März 2006: Goethe - Wahlverwandtschaften

  • Hallo!


    Habe soeben die Erzählung "Die wunderlichen Nachbarskinder" gelesen und muss gestehen, dass ich mir von diesem Novellen-Einschub mehr erhofft hatte; irgendwie dachte ich mir, Goethe liefere darin so etwas wie einen Lektüreschlüssel für den Roman, aber jetzt bin ich noch verwirrter als vorher.


    Zwar scheint auch der Hauptmann in der Vergangenheit etwas Ähnliches wie in der Novelle berichtet erlebt zu haben und auch Eduard und Charlotte haben sich schon früh kennen und lieben gelernt und genau wie bei den "wunderlichen Nachbarskinder" war auch ihr Weg bis zur Ehe kein geradliniger... - aber somit sind die Parallelen zwischen Novelle und Roman auch schon erschöpft, wenigstens soweit ich das zu erkennen vermag.


    Der zweite Teil des Romans liest sich weitaus harziger als der erste, der Schreibstil verlangsamt sich und wird ausladender...


    Gruss


    riff-raff

  • Hallo!


    Habe soeben "Die Wahlverwandtschaften" zu Ende gelesen... Aus der Sekundärliteratur war mir das Ende des Romans ja bereits bekannt, so dass mich der Schluss nicht sonderlich überrascht hat. Gefallen hat mir, wie der Erzähler (Goethe) sich jeglicher moralischen Wertung enthält. Zwar bleiben Charlotte und der Hauptmann, welche ihre Leidenschaften zu zügeln vermögen, am Leben und Eduard und Ottilie, die sich von ihren Gefühlen mitreissen lassen, kommen um, aber ich sehe darin mehr ein Zugeständnis an damalige Konventionen als etwas anderes. Dazu passt auch Goethes Antwort an all jene, die sittliche Bedenken gegenüber seinen Roman äusserten:


    "Ich heidnisch? Nun, ich habe doch Gretchen hinrichten und Ottilien verhungern lassen, ist denn das den Leuten nicht christlich genug? Was wollen sie noch Christlicheres?"


    Wenn überhaupt, so scheinen mir Goethes Sympathien eher auf der Seite von Ottilien und Eduard zu liegen, wenn er den Roman mit den Worten enden lässt:


    So ruhen die Liebenden nebeneinander. Friede schwebt über ihrer Stätte, heitere, verwandte Engelsbilder schauen vom Gewölbe auf sie herab, und welch ein freundlicher Augenblick wird es sein, wenn sie dereinst wieder zusammen erwachen.


    Es ist natürlich müssig zu fragen, ob das Unheil hätte verhindert werden können, falls Charlotte nicht so hartnäckig auf die Aufrechterhaltung ihrer Bindung mit Eduard bestanden hätte, einer Ehe, die nur noch auf gesellschaftlichen Konventionen und nicht mehr auf gegenseitige Liebe gründete. Aber auch ohne ihr den schwarzen Peter zuschieben zu wollen, so hat sie das bereits selber gemacht, wenn sie nach dem Tod ihres Kindes spricht:


    Ich fühle recht wohl, dass das Los von mehreren jetzt in meinen Händen liegt; und was ich zu tun habe, ist bei mir ausser Zweifel und bald ausgesprochen. Ich willige in die Scheidung. Ich hätte mich früher dazu entschliessen sollen; durch mein Zaudern, mein Widerstreben habe ich das Kind getötet. Es sind gewisse Dinge, die sich das Schicksal hartnäckig vornimmt. Vergebens, dass Vernunft und Tugend, Pflicht und alles Heilige sich ihm in den Weg stellen: es soll etwas geschehen, was ihm recht ist, was uns nicht recht scheint; und so greift es zuletzt durch, wir mögen uns gebärden, wie wir wollen.


    Die Einsicht kommt leider zu spät - nun ist es Ottilie, die einen Wechsel der Partner nicht mehr gutzuheissen vermag... Ihr Bussweg der Entsagung führt sie in den Tod. Ein Tod freilich, der sie geradewegs in die Gefilde der Heiligen und Seeligen hinaufkatapultiert ("die Himmelfahrt der bösen Lust", wie Friedrich Jacobi das so anzüglich genannt hat). - Wenigstens Bettina von Arnim hätte sich (in ihrem Briefwechsel mit Goethe) für Ottilie auch noch einen anderen Weg der Sühne vorstellen können:


    Ach, wie konnte doch Ottilie [...] sterben wollen? - O ich frage Dich [Goethe]: ist es nicht auch Busse, Glück zu tragen, Glück zu geniessen?


    Gruss


    riff-raff