Sept. 2005 - Schiller: Über die ästhetische Erziehung ...

  • Hallo zusammen, hallo sandhofer,


    tja, nun sind Ferien und ich habe endlich wieder Zeit zum Lesen. Alle beruflich Geknechteten haben mit Schiller eine schwere Bürde an den Hacken. Insofern denke ich, dass Maja :winken: noch aufschließen wird, mehr lesen ja sowieso nicht mit.
    Ich trete nun langsamer, da ich jetzt einigermaßen aufgeholt habe.

    Zitat von "sandhofer"

    Ich habe es eher so verstanden, dass Schiller hier den Sturm und Drang aufs Korn nimmt. Die Romantiker kamen doch erst kurze Zeit später.


    Ich habe nochmal die Daten nachgesehen und du hast natürlich Recht. Schiller hat ja schon 1791 mit den Briefen begonnen.


    Im Gegensatz zu seiner einführenden Bemerkung, dass seine Briefe kein durchkomponierterts Gedankengebäude seien (Die Freiheit des Ganges), empfinde ich sie als sehr gut und logisch miteinander verknüpft: Nachdem in den vorherigen Briefen die Krux des jetzigen Zeitalters erläutert wurde, wagt Schiller im zehnten Brief einen Parforceritt durch die Geschichte, um nachzuweisen, dass sich selbst bei den alten Griechen nicht ein vernunftbestimmtes und freiheitliches Staatswesen mit dem Aufblühen der schönen Künste paarte.
    Dann behauptet er, dass das wohl eben alles nicht die wahre Schönheit gewesen sei (Dieser reine Vernunftbegriff der Schönheit [...] weil er aus keinem wirklichen Falle geschöpft werden kann[...]).
    Das verwundert mich übrigens, wo bleibt denn da die Winkelmannsche edle Einfalt und stille Größe der Griechen, die auch Schiller ihnen noch in einem der vorhergehenden Briefe zuspricht?


    Nichtsdestotrotz, nach diesem geschichtlichen "Nachweis" muss nun die Abstraktion her, eine sehr logische Verfahrensweise, die selbst in den Naturwissenschaften besteht: Hypothese - Beobachtung - Negation - neue Hypothese.


    Der eilfte Brief fußt also auf Fichte, danke für den Hinweis, sandhofer. Dass die Idee der Person die Freiheit sei, das ist doch auch eine Fichtesche Idee?
    Der dialektischeAufbau dieses Kapitels forderte mich ganz schön: Ich musste erstmal alle Geräuschquellen beseitigen, um den Gedankengang einigermaßen nachvollziehen zu können.
    Mit dem letzten Absatz komme ich trotzdem noch nicht so recht klar, hoffentlich gibt Schiller in den nächsten Ausführungen dieser Abstraktion fleischliche Beispiele :zwinker: .


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen,


    Zitat von "finsbury"

    Alle beruflich Geknechteten haben mit Schiller eine schwere Bürde an den Hacken. Insofern denke ich, dass Maja :winken: noch aufschließen wird,


    Arbeiten könnte man endlos, da kommt der 6. Brief gerade richtig mit seiner Ermahnung zur Ganzheit, und ich setze zur Aufholjagd an!
    Im Gegensatz zu dir, finsbury, fand ich den 6. Brief nicht soo schwierig. Zugegeben, die Auseinandersetzung mit Kant geht etwas an mir vorbei :redface:, aber ich war erstaunt, wie sehr er unsere heutige Zeit zu beschreiben scheint. Genau diese Entfremdung, Zerstückelung, u.ä. werden ja heute auch beklagt und in Wellness-Wochenend-Seminaren teuer therapiert.
    (Auch das Problem der Überqualifikation war offenbar schon bekannt:Noch dazu ist es selten eine gute Empfehlung bei dem Staat, wenn die Kräfte die Aufträge übersteigen)


    Überrascht hat mich die absolute Idealisierung der Griechen!


    Etwa 10 Zeilen nach der von finsbury zitierten Stelle vom Staat, der seinen Bürgern fremd bleibt, fand ich eine andere Stelle sehr treffend: ...die öffentliche Macht...gehasst und hintergangen von dem, der sie nötig macht, und nur von dem, der sie entbehren kann, geachtet.Wie aktuell!


    Der 7. Brief blieb mir auch eher fremd, einzig der Ausdruck von der Freiheit erschreckt... erinnerte mich an Sartre. Ist aber mehr als ein Jahrhundert später, und so lange soll es nach Schiller ja auch dauern, bis das Ziel erreicht ist ...
    Danke, finsbury, für deine Erläuterungen zu Frankreich und Deutschland!


    Zitat von "Sandhofer"

    ...hatte es der achte doch in sich. Schiller schlägt hier m.E. einige logische Purzelbäume.


    Uff, du tröstest mich. Dachte schon, es liege an mir :zwinker:
    Schön, dass er von seiner Kritik diejenigen ausnimmt, denen der Kampf ums tägliche Überleben keine Zeit für "Höheres" lässt, dafür aber die bessergestellten Müssiggänger umso stärker kritisiert. (sehe gerade, dass finsbury dasselbe herausgestrichen hat :winken:)


    Zitat von "Sandhofer"

    Der Weg zum Kopf führt durch das Herz ... erinnert mich an den zeitgenössischen Schweizer Pädagogen Pestalozzi, der eine Erziehung der Kinder forderte, die gleichermassen "Kopf, Herz und Hand" förderte.


    Wie aktuell in einer Zeit, wo in den Schulen Kunst, Handarbeit und Musik reduziert werden!


    Herzliche Grüsse,
    Maja
    die hofft, morgen Abend eine weitere Etappe aufzuholen...
    ...und nach der Pensionierung noch Sekundärliteratur dazu lesen zu können

  • Gelesen habe ich den ganzen Schiller, ich werde mich auch bald mehr beteiligen, versprochen, bin nur die letzte Zeit arg im Schuss, da ich mich in ein anderes Gebiet einlesen muss "beruflich".


    LIebe Grüsse
    Sandra

  • Hallo zusammen, hallo Cosima,


    schön, dass du auch wieder dabei bist und sogar schon den ganzen Text gelesen hast. Respekt! :anbet:

    Habe jetzt den zwölfte und dreizehnten Brief gelesen. Uff ...


    Zwölfter Brief


    Nun geht es um die Triebe, die den Zustand und die Person antreiben. Sehr schön hier Schillers semantische Deutlichkeit in der Anmerkung, die den Inhalt eines Begriffs den ihn zugeordneten Präpositionen zuordnet.
    Mir wird jetzt der Inhalt des zwölften Briefs klarer: Wenn ich es recht verstehe, ist die Empfindung dem die Welt erfahrenden Trieb des sinnlichen Zustands zugeordnet, das moralische Gefühl gehört zu dem die Welt erfassenden Trieb der freien Person.
    Allerdings würde mich interessieren, welchen „objektiven“ Maßstäben das moralische Gefühl gehorchen soll, denn darauf geht Schiller bisher nicht ein.


    Dreizehnter Brief


    Die Kultur als Regulat zwischen den beiden Trieben steht hier im Mittelpunkt und es wird noch einmal betont, dass keiner der beiden trieb die Oberhand erhalten darf, weil sich dadurch schlimme Fehlentwicklungen ergeben, die, so die Anmerkung, ganze Bereich unserer Zivilisation, naturwissenschaftliche Erkenntnis und soziales Engagement, geprägt hat. Hier findet Schiller schöne Formulierungen für Charakterschwächen, die ich mir auch gerne zur Beherzigung in mein Stammbuch schreibe:


    Strenge gegen sich selbst mit Weichheit gegen andre verbunden, macht den wahrhaft vortrefflichen Charakter aus. Aber meistens wird der gegen andre weich Mensch es auch gegen sich selbst sein, und der gegen sich selbst strenge es auch gegen andre sein; weich gegen sich selbst und streng gegen andre ist der verächtlichste Charakter.


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen,


    nur ganz kurz zum vierzehnten Brief:


    Der Spieltrieb! Wenn ich es recht verstanden habe, ein Trieb, der erst einsetzt, wenn man die anderen beiden in Harmonie gebracht hat und der sich, wie ich nun weiterblickend vermute, im ästhetischen Ausdruck äußern wird.


    Ein schönes Wochenende wünscht


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen,
    Zwischenhalt, bevor es in die Gefilde der Abstraktion geht...
    Zum 9. Brief:

    Zitat von "sandhofer"


    Ich habe es eher so verstanden, dass Schiller hier den Sturm und Drang aufs Korn nimmt. Die Romantiker kamen doch erst kurze Zeit später.


    Oder sogar die Aufklärer? Oder die aufkommende Trivialliteratur?


    Dass es sich um ein Erziehunsprogramm handelt wird klar bei der Forderung an den Künstler:leiste deinen Zeitgenossen , aber was sie bedürfen, nicht was sie loben.


    Im 10. Brief taucht nun, was ja eigentlich zu erwarten war, Platon auf: Ein Problem, da er die Künstler nicht in seinem Staat wollte! Schillers Lösung finde ich etwas billig: Solche schmähten die Grazien, weil sie nie ihre Gunst erfuhren :sauer:
    Die darauffolgende Einteilung der Menschen in Günstlinge der Grazien und Schlachtopfer des Fleisses lässt einem die Wahl, zu welchen man sich zählen will....
    Ich bin gespannt, ob die Griechen rehabilitiert werden, wenn der "richtige" Begriff der Schönheit gefunden ist.
    Wenigstens wird klar begründet, warum und wie nun der abstrakte Weg beschritten werden muss!


    Zitat von "Sandhofer"

    Wunderschön finde ich den Schlusssatz des 10. Briefes,.... [...] wer sich über die Wirklichkeit nicht hinauswagt, der wird nie die Wahrheit erobern.


    Hatte ich glatt überlesen! Ich bin auch nicht sicher, ob es stimmt. Wenn man sieht, wie abgehoben manchmal philosophiert wird frage ich mich doch, ob nicht einfach Nichtwissen verschleiert wird.


    Herzliche Grüsse,
    Hintennachleserin Maja

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "finsbury"

    Der Spieltrieb! Wenn ich es recht verstanden habe, ein Trieb, der erst einsetzt, wenn man die anderen beiden in Harmonie gebracht hat [...]


    Ich hatte verstanden, dass es eben gerade der Spieltrieb ist, der die beiden andern in Harmonie bringt. Der Spieltrieb alias Kunst wäre somit das grosse Erzeihungsmittel für die Menschheit.


    Ich finde es übrigens interessant, dass der Begriff "Spieltrieb" so spurlos an der Philosophie des 18. und 19. Jahrhunderts vorbeigegangen ist. Ich meine: Schiller war ja, wenigstens im deutschen Sprachraum, kein philosophisches Leichtgewicht. Aber mit diesem Betriff wurde nicht weiter gearbeitet. So viel ich sehe, ist es erst Huizinga (Homo ludens, 1944), der "Spiel" als kulturphilosophisches Erklärungsmodell wieder aufgreift. Wittgenstein natürlich im "Sprachspiel" (das aber erst um ca. 1950). Und in der Psychologie Eric Berne mit Games People Play von 1964. Hat da Hegel mit seiner Philosophie alles überrollt? Oder spielt hier Kierkegaard mit, der - sinngemäss - gesagt hat, man könne entweder ein ästhetisches oder ein ethisches Leben führen?


    Zitat von "Maja"

    Zum 9. Brief:


    Oder sogar die Aufklärer? Oder die aufkommende Trivialliteratur?


    Nun, "ungestüm" scheint mir wirklich eher auf Sturm und Drang hinzuweisen als auf die damals schon ziemlich vertrocknete Aufklärung.


    Zitat von "Maja"

    Im 10. Brief taucht nun, was ja eigentlich zu erwarten war, Platon auf: Ein Problem, da er die Künstler nicht in seinem Staat wollte! Schillers Lösung finde ich etwas billig: Solche schmähten die Grazien, weil sie nie ihre Gunst erfuhren :sauer:


    Auf der andern Seite ist Platons Aussage ja auch ein Ärgernis sondergleichen für Künstler und Liebhaber der schönen Künste. Wie überhaupt imho sein Staat eines der ärgerlichsten Gebilde der antiken Philosophie ist. Im übrigen ist Schillers Aussage wohl auch in Beziehung zu setzen zu jener andern, dass die Künste im antiken Griechenland erst einsetzten, als der moralische Niedergang schon begonnen hatte.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,

    Zitat von "Sandhofer"

    Nun, "ungestüm" scheint mir wirklich eher auf Sturm und Drang hinzuweisen als auf die damals schon ziemlich vertrocknete Aufklärung.


    Ja, ich habe es nochmals nachgelesen. Ich habe mich wohl von der Erwähnung der Vernunft am Schluss des Abschnittes beeinflussen lassen.


    Mit dem eilften Brief habe ich auch gekämpft. Vor allem im letzten Abschnitt den Begriff "Welt" liesse ich mir gerne mal in anderen Worten erklären. Verwirrlich.


    Die "zwey Fundamentalgesetze" werden dann im 12. Brief greifbarer: Streben nach Realität und Streben nach Formalität. Die Wirkung des Stofftriebs, die im 2. Abschnitt beschrieben wird, entspricht ziemich genau dem, was in neuerer Zeit als Flow bezeichnet wird und Mode geworden ist.
    Der Aufbau in Gegensätzen, der offenbar für Schiller typisch sei, erleichtert hier das Lesen sehr!


    Zitat von "finsbury"

    Mir wird jetzt der Inhalt des zwölften Briefs klarer: Wenn ich es recht verstehe, ist die Empfindung dem die Welt erfahrenden Trieb des sinnlichen Zustands zugeordnet, das moralische Gefühl gehört zu dem die Welt erfassenden Trieb der freien Person.
    Allerdings würde mich interessieren, welchen „objektiven“ Maßstäben das moralische Gefühl gehorchen soll, denn darauf geht Schiller bisher nicht ein.


    Scheint mir so auf den Nenner gebracht.
    In meinem Kommentar ist eine Anmerkung aus der Horen-Fassung abgedruckt. Da steht, dass Vernunftideen zu Imperativen oder Pflichten werden, und damit aus diesen Pflichten Triebe werden.
    Ich verstehe das so, dass der Mensch durch den Formtrieb selber auf Wahrheit, Gesetze und somit auf objektiv gültige Maßstäbe kommt, die er dann "in der Zeit" anwendet.


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • 14. Brief


    In den vorherigen Briefen wurde ein Wechselwirkung der beiden Triebe aufgezeigt, bei der der eine den andern sowohl begründet und begrenzt. Der eine erreicht nur die höchste Vollendung, wenn der andere arbeitet, sie bedingen sich gegenseitig.
    In dieser Wechselwirkung sieht Schiller die Idee der Menschheit. Er stellt darauf gegründet folgende Maxime auf:


    Zitat

    Er (der Mensch) soll nicht auf Kosten seiner Realität nach Form, und nicht auf Kosten der Form nach Realität streben; vielmehr soll er das absolute Sein durch ein bestimmtes und das bestimmte Sein durch ein unendliches suchen. Er soll sich eine Welt gegenüberstellen, weil er Person ist, und er soll Person sein, weil ihm eine Welt gegenübersteht. Er soll empfinden, weil er sich bewusst ist, und er soll sich bewusst sein, weil er empfindet.


    Der sinnliche Trieb drängt auf Veränderung, auf Inhalt der Zeit, der Formtrieb auf Stetigkeit, auf Aufhebung der Zeit. Die Verbindung der beiden Triebe resultiert im Spieltrieb, der die Aufhebung der Zeit in der Zeit anstrebt, der Werden mit Sein und Veränderung mit Identität zu vereinbaren sucht.


    Zitat

    Der sinnliche Trieb will bestimmt werden, er will sein Objekt empfangen; der Formtrieb will selbst bestimmen, er will sein Objekt hervorbringen: der Spieltrieb wird also bestrebt sein, so zu empfangen, wie er selbst hervorgebracht hätte, und so hervorzubringen, wie der Sinn zu empfangen trachtet.



    Während der Formtrieb das Gemüt durch Gesetze der Vernunft nötigt und der sinnliche Trieb durch Naturgesetze, nötigt es der Spieltrieb moralisch und physisch, der Mensch soll durch ihn moralisch und physisch in Freiheit gesetzt werden durch die Aufhebung von Zufälligkeit und Nötigung.




    Schiller führt hier den Spieltrieb ein, in welchem die andern beiden verbunden wirken sollen, der diese in ein harmonisches Gleichgewicht bringen soll. Insofern kann man den Spieltrieb nicht als dritten Grundtrieb verstehen, sondern als Verbindung von Form- und Stofftrieb. Ziel des Spieltriebs ist die Versöhnung der beiden Grundtriebe. Der Spieltrieb stellt das eigentliche Zentrum der ästhetischen Erziehung dar.

  • Hallo,


    und nun kommt im 15. Brief endlich der Begriff "Schönheit" zur Entfaltung, als Gegenstand des Spieltriebs, [als] lebende Gestalt.
    Interessant ist hier, dass Schiller das "Was" der Schönheit definiert, das "Wie" dagegen sei transzendental und daher nicht erforschlich.


    Hmm, hier finde ich das Ganze so schwammig wie die moralischen Grundsätze ... . Da muss wohl jeder selber ran, wie du , Maja so schön schreibst.


    Was ich auch noch nicht so ganz verstanden habe, ist, wieso Sch. Müßiggang und Gleichgültigkeit als bloß menschlichen Namen für das freieste und erhabenste Sein betrachtet:
    Soll das heißen, dass der sinnliche Trieb durch Müßiggang kontrolliert wird und der Formtrieb durch Gleichgültigkeit, so dass der Mensch weder von einem Gesetz/ Interesse (Form) noch von einer Arbeit (sinnliche Welt) zu sehr bestimmt wird?


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen!


    Tut mir leid, wenn ich mich nicht mehr gemeldet habe ... zuviel Arbeit, zu wenig Gesundheit.


    Im Moment bin ich im Büro, deshalb nur kurz: Ich bin irgendwo in den 20ern, was die Briefnummern betrifft.


    Den Spieltrieb muss ich nochmals überdenken - da ist mir wieder einiges unklar geworden. Aber ich würde gern tiefer darauf eingehen.


    finsbury: Bei Müssiggang und Gleichgültigkeit schwebt Schiller wohl der vom Rest der Welt ökonomisch wie geistig unabhängige Denker vor. Eher der Stoiker als der Kyniker. Seneca?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,

    Zitat von "sandhofer"


    Tut mir leid, wenn ich mich nicht mehr gemeldet habe ... zuviel Arbeit, zu wenig Gesundheit.


    Gute Besserung in beiderlei Hinsicht!
    Bei mir geht's jetzt auch nur noch langsam voran, da der Job wieder fordert.

    Zitat von "sandhofer"


    Ich bin irgendwo in den 20ern, was die Briefnummern betrifft.


    Glückwunsch! Davon kann ich nur träumen! Ich bin jetzt erst mit siebzehn fertig.


    Zitat von "sandhofer"


    finsbury: Bei Müssiggang und Gleichgültigkeit schwebt Schiller wohl der vom Rest der Welt ökonomisch wie geistig unabhängige Denker vor.


    Das widerspricht meinen Überlegungen nicht. Der arme Schiller! In dieser Situation ist er ja nur selten gewesen ... .


    Zum sechzehnten Brief:


    Hier hatte ich zunächst ein Problem mit dem Verb "auflösen", das Schiller wohl im Sinne von "mäßigen, eindämmen" benutzt, während meine Konnotationen des Verbs bisher immer eher gegenteilig waren.
    Schön finde ich die Begriffe der energischen und der schmelzenden Schönheit, obwohl auch diese Adjektive z. T. gegen den Strich gebürstet werden.


    Der siebzehnte Brief:
    Nun geht es aus der Welt der Ideale wieder in die Welt des Realen: Erhellend ist, wie Schiller hier ausführt, dass nicht die Schönheit an sich kritisierbar ist, sondern nur der Mensch, der ihre ideale Entfaltung hemmt.
    Aber nun stelle man sich einen Kritiker vor, der das bei seiner Rezension auseinanderdröselt: Die Idee des Schönen aus dem Werk extrahiert und dessen Schwächen den ignoranten Konsumenten vorwirft. Einfach für den Künstler, der kann ja dann nichts dafür, dass er seine Idee mit den Niederungen der Menschheit beschmutzen muss.




    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen,


    heute gelang es mir, Ruhe für den 18. und 19. Brief zu finden, war für mich aber schwere Kost.


    Im 18. Brief wehrt sich Schiller gegen Vorstellungen, die Schönheit sei dazu da, den Sinnen- und den Formtrieb auf einem mittleren Niveau miteinander zu versöhnen. Beide Triebe seien einander ewig entgegengesetzt, so dass es auch keine Überwindung der Kluft geben könne, sondern nur ein drittes. Ich nehme an, das läuft wieder auf den Spieltrieb hinaus.


    Im 19. Brief wird's dann besonders haarig: Schiller setzt den menschlichen Geist als unendlich und die beiden Triebe als solche, die diesem Geist Grenzen setzen. Dabei können die beiden Triebe sich nicht gegenseitig behindern, sondern nur sich selbst.
    Und nun kommt der Wille: Nicht der Wille zur Macht, sondern der Wille als einzige Macht, die die beiden Triebe kontrolliert und überhaupt den Menschen beherrscht.


    Hmmm, ob ich das alles so richtig verstanden habe ... :rollen:



    Ein schönes Wochenende


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • 18. Brief


    "Durch die Schönheit wird der sinnliche Mensch zur Form und zum Denken geleitet; durch die Schönheit wird der geistige Mensch zur Materie zurückgeführt und der Sinnenwelt wiedergegeben. "



    Es muss zwischen Materie und Form einen mittleren Zustand geben, in den einen die Schönheit zu versetzen vermag. Die Schönheit verbindet die beiden entgegen gesetzten Zustände und hebt dadurch die Entgegensetzung auf. Nur durch die Aufhebung werden sie verbunden.
    Die Freiheit als solche ist nicht gesetzlos, sie ist die Harmonie der Gesetze und höchste innere Notwendigkeit. Die Schönheit schliesst alle Realitäten ein und keine aus.


    "Die Natur (der Sinn) vereinigt überall, der Verstand scheidet überall, aber die Vernunft vereinigt wieder."



    Der 18. bis 20. Brief behandeln Schillers System über das Schöne. Im 18. Brief wendet sich Schiller dem zeitgenössischen Streit der Philo über Sensualismus versus Rationalismus zu, er hofft den Gegensatz der beiden durch die Theorie des Ästhetischen zu überwinden. Schon in seinem Aufsatz über die Schaubühne schrieb Schiller:



    Unsere Natur […] verlangt einen mittleren Zustand, der die beiden widerstrebenden enden vereinigt, die harte Spannung zu sanfter Harmonie herabstimmt und den wechselweisen Übergang eines Zustandes in den anderen erleichtert. Diesen Nutzen leistet überhaupt nund er ästhetische Sinn oder das Gefühl für das Schöne.


    Schiller versucht nun, diesen mittleren Zustand zu bestimmen, indem er den Gegensatz von empfinden und denken in der Schönheit aufhebt, fast schon im Sinne von Hegels Dialektik .


  • 19. Brief[/u]
    Der Teil führt uns zum Ganzen, die Grenze zum Unbegrenzten, aber ohne das Ganze kämen wir auch nicht zum Teil, ohne das Unbegrenzte nicht zur Grenze.
    Die Kluft zwischen Empfinden und Denken bei Menschen ist unendlich, um sie zu überwinden muss ein neues Vermögen sein, um sie zu überwinden, welches neu und selbständig sein muss. Diesen Part, behaupten wir, übernimmt also das Schöne. Der Gedanke ist die unmittelbare Handlung dieses Vermögens, welches obwohl von den Sinnen veranlasst, von diesen doch frei und unabhängig ist. Jede fremde Einwirkung ist ausgeschlossen bei dieser Art freier Handlung, man könnte es den Sinnen eher als entgegengesetzt ansehen.


    "Bloss insofern sie den Denkkräften Freiheit verschafft, ihren eigenen Gesetzen gemäss sich zu äussern, kann die Schönheit ein Mittel werden, den Menschen von der Materie zur Form, von Empfindungen zu Gesetzen, von einem beschränkten zu einem absoluten Dasein zu führen."


    Der endliche Geist handelt und bildet nur, indem er Stoff empfängt, er wird nur durch Leiden tätig.
    Die beiden Triebe, der Form- und der sinnliche Trieb, streben beide nach Befriedigung ihrer Bedürfnisse, sie tun dies aber an entgegengesetzten Objekten, so dass sich das wieder aufhebt. Der Wille ist völlig frei gegen die beiden, er stellt eine Macht dar gegen sie. Im Menschen gibt es keine andere macht als den Willen, dessen Freiheit nur durch den Tod aufgehoben werden kann.


    Der Mensch ist erst Mensch, wenn er sich bewusst ist, von ihm erst wird Vernunft gefordert, was gleichzusetzen ist mit Universalität und Konsequenz. Vorher bestimmt eine Notwendigkeit ausser uns unseren Zustand und eine in uns unsere Persönlichkeit. Empfindung und Selbstbewusstsein entspringen beide jenseits unseres Willens und unserer Erkenntnis.
    Während der sinnliche Trieb mit der Erfahrung des Lebens(Anfang des Individuums)s erwacht, erwacht der vernünftige mit der Erfahrung des Gesetzes(Anfang der Persönlichkeit). Erst wenn beide erwacht sind, ist auch seine Menschheit erwacht. Sobald die beiden entgegengesetzten Triebe in ihm tätig sind, verlieren beide ihre Nötigung und indem zwei Notwendigkeiten sich entgegengesetzt sind, wird Freiheit erzeugt.



    Schiller will die gegensätzlichen Zustände von Empfinden und Denken versöhnen, nachdem er nun die Einseitigkeit der sensualistischen wie der rationalistischen Ästhetik kritisiert hat. Er zeigt die beiden Grundtriebe, die sich beide auf entgegengesetzte Weise verwirklichen wollen. Zwischen beiden steht der Wille, welcher seine vollkommene Freiheit zwischen beiden behauptet. Schiller grenzt dabei die Freiheit des Willens von der moralischen Freiheit ab, während erstere nur vernünftig handelt, ist zweitere frei von der doppelten Nötigung der Grundtriebe, so dass der Mensch als


    "Gemischte Natur […] in den Schranken des Stoffes vernünftig und unter den Gesetzen der Vernunft materiell handelt. "

  • Hallo zusammen!


    Ich bin unterdessen fertig geworden. Ich muss gestehen, dass mich Schillers Werk ein bisschen ratlos hinterlässt, da ich mir nicht genau vorstellen kann, wie der Mensch denn nun in seine Spiellaune, in seinen Spieltrieb hinein kommen soll. Und wozu. Schiller scheint diese mittlere Stimmung zwischen reiner Vernünftigkeit und reiner Sensualität irgendwie zu bevorzugen, aber mir ist nicht ganz klar warum. Spielt da eine Rolle, dass der Mensch - sozusagen ein Mittelwesen zwischen Tier und Engel - auch in seiner Gestimmtheit dazwischen liegen soll? Und der Spieltrieb eben eine Ausgewogenheit und Ruhe garantiert, wo der Mensch ansonsten recht ziel- und sinnlos zwischen den beiden Polen hin und her pendeln würde?


    Ich muss mir, glaube ich, die letzten Briefe wohl nochmals durchlesen.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    nun wird es für mich wieder leichter.


    20.-22.Brief


    Ich verstehe diese drei Briefe so, dass die gelungene Kunst als Feld der ästhetischen Stimmung des Menschen ihn weitestgehend in die Freiheit setzen soll, sich vollständig auszubilden im Sinne von Ausbildung aller Möglichkeiten. Deshalb darf ein Kunstwerk niemals zweckgebunden sei, weder im Sinne einer sinnlichen noch vernunftbestimmten einzelnen Verhaltensänderung. Damit würde Schiller seine eigenen Jugendwerke, die ja auch sehr politisch sind, nicht als sehr gelungene Kunstwerke auffassen.


    Der Inhalt muss hinter der Form zurücktreten, diese darf aber nicht zu artifiziell sein, damit sie nicht wieder die Vertreter des Formtriebs alllzu sehr unterstützt.


    Wie du, sandhofer, fällt es mir schwer, mir die Stimmung des in ästhetische Freiheit gesetzten Menschen vorzustellen und auch das ans Ideale grenzende Kunstwerk erhält für mich keine Konturen.


    Allerdings finde ich Schillers Ansicht bedenkenswert und für mich auch richtig, dass ein gelungenes Kunstwerk einen weder kalt lassen noch zu ekzessiven Emotionen Anlass bieten sollte, sondern zu Nachdenklichkeit anregt und zu einem Gefühl des tieferen Einblicks in das,
    was die Welt im Innersten zusammenhält
    , um seinen Kollegen Goethe sinngemäß zu zitieren.


    @ Cosima,


    danke für die Hinweise zu der philosophiegeschichtlichen Einordnung und Schillers Ausführungen a.a.O..


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)


  • Da geht es nicht nur dir so. Ausserdem finde ich die Wiedersprüche in dem Werk echt mühsam. Am Anfang wird - für mich krampfhaft - versucht, die Kunst zu rechtfertigen, indem man ihr einen Sinn im LEben zuweist, nämlich den, zu einem sittlichen Leben zu finden. Kunst war also durchaus nötig, aber eigentlich Mittel zum Zweck. Am Schluss dann wird der ästhetische Staat, die KUnst aber als zu erreichendes Höchstes beschrieben... was denn nun?
    Ich finde das Werk zu gesucht, zu gekünstelt und irgendwie einfach schwierig nachvollziehbar. Ob wohl die kritischen Stimmen recht hatten, die meinten, Schiller hätte zu wenig Substanz zum Philosophen?

  • Hallo Cosima und sandhofer (Maja?),


    Zitat von "Cosima"

    Ich finde das Werk zu gesucht, zu gekünstelt und irgendwie einfach schwierig nachvollziehbar. Ob wohl die kritischen Stimmen recht hatten, die meinten, Schiller hätte zu wenig Substanz zum Philosophen?


    Da kann ich dir im Wesentlichen zustimmen.
    Erst wenn man seine Anmerkungen liest, merkt man, dass Schillers Ausführungen auch von ihm selbst nicht immer so hochfliegend gedacht sind, wie sie sich lesen, sondern sich ganz konkret auf Geschichte und zeitgenössischen Strömungen, sozialen Strukturen beziehen.


    Dennoch finde ich seine Ideen erhellend durch ihren dialektischen Aufbau, den du oben auch erwähntest und fühle mich in meiner Sichtweise auf menschliche Wahrnehmungsmöglichkeiten und den tieferen Sinn von Kunstwerken bereichert. Allerdings habe ich nicht euren philosophischen Background. Vielleicht sind viele seiner Gedanken philosophiegeschichtlicher kalter Kaffee?! :rollen:


    Bin aber im Gegensatz zu euch noch nicht fertig und werde noch mindestens eine Woche mit Schiller verbringen.


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Cosima"

    Ob wohl die kritischen Stimmen recht hatten, die meinten, Schiller hätte zu wenig Substanz zum Philosophen?


    Die Substanz vielleicht nicht - ganz sicher aber die Schulung. Darauf würde ich vor allem zurückführen, dass Schiller die Begriffe oft schwammig verwendet. Dass das Ganze merkwürdig ziellos wirkt, liegt dann wohl auch an der Gattung: "Briefe" geben aktuelle Gedanken wieder, kein systematisches Lehrgebäude.*) Auch das ist zu berücksichtigen, wenn man Schillers Text liest.


    Wie als Historiker war Schiller auch als Philosoph Autodidakt. Als solcher ist er aber, finde ich, ganz schön weit gekommen ...


    Grüsse


    Sandhofer


    *) Dasselbe gilt natürlich auch für Beiträge in Internet-Foren! :zwinker:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus