staat "den letzten zaghaften Funken von Selbstständigkeit und [geistigem?] Eigentum" aus.
    Schiller ist, wie du sandhofer, auch ausgeführt hast, dabei erstaunlich hellsichtig: In Frankreich kann die Willkür der Freiheit dazu führen, dass
    man sich "dort einer bequemen Knechtschaft in die Arme" wirft, --> Napoleon; in Deutschland ist es möglich, " von einer pedantischen Kuratel zur Verzweiflung gebracht, in die wilde Ungebundenheit des Naturzustandes [zu] entspringen". Das fand zwar nicht ganz so wild statt, aber zumindest sind einige Züge der Romantik und der spätere Vormärz
    Anzeichen davon.


    Den sechsten Brief fand ich schwierig zu lesen, weil hier wohl auch die Abrechnung mit Kant, den ich kaum kenne - nur ein bisschen aus der Sekundärliteratur - stattfindet. Wobei Schiller sich auch vor Kant verneigt:
    Nur weil e i n Mensch nicht alle Kräfte gleichzeitig auf höchstem Niveau ausbilden kann, sei dies dem großen Königsberger nicht gelungen,
    . Dagegen habe er das Maximale erreicht, das man in der Ausbildung der "reinen Vernunft" leisten könne.


    Wie ihr seht, arbeite ich mich rückwärts: Auf eine schöne Stelle vor dem Bezug auf Kant möchte ich noch eingehen: Eine Analyse des Staates, wie sie auch auf unseren bestens passt:
    "[...]ewig bleibt der Staat seinen Bürgern fremd, weil ihn das Gerfühl nirgends findet. Genötigt, sich die Mannigfaltigkeit seiner Bürger durch Klassifizierungen zu erleichtern [...], verliert der regierende Teil sie zuletzt ganz und gar aus den Augen, [...] und der regierte kann nicht anders als mit Kaltsinn die Gesetze empfangen, die an ihn selbst so wenig gerichtet sind."


    Schiller für heute!!


    HG finsbury