Günter Grass: Katz und Maus

  • Na, dann eröffne ich hiermit mal die Leserunde zu "Katz und Maus" und damit den ersten Thread in diesem wunderbaren neuen Unterforum. Etwas später als die vorgeschlagenen 6.00 Uhr ist es ja doch geworden, aber wahrscheinlich lest ihr alle schon seit ein paar Stunden. :breitgrins: (Ich fange heute abend an.)


    Mitlesen wollen:


    [li]josmar[/li]
    [li]Lost[/li]
    [li]Madeleine[/li]
    [li]riff-raff[/li]
    [li]Telemachos[/li]
    [li]ink-heart[/li]


    Ich freue mich aufs Lesen mit euch und wünsche euch viel Spaß! :smile:

  • Danke ink-heart für das Läuten der Glocke :winken:


    ...und da hatte ich gerade mal in der Utopia bis zu den Sklaven geschafft, als mir doch irgendwie bekannt wurde, dass der 28., den ich auf den Sonntag gelegt hatte auf den Samstag fällt :-( Schaltjahr eben ! Umschalttag: weg von der Utopia von Morus, hin zur Realität von Grass.


    So hänge ich in den ersten Seiten. Zwei Zeichen: 13 Kapitel und eine schwarze Katze, die die Geschichte ins laufen und auf den Punkt bringt, lassen Unheil erahnen, aber wer braucht schon in einem Krieg Aberglauben um sich zu fürchten. Die beiden ersten Szenen beschreiben schon Niederlagen. Grasstypische Kettensätze; ich höre ihn geradezu in seinem grasstypischen Vorles(ungs)(e)stil.


    Beim Rosenkranzbeten am Reck muss heute Schluss sein :-(

  • Hallo Lost und alle noch einsam Lesenden! :winken:


    Ich habe gerade das erste Kapitel (wieder) gelesen und finde es einfach klasse. Ich glaube, ich könnte es auch zwanzigmal lesen, ohne dass es mich langweilen würde.


    Da ich vor relativ kurzem erst "Beim Häuten der Zwiebel" gelesen habe, haben sich mir jetzt doch immer wieder Vergleiche damit aufgedrängt. Ich finde es schon ziemlich genial dargestellt, wie Pilenz sich scheinbar erinnern will, es nicht kann und dann doch ungewollt (unbewusst?) klarmacht, dass er es tut. Überhaupt finde ich bei aller künstlerischen Überformung die Figuren auch psychologisch sehr glaubhaft: von dem Zahnschmerz und den damit einhergehenden Wahrnehmungen über Mahlkes wahnsinnige Anstrengungen, um mithalten zu können und dazugehören zu dürfen, bis zu Pilenz' Besessenheit von Mahlke.


    Und auch wenn ich weiß, dass viele das anders sehen: Ich persönlich genieße auch dieses Spiel mit dem Leser, das Verwischen der Grenzen von Fiktion und Realität ("Selbst wären wir beide erfunden ..." "Der uns erfand von berufswegen ...").

  • Hallo, Ihr Lieben!
    Ich bin zwar noch nicht sehr weit gekommen, aber mir geht es auch so; ich fange zu lesen an und sofort zieht mich der typische Stil in seinen Bann. Ich liebe die Sätze, die dieser Mann produziert. Für mich hat er etwas in dieser Form noch nie Dagewesenes geschaffen. Das ist arbeiten mit und an der Sprache und nur solche Autoren verdienen in meinen Augen den Nobelpreis.
    Es tut mir nur leid, dass ich noch nie das Vergnügen hatte, ihn bei einer Lesung zu hören.


    Die Figur, die er mit Mahlke geschaffen hat, gefällt mir sehr gut, und so weit ich mich erinnere, ist die weitere Entwicklung, die sie durchläuft, recht interessant.


    Liebe Grüße


    Madeleine.

  • Hallo allerseits,


    zunächst muß ich gestehen, daß ich etwas früher begonnen habe, da ausgerechnet diese Woche ein Buch ankam, welches ich in einem gewissen Zeitrahmen lesen muß! :redface:


    Ich lese ein alte Ausgabe von 1970, die ich bereits einmal vom 24.04.1983 bis 17.05.1983 gelesen habe.
    Warum schreibe ich das; nun, mir ist es bei "Katz und Maus" so, als habe ich es noch nie gelesen.
    Das ist für mich umso verwunderlicher, da ich bislang eigentlich sehr viel Vergnügen an dem Buch habe. Die Sprache ist ausschweifend und, ich wage mal die These, auch sehr barock!
    Andererseits stören mich die ständigen Verschachtelungen (vllt. nicht sehr literaturkritisch ausgedrückt) in den Sätzen, die häufig auf ein Ziel hinführen sollen, dann aber noch um einen Schlenker erweitert werden. Mir scheint es, als ob der Schriftsteller dem Leser dann zeigen will, daß er einen Spannungsbogen erzeugen kann oder das er in der schriftstellerischen Lage ist, nochmals ein Bild anders darzustellen.
    Aufgefallen sind mir auch die zahlreichen eingeschobenen Nebensätze, die schon die Geschichte weiterbingen, mich aber ab und an "nervten".


    So, genug für heute abend! Die restlichen ca. 20 Seiten spare ich mir auf.


    Es freut sich auf die weitere Diskussion


    josmar

  • Hallo,


    ich bin leider noch nicht dazu gekommen anzufangen, weil ich unerwartet nicht viel Zeit habe an diesem Wochenende. Ich hoffe heute abend nach dem Fußball-Spiel noch ein bisscehn lesen zu können.


    Bis später,
    Telemachos

  • Hallo zusammen!


    Bin mittlerweile ebenfalls mit dem ersten Kapitel durch, wobei mir ein paar Sachen aufgefallen sind.


    Ganz allgemein merke ich, dass ich einen Text im Rahmen einer Leserunde viel genauer und intensiver lese als bloss für mich alleine. Ansonsten liste ich einfach mal auf, was mir so ins Auge gesprungen ist, ohne dass ich mir aber grossartig einen Reim darauf machen kann:



    [li]Drei Unterkapitel beginnen allesamt identisch mit: "... und einmal"
    [/li]
    [li]Die verschiedenen Bezeichnung die Grass für Mahlkes Adamsapfel bisher benutzt hat: Artikel; Maus; fataler Knorpel zwischen Kinnlade und Schlüsselbein; ausgefahrene Rückenflosse, die eine Kielspur reisst (beim Rückenschwimmen); Gurgel - bin gespannt, was er im Laufe der Erzählung noch für weitere Umschreibungen gebraucht ...
    [/li]
    [li]Zweimal wendet sich der Ich-Erzähler statt an den Leser direkt an Mahlke selbst: "Ich aber, der ich Deine Maus einer und allen Katzen in den Blick brachte ..." und später: "Wenn immer ich vorm Altar diente, sogar während der Stufengebete, versuchte ich, Dich aus verschiedenen Gründen im Auge zu behalten: aber Du wolltes es wohl nicht darauf ankommen lassen ..."
    [/li]
    [li]Die Präsenz der Heiligen Jungfrau, einerseits im Medaillon, dass Mahlke um den Hals trägt, dann "jene markstückgrosse Medaille aus Silber", die Mahlke im Wrack findet und auf deren Vorderseite "das stark erhaben Relief der Jungfrau mit Kind" zu sehen ist und in den Worten des Gebets, das er vor der gefundenen Medaille kniend aufsagt: "Jungfrau, der Jungfrauen strahlendste, sei mir doch nicht grausam ..." (Google sei Dank für die deutsche Übersetzung ...) und schliesslich heisst die Kirche, in die Mahlke allmorgendlich (!) geht Marienkappelle.
    [/li]
    [li]"Ein etwa dreijähriger Balg", der "monton hölzern auf eine Kinderblechtrommel" schlägt. Soll das eine Anspielung auf "Die Blechtrommel" sein? Habe das Buch leider nocht nicht gelesen.
    [/li]
    [li]Der Ich-Erzähler behauptet, nicht zu wissen, ob einer der Jungen die Katze an Mahlkes Gurgel setzte, oder ob er selbst die Katze darauf aufmerksam machte. Nur um gleich anschliessend weiterzufahren: "Ich aber, der ich Deine Maus einer und allen Katzen in den Blick brachte ..." Hier scheint er sich für mich selbst zu widersprechen. Zudem scheinen diese Zeilen darauf hinzudeuten, dass der Erzähler nicht bloss ein unbeteiligter Augenzeuge ist, sondern im Verlauf der Handlung noch eine wichtige - unheilvolle? - Rolle spielen wird.
    [/li]
    [li]Die Schachtelsätze, auf die hier schon andere hingewiesen haben, die sich aber immer wieder mit der simplen Aneinanderreihung von Hauptsätzen abwechseln; die Einstiegsseite des Textes besteht fast ausschliesslich aus solch einfachen Aneinanderfügungen.
    [/li]
    [li]"Dieses Spiel mit dem Leser, das Verwischen der Grenzen von Fiktion und Realität", auf die schon ink-heart aufmerksam gemacht hat und auch mir so gut gefallen.
    [/li]


    Zum Schluss noch eine Frage: Als Mahlke in der Kirchenbank sitzt (S. 19 unten bei meiner Ausgabe) heisst es, er ziele sein Gebet "mit offenen, glaube, hellgrauen [...] Augen in Richtung Jungfrau, Marienaltar." "Glaube" als Substantiv versteht wohl jeder, aber als Adjektiv, wie es im vorliegenden Fall gebraucht zu werden scheint, ist es mir noch nie untergekommen. Meint Grass damit einfach nur "gläubig"?


    So, das wärs für den Moment. Allen noch einen schönen Sonntagnachmittag ...


    Gruss


    riff-raff
    [/list]

  • Hallo! :winken:



    Ganz allgemein merke ich, dass ich einen Text im Rahmen einer Leserunde viel genauer und intensiver lese als bloss für mich alleine.


    Die Liste spricht deutlich dafür. :zwinker:



    Zweimal wendet sich der Ich-Erzähler statt an den Leser direkt an Mahlke selbst: "Ich aber, der ich Deine Maus einer und allen Katzen in den Blick brachte ..." und später: "Wenn immer ich vorm Altar diente, sogar während der Stufengebete, versuchte ich, Dich aus verschiedenen Gründen im Auge zu behalten: aber Du wolltes es wohl nicht darauf ankommen lassen ..."


    Ja, und ganz häufig wird (auch in späteren Kapiteln noch) von der Er- in die Du-Form gewechselt, häufig im selben Satz. Genau wie einige der langen Sätze, die nicht so genau zu wissen scheinen, wohin sie führen sollen, ist das eine gute Spiegelung des Zustands von Pilenz, finde ich, der ja auch nicht so genau weiß ob er Mahlke lächerlich oder göttlich finden soll, ob er sich vor ihm oder vor sich selbst rechtfertigt usw. Mein Lieblingssatz bisher, aus dem vierten Kapitel: ... und ich verspürte eine Art sahnebonbonsüßen Stolz auf Joachim Mahlke und hätte Dir gerne meine Armbanduhr geschenkt.



    "Ein etwa dreijähriger Balg", der "monton hölzern auf eine Kinderblechtrommel" schlägt. Soll das eine Anspielung auf "Die Blechtrommel" sein? Habe das Buch leider nocht nicht gelesen.


    Ja, das ist Oskar Matzerath, der auch später in der Erzählung noch ein- oder zweimal kurz auftaucht. Übrigens kommen auch einige der anderen Figuren in den Romanen, z. B. "Hundejahre", wieder vor. Ich glaube, der bonbonlutschende Brunies war unter anderem dabei (ist aber schon ziemlich lange her, dass ich es gelesen habe).



    Zum Schluss noch eine Frage: Als Mahlke in der Kirchenbank sitzt (S. 19 unten bei meiner Ausgabe) heisst es, er ziele sein Gebet "mit offenen, glaube, hellgrauen [...] Augen in Richtung Jungfrau, Marienaltar." "Glaube" als Substantiv versteht wohl jeder, aber als Adjektiv, wie es im vorliegenden Fall gebraucht zu werden scheint, ist es mir noch nie untergekommen. Meint Grass damit einfach nur "gläubig"?


    In dem Fall scheint es mir kein Adjektiv, sondern ein Verb zu sein, dessen Personalpronomen (ich) weggekürzt ist.


    Viel Spaß beim Weiterlesen! Ich werde nachher noch ein paar Kapitel nachlegen, damit ich Dienstag "King Lear" anfangen kann. :winken:

  • Guten Morgen, Ihr Lieben!


    Ich bin ja ganz beeindruckt von riff-raffs Auflistung. Das nenne ich doch Beschäftigung mit einem Text, wie sie vorbildlicher nicht sein könnte.
    Seit ich Marcel Proust gelesen habe, erschrecken mich auch noch so lange und verschachtelte Sätze nicht mehr. Bei seinen Texten war ich stets auf der Suche nach Subjekt und Prädikat und fand mich oft in Lateinstunden zurückversetzt.
    Da ist unsere jetzige Lektüre doch um vieles zugänglicher, und ich genieße sie sehr. Vieles, was riff-raff angeführt hat und von ink-heart schon ausführlich beantwortet wurde, gehört zum Stil und zur Erzähltechnik von Günter Grass (z. B. der Wechsel in der Form des Erzählens oder immer wieder der Hinweis auf Figuren in anderen Romanen). Und mit dem Wort "glaube" bringt sich der Erzähler auch wieder ein, indem er ausdrücken möchte, dass er glaubt, es handelt sich um hellgraue Augen.
    In der "Blechtrommel" ist dieses Spiel mit der Sprache noch viel imponierender und "Beim Häuten der Zwiebel" betont er auch immer wieder, dass er sich an dieses oder jenes Ereignis in seinem Leben nicht mehr genau erinnern kann. Es kann so gewesen sein, es ist aber auch möglich, dass ihm die Erinnerung hier einen Streich spielt. Das deutet er ja auch in unserer Lektüre an, indem er vorgibt nicht zu wissen (oder es vielleicht wirklich nicht weiß), wie die Katze an die Maus kam.
    Gerade dieser Stil - den man ihm immer wieder als "Inszenierung" anlastet - macht für mich (unter anderem) seine Genialität aus.

    Für mich ist aus dem nach Anerkennung suchenden Joachim Mahlke inzwischen eine von den anderen Jungen bewunderte Figur geworden. Ich bin mir aber noch nicht klar darüber, ob er diese Bewunderung braucht (schließlich agiert er hauptsächlich vor Publikum), oder ob er nicht schon recht unabhängig davon ist. Seit er besser schwimmen und tauchen kann als die anderen, muss er ja niemandem mehr etwas beweisen. Er kann sich auf Grund seiner Fähigkeiten im U-Boot einen Raum einrichten, wo ihm niemand hin folgen kann und auch von seiner Potenz sind die anderen Jungen ausreichend überzeugt worden.
    Dass er dem in der Schule vortragenden Kapitänleutnant keinen Beifall zollt, ihm sogar während der Turnstunde den Orden stiehlt und unter seiner Krawatte aus der Schule schmuggelt, ist für mich ebenfalls ein Zeichen seines eigenständigen Denkens, seiner Meinungsbildung über die Ereignisse der Zeit (hier werden weniger Gutgesinnte abermals von "Inszenierung" sprechen). Als weitere Bezeichnung für den Adamsapfel ist mir noch "Bonbon" aufgefallen.


    Aufgrund der Ereignisse muss Mahlke nun die Schule wechseln, und ich werde ihn auf seinem Weg gleich weiterbegleiten.


    Bis bald, liebe Grüße


    Madeleine.

  • Hallo zusammen!


    Ich habe jetzt so ungefähr zwei Drittel gelesen (etwa so weit wie Madeleine) und finde es nach wie vor richtig gut gemacht, inhaltlich allerdings auch zunehmend deprimierend. Sowohl Pilenz als auch Mahlke scheinen völlig in sich gefangen zu sein, unfähig über die Dinge, die für sie wesentlich sind, miteinander oder mit anderen zu kommunizieren. Das Geschehen wirkt auf mich schicksalhaft, so als gäbe es gar keine Möglichkeiten, etwas auszurichten gegen die inneren Kräfte und Zwänge, denen die beiden ausgesetzt sind.



    Für mich ist aus dem nach Anerkennung suchenden Joachim Mahlke inzwischen eine von den anderen Jungen bewunderte Figur geworden. Ich bin mir aber noch nicht klar darüber, ob er diese Bewunderung braucht (schließlich agiert er hauptsächlich vor Publikum), oder ob er nicht schon recht unabhängig davon ist. Seit er besser schwimmen und tauchen kann als die anderen, muss er ja niemandem mehr etwas beweisen. Er kann sich auf Grund seiner Fähigkeiten im U-Boot einen Raum einrichten, wo ihm niemand hin folgen kann und auch von seiner Potenz sind die anderen Jungen ausreichend überzeugt worden.


    Die Sache mit der Bewunderung sehe ich nicht so eindeutig. Die Gruppe bleibt Mahlke gegenüber doch zumindest ambivalent; häufig genug spotten sie ja noch über ihn oder Pilenz äußert Ablehnung/Verachtung. Was Mahlke eigentlich antreibt, ist mir auch nicht so ganz klar: Vielleicht doch noch der Wunsch dazuzugehören (denn das tut er nach wie vor nicht)? Auf jeden Fall scheint er sich selbst etwas beweisen zu müssen, vielleicht auch seinem verstorbenen Vater, in dessen Schuhen er ja durchaus symbolträchtig herumläuft. Auf jeden Fall zeigt er nicht, dass/ob er von der Bewunderung der anderen abhängig ist, und das ist es ja wohl, was Pilenz so mitnimmt. Pilenz ist in meinen Augen mindestens genauso eine tragische Figur wie Mahlke, er kämpft ganz genauso verbissen und besessen, nur um ein anderes Ziel, nämlich von Mahlke gebraucht zu werden.



    Dass er dem in der Schule vortragenden Kapitänleutnant keinen Beifall zollt, ihm sogar während der Turnstunde den Orden stiehlt und unter seiner Krawatte aus der Schule schmuggelt, ist für mich ebenfalls ein Zeichen seines eigenständigen Denkens, seiner Meinungsbildung über die Ereignisse der Zeit (hier werden weniger Gutgesinnte abermals von "Inszenierung" sprechen).


    Meinst du damit, dass der Diebstahl so eine Art politische Meinungsäußerung ist? Das denke ich eher nicht. Das Ritterkreuz scheint eher ein Ziel von Mahlke selbst zu sein. Bei der ersten Rede ist er ja völlig mitgenommen, weil man dafür nun "schon vierzig" Flugzeuge abschießen muss. Ich glaube, er will es einfach besitzen und der Diebstahl geschieht dann wahrscheinlich eher unreflektiert.


    :winken:

  • Hallo ink-heart!
    Für mich ist Joachim Mahlke - zumindest bis jetzt - ein Jugendlicher, der seine Bestättigung darin findet, nicht so zu sein wie die anderen, der aus der Gruppe abstechen, der auffallen will. Sein fanatisches Schwimmen und Tauchen sehe ich als Kompensation für alle anderen Mängel.
    Vielleicht hast Du recht, wenn Du meinst, dass ich dem 16jährigen auf Grund der Sympathie, die ich für ihn hege, mit einer politischen Meinungsäußerung zu viel zugemutet habe. Womöglich kam ihm der Diebstahl tatsächlich nur in den Sinn, um zu zeigen, dass er etwas schafft, das ihm so schnell keiner nachmachen kann.
    Aber der Erzähler Pilenz ist in meinen Augen schon jemand, der ihm Bewunderung und Beifall zollt. Sonst würde er sich wohl nicht so intensiv mit ihm befassen. Sogar Kirchenmusik, die Mahlke aus seinem U-Boot erklingen läßt, hören sich die Buben an. Und auch die Stelle, an der sie glauben, er sei ertrunken, sodaß sie sich schon Gedanken um die Beschaffung des Kranzes machen, hat mir gezeigt, dass er sich einer gewissen Wertschätzung erfreut. Sicher müssen sie auch immer wieder ihre Verachtung kundtun, sonst würden sie ja zugeben, dass sie ihn bewundern, und das ist in dem Alter wohl eher nicht üblich.


    Jedenfalls führen wir eine interessante Diskussion, die immer wieder Anlaß bietet, die eigene Position neu zu überdenken.


    Liebe Grüße allen Mitlesenden


    Madeleine

  • Hallo Ihr Lieben!


    Ich bin jetzt durch und bin wirklich bis zum Schluss immer wieder auf Sätze gestoßen, die es verdienen, eingerahmt zu werden. Inhaltlich finde ich die Novelle wie gesagt sehr, sehr finster und trostlos.



    Sein fanatisches Schwimmen und Tauchen sehe ich als Kompensation für alle anderen Mängel.


    Kompensation finde ich sehr passend für fast alles, was Mahlke und Pilenz tun. Nicht nur als Kompensation eigener 'Mängel', sondern auch Kompensation der zum Teil fehlenden Familie. Bei Mahlke wird die Beziehung zum Vater ja gegen Schluss noch recht deutlich: Der Vater hat eine Medaille bekommen, vermutlich für die Rettung von Menschen - das könnte ein Auslöser für Mahlke sein, es ihm nachtun zu wollen. Das Perverse an der Geschichte ist ja eigentlich, dass er sich solch eine Medaille längst für die Rettung des Tertianers verdient hätte, die aber mehr unbeachtet und nebenbei abläuft. Pilenz lebt ebenfalls ohne Vater und später zusätzlich in Konkurrenz mit seinem gefallenen Bruder; zumindest am Anfang scheint Mahlke als Vorbild ja auch so eine Art Vaterersatz für ihn zu sein.


    Am interessantesten (und am schaurigsten) finde ich übrigens dieses zwiespältige Verhältnis, das Pilenz zu Mahlke hat. Er selbst schafft es ja eigentlich nie - auch als Erzähler noch nicht - sich darüber wirklich klar zu werden und sich Rechenschaft abzulegen. Neben aller Bewunderung ist da unglaublich viel Destruktivität und auf die eine oder andere Art versucht er immer wieder, Mahlke zu zerstören. So eine richtig befriedigende Erklärung dafür habe ich noch nicht gefunden. - Wie sieht es bei euch aus?


    Noch eine Sache, die sich mir nicht so völlig erschließt, ist die extreme Marienverehrung Mahlkes, die riff-raff ja schon angesprochen hat. Häufig klingt es so, als sei dies auch eine Art Kompensation - für fehlende Verhältnisse zu Frauen. Aber das ist bei Mahlke ja gar nicht wirklich der Fall? :confused:


    Bin gespannt, was bei euch noch so auftaucht während der Lektüre. :winken:

  • Nach leider erst 8 Kapiteln wirkt die Novelle noch nicht so richtig auf mich.


    Einige technische Einzelheiten sind mir auch aufgefallen, ich finde sie aber nicht sehr bedeutend, eher teilweise etwas gezwungen, so wie die unbedingte Vermeidung des Begriffs Ritterkreuz.
    Grass zeigt sich als der Epiker, der er ist. Ganze Kapitel Orts-, Geschichts- und Wegbeschreibung, Mahlke wird in kleinsten Einzelheiten untersucht, die Handlung nur zäh weiter geführt.I st das für eine Novelle angebracht? Soweit ich mich noch an Grasslektüre erinnere war die Naturbeschreibung nie sein Ding, doch lustig kann er sich gut darüber machen, wie sich im Kapitel über den U-Bootkomandantenvortrag zeigt.
    Das soll nicht bedeuten, dass die Form eine langweilige Geschichte ist. Die Figuren werden recht präsent und glaubwürdig, auch mit den grasschen Skurrilitäten. Vieles dürfte auch Erinnern an die eigene Jugend sein. Wer die "...Zwiebel" gelesen hat, wird darauf auch besonders achten.
    Gegen "Das Treffen von Telgte", die andere kurze Geschichte von Grass, die ich gelesen habe, wirkt KuM bis jetzt auf mich mehr als Rückblick auf seine eigene Jugend ohne viel Phantasie, denn als punktgenaue, literarisch kritische Auseinandersetzung mit der Heldenverehrung.


    Er hat aber noch 70 Seiten Zeit, mich zu begeistern ;-)

  • Hallo, Ihr Lieben!


    Beim jetzigen Stand meiner Lektüre muss ich ink-heart recht geben.
    Der Sommer ohne den Großen Mahlke war für Pilenz eigentlich kein Sommer und doch war er froh, dass er nicht da war. So wie Katze und Maus in einem zwanghaften Geschehnisablauf aneinandergekettet sind, gilt dasselbe wohl auch für die beiden Protagonisten.
    Mahlke hat sich freiwillig gemeldet, obwohl er eher verächtlich vom Kriegspielen, von der Überbetonung des Militärischen spricht. Trotzdem laufen sie sich immer wieder über den Weg bzw. erfährt Pilenz über die Verwandtschaft von Mahlkes Einsatz bei den Panzern.
    Der fehlende Vater ist sicher bei Heranwachsenden immer ein Problem, und ich glaube schon, dass Mahlkes extreme Marienverehrung damit zu tun hat. Zumindest habe ich das einmal im Zusammenhang mit der Geistlichkeit irgendwo aufgeschnappt, dass Männer eben in dieser übertriebenen Verehrung der Heiligen Jungfrau der eigenen Mutter unbewußt ein Denkmal setzen, weil man ihr seine Dankbarkeit als richtiger Mann nicht so eindeutig zeigen kann, der Vater aber als Gegenpol und Ausgleich fehlt oder bei Anwesenheit oft auch nicht ernst genommen wird.
    Dass Grass viel aus der eigenen Jugend verarbeitet, ist offensichtlich, aber ich kann mir denken, dass diese Zeit einen jungen Menschen, der in der Ausbildung stand und seine Persönlichkeit ohnehin noch nicht entwickelt hatte, gehörig aus der Bahn werfen konnte. Die Aufarbeitung in literarischer Form bietet auch heute noch Gesprächsstoff.
    Ich bin von der Grass'schen Erzähltechnik auch weiterhin fasziniert. So finde ich die Idee, ein Gerücht in nicht vollständigen Sätzen wiederzugeben, äußerst fantasievoll (der Arbeitsdienstmann Mahlke soll mit der Frau des Oberfeldmeister...).


    Ich habe noch 2 Kapitel vor mir, die ich heute Nachmittag bei einer guten Tasse Kaffee genießen werde.


    Auf weiteren regen Gedankenaustausch freut sich

    Madeleine

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  • Hallo zusammen!


    Lese mit regem Interesse eure Kommentare. Bin jetzt durch mit dem Buch und frage mich, warum keiner von euch das Offensichtlichste anspricht, Mahlkes "Kennzeichen", diesen "fatalen Knorpel", seinen "Hüpfer", sein "Wappentier", die "Maus" ... Natürlich ist Mahlkes riesiger Adamsapfel nur ein vordergründiges Symbol, hinter dem sich was weiss ich nicht was verbirgt. Aber solange ich keine besseren Erklärungen finde, möchte ich mich einfach mal ans Sichtbare halten:


    Da ist ein 14-jähriger Junge im Deutschland der Kriegsjahre, der einen riesigen entstellenden Kehlkopf mit sich rumschleppt unter dem er ungeheuer leidet. Originalton Mahlke: "Konnte mich einfach nicht an das Ding da gewöhnen. Dachte, das ist eine Art Krankheit ..." Um von diesem Kainsmal abzulenken trägt er alles mögliche am Hals: Ketten, Medaillons, einen Schraubenzieher an einem Schnürsenkel ... Später versucht er es mit Krawatten, Schals, überdimensionierten Broschen ... - vergeblich. Alles, um "von einem Leid abzulenken", von einem körperlichen Makel, von dem er glaubt, "keine Schwärze vermag diese ausgewachsene Frucht zu schlucken, jeder sieht ahnt fühlt sie, möchte sie greifen ..." Als ein hochdekorierter ehemaliger Abiturient an die Schule zurückkehrt um einen Vortrag zu halten, "den begehrten Bonbon am Hals", glaubt Mahlke die Lösung zu seinem Dilemma gefunden. Zunächst entmutigt: "Jetzt müssen sie schon vierzig runterholen, wenn sie das Ding haben wollen. Ganz zu Anfang [...] bekamen sie es schon, sobald sie zwanzig - wenn das so weitergeht?", ergreift er die erste sich bietende Gelegenheit und klaut sich seinen Orden einfach. Und zum ersten Mal hat sein Hüpfer "ein genaues Gegengewicht gefunden. Still schlief er unter Haut [..], denn was ihm guttat und sich ausgewogen kreuzte, hatte Vorgeschichte, wurde schon anno achtzehnhundertdreizehn, da man Gold für Eisen gab, vom guten alten Schinkel als Blickfang und mit klassizistischem Formgefühl entworfen."


    Aus unbekannten Gründen aber stellt sich der Dieb selbst und wird prompt von der Schule verwiesen. Er meldet sich freiwillig, arbeitet sich zum Helden hoch und kehrt Jahre später - jetzt "ohne Maus: denn er hatte den besonderen Artikel am Hals" - in seine ehemalige Lehranstalt zurück. Im Triumph, wie er glaubt, sein Makel getilgt, bereit als Vorbild vor versammelter Schulmannschaft ein Referat zu halten. Aber der Direktor zeigt sich unnachsichtig und lässt ihn abblitzen. Was er nicht verkraftet und woran er zerbricht: Selbstmord? Ertrunken? Untergetaucht? ("Wenn dieser Winter doch bald vorbei wäre - ich will wieder tauchen und unter Wasser sein.")


    Eine solche Zusammenfassung des Geschehens lässt natürlich vieles - zu vieles - aussen vor, vor allem auch die Rolle des Erzählers, von Pilenz. Aber momentan fällt mir nicht viel Besseres dazu ein. Zuviele Fragen wirft der Text auf und keine Antworten in Sicht ... -


    Habe bisher viel Gewinn aus euren Gedanken gezogen und bin gespannt, was euch sonst noch so einfällt.


    Gruss


    riff-raff


    P.S.:


    In dem Fall scheint es mir kein Adjektiv, sondern ein Verb zu sein, dessen Personalpronomen (ich) weggekürzt ist.


    Manchmal sehe ich vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr ... Danke! :winken:

  • Lese mit regem Interesse eure Kommentare. Bin jetzt durch mit dem Buch und frage mich, warum keiner von euch das Offensichtlichste anspricht, Mahlkes "Kennzeichen", diesen "fatalen Knorpel", seinen "Hüpfer", sein "Wappentier", die "Maus" ... Natürlich ist Mahlkes riesiger Adamsapfel nur ein vordergründiges Symbol, hinter dem sich was weiss ich nicht was verbirgt.


    Nach dem ich die Geschichte zu Ende gelesen habe, bin ich verblüfft, wie wenig bedeutsam mir die Rolle des Ritterkreuzes vorkommt. Für mich ist der zentrale Punkt in KuM das gesunkene Boot. Alle streben zu diesem Punkt im Meer und nur Mahlke kann es in Besitz nehmen und durch seine Devotionalien im Inneren zu einem Ort der Reinheit, einer jungfräulichen Fruchtblase gestalten, während alle anderen der Möwenmist auf der äußeren Hülle am augenfälligsten ist. Das Leben kommt aus dem Meer und geht wieder dahin zurück, ist ja ein bekanntes Motiv. Die Realität, die Mahlke erlebt, sein Streben nach Anerkennung befriedigt nicht und so zieht er sich zurück an den Ort der im alleine gehört. Ob es der Tod ist oder das ewige Leben, es wäre nicht Grass wenn das nicht offen bliebe.
    Nun Ist KuM in einer bestimmten historischen Situation und bestimmt auch unter dem Eindruck der damaligen Debatte über die Reinheit der Naziorden geschrieben. Eine ironische Kampfschrift, die, aus meiner Sicht, das Spiel mit Bildern zu einer rätselhaften Angelegenheit macht. Wie sehr sich Grass in die katholischen Rituale vertieft hat mich verblüfft, aber die größten Anteile im Text sind ja auch Rückbesinnungen auf seine eigene Jugend.
    Alles in Allem könnte KuM auch ein Romanteil von "Hundejahre" sein. Das Blechkreuz würde dann nicht mehr oder weniger von Bedeutung sein.

  • Hallo zusammen!


    Adamsapfel und Ritterkreuz sehe ich auch als ganz zentrale Symbole, eigentlich schon Leitmotive. Zur Erklärung finde ich vor allem das Alter der Charaktere wichtig. Wir haben hier ja Jungen in der Pubertät, bei denen die Suche nach Anerkennung, Halt, Dazugehören, Sinn und gleichzeitig die Konkurrenz, das Sich-beweisen-Müssen psychologisch sehr glaubhaft ist. Der Adamsapfel zeigt ja, dass Mahlke "erwachsener" ist als die anderen und betont auch dadurch seine Außenseiterrolle. Eigentlich steht er auch für alles andere, wodurch Mahlke sich exponiert, in den Mittelpunkt des Interesses gerät und sein Anderssein wahrnimmt. Das Kreuz soll dieses Anderssein kompensieren, vielleicht auch das Erwachsenwerden über das rein Körperliche hinaus mit Sinn belegen - es ist ja ein typisches Symbol der Anerkennung. Aber (und da steckt auch eine Menge Gesellschaftskritik drin) die Werte und Ziele in dieser Zeit sind eben durchaus fragfürdig; trotzdem identifizieren sich die Jungen damit und scheitern letztlich daran. (Hoffentlich war das jetzt nicht zu wirr; bei der Hitze habe ich momentan Probleme mit der Gedankenordnung. :rollen:)



    Alles in Allem könnte KuM auch ein Romanteil von "Hundejahre" sein. Das Blechkreuz würde dann nicht mehr oder weniger von Bedeutung sein.


    Ursprünglich war es ja wohl so geplant, bis Grass aufgefallen ist, dass es den Gesamteindruck stört und eine eigenständige Novelle ist. Und in der ist das Ritterkreuz schon deshalb nicht wegzudenken, weil sein Diebstahl den zentralen Wendepunkt markiert und die Handlungen in der gesamten zweiten Hälfte bedingt. Als Symbol für die fehlgeleiteten Wertvorstellungen der Gesellschaft und Mahlkes finde ich es absolut notwendig für die Geschichte, und ich könnte mir nur schwer einen adäquaten "Ersatz" vorstellen. Übrigens (und ich weiß, dass die erklärten Gegner durchschaubarer Konstruktionen jetzt schwer seufzen :zwinker:) finde ich den Text genial konstruiert und gerade wegen seiner gelungenen Novellenform sehr eindrucksvoll.

  • Guten Abend allseits!
    Ja, Du hast recht ink-heart, auch für meine Begriffe ein genial konstruierter Text.
    Mir haben die beiden letzten Kapitel besonders gut gefallen, trotz des traurigen Endes, da Mahlke ja nicht mehr auftauchen wollte. Die Szene, in der Mahlke dem Oberstudienrat Klohse auflauert und ihn ohrfeigt, finde ich besonders gelungen. Ob der Humor nun beabsichtigt war oder nicht, ich habe mich jedenfalls köstlich amüsiert.
    Die Verbindung zwischen Adamsapfel und Ritterkreuz sehe ich vielmehr darin, dass Grass dieses Ding, das er nur ganz zum Schluss beim Namen nennt, damit der Lächerlichkeit preisgeben will bzw. herabwürdigt, indem er den Orden mit einem überdimensionalen Adamsapfel eines pubertierenden Jugendlichen gleich stellt, der sich dessen schämt und ihn als Krankheit sieht. Und doch sehnt er sich nach dieser Auszeichnung, die er erst sogar stiehlt und dann im Krieg erwirbt, als sei sie ein Bestandteil seiner Persönlichkeit, wie der Adamsapfel ein Teil seines Körpers ist. Etwas, wofür man sich einerseits schämt und andererseits unbedingt haben will.
    Diese Interpretation ist mir zum Schluss eingefallen. Ob ich damit richtig liege, läßt sich wahrscheinlich, wie so oft in der Literatur, nicht exakt feststellen.
    Die sprachlichen Feinheiten hingegen beeindrucken mich nach wie vor und machten die Lektüre zum Genuss.


    Liebe Grüße


    Madeleine


  • Die Szene, in der Mahlke dem Oberstudienrat Klohse auflauert und ihn ohrfeigt, finde ich besonders gelungen.


    Diese Ohrfeigen habe auch ich als grosse Befriedigung empfunden, nach diesen hässlichen Worten, mit denen er Mahlke hat abblitzen lassen:


    "Viele Leute - lassen Sie sich das gesagt sein - lieben zeit ihres Lebens kostbare Teppiche und sterben dennoch auf rohen Fussbodenbrettern. Lernen Sie verzichten, Mahlke!"


    Es spielt keine Rolle, was für Heldentaten Mahlke zur Erreichung des Ritterkreuzes errungen hat, für Klohse bleibt er weiterhin der dreckige kleine Dieb von einst, für den kein Platz ist unter seinesgleichen. Für mich ist Mahlke ein Getriebener, der nichts lieber möchte als dazu zu gehören, andererseits aber einen viel zu eignen Kopf hat, was ihn unweigerlich zum Aussenseiter prädisponiert. Mit dem Ritterkreuz glaubt er sich einen Platz in der Gesellschaft gesichert zu haben. Das Tragische ist bloss, dass er dazu gegen seine ureigensten Überzeugungen verstossen musste: Er, der sich über das Militär immer lustig gemacht hat und sich "kindisch" vorkommt in seinem Panzer und "viel lieber was Zweckmässiges täte oder was Komisches." Sein toter Vater bekam seine Medaille weil er "das Schlimmste verhüten" konnte, also wohl weil er Leben gerettet hat, Mahlke hingegen für das genaue Gegenteil, für das Auslöschen von Leben. Wie ink-heart bereits vorweggenommen hat, hätte er seine Auszeichnung längst vorher für die Rettung des Tertianer kriegen sollen.



    Auf jeden Fall scheint er sich selbst etwas beweisen zu müssen, vielleicht auch seinem verstorbenen Vater, in dessen Schuhen er ja durchaus symbolträchtig herumläuft.


    Das ist sehr schön ausgedrückt und denke, da steckt viel Wahrheit dahinter.


    Gruss


    riff-raff

  • Liebe KuM- Leser!
    Mit Interesse habe ich Eure Leserunde verfolgt. Ich habe mich nicht aktiv beteiligt, weil ich den Text nicht noch einmal lesen wollte. Angeregt durch Eure vielfältigen Beobachtungen, habe ich es nun aber doch getan und würde gern Eure Einschätzung zu einer wichtigen Textstelle im letzten Kapitel hören , von der noch nicht die Rede war:
    Auf der Überfahrt zum "Kahn" entwirft Mahlke in fragmentarischen Sätzen die Rede, die er im Gymnasium nicht hatte halten dürfen. Er sagt, dass er auch über den persönlichen Einsatz seines Vaters bei dem Eisenbahnunglück bei Dirschau geredet hätte und weiter:" Und wie im August an der Vorskla die Jungfrau. Alle lachten, und den Divisionspfarrer schickten sie mir auf den Hals. Aber dann brachten wir die Front zum Stehen. Wurde leider zum Mittelabschnitt versetzt. Sonst wäre bei Charkow nicht so schnell. Prompt, bei Korosten erschien sie mir wieder, als wir das neunundfünfzigste Korps. Dabei hatte sie nie das Kind , immer das Bild. Wissen Sie , Herr Oberstudienrat, das hängt bei uns auf dem Korridor...Und das hielt sie nicht vor der Brust , sondern tiefer. Ganz deutlich hatte ich die Lokomotive drinnen. Mußte nur zwischen meinem Vater und den Heizer Labuda halten.Vierhundert. Direkter Beschuss. ...Und so war es auch in der Bereitstellung östlich Kasatin. Am dritten Weihnachtstag übrigens. Sie bewegte sich von links gegen das Waldstück in Marschgeschwindigkeit fünfunddreißig. Musste nur draufhalten,draufhalten, drauf."
    Wie seht Ihr das? Marienerscheinungen während der Kampfhandlungen. Maria hält das Bild des Vaters als Zielscheibe - so gelingen die Abschüsse, die Mahlke das Ritterkreuz einbringen?
    Ist das nicht ein bisschen zuviel der Phantasie? Ist das monströser Kitsch, höhere Psychologie oder wie seht Ihr das? Für mich ist das irgendwie schwer erträglich. Pilenz nimmt dannn ja noch das Bild von Mahlkes Vater mit an die Front - als Schützenhilfe?
    Grüße von G.