Oktober 2005 - Feuchtwanger: Geschwister Oppermann

  • Hallo,


    hiermit möchte ich die Mini-Leserunde zu den "Geschwister Oppermann" (dem zweiten Teil der "Wartesaal-Trilogie") eröffnen :klatschen:


    Hier vorab eine knappe Beschreibung der Thematik:


    Zitat


    In diesem ersten hellsichtigen Roman über die Judenverfolgung im Dritten Reich erzählt Feuchtwanger bereits 1933 vom Schicksal einer jüdischen Berliner Familie zu Beginn der Nazidiktatur. Der Roman verbindet "Erfolg" und "Exil" zur " Wartesaal"-Trilogie.


    Auf der Verlagsseite gibt es eine etwas ausführlichere Buchbeschreibung (die nicht dem Klappentext des Buchs entspricht), die habe ich aber gar nicht ganz durchgelesen, da sie für meinen Geschmack zu viel über den Inhalt verrät. Etwas Spannung sollte ja erhalten bleiben.


    Im Internet findet man einige recht ausführliche Inhaltsbeschreibungen, die ich jetzt aber noch gar nicht unter "Materialien" posten oder verlinken möchte, da auch hier zu detailliert auf den Inhalt eingegangen wird.


    Voreilig wie ich bin, habe ich gestern abend schon angefangen und konnte mich von dem Buch kaum trennen. Es ist sehr gut lesbar und es wird gleich ein Spannungsbogen aufgebaut, da absehbar ist, dass sich die Situation der jüdischen Familie Oppermann unter der drohenden Machtergreifung der Nazis stark verändern wird.


    "Erfolg" fand ich am Anfang recht schwierig zu lesen - nicht wegen des Schreibstils, Feuchtwanger schreibt eigentlich recht einfach - sondern weil zu viele Personen eingeführt wurden, es kaum Spannung im Romanverlauf gab und eine positive und sympathische Hauptperson fehlte. All dies scheint auf die "Geschwister Oppermann" nicht zuzutreffen.


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo Zola und alle Interessierten,


    auch ich habe nun begonnen, bin aber aus Zeitgründen bisher nur bis zum Perspektivwechsel von Gustav zu Martin Oppermann gekommen. Der Roman ist wirklich gut zu lesen, was, wie du erwähnt hast, Zola, der Beschränkung auf die Hauptpersonen der Oppermanns und darunter besonders Gustavs zu danken ist. Man ist wirklich gleich mitten im Geschehen, was wir wohl dem Kunstgriff zu verdanken haben, dass das Aufwachen an einem Jubiläumsgeburtstag gleich geschickt mit einer Rückblende und einem Resumée verknüpft wird.


    Typisch für Feuchtwanger scheint mir, dass der Protagonist mit einer Blütenlese kapriziöser und geistreicher Weiblichkeit umgeben wird, auch hier treten sofort Sybil und Anna in Wettstreit um die Gunst Gustavs. Erinnert sehr an "Erfolg" mit Jacques Tüverlins Damenriege.


    Ebenso wie du, Zola, halte ich es nicht für notwendig, so viele Links zu Material zu setzen, googeln kann schließlich jeder selbst, aber interessant
    in Bezug auf Feuchtwangers Judentum und sein politisches Engagement scheint mir folgende Seite: http://www.br-online.de/bayern…nslaeufe-feuchtwanger.xml.


    Nachhaltig erstaunt es mich ebenso wie bei "Erfolg", wie früh Feuchtwanger auf Tendenzen der Gesellschaft (Erfolg) und Absichten der neuen Regierung (Oppermann) reagiert: Im Spätsommer 1933 geschrieben ist dieser Roman sicher in einem besonderen Maße zeitaktuell und prophetisch, ohne jetzt zuviel über den Inhalt zu verraten.


    Übrigens interessant, dass in vielen Internetseiten der Name Oppermann mit Oppenheim verwechselt wird, was ja der bürgerliche Name von Jud Süß war, soweit ich mich erinnere.


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo Finsbury (und natürlich alle sonstigen Interessierten)


    Zitat von "finsbury"

    Typisch für Feuchtwanger scheint mir, dass der Protagonist mit einer Blütenlese kapriziöser und geistreicher Weiblichkeit umgeben wird, auch hier treten sofort Sybil und Anna in Wettstreit um die Gunst Gustavs. Erinnert sehr an "Erfolg" mit Jacques Tüverlins Damenriege.


    Dass Gustav in vielen Punkte Jacques Tüverlin ähnelt, ist mir auch aufgefallen. Laut Nachwort von "Erfolg" war Jacques Lion Feuchtwangers alter ego. Vielleicht versuchte der Autor sich selbst nun in Gustav Oppermann darzustellen ?


    Zitat von "finsbury"


    Nachhaltig erstaunt es mich ebenso wie bei "Erfolg", wie früh Feuchtwanger auf Tendenzen der Gesellschaft (Erfolg) und Absichten der neuen Regierung (Oppermann) reagiert: Im Spätsommer 1933 geschrieben ist dieser Roman sicher in einem besonderen Maße zeitaktuell und prophetisch, ohne jetzt zuviel über den Inhalt zu verraten.


    Stimmt, ich konnte erst gar nicht glauben, dass er den Roman schon so früh schrieb. Ich habe jetzt etwa 80 Seiten gelesen und sehr schön ist ersichtlich wie die Nazis sich schon offen auch im Alltag als solche zu Erkennen geben - in der Gewißheit, dass sie bald das Sagen im Land haben.


    Sehr interessant finde ich, dass die Oppermanns (zumindest Martin Oppermann) als Möbelhändler Kapitalisten sind, also auch das "jüdische Großkapital" repräsentieren, gegen das die Antisemiten ja hauptsächlich hetzten.


    Viele Grüße,
    Zola[/i]

  • Hallo Zola und alle Threadbesucher,


    Zitat von "Zola"

    Dass Gustav in vielen Punkte Jacques Tüverlin ähnelt, ist mir auch aufgefallen. Laut Nachwort von "Erfolg" war Jacques Lion Feuchtwangers alter ego. Vielleicht versuchte der Autor sich selbst nun in Gustav Oppermann darzustellen ?


    Ich habe nochmal in der Romobiogarafie nachgelesen und tatsächlich war es wohl so: Auch Feuchtwanger hatte sich noch zwei Jahre vor der Machtergreifung eine Villa ím Grunewald gekauft und auch das spätere Handeln Gustavs, dem wir hier noch nicht vorgreifen wollen, entspricht verzweifelten Ideen Feuchtwangers, die er dann wohl für sich verworfen hat.



    Zitat von "Zola"

    Ich habe jetzt etwa 80 Seiten gelesen und sehr schön ist ersichtlich wie die Nazis sich schon offen auch im Alltag als solche zu Erkennen geben - in der Gewißheit, dass sie bald das Sagen im Land haben.


    Sehr interessant finde ich, dass die Oppermanns (zumindest Martin Oppermann) als Möbelhändler Kapitalisten sind, also auch das "jüdische Großkapital" repräsentieren, gegen das die Antisemiten ja hauptsächlich hetzten.


    Genau dieses Großkapital repräsentierte ja auch Feuchtwangers Familie:
    Dass der Sohn sich dem schöngeistigen Leben widmen konnte und auch die Jahre der Emigration in vergleichbar großbürgerlilchen Verhältnissen verbringen konnte, verdankt er dem industriell-kapitalistaischen Geschäftssinn seines Vaters.


    Auch ich habe jetzt ungefähr achtzig Seiten gelesen - übrigens in der Taschenausgabe aus dem Aufbau-Verlag, welche Ausgabe hast du? -
    und muss die Aussage des ersten Eindrucks revidieren, dass Gustav im Mittelpunkt stehe: Bisher kann man das nicht so sehen. Obwohl die Erzählperspektive immer mehr aufgespalten wird, lässt sich alles gut nachvollziehen, weil alles in chronologischer Reihenfolge dargestellt wird und nur wenig symbolhafte Passagen enthalten sind. Diese einfache Erzähltechnik sahen Kritiker und auch Feuchtwanger selbst wohl als Mangel des Romans, der als zetigeschichtliches Dokument und Mahnung schnell entstehen sollte. Ich kann das bisher nicht unbedingt so empfinden: Zum Teil fand ich "Erfolg", der sowohl von Feuchtwanger als auch von den Kritikern als positives Gegenbeispiel hingestellt wurde, auf der Symbolebene zu überladen.(Dennoch ist er m.E. einer der ganz großen Romane der Weimarer Zeit.)
    In unserem hiesigen Roman schildert der Autor wirklich bedrückend, wie sich die Augen der Protagonisten vor der nahenden Katastrophe absichtlich verschließen, weil sie ihre gewohnte und geliebte Lebensweise nicht aufgeben wollen. Und das kann man ja schließlich keinem verdenken. Würden wir heute anders handeln?
    Einige schöne Symbole gibt es übrigens doch: So der sich vergrößernde braune Felck in der Wohnung Wolfssohns, bezeichnenderweise an der Zwischenwand zu seinem Nazinachbarn.
    Wolfssohns Aufenthalt im Café Lehmann erinnert mich stark an die Kneipenszenen in "Erfolg": Solche Lokalitäten sind wohl für Feuchtwanger Kristalllisationspunkte gemütlichen (Klein)bürgertums und gleichzeitig Diskussionsforen für die politische Bewusstseinsdarstellung dieser Schicht(en).


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo,


    Zitat von "finsbury"


    Auch ich habe jetzt ungefähr achtzig Seiten gelesen - übrigens in der Taschenausgabe aus dem Aufbau-Verlag, welche Ausgabe hast du? -


    ich lese die gebundene Ausgabe aus dem Aufbau-Verlag. Ich habe gerade mal nachgeschaut, sie hat 40 Seiten weniger als die Taschenbuchausgabe.


    Zitat von "finsbury"


    und muss die Aussage des ersten Eindrucks revidieren, dass Gustav im Mittelpunkt stehe: Bisher kann man das nicht so sehen. Obwohl die Erzählperspektive immer mehr aufgespalten wird, lässt sich alles gut nachvollziehen, weil alles in chronologischer Reihenfolge dargestellt wird und nur wenig symbolhafte Passagen enthalten sind. Diese einfache Erzähltechnik sahen Kritiker und auch Feuchtwanger selbst wohl als Mangel des Romans, der als zetigeschichtliches Dokument und Mahnung schnell entstehen sollte.
    Ich kann das bisher nicht unbedingt so empfinden: Zum Teil fand ich "Erfolg", der sowohl von Feuchtwanger als auch von den Kritikern als positives Gegenbeispiel hingestellt wurde, auf der Symbolebene zu überladen.


    Den Eindruck hatte ich auch. Kennst Du "Das Beil von Wandsbek" von Arnold Zweig ? Diesen Roman fand ich in der überladenen Symbolik, dem etwas schleppenden Handlungsverlauf und dem Mangel an einer prägnanten Hauptperson "Erfolg" sehr ähnlich.


    Zitat von "finsbury"


    In unserem hiesigen Roman schildert der Autor wirklich bedrückend, wie sich die Augen der Protagonisten vor der nahenden Katastrophe absichtlich verschließen, weil sie ihre gewohnte und geliebte Lebensweise nicht aufgeben wollen. Und das kann man ja schließlich keinem verdenken. Würden wir heute anders handeln?


    Ich denke nicht, das ist wohl eine menschliche Eigenheit.


    Ich glaube, dass die bürgerliche Gemütlichkeit träge macht. Wenn man mit seinem Leben und seiner Situation fast rundweg zufrieden ist und somit keine Veränderung möchte, verschließt man seine Augen vor drohenden Veränderungen. Das war wohl auch das Problem vieler wohlhabender Juden.


    Zitat von "finsbury"


    Einige schöne Symbole gibt es übrigens doch: So der sich vergrößernde braune Felck in der Wohnung Wolfssohns, bezeichnenderweise an der Zwischenwand zu seinem Nazinachbarn.


    Stimmt, das ist mir so noch gar nicht direkt ins Auge getreten.
    Die erste Datumsangabe im Roman ist Weihnachten 1932 - und da reicht der Fleck bezeichnenderweise bis zu dem benachbarten Bild, von dem er zuvor noch weit entfernt war.


    Mir ist noch aufgefallen, dass Feuchtwanger sich etwas Spott an der mangelnden Bildung der führenden Nazis nicht verkneifen kann, so schreibt z.B. der nationalsozialistische Oberlehrer "Mein Kampf" heimlich in besseres Deutsch um.


    Den Begriff "Hermann der Deutsche" für Hermann den Cherusker gab es wirklich, wie ich gerade herausfand, er wurde auch in Zeiten vor den Nazis geprägt. Zuerst hielt ich den Begriff für eine Erfindung der Nazis oder ihnen von Feuchtwanger spöttisch in den Mund gelegt (zu Hermanns Zeiten konnte man ja noch lange nicht von einem deutschen Volk oder einem deutschen Sprachraum reden).


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo Zola und alle LeserInnen,


    ich bin jetzt im zweiten Buch "Heute" an der Stelle angelangt, wo Martin Oppermann von Herrn Wels persönlich zu Verhandlungen über die Fusion beider Firmen geladen wird.
    Der Roman steigert sich furios: Als einen Höhepunkt empfinde ich die Szene zwischen Berthold und Vogelsang: Hier werden die Mechanismen der Macht jenseits aller Vernunft sehr deutlich gemacht.
    Kennst du von Alfred Andersch: Der Vater eines Mörders? Da geht es um ähnliche Strukturen: Andersch schildert ein autobiografisches Erlebnis seiner Jugend. Das Münchner Gymnasium, an dem er lernte, wurde vom Vater Himmlers geführt (daher der Titel) und ebenso beklemmend wie in der Berthold-Vogelsang-Szene werden in diesem Buch mehrere Schüler durch die Willkür der Macht dieses Mannes mehr oder weniger zerstört: Eine beklemmende und großartige Erzählung.
    Aber zurück zu unserem Buch, das mir auch sehr gut gefällt.
    Gut dargestellt finde ich auch die Beziehung zwischen Werner Rittersteg und Heinrich, die sich bis zum dem "Imponiermord" von Seiten Ritterstegs steigert. Feuchtwanger macht hier gut deutlich, wie alles Politische auch vom Persönlichen durchdrungen wird und politischen Taten häufig auch persönliche Eitelkeiten zugrunde liegen (kann man im Moment bei uns ja auch schön sehen). Neben den zum großen Teil hellsichtigen Ausführungen unseres guten Marx darf man diese Nebendimension nicht vergessen.

    Zitat von "Zola"


    Den Eindruck hatte ich auch. Kennst Du "Das Beil von Wandsbek" von Arnold Zweig ? Diesen Roman fand ich in der überladenen Symbolik, dem etwas schleppenden Handlungsverlauf und dem Mangel an einer prägnanten Hauptperson "Erfolg" sehr ähnlich.


    Ja, das sehe ich ähnlich. Das gilt für einige Romane A. Zweigs, obwohl sie auch viele gute Seiten haben. Ich habe außer dem Wandsbecker Beil noch "Der Streit um den Sergeanten Grischa" (das bisher für mich beste) und "Die Feuerpause" gelesen. Letztere hat ähnliche Mängel wie der von dir erwähnte Roman.


    Zitat von "Zola"


    Mir ist noch aufgefallen, dass Feuchtwanger sich etwas Spott an der mangelnden Bildung der führenden Nazis nicht verkneifen kann, so schreibt z.B. der nationalsozialistische Oberlehrer "Mein Kampf" heimlich in besseres Deutsch um.


    Wobei mich dies etwas erstaunt: Den "Kampf" habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen und reiße mich auch nicht darum. Aber im Unterricht lasse ich mitunter Nazireden analysieren, dabei auch solche von Hitler: Dabei fällt natürlich die begriffliche Verquastheit und die primitive Hammerschlagrhetorik ins Auge, aber massive syntaktische und grammatische Fehler sind mir noch nicht aufgefallen, und, wenn ich es recht verstehe, geht es um solche in Vogelsangs Korrekturen, denn der Inhalt ist für ihn ja sakrosankt.
    Vielleicht sind die Hitlerreden nach der Machtübernahme überarbeitet worden, bevor sie ans Licht der Öffentlichkeit kamen.

    Zitat von "Zola"


    Den Begriff "Hermann der Deutsche" für Hermann den Cherusker gab es wirklich, wie ich gerade herausfand, er wurde auch in Zeiten vor den Nazis geprägt. Zuerst hielt ich den Begriff für eine Erfindung der Nazis oder ihnen von Feuchtwanger spöttisch in den Mund gelegt (zu Hermanns Zeiten konnte man ja noch lange nicht von einem deutschen Volk oder einem deutschen Sprachraum reden).


    Das braune Gedankengut haben ja auch nicht erst die Nazis erfunden, diese Tradition existiert ja viel länger. Übrigens hat mich das Kleist-Gedicht doch sehr erschreckt: In meiner ansonsten literarisch eigentlich kompletten Kleist-Ausgabe fehlt es.
    Man kann es zwar in Ansätzen von den Zeitbezügen der Freiheitskämpfe her verstehen, aber die menschenverachtende Aggression ist schon hammerhart und kaum mit den so wunderbar durchgearbeiteten und tendenziell menschenfreundlichen, wenn auch oft verzweifelten Werken zu vereinbaren. Wobei er ja auch eine "Hermannsschlacht“ geschrieben hat ...


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo Finsbury,
    Hallo zusammen,


    ich habe jetzt etwa 30 Seiten des zweiten Buchs gelesen.
    Ich finde ich es sehr faszinierend, dass Feuchtwanger das Buch doch schon 1933 geschrieben hat. Alle Mutmassungen über die Zukunft Deutschlands, einen Krieg, Deutschlands Untergang sind nichts als (dann leider eingetroffene) Visionen. Daher finde ich es äußerst spannend zu lesen, was die Charaktere kurz nachdem Hitler Reichskanzler wurde über die Zukunft des Landes - die ja noch nicht einmal der Autor kannte - denken.


    Zitat von "finsbury"


    Kennst du von Alfred Andersch: Der Vater eines Mörders? Da geht es um ähnliche Strukturen: Andersch schildert ein autobiografisches Erlebnis seiner Jugend. Das Münchner Gymnasium, an dem er lernte, wurde vom Vater Himmlers geführt (daher der Titel) und ebenso beklemmend wie in der Berthold-Vogelsang-Szene werden in diesem Buch mehrere Schüler durch die Willkür der Macht dieses Mannes mehr oder weniger zerstört: Eine beklemmende und großartige Erzählung.


    das Buch nehme ich mir schon seit längerem vor zu lesen, vielleicht schaffe ich es im Anschluß an die Geschwister Oppermann, thematisch würde es ja passen - und auf meinem GUB liegt es auch.

    Zitat von "finsbury"


    Aber zurück zu unserem Buch, das mir auch sehr gut gefällt.
    Gut dargestellt finde ich auch die Beziehung zwischen Werner Rittersteg und Heinrich, die sich bis zum dem "Imponiermord" von Seiten Ritterstegs steigert.


    Wobei ich den Imponiermord fast für etwas unrealistisch dargestellt halte. Kann es sein, dass ein Jugendlicher, der hemmungslos zu einem Mord fähig ist, sich soweit erniedrigt, dass er um die Freundschaft und Anerkennung eines Menschen bettelt, den er aufgrund seiner Einstellung und seiner Weltanschauung eigentlich verachten müsste ?
    Vielleicht erscheint mir das auch nur so, weil der Mord und das Nachspiel (bisher) nicht genauer beschrieben werden.



    Zitat von "finsbury"


    Feuchtwanger macht hier gut deutlich, wie alles Politische auch vom Persönlichen durchdrungen wird und politischen Taten häufig auch persönliche Eitelkeiten zugrunde liegen (kann man im Moment bei uns ja auch schön sehen). Neben den zum großen Teil hellsichtigen Ausführungen unseres guten Marx darf man diese Nebendimension nicht vergessen.


    Das stimmt natürlich. Für diesen politischen Mord war die Eitelkeit wichtiger als die "Bestrafung" eines Feindes.


    Eigentlich kann man doch fast jedes Handeln des Menschen auf Eitelkeit und Egoismus reduzieren. Zumindest jeder, der im Verkauf/Vertrieb arbeitet wird das bestätigen ;-).


    Zitat von "Finsbury"


    Den "Kampf" habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen und reiße mich auch nicht darum. Aber im Unterricht lasse ich mitunter Nazireden analysieren, dabei auch solche von Hitler: Dabei fällt natürlich die begriffliche Verquastheit und die primitive Hammerschlagrhetorik ins Auge, aber massive syntaktische und grammatische Fehler sind mir noch nicht aufgefallen, und, wenn ich es recht verstehe, geht es um solche in Vogelsangs Korrekturen, denn der Inhalt ist für ihn ja sakrosankt.


    Feuchtwanger scheint das sehr am Herzen zu liegen. Als Gustav Oppermann seinem Besucher, Direktor Francois, aus "Mein Kampf" vorliest, möchte dieser auch "das falsche verrenkte Deutsch" nicht hören. Es bleibt also nicht bei nur einer Anspielung.


    Mir war bisher auch nicht bekannt, dass Hitlers Deutsch besonders fehlerhaft war. Ich denke, es war durchschnittlich und da er während er "Mein Kampf" schrieb, keinen Lektor hatte, gibt es sicherlich genügend Fehler, die einem Germanisten die Haare zu Berge stehen lassen.




    Zitat von "finsbury"


    Das braune Gedankengut haben ja auch nicht erst die Nazis erfunden, diese Tradition existiert ja viel länger. Übrigens hat mich das Kleist-Gedicht doch sehr erschreckt: In meiner ansonsten literarisch eigentlich kompletten Kleist-Ausgabe fehlt es.


    Etwas schockiert war ich auch, wobei ich Kleist nicht so gut kenne.
    Ich habe es im Internet gefunden:
    http://www.illtal-gymnasium.de…igion/kleist_germania.htm


    Ein gewisser Felix Draeske hat es sogar vertont:
    http://www.draeseke.org/bio/chron1835_62.htm


    Zitat von "finsbury"


    Man kann es zwar in Ansätzen von den Zeitbezügen der Freiheitskämpfe her verstehen, aber die menschenverachtende Aggression ist schon hammerhart und kaum mit den so wunderbar durchgearbeiteten und tendenziell menschenfreundlichen, wenn auch oft verzweifelten Werken zu vereinbaren. Wobei er ja auch eine "Hermannsschlacht“ geschrieben hat ...


    Dafür dass Kleist doch als "moderner Aufklärer" gilt, sicherlich schockierend. Aber in der Zeit, in der er das geschrieben hat, wurde es bestimmt nicht als besonders gewalt- oder kriegsverherlichend angesehen, wenn man sich dazu noch den Text mancher Lieder und Nationalhymnen anschaut, die zu dieser Zeit entstanden sind.


    Viele Grüße,
    Zola

    Einmal editiert, zuletzt von ()

  • Halllo nochmals,


    Zitat von "finsbury"


    Übrigens interessant, dass in vielen Internetseiten der Name Oppermann mit Oppenheim verwechselt wird, was ja der bürgerliche Name von Jud Süß war, soweit ich mich erinnere.


    Das stimmt, wobei ein früher Titel des Romans wirklich "Die Geschwister Oppenheim" war, wie ich gerade herausgefunden habe.
    Hier ein Bild der Ausgabe:


    http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/kunst/feuchtwanger/


    Wann (und warum) der Titel geändert wurde, ist mir leider nicht bekannt.

  • Hallo Zola und alle Leser,


    zunächst mal vielen Dank für die vielen Internetnachweise, ich werde heute Abend mal nachforschen.

    Zitat von "Zola"


    Kann es sein, dass ein Jugendlicher, der hemmungslos zu einem Mord fähig ist, sich soweit erniedrigt, dass er um die Freundschaft und Anerkennung eines Menschen bettelt, den er aufgrund seiner Einstellung und seiner Weltanschauung eigentlich verachten müsste ?


    O ja, das denke ich schon: Dass man mordet und sich erniedrigt, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, sind doch zwei Seiten des Die-Kontrolle- Verlierens!

    Zitat von "Zola"


    Aber in der Zeit, in der er das geschrieben hat, wurde es bestimmt nicht als besonders gewalt- oder kriegsverherlichend angesehen, wenn man sich dazu noch den Text mancher Lieder und Nationalhymnen anschaut, die zu dieser Zeit entstanden sind.


    Da hast du sicherlich Recht, zumal Kleist wohl auch noch ziemlich jung war, als er dieses Elaborat verfasste.


    Nun zu dem frisch Gelesenen: Ich komme gut voran, da ich Zeit habe und das Buch so aufwühlend ist:


    Fertig mit zweitem Buch „Heute“


    Das ist schon sehr bedrückend, wie sich das Schicksal der einst mächtigen und anerkannten Familie ändert. Wie Barbarismus Humanität und Wahrheit aushebelt, habe ich selten eindrucksvoller dargestellt gelesen. Besonders Bertholds Fall und seinen Gang in den Tod finde ich sehr aufwühlend.


    Die literarische Kritik von früher, Feuchtwanger gehe hier zu geradlinig und kunstlos vor, finde ich aus heutiger Sicht im Gegenteil eine Stärke des Romans: Keine – böswillig formuliert - „Künstelei“ stellt sich diesen Schilderungen in den Weg, die für sich selbst sprechen. Im Übrigen ist die Darstellung des „stream of consciousness“, als Berthold in den Tod geht, schon sehr symbolhaft und fasst das Geschehene in Bildern zusammen, die zugleich der Erlebniswelt des Siebzehnjährigen Rechnung tragen.


    Den Rest des Tages komme ich nicht zum Lesen.


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo Finsbury,
    Hallo zusammen,


    heute abend bin ich auch mit dem zweiten Buch fertiggeworden. Gerade die Schlußphase fand ich Exzellent, die Beschreibung wie Berthold immer stärker ausgeschlossen und schlecht behandelt wird, bis hin zu der hervorragenden Darstellung des Übergangs in den Tod, nachdem er die Schlaftabletten genommen hat, das war wirklich sehr gut, wirkte sehr realistisch.


    Im knappen Nachwort des Romans wird man über die Namensgebung aufgeklärt (wir hatten ja oben schon über die verschiedenen Titel Oppermann/Oppenheim geschrieben).
    Der Roman hieß doch zuerst "Die Geschwister Oppermann".

    Zitat von "Nachwort von Gisela Lüttig"


    Im Oktober 1933 schickte Feuchtwanger das Romanmanuskript an den Querido-Verlag in Amsterdam. Es ging sofort in Satz, aber dann mußte der Druck gestoppt werden. Die erpresserische Aktion eines deutschen Nationalsozialisten erzwang eine Textänderung: Ein Professor Oppermann, in Hamburg Inhaber eines nazistischen Korrespondenzverlags, drohte mit Repressalien gegen den noch in Deutschland lebenden Bruder Feuchtwangers, Martin, falls die Namen der Romanhelden beibehalten würden.


    Die ersten beiden Auflagen (1933 und 35) erschienen also unter dem Namen "Oppenheim", danach änderte er den Titel wieder in "Oppermann".


    Feuchtwanger hat die Nazis und ihre Methoden gut beschrieben. Die erpresserische Aktion des Professors Oppermann hätte doch glatt aus dem vorliegenden Roman stammen können.


    Viele Romanfiguren schätzen die Zukunft Deutschlands ja richtig ein. Sie erwarten eine länger dauernde Nazi-Herrschaft und Krieg. Diese Meinung war damals gewiß nicht außergewöhnlich, auch in Viktor Klemperers Tagebücher ab 1933 zitiert dieser Bekannte und Freunde ähnlich.
    Nur Gustav Oppermann, Feuchtwangers Alter Ego glaubt dies nicht oder will das nicht glauben.


    Entsprach dies also auch Feuchtwangers Meinung ? Hat er den anderen Charakteren nur die allgemeine Meinung in den Mund gelegt und durch Gustav seine eigene Unterschätzung der Situation zugegeben ?




    Zitat von "finsbury"


    Nun zu dem frisch Gelesenen: Ich komme gut voran, da ich Zeit habe und das Buch so aufwühlend ist:


    Fertig mit zweitem Buch „Heute“


    Das ist schon sehr bedrückend, wie sich das Schicksal der einst mächtigen und anerkannten Familie ändert. Wie Barbarismus Humanität und Wahrheit aushebelt, habe ich selten eindrucksvoller dargestellt gelesen. Besonders Bertholds Fall und seinen Gang in den Tod finde ich sehr aufwühlend.


    Wie oben schon geschrieben, ging mir das genauso. Das ist wirklich hervorragend beschrieben.


    Zitat von "finsbury"


    Die literarische Kritik von früher, Feuchtwanger gehe hier zu geradlinig und kunstlos vor, finde ich aus heutiger Sicht im Gegenteil eine Stärke des Romans: Keine – böswillig formuliert - „Künstelei“ stellt sich diesen Schilderungen in den Weg, die für sich selbst sprechen.


    Auch das sehe ich genauso. Ich mag allgemein keine übermässige "Künstelei" und meist keine Symbolik, vor allem da letztere häufig unrealistisch wirkt, was man von dem braunen Fleck in der Wand allerdings nicht sagen kann.


    Sehr gut hat mir in Zusammenhang mit dem "Fleck" noch gefallen, dass der Hausverwalter Krause, der nachdem Hitler Reichskanzler ist Wolfsohn plötzlich abwertend behandelt, auch nicht mehr über das Entfernen des Flecks reden will. "Mit dem muß er jetzt leben".


    Zitat von "finsbury"


    Den Rest des Tages komme ich nicht zum Lesen.


    So konnte ich wieder aufholen ;-)


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo Zola und alle Interessierten,


    ich hoffe, du bist nicht böse, aber ich habe den Roman schon zu Ende gelesen:


    Es war zu spannend, wie sich Gustav Oppermann änderte und alles den Bach runterging, da mussten ein paar Nachtstunden für das dritte Buch herhalten.


    Zunächst danke für die Aufklärung Oppermann /Oppenheim: Du hast Recht, das Verhalten dieses Nazi-Namensvetters hätte auch im Buch nicht besser dargestellt werden können. Wieder ein Beispiel für den Realismus und die ungewöhnliche Hellsichtigkeit dieses Werkes.


    Im dritten Buch kommt gut heraus, wie unterschiedlich informiert die Exilanten und die Daheimgebliebenen waren: Annas Ungläubigkeit, als ihr Gustav von den Geschehnissen in Deutschland erzählt, gibt einen Einblick,
    wie unsere Eltern /Großeltern diese Zeit erlebten: Die vollständige Kontrolle der Presse und die durch den Spitzelstaat verängstigte Bevölkerung waren wohl Voraussetzung dafür, dass sovieles eigentlich Offensichtliche doch nicht wahrgenommen oder verdrängt wurde.


    Ich bin gespannt, wie du Gustav Oppermanns Einsatz am Romanende siehst: Ist es sinnloses Aufopfern, weil er mit den Geschehnissen und seiner eigenen bisherigen Rolle nicht fertig werden kann oder ist sein Tod sinnvoll und trägt auf lange Sicht zur Befreiung bei?


    Ein offenes Ende... und auch die Meinung des Autors ist nicht eindeutig herauszulesen. Auch die Romo-Biogafie gibt darüber keinen Aufschluss.


    So, nun warte ich auf deine weiteren Leseindrücke und werde dir dazu natürlich antworten.


    Insgesamt ein Klasse-Roman, gefällt mir noch besser als "Erfolg", was ich vorher kaum gedacht hätte.


    Auf längere Sicht hätte ich dann Lust auf "Exil" und im Vergleich dazu Seghers "Transit", vielleicht wärst du dann wieder dabei?


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo Finsbury,
    Hallo zusammen,


    ich bin jetzt auf Seite 250, Gustav Oppermann ist in der Schweiz und trifft den schwäbischen Juristen Bilfinger, der ihm Vorkommnisse aus Deutschland erzählt, so auch aus dem Ort Künzlingen, wo am Sabbat aus der Synagoge jüdische Männer ins Rathaus getrieben und dort misshandelt wurden (in meiner Ausgabe auf Seite 236). Ich habe mal im Internet danach gesucht und eine Seite gefunden, wo das kurz erwähnt wird:
    http://thunder.prohosting.com/…er/lyrik/modern/index.htm


    Als Datum ist der 25. März 1933 angegeben. Ich habe auf http://www.nabkal.de/kalrech1.html überprüft, das war ein Samstag. Das könnte alles hinhauen.
    Was mich nur verwirrt: wenn man nur nach dem Ort "Künzlingen" sucht, findet man eigentlich nichts (ausser dieser Seite). Schreibt sich der Ort doch etwas anders ? Man findet mittlerweile über jedes Kaff einiges im Internet, existieren kann der Ort unter diesem Namen nicht mehr.


    Ich habe dem Autor der Seite eine E-Mail geschrieben, die Adresse existiert aber nicht mehr.
    Im Grunde ist es auch nicht so wichtig. Dass die im Roman genannten Beispiele der damaligen Realität entsprechen, ist klar. Ich wollte nur prüfen, wieweit, also ob auch Daten und Orte stimmen.



    Das Buch bleibt sehr spannend. Morgen schreibe ich dann ausführlicher (und wenn ich fertig bin, gehe ich natürlich noch auf dein letztes Posting ein).


    Viele Grüße
    Zola

  • Zitat von "Zola"

    ich bin jetzt auf Seite 250, Gustav Oppermann ist in der Schweiz und trifft den schwäbischen Juristen Bilfinger, der ihm Vorkommnisse aus Deutschland erzählt, so auch aus dem Ort Künzlingen, wo am Sabbat aus der Synagoge jüdische Männer ins Rathaus getrieben und dort misshandelt wurden (in meiner Ausgabe auf Seite 236).


    Das hat mich jetzt nicht losgelassen. Ich habe mit meiner Frau darüber gesprochen, sie meinte, das erste organisierte Progrom gegen Juden nachdem die Nazis an der Macht waren, fand im württembergischen Ort Creglingen statt.
    Ich habe im Internet danach gesucht und unter anderem diese Seite gefunden:
    http://www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/80350/


    Das ist also dieselbe Geschichte, die in Feuchtwangers Roman kurz aus einem (wohl nicht existierenden) Ort namens Künzlingen erwähnt wird. Es ist doch interessant, dass auch solche kleinen Details aus dem Buch historisch belegbar sind.


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Zola"

    Im Internet findet man einige recht ausführliche Inhaltsbeschreibungen, die ich jetzt aber noch gar nicht unter "Materialien" posten oder verlinken möchte, da auch hier zu detailliert auf den Inhalt eingegangen wird.


    Ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr den Thread in "Materialien und Archiv" nun so langsam anlegen könntet. Soweit ich sehe, ist finsbury ja bereits fertig mit Lesen.


    Dankschön!


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Sandhofer,


    Zitat von "sandhofer"


    Ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr den Thread in "Materialien und Archiv" nun so langsam anlegen könntet. Soweit ich sehe, ist finsbury ja bereits fertig mit Lesen.


    .. ich heute abend wohl auch und damit gibt es meiner Meinung nach keinen Grund mehr einen entsprechenden Thread unter "Materialien und Archiv" anzulegen. Wikipedia kann jeder selbst aufsuchen, Googeln auch, auf der Verlagsseite nachlesen ebenfalls und irgendwelche spezielle Materialien, die nicht für jeden Lektüreinteressieten leicht zu finden sind, habe ich im Internet bisher nicht entdeckt. Daher gibt es für mich keinen Grund in einem speziellen Thread irgendetwas zum Thema als Material zu posten oder zu verlinken.
    Ich könnte jetzt natürlich in dem Ordner schnell einen Thread aufmachen (wie es dort schon einige gibt) mit zwei Links zu WIkipedia und das war's dann. Aber das verspricht dann mehr als es hält.
    Wenn dir das trotzdem besonders wichtig ist, können wir das auch gerne per PN ausdiskutieren.


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo zusammen!
    Hallo zola!


    Ich find's einen netten Service für alle, die mal später die Diskussionen nachlesen. Schade, dass Du es nicht auch so siehst. Ich habe halt dann mal den Thread selber angelegt ... :sauer:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Finsbury,
    Hallo zusammen,


    Zitat von "finsbury"


    Es war zu spannend, wie sich Gustav Oppermann änderte und alles den Bach runterging, da mussten ein paar Nachtstunden für das dritte Buch herhalten.


    Das kann ich verstehen. Ich habe das Buch gerade ebenfalls fertiggelesen und war vor allem vom Schluß unheimlich beeindruckt.


    Zitat von "finsbury"


    Im dritten Buch kommt gut heraus, wie unterschiedlich informiert die Exilanten und die Daheimgebliebenen waren: Annas Ungläubigkeit, als ihr Gustav von den Geschehnissen in Deutschland erzählt, gibt einen Einblick,
    wie unsere Eltern /Großeltern diese Zeit erlebten: Die vollständige Kontrolle der Presse und die durch den Spitzelstaat verängstigte Bevölkerung waren wohl Voraussetzung dafür, dass sovieles eigentlich Offensichtliche doch nicht wahrgenommen oder verdrängt wurde.


    Ja, wobei ich nie so richtig glaube, dass "Niemand etwas wußte".
    Andererseits muß man sich vor Augen führen, dass der Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung im Promillebereich lag. Vielleicht hat man wirklich in manchen Gebieten, weil es kaum Juden gab, nichts richtig mitbekommen.
    Ich habe letztes Jahr den Roman "Vaterland" von Robert Harris (zum wiederholten Mal) gelesen. Der Autor änderte die Geschichte im Jahr 1942 (?), Deutschland gewinnt den Krieg. Die Hauptfigur erfährt irgendwann, dass die Juden in Konzentrationslagern vergast wurden und fährt zu einem der (nach der "Endlösung der Judenfrage" abgerissenen und nur noch in den Grundsteinen vorhanden) KZs und entdeckt, dass die Juden nicht wie die allgemeine Meinung war irgendwo im Osten angesiedelt wurden. Der Roman hat historisch Hand und Fuß (natürlich nur bis er zur Fiktion wird), ich habe einige Sachen nachgeprüft.
    Vielleicht war vieles also wirklich nicht bekannt ? Meine Oma kann ich leider nicht mehr fragen.


    Zitat von "finsbury"


    Ich bin gespannt, wie du Gustav Oppermanns Einsatz am Romanende siehst: Ist es sinnloses Aufopfern, weil er mit den Geschehnissen und seiner eigenen bisherigen Rolle nicht fertig werden kann oder ist sein Tod sinnvoll und trägt auf lange Sicht zur Befreiung bei?


    Ich halte seinen Tod für sinnlos. Dadurch haben vielleicht einige Menschen zusätzlich erfahren, was in den Deutschen KZs vor sich geht, aber er hätte sicherlich mehr erreichen können, wenn er weitergelebt hätte.
    Allerdings hat er sicherlich nicht damit gerechnet, dass das Terrorregime noch so lange andauern würde. Nach der Beschreibung im Roman ging es den Menschen in Deutschland erst mal wirtschaftlich schlechter, was, wenn es sich nicht geändert hätte, zu sozialen Unruhen hätte führen können.
    Ich kann Gustavs Reaktion - lieber erhobenen Hauptes untergehen, als mit Schuldgefühlen leben, weil man gar nichts unternimmt - sehr gut verstehen, aber sinnvoll ist dies meist nicht.


    Zitat von "finsbury"


    Ein offenes Ende... und auch die Meinung des Autors ist nicht eindeutig herauszulesen. Auch die Romo-Biogafie gibt darüber keinen Aufschluss.


    In der Tat. Vielleicht konnte der Autor zu dem Zeitpunkt noch keine Antwort geben. Hätte man gewußt, dass die Nazi-Herrschaft noch 11 weitere Jahre andauert, hätte er den Märtyrertod vielleicht auch als sinnlos angesehen.


    Zitat von "finsbury"


    Insgesamt ein Klasse-Roman, gefällt mir noch besser als "Erfolg", was ich vorher kaum gedacht hätte.


    "Erfolg" war sicherlich Feuchtwangers bedeutendster zeitgeschichtlicher und sein mutigster Roman. Allerdings fand ich ihn stilistisch von den jetzt 6 Romanen, die ich von ihm gelesen habe, am schlechtesten. Der hier gelesene war dann wohl für meinen Geschmack der beste.
    Feuchtwanger meinte später zu den "Geschwister Oppermann": "er habe sich in einigen Kapiteln zu sehr von den Eindrücken des Augenblicks hinreißen lassen, so dass diese Kapitel zu naturalistisch, zu photographisch wurden und nicht jenen Charakter des Bildhaften tragen", den er anstrebte.


    Das sehe ich eher als positiv zu bewerten.


    Eine Stelle, die mir in dritten Buch noch sehr gut gefallen hat, war das Passahfest, als Gustav (wohl auch wie Feuchtwanger kein sehr gläubiger Jude ?) die Leiden der Juden vor 3000 Jahren fast etwas spöttisch mit denen der aktuellen Zeit verglich.


    Zitat von "finsbury"


    Auf längere Sicht hätte ich dann Lust auf "Exil"


    Aber gerne doch. Sollen wir schon grob einen Termin ausmachen ?


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo Zola und andere,


    war ein paar Tage verreist, daher entschuldigt die Antwortpause.
    Danke für die Internethinweise.
    Ich denke, dass Feuchtwanger für alle
    seíne Behauptungen Belege hatte, wie auch immer er sie interpretiert hat.


    sandhofer: Bei einer solchen Minlileserunde halte ich einen Materialienthread für überflüssig.


    Zum Ende später, jetzt keine Zeit.


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "finsbury"

    sandhofer: Bei einer solchen Minlileserunde halte ich einen Materialienthread für überflüssig.


    Ich scheine mich nicht verständlich machen zu können. Es geht nicht darum, ob 2 Nasen oder 200 an einer Leserunde mitmachen. Es geht darum, dass in der Nachbearbeitung (die zugegebenermassen momentan etwas liegenbleibt) Diskussions- und Materialienthread zusammengefügt werden und so für Nach-Leser etwas Nettes, Kleines, Rundes darstellen, das über die Meinungen der Teilnehmer hinaus Anregungen vermitteln und auch zur weiteren Lektüre anregen soll. Ein Service, den m.W. andere Diskussionsforen so nicht bieten.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus