Beiträge von ink-heart


    Ich habe gerade gesehen, daß das zwei verschiedene Bücher sind. The Surgeon of Crowthorne (US-Titel The Professor and the Madman) ist von 1998; das von dir genannte The Meaning of Everything ist von 2003. (Auf der Wikipedia-Seite über Simon Winchester findet man eine Liste seiner Werke.) Ob es sich lohnt, das zweite Buch über die Entstehung des Oxford English Dictionary auch noch zu lesen? Ist angeblich etwas breiter angelegt bzgl. der Handlung...


    Ui, vielen Dank für die Info. Da habe ich bei Winchester + Dictionary wohl zu schnell geschossen. Und das heißt, dass ich ein ungelesenes Buch mehr im Regal habe, als vorher gedacht. :zwinker:

    Ja, thopas. Warum der deutsche Titel so stark vom englischen abweicht, bleibt ein ewiges Geheimnis der Verlagsfritzen.


    Viele Grüße


    Tom


    Ich glaube, das ist der "amerikanische" Titel - die weichen ja öfter mal ab. :breitgrins:


    Meine (britische) Ausgabe heißt: The Meaning of Everything. The Story of the Oxford English Dictionary - Und ich finde auch, dass es sich lohnt ...

    Endlich habe ich jetzt auch noch einmal den Film gesehen - scheibchenweise - und war vielleicht nicht ganz so überwältigt wie beim ersten Sehen vor vielen Jahren, aber doch beeindruckt.


    Was das ‚Ästhetisierende’ betrifft, hast du natürlich recht, finsbury, andererseits nutzt Conrad einige ähnliche Mittel. Genau wie Bilder der Gewalt im Film stärker und direkter wirken, müssen das auch die ästhetisierten Bilder tun, damit das Gleichgewicht gewahrt bleibt. Grundsätzlich ist so ein Vorgehen schon fragwürdig, aber hier werden Brutalität und das Ausgeliefertsein an urtümliche Triebe dadurch ja eher grotesk hervorgehoben als abgeschwächt. Gerade die Idee, Wagner als Waffe einzusetzen, finde ich genial-grauenhaft, und gerade diese Szene lässt ja einige Aussagen über unsere Zivilisation und ihre Produkte (menschliche wie künstlerische) zu. Vielleicht macht diese Art der Darstellung das Ganze auch überhaupt erst ‚anschaubar’ - auch so grenzt es manchmal noch nahe ans Unerträgliche.


    In erster Linie habe ich den Film wirklich als Literaturverfilmung gesehen und damit wohl wesentlich anders, als hätte ich ihn einfach ‚nur so’ gesehen. Auch das - das Rationalisieren - hat mir das Ansehen etwas erträglicher gemacht. Einiges finde ich grandios umgesetzt, anderes wiederum sehr viel weniger passend als ich es in Erinnerung hatte:


    Ein Glücksgriff ist Brando als Kurtz: gruselig-erschreckend-eindrucksvoll. Auch das Raunende, Geheimnisvolle, vielleicht doch nicht ganz Authentische (?) entspricht in meinen Augen der Vorlage sehr genau. (Die Stimme übrigens gefällt mir in der Synchronisation noch sehr viel besser als im Original.) Ein Gedanke zu Kurtz ist mir noch gekommen: Zu seiner Erkenntnis der tiefsten, wildesten, hässlichsten Schichten des Menschen und zu seiner eigenen absoluten Amoralität passt Kurtz’ Drang zur schönen, eindrucksvollen Rede, dem er bis zuletzt nachgeht, wenig. Ist das ein letzter Versuch, sich anzuklammern, Kontakt zu halten mit den ‚anderen’ und die letzte, absolute Einsamkeit abzuwehren?


    Wenig gelungen ist dagegen der Fotoreporter als Harlekin (im Buch eine wunderbare Figur). Statt eines naiven, unschuldigen und völlig von der normalen Welt losgelösten Fast-Kindes haben wir hier einen nicht mehr ganz frischen und ziemlich durchgeknallten Hippie, der in Kurtz seinen Guru gefunden hat.


    Marlow selbst findet in Willard eine interessante, aber längst nicht immer passende Entsprechung. Anders als im Roman ist Willard bereits vor seiner Reise ein Gezeichneter. Ähnlich wie sein Vorbild wirkt er häufig sehr zurückgenommen und passiv, aber einige Szenen durchbrechen dieses Bild, für die es im Roman keine Entsprechung gibt: Willards ‚Gnadenschuss’ für die verwundete Frau wirkt kaltblütig und gleichzeitig teilnehmender und aktiver (und näher am Charakter Kurtz’) als es der literarische Marlow je ist. Die ‚Schlachtszene’, die durch die Einblendungen der Stierschlachtungen ja auch stark ästhetisiert wird, geht völlig gegen den Charakter Marlows und gegen den Charakter von Conrads Roman. - Gerade dass Marlow trotz aller Einsicht in die menschlichen Abgründe weiterhin den Schein wahrt und die Werte der Zivilisation vertritt, die er als wertlos erkannt hat, hat mich sehr beeindruckt. - Der Film schließt diese Möglichkeit aus; Willard nimmt den Platz von Kurtz ein, mit dessen eigenen Mitteln, allerdings vermutlich mit anderen Motiven, da er ja doch den Heimweg antritt, den es für ihn ja eigentlich nicht mehr gibt.


    Mir geht zwar noch so einiges durch den Kopf (der Film lässt einen nicht so schnell los, finde ich), aber ich lasse es nun doch lieber dabei und sage nochmal herzlichen Dank für die interessante Leserunde. :)


    @ ink-heart, du wirst schon festgestellt haben, dass riff-raff und nicht ich auf den Kontrast Prokurator - Kurtz hingewiesen hat.


    Sorry, da ist mir wohl was verrutscht. Und danke für den Tipp mit der "Wassermusik". Der Roman liegt auf meinem SUB, und vielleicht schaffe ich es ja, ihn in nächster Zeit dazwischenzuschieben - eine Motivation mehr habe ich ja jetzt.



    Nichts war überzeugend, und es schien mir, als ob man über einen geliebten Menschen eigentlich nicht überzeugend reden kann.


    Ich finde, du hast das sehr schön beschrieben. Und wahrscheinlich gilt das nicht nur für Liebe, sondern für alles, was uns im Innersten berührt.

    Ich bin durch. :smile: Obwohl es zwischendurch ja wirklich war wie durch Honig zu laufen, ging es zum Ende hin doch schneller, weil mich Marlows Erkenntnisse und die Figur des Kurtz immer mehr gefesselt haben.



    Conrad scheint eine Schwäche für amoralisch-nihilistische Figuren gehabt zu haben. In seinem "Geheimagenten" spielt bspw. ein Terrorist mit der Bezeichnung "der Professor" eine wichtige Rolle.


    Ich bekomme richtig Lust, noch mehr Conrad zu lesen. Ich kannte früher die meisten Romane und Erzählungen, habe aber fast so viel wieder vergessen wie gelesen. Das einzige, was mir vom Geheimagenten noch in Erinnerung ist, ist, dass ich mich schrecklich geärgert habe, weil der Erzähler immer meinte seine Intentionen noch noch einmal extra deutlich erklären zu müssen - da bin ich allergisch. Marlow wandert in dieser Hinsicht ja auch manchmal auf einem schmalen Grat, aber seine Sprachlosigkeit vor seinen Erkenntnissen und die doppelt gebrochene Erzählsituation retten das Ganze zum Glück.


    Erstaunlich finde ich es, dass sich bis zu einem bestimmten Punkt trotz aller Düsternis und allem Bedrückenden nicht nur Sarkasmus, sondern auch echter (wenn auch schwarzer) Humor findet. Die Stelle, an der Marlow überlegt, wie unappetitlich seine Mitreisenden aussehen, und hofft, dass das bei ihm nicht auch der Fall ist, fand ich köstlich. Großartig auch die Ironie, dass ausgerechnet die Kannibalen die einzigen sind, die unter äußerstem Druck Selbstbeherrschung zeigen, deren Quelle unverständlich bleibt für Marlow und für den Leser.


    Kurtz habe ich besser verstanden als beim ersten Lesen, glaube ich. Als jemand, der in der Lage war, an einfach alles zu glauben, ist er prädestiniert für seine nihilistische Erkenntnis. Dauerhafte, unverbrüchliche Ideale setzen ja durchaus eine gewisse Beschränktheit voraus, schützen aber eben auch vor dem Nichts, dem Kurtz sich letztlich stellt. Vielleicht kann Marlow seinen berühmten letzten Ausruf deswegen als "Sieg" deuten, aber als einen unglaublich finsteren.


    Marlow selbst hat kurze Momente der nihilistischen Erkenntnis gehabt, er glaubt Kurtz und seine Entwicklung zu verstehen, trotzdem nimmt er nicht denselben Weg. Obwohl er weiß, dass sie aufgesetzt und nicht von Dauer sind, akzeptiert er weiterhin die geltenden Werte. Eigentlich noch finsterer als das, was Kurtz geschieht, oder? Deutlich wird das in der Szene mit der "Intended" (Verlobten?), der er durch seine Lüge die Illusion und damit die einzige Lebensgrundlage bewahrt. Seine eigene Haltung, das Mitgefühl, das er zeigt, gehört natürlich ebenso zu den Werten, die er als illusorisch erkannt haben muss und trotzdem verficht ...


    Jetzt bin ich gespannt auf die Coppola-Verfilmung, an die ich mich ebenfalls kaum noch in Einzelheiten erinnere. (Manchmal frage ich mich wirklich, warum ich lese und Filme sehe, wenn ich das meiste so gründlich wieder vergesse. :rollen:)

    Hallo!



    Mit dem Prokuristen, den ich als Gegenentwurf zu Kurtz bezeichnete, meine ich nicht den "manager" (bei Göske als "Direktor" übersetzt und bei Zeitz als "Manager) , sondern jene Person, die im Original als "chief accountant" bezeichnet wird:


    Danke für die Klärung, riff-raff und SirThomas. Hätte ich mir ja wohl eigentlich selber denken können. :roll: :schulterzuck: Was den Prokuristen betrifft, möchte ich dir aber doch noch einmal widersprechen, riff-raff (auch wenn ich noch nicht so weit gekommen bin, dass ein Vergleich mit Kurtz wirklich möglich wäre):



    Man kann sich dieser Unermesslichkeit, die einen umgibt, hingeben und dabei in Kauf nehmen, sich selbst zu verlieren (wie es letztlich mit Kurtz geschieht) oder man blendet die bedrohliche Fremdheit einfach aus, hält stur an seine Gewohnheiten und Alltagsroutinen fest, wie es der Prokurist der Handelsgesellschaft macht. Man könnte Marlows hochachtungsvolle Worte angesichts dessen gestärkten Kragen und weissen Manschetten als Ironie missdeuten, aber ich denke, er meint es wirklich ernst, wenn er behauptet, ihn zu respektieren:


    Ja. Ich respektierte seinen Kragen, seine breiten Manschetten, sein gebürstetes Haar. Er sah aus wie die Schaufensterpuppe eines Frisörs, doch dem grossen Sittenverfall des Landes zum Trotz wahrte er den Schein. Das ist Rückgrat. Seine gestärkten Kragen und die makellose Hemdbrust waren Errungenschaften, die von Charakterstärke zeugten. Er war seit fast drei Jahren hier draussen [...]


    In meinen Augen ist das geballte Ironie - zugegeben, vielleicht nicht von Marlow, der ja durchaus seine Beschränkungen hat, ganz gewiss aber von Conrad. Viel eher als respektabel wirkt dieser Mensch doch völlig grotesk und deplaziert. Eine zivilisierte Umgebung - wenn auch nur eine völlig illusionäre - ist für ihn lebensnotwendig. Seine Hemdbrust und der gestärkte Kragen sind ebensowenig wie die von Marlow bewunderte Tüchtigkeit ein Zeichen von Charakter, sondern im Gegenteil die einzigen Mittel, um den Anschein von Charakterstärke wahren zu können. Er weigert sich einfach, die unzivilisierte und raue Realität seiner Umgebung zur Kenntnis zu nehmen und wird dadurch völlig gleichgültig und inhuman, wie sich an seinem Verhalten und seinen Äußerungen zeigt, als der Kranke in seine Hütte gelegt wird.


    Im zweiten Teil sagt Marlow: When you have to attend to things of that sort (gemeint sind die Arbeiten am und auf dem Schiff), to the mere incidents of the surface, the reality - the reality, I tell you - fades. The inner truth is hidden - luckily, luckily. Nur Beschäftigung mit Äußerlichkeiten, Oberflächlichkeiten kann also vor der abschließenden 'inneren' Wahrheit bewahren - bei Marlow ist es die Arbeit, beim Prokuristen der Hemdkragen. Der Unterschied zwischen beiden liegt darin, dass Marlow sich seine Humanität bewahrt, obgleich er ja durchaus auch sehr passive Züge hat, in denen das scheinbare Phlegma des Prokuristen anklingt.


    Dazu noch ein Zitat (entschuldigt bitte, dass es immer englisch ist, aber ich habe keine Übersetzung hier, und eine spontane eigene scheue ich mich euch zuzumuten :zwinker:):
    ... it occured to me that my speech or my silence, indeed any action of mine, would be a mere futility. What did it matter what anyone knew or ignored? What did it matter who was manager?
    Das ist doch der pure Nihilismus. Alles ist sinnlos, nichts ist von wirklichem Wert. Für Marlow ist das nur ein kurzer Moment der Erkenntnis, bevor er sich wieder an die Oberfläche rettet und sich auf seine Tätigkeiten konzentriert. Was passiert aber mit jemandem, dem das nicht gelingt? Wenn ich mich richtig an meine erste Lektüre erinnere, gibt Kurtz' Entwicklung eine Antwort hierauf. Völlig spekulativ/provozierend in die Runde geworfen: Vielleicht zeugt es ja von mehr Charakterstärke, dem Nichts ins Auge zu sehen und darüber wahnsinnig zu werden, als sich Hilfskonstruktionen zu bauen und die Wahrheit auf diese Weise immer wieder abzuwehren?

    Ich hinke euch ein wenig hinterher, verfolge eure Anmerkungen aber mit Spannung. Den ersten Teil habe ich jetzt zuende gelesen und werde mich gleich an den zweiten begeben.


    Interessant fand ich bisher: Schon lange, bevor Marlows Reise tatsächlich beginnt, gibt es eine Menge Vorausdeutungen über das, was er erleben wird: die Informationen über seinen Vorgänger, den sanften Kapitän Fresleven, der wegen einer Nichtigkeit (zweier schwarzer Hennen) einen Eingeborenen brutal angreift und getötet wird, die zwei mit schwarzer Wolle strickenden Frauen - Schicksalsgöttinnen offensichtlich - und Marlows eigene Vorahnungen.


    Die ersten Erlebnisse in Afrika finde ich eindrucksvoll geschildert und mit erstaunlich viel schwarzem Humor: "I felt I was becoming scientifically interesting." Richtig unheimlich, gerade weil er so normal und hohl ist, ist der Manager (Prokurist in der deutschen Übersetzung?), genauso wie sein "Spion". @ finsbury: Auf die Hohlheit des Managers wird sehr ausdrücklich hingewiesen, daher kann ich ihn bisher nicht als Gegenentwurf zu Kurtz sehen.


    Ebenso ist interessant, dass die Unzulänglichkeiten der Sprache immer wieder von Marlow thematisiert werden, dass er immer wieder deutlich macht, dass er in dieser Hinsicht an seine Grenzen stößt. Auch die erste Parallele zwischen Kurtz und Marlow klingt an: Für letzteren ist Kurtz nur ein Wort; er selbst aber ist, wie sich eine knappe Seite später herausstellt, für seine Zuhörer nur eine Stimme.

    Hallo! :winken:


    Etwas verspätet stoße ich auch noch zu eurer Runde. Ich habe "Heart of Darkness" vor ungefähr zwanzig Jahren gelesen und fand es damals sehr interessant und herausfordernd. Da sich Wahrnehmung und Geschmack in so einem Zeitraum ja doch sehr ändern können, bin ich gespannt, wie ich es jetzt lese.


    Bisher habe ich nur die ersten Seiten, bis zum eigentlichen Beginn von Marlows Erzählung, geschafft. Zwei Dinge sind mir dabei besonders ins Auge gefallen: einmal, wie Marlows Geschichte eingeleitet wird:


    we knew we were fated [...] to hear about one of Marlow's inconclusive (!) (ergebnislosen? wenig überzeugenden? Was steht in euren Übersetzungen?) experiences.


    Ich stimme euch darin zu, dass Conrad den Kononialismus für seine Zeit erstaunlich kritisch sieht. Allerdings ist da eine Bemerkung Marlows, der ja anscheinend eine Art Sprachrohr Conrads ist, die ich ziemlich schwer verdaulich finde:


    What redeems it [the conquest of the earth] is the idea only. An idea at the back of it; not a sentimental pretence but an idea; and an unselfish belief in the idea - something you can set up, and bow down before, and offer a sacrifice to ...


    Das ist so schwammig formuliert, dass es fast jeder zu seiner Rechtfertigung von fast allem nutzen könnte - und so geschieht es ja auch bis heute. Den annäherend aufklärerischen Gestus, der sonst so manchmal aufscheint, lässt Conrad hier völlig vermissen.

    Hallo zusammen! :smile:


    Wegen Urlaub und danach Post-Urlaubs-Stress erst jetzt die Anmerkungen aus Günthers Essay. Vielleicht interessiert es euch ja trotzdem noch.


    Dann bin ich mal gespannt; nur her damit :winken:


    Günther liest das Drama - etwas überspitzt gesagt - als ein Werk über Sprache, eigentlich sogar ein sprachkritisches Werk. Dass man mit Sprache lügen kann und im Schweigen wahrhaftiger sein kann als im Sprechen, wird ja schon ganz am Anfang, im Gespräch Lears mit seinen Töchtern, deutlich. Aber Sprache wird noch in vielen anderen Szenen reflektiert, z. B. von Edmund, der über die Bedeutung des Wortes "Bastard" nachdenkt und klarmacht, dass Sprache etwas sehr Subjektives ist und die eigene Weltsicht spiegelt - und natürlich auch, dass man mit ihr bewusst täuschen kann. Die täuschende, ehrliche oder verweigerte Sprache ihrerseits schafft harte Fakten: Lear verstößt Cordelia, Gloucester Edgar. Kent behauptet, wer klug sei, sage wenig. Er selbst aber, der eigentlich allzu (?) Ehrliche, setzt sich eine Maske auf, verstellt sich auch mit Hilfe der Sprache. Unehrliche Sprache kann also gut und böse sein, ehrliche auch - Fazit: Auf die Sprache ist kein Verlass. Ein weiteres Beispiel dafür ist der Narr, der nur durch 'unvernünftige' Sprache die vernünftige Sicht der Dinge offenbar macht.


    Am Beispiel Lears wird nach Günther außerdem eine Art Sprachzerfall deutlich gemacht. Während der König sich anfangs noch sehr pompös und zeremoniell äußert, verfällt er nach und nach in ein emotionales Sprachchaos, im späteren Stadium mit (scheinbar) schwer nachvollziehbaren Assoziationssprüngen. Irgendwann meint Lear, die Sprache demaskiert und das 'Ding an sich' erkannt zu haben; was das ist, kann er allerdings sprachlich nicht mehr mitteilen ...


    Vermutlich habe ich die Thesen (ungefähr 20 Seiten) damit sehr unzulänglich zusammengefasst. Ich hoffe, ihr habt trotzdem einen Eindruck von diesem interessanten Ansatz. Frank Günther hat inzwischen unglaublich viele Shakespeare-Dramen übertragen, und ich denke, ich werde mir noch einige der zweisprachigen Ausgaben zulegen. Die Teile, die ich genauer auf Deutsch gelesen habe, schienen mir sehr bedacht (und manchmal mutig) übersetzt, und wie gesagt lohnt in meinen Augen allein der Essay diese Ausgabe.


    :winken:

    Hallo, ihr Lieben!


    Herzlichen Dank, thopas; das hilft mir sehr weiter und passt für die Stellen, die ich beim Nochmaldurchblättern zusammengesucht habe (grrr, man sollte doch immer gleich Notizen machen), wie die Faust aufs Auge.


    Ich bin inzwischen durch mit "Lear" und habe ihn bis zum Schluss vor allem der interessanten Sprache wegen gerne gelesen. Inhaltlich frage ich mich schon, ob dieses Drama uns heute eigentlich noch so viel zu bieten hat. Lears Erkenntnisprozess im Wahnsinn ist sicherlich gut und zum Teil auch anrührend dargestellt. Insgesamt werden in diesem Drama aber doch sein absoluter Machtanspruch (den er ja eigentlich selbst aufgegeben hatte) und absolut autoritäre Strukturen in allen Bereichen verteidigt. Cordelia empfinde ich dementsprechend auch als ziemlich blasse Figur; die Schwestern, so gemein und unsympathisch sie dargestellt sind, werden mir in vielem nachvollziehbarer.


    Die zweisprachige dtv-Ausgabe enthält übrigens einen ziemlich gelungenen Essay des Übersetzers über Sprachreflexion im "Lear". Daraus würde ich gerne nochmal ein bis zwei Thesen in die Runde werfen, wenn ihr ausgelesen habt.


    Liebe Grüße :winken:

    Hallo zusammen! :winken:


    Ich habe inzwischen den dritten Akt des Dramas beendet und es gefällt mir nach wie vor gut, vor allem wegen seiner Kraft, die weder inhaltlich noch sprachlich vor Extremen zurückscheut. Die intriganten Charaktere, allen voran Edmund, sind allein durch ihre eigenen Aussagen schon so gekennzeichnet, dass man nur Abscheu empfinden kann. Als sehr drastisch habe ich auch die Behandlung des armen Gloucester durch Cornwall und Regan empfunden ("Out, vile jelly!" *schauder*), und das, obwohl es so gut wie keine Regieanweisungen gibt. Der Dialog spricht in der Tat für sich selbst (das können viele Dramen nicht von sich behaupten), und trotzdem bleibt ziemlich viel Freiheit für eine Umsetzung auf der Bühne.


    Ebenfalls sehr eindrucksvoll finde ich die Wandlung Lears, wie er im dritten Akt auf Edgar-Tom reagiert und sich auf einmal seiner eigenen früheren Versäumnisse bewusst wird:
    Poor naked wretches, whereso'er you are,
    That bide the pelting of this pitiless storm,
    How shall your houseless heads and unfed sides,
    Your loop'd and window'd raggedness, defend you
    From seasons such as these? O! I have ta'en
    Too little care of this. Take physic, Pomp;
    Expose thyself to feel what wretches feel,
    That thou mayst shake the superflux to them,
    And show the Heavens more just.


    Aufgefallen ist mir auch (ich habe nicht viel Shakespeare-Erfahrung; deshalb war es für mich eher unerwartet), dass der allergrößte Teil des Dramas in Prosa geschrieben ist. Nur Lear und der Narr sprechen jeweils einiges in Versen. Hierbei wüsste ich gerne mehr zu der Aussprache zu dieser Zeit. Die Reime legen nahe, dass sie zum Teil deutlich anders sein muss als heute. Hat jemand einen Tipp, wo ich mehr darüber herausfinden kann?


    Liebe Grüße und fröhliches Weiterlesen! :smile:

    Hallo zusammen!



    Bitte vergesst nicht: Lear ist König, was im alten Britannien (und nicht nur dort) bedeutete, dass er unmittelbar unter dem lieben Gott logierte. Die Hybris gegenüber den Töchtern und dem Earl of Kent wurzelt in dem Glauben, unfehlbar zu sein. Wenn seine Entscheidungen und Handlungen für Außenstehende nicht nachvollziehbar sind, beruft er sich einfach auf seine göttliche Legitimation, was jede weitere Diskussion erübrigt. Auch ist Lear natürlich nicht der moderne, auf das Wohl seiner Töchter achtende und liebende Vater, sondern in erster Linie ein Monarch, der den Fortbestand seiner Herrscherlinie sichern möchte und sichern muss.


    Da hast du natürlich recht. Trotzdem (oder gerade deswegen) finde ich sein Handeln eher überraschend und nicht aus einer vorausgegangenen Handlung motiviert. Immerhin gibt er seine Macht und sein Königreich ab. Darüber wundere nicht nur ich mich, sondern auch alle Charaktere im Stück. Erklären kann ich mir die fehlende 'Vorgeschichte' natürlich schon: Shakespeare legt hier ganz offensichtlich andere Schwerpunkte und für das Thema des Stückes ist dieses hier eben der benötigte Ausgangspunkt, nicht eine erklärungsbedürftige Entwicklung. Ich habe wohl eher meine eigenen (literarischen) Präferenzen geäußert: Ich mag es einfach, wenn man innere Entwicklungen literarisch nachvollziehen kann. Das ist hier nur sehr bedingt möglich.


    Ich bin inzwischen in der Mitte des zweiten Aktes gelandet. Das Lesen macht mir Spaß, die Sprache gefällt mir sehr, besonders dort, wo sie richtig 'saftig' wird, z. B. als Kent zu und über Oswald redet. Was für ein Erfindungsreichtum! Ich wünschte, der würde sich in den heutigen alltagssprachlichen, meist sehr unkreativen Beschimpfungen ein wenig niederschlagen. :breitgrins: Ansonsten bin ich bisher häufig an ein Grimm'sches (?) Märchen erinnert, in dem die dritte Königstochter ihrem Vater sagt, sie liebe ihn so sehr wie das Salz, und daraufhin verbannt wird. Später merkt er natürlich, dass Salz viel wichtiger ist als Gold und alles, was die beiden anderen Töchter noch so genannt haben mögen. Vermutlich wird es eine ähnliche Entwicklung (ohne Märchen-Happy-end) hier auch noch geben ...

    Hallo Gontscharow!


    Dass du die Novelle doch nochmal gelesen hast, finde ich klasse. :smile: Und die Textstelle, die du zitierst, ist wirklich interessant. Kitsch wäre sie in meinen Augen nur dann, wenn Mahlke hier ein Sprachrohr seines Autors wäre - was er aber nicht ist. Grass stellt ihn ja als suchenden und gerade in der zweiten Hälfte des Buches auch fehlgeleiteten Jugendlichen dar. In der ganzen Novelle hat die Marienverehrung Mahlkes ja ziemlich deutlich erotische Untertöne: In der Kirche sieht er ihr (die dort ohne Kind steht) auf den Bauch, Pilenz erwähnt seinen begehrenden Blick, er erzählt Pilenz er werde wegen der Jungfrau nie heiraten. Wenn man das alles zusammennimmt, kann man seine Schilderung auch als halluzinierte Vergewaltigung lesen (Schießwerkzeuge werden ja allgemein ziemlich häufig als Phallussymbole bemüht). Inwieweit sein Erfolg und diese Vorstellung miteinander zusammenhängen kann ich auch nicht sagen. Ich würde aber behaupten wollen, dass das sehr viel eher psychologisch, vielleicht als eine Art Selbstsuggestion von Potenz, als religiös zu begründen ist. Überhaupt ist die ganze Novelle in meinen Augen eher religionskritisch. Dafür spricht z. B. die Anpassung Gusewskis an die herrschenden Normen (die Namensänderung), seine scheinbar am Rande erwähnten homoerotischen Übergriffe und nicht zuletzt das Ritterkreuz.


    Warum Pilenz das Bild mit an die Front nimmt? Wahrscheinlich weil er von Mahlke nicht loskommt, ihm immer noch versucht nachzueifern, ohne es eigentlich zu wollen. Die Tragik bei Pilenz sehe ich vor allem in seiner Nicht-Entwicklung. Nichts von dem Geschehenen bringt ihn auch nur einen Schritt weiter. Auch als Erzähler, (fünfzehn?) Jahre nach den geschilderten Ereignissen, hat er es noch nicht fertiggebracht, eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln.


    Liebe Grüße :winken:
    ink-heart

    Hallo zusammen!


    Adamsapfel und Ritterkreuz sehe ich auch als ganz zentrale Symbole, eigentlich schon Leitmotive. Zur Erklärung finde ich vor allem das Alter der Charaktere wichtig. Wir haben hier ja Jungen in der Pubertät, bei denen die Suche nach Anerkennung, Halt, Dazugehören, Sinn und gleichzeitig die Konkurrenz, das Sich-beweisen-Müssen psychologisch sehr glaubhaft ist. Der Adamsapfel zeigt ja, dass Mahlke "erwachsener" ist als die anderen und betont auch dadurch seine Außenseiterrolle. Eigentlich steht er auch für alles andere, wodurch Mahlke sich exponiert, in den Mittelpunkt des Interesses gerät und sein Anderssein wahrnimmt. Das Kreuz soll dieses Anderssein kompensieren, vielleicht auch das Erwachsenwerden über das rein Körperliche hinaus mit Sinn belegen - es ist ja ein typisches Symbol der Anerkennung. Aber (und da steckt auch eine Menge Gesellschaftskritik drin) die Werte und Ziele in dieser Zeit sind eben durchaus fragfürdig; trotzdem identifizieren sich die Jungen damit und scheitern letztlich daran. (Hoffentlich war das jetzt nicht zu wirr; bei der Hitze habe ich momentan Probleme mit der Gedankenordnung. :rollen:)



    Alles in Allem könnte KuM auch ein Romanteil von "Hundejahre" sein. Das Blechkreuz würde dann nicht mehr oder weniger von Bedeutung sein.


    Ursprünglich war es ja wohl so geplant, bis Grass aufgefallen ist, dass es den Gesamteindruck stört und eine eigenständige Novelle ist. Und in der ist das Ritterkreuz schon deshalb nicht wegzudenken, weil sein Diebstahl den zentralen Wendepunkt markiert und die Handlungen in der gesamten zweiten Hälfte bedingt. Als Symbol für die fehlgeleiteten Wertvorstellungen der Gesellschaft und Mahlkes finde ich es absolut notwendig für die Geschichte, und ich könnte mir nur schwer einen adäquaten "Ersatz" vorstellen. Übrigens (und ich weiß, dass die erklärten Gegner durchschaubarer Konstruktionen jetzt schwer seufzen :zwinker:) finde ich den Text genial konstruiert und gerade wegen seiner gelungenen Novellenform sehr eindrucksvoll.

    Hallo! :winken:


    Ich habe auch die erste Szene gelesen (mache aber nachher noch weiter) und kann mich Telemachos soweit anschließen. Diesen Anfang finde ich erstaunlich unvermittelt - hier geht's ja gleich richtig zur Sache - und irgendwie auch psychologisch unmotiviert. So ein bisschen mehr über Lears vorangegangene Entwicklung hätte ich gerne erfahren; puren Altersstarrsinn finde ich ein bisschen dünn.


    Übrigens finde ich die englische Fassung ziemlich gut zu lesen und werfe nur ab und zu mal einen Blick in die beiden Übersetzungen. Alle Fußnoten lasse ich beim ersten Durchgang weg - es sei denn, wir diskutieren uns irgendwo fest. :zwinker:

    Hallo! :winken:


    Für mich ist dieses eine Erstlektüre und ich bin schon sehr gespannt. Ich habe hier eine kompilierte Version (Arden) und eine Folioversion (Cambridge) mit Quarto-Ergänzungen im Anhang, außerdem Übersetzungen von Erich Fried und Frank Günther, in die ich öfter mal einen Blick werfen werde (Übersetzungen finde ich spannend :zwinker:). Auf welche Ausgabe ich mich einschieße, weiß ich noch nicht. Ich werde erst mal ein bisschen hin- und herlesen - kann also etwas länger dauern, bis ich in Schwung komme.

    Hallo Ihr Lieben!


    Ich bin jetzt durch und bin wirklich bis zum Schluss immer wieder auf Sätze gestoßen, die es verdienen, eingerahmt zu werden. Inhaltlich finde ich die Novelle wie gesagt sehr, sehr finster und trostlos.



    Sein fanatisches Schwimmen und Tauchen sehe ich als Kompensation für alle anderen Mängel.


    Kompensation finde ich sehr passend für fast alles, was Mahlke und Pilenz tun. Nicht nur als Kompensation eigener 'Mängel', sondern auch Kompensation der zum Teil fehlenden Familie. Bei Mahlke wird die Beziehung zum Vater ja gegen Schluss noch recht deutlich: Der Vater hat eine Medaille bekommen, vermutlich für die Rettung von Menschen - das könnte ein Auslöser für Mahlke sein, es ihm nachtun zu wollen. Das Perverse an der Geschichte ist ja eigentlich, dass er sich solch eine Medaille längst für die Rettung des Tertianers verdient hätte, die aber mehr unbeachtet und nebenbei abläuft. Pilenz lebt ebenfalls ohne Vater und später zusätzlich in Konkurrenz mit seinem gefallenen Bruder; zumindest am Anfang scheint Mahlke als Vorbild ja auch so eine Art Vaterersatz für ihn zu sein.


    Am interessantesten (und am schaurigsten) finde ich übrigens dieses zwiespältige Verhältnis, das Pilenz zu Mahlke hat. Er selbst schafft es ja eigentlich nie - auch als Erzähler noch nicht - sich darüber wirklich klar zu werden und sich Rechenschaft abzulegen. Neben aller Bewunderung ist da unglaublich viel Destruktivität und auf die eine oder andere Art versucht er immer wieder, Mahlke zu zerstören. So eine richtig befriedigende Erklärung dafür habe ich noch nicht gefunden. - Wie sieht es bei euch aus?


    Noch eine Sache, die sich mir nicht so völlig erschließt, ist die extreme Marienverehrung Mahlkes, die riff-raff ja schon angesprochen hat. Häufig klingt es so, als sei dies auch eine Art Kompensation - für fehlende Verhältnisse zu Frauen. Aber das ist bei Mahlke ja gar nicht wirklich der Fall? :confused:


    Bin gespannt, was bei euch noch so auftaucht während der Lektüre. :winken:

    Hallo zusammen!


    Ich habe jetzt so ungefähr zwei Drittel gelesen (etwa so weit wie Madeleine) und finde es nach wie vor richtig gut gemacht, inhaltlich allerdings auch zunehmend deprimierend. Sowohl Pilenz als auch Mahlke scheinen völlig in sich gefangen zu sein, unfähig über die Dinge, die für sie wesentlich sind, miteinander oder mit anderen zu kommunizieren. Das Geschehen wirkt auf mich schicksalhaft, so als gäbe es gar keine Möglichkeiten, etwas auszurichten gegen die inneren Kräfte und Zwänge, denen die beiden ausgesetzt sind.



    Für mich ist aus dem nach Anerkennung suchenden Joachim Mahlke inzwischen eine von den anderen Jungen bewunderte Figur geworden. Ich bin mir aber noch nicht klar darüber, ob er diese Bewunderung braucht (schließlich agiert er hauptsächlich vor Publikum), oder ob er nicht schon recht unabhängig davon ist. Seit er besser schwimmen und tauchen kann als die anderen, muss er ja niemandem mehr etwas beweisen. Er kann sich auf Grund seiner Fähigkeiten im U-Boot einen Raum einrichten, wo ihm niemand hin folgen kann und auch von seiner Potenz sind die anderen Jungen ausreichend überzeugt worden.


    Die Sache mit der Bewunderung sehe ich nicht so eindeutig. Die Gruppe bleibt Mahlke gegenüber doch zumindest ambivalent; häufig genug spotten sie ja noch über ihn oder Pilenz äußert Ablehnung/Verachtung. Was Mahlke eigentlich antreibt, ist mir auch nicht so ganz klar: Vielleicht doch noch der Wunsch dazuzugehören (denn das tut er nach wie vor nicht)? Auf jeden Fall scheint er sich selbst etwas beweisen zu müssen, vielleicht auch seinem verstorbenen Vater, in dessen Schuhen er ja durchaus symbolträchtig herumläuft. Auf jeden Fall zeigt er nicht, dass/ob er von der Bewunderung der anderen abhängig ist, und das ist es ja wohl, was Pilenz so mitnimmt. Pilenz ist in meinen Augen mindestens genauso eine tragische Figur wie Mahlke, er kämpft ganz genauso verbissen und besessen, nur um ein anderes Ziel, nämlich von Mahlke gebraucht zu werden.



    Dass er dem in der Schule vortragenden Kapitänleutnant keinen Beifall zollt, ihm sogar während der Turnstunde den Orden stiehlt und unter seiner Krawatte aus der Schule schmuggelt, ist für mich ebenfalls ein Zeichen seines eigenständigen Denkens, seiner Meinungsbildung über die Ereignisse der Zeit (hier werden weniger Gutgesinnte abermals von "Inszenierung" sprechen).


    Meinst du damit, dass der Diebstahl so eine Art politische Meinungsäußerung ist? Das denke ich eher nicht. Das Ritterkreuz scheint eher ein Ziel von Mahlke selbst zu sein. Bei der ersten Rede ist er ja völlig mitgenommen, weil man dafür nun "schon vierzig" Flugzeuge abschießen muss. Ich glaube, er will es einfach besitzen und der Diebstahl geschieht dann wahrscheinlich eher unreflektiert.


    :winken:

    Hallo! :winken:



    Ganz allgemein merke ich, dass ich einen Text im Rahmen einer Leserunde viel genauer und intensiver lese als bloss für mich alleine.


    Die Liste spricht deutlich dafür. :zwinker:



    Zweimal wendet sich der Ich-Erzähler statt an den Leser direkt an Mahlke selbst: "Ich aber, der ich Deine Maus einer und allen Katzen in den Blick brachte ..." und später: "Wenn immer ich vorm Altar diente, sogar während der Stufengebete, versuchte ich, Dich aus verschiedenen Gründen im Auge zu behalten: aber Du wolltes es wohl nicht darauf ankommen lassen ..."


    Ja, und ganz häufig wird (auch in späteren Kapiteln noch) von der Er- in die Du-Form gewechselt, häufig im selben Satz. Genau wie einige der langen Sätze, die nicht so genau zu wissen scheinen, wohin sie führen sollen, ist das eine gute Spiegelung des Zustands von Pilenz, finde ich, der ja auch nicht so genau weiß ob er Mahlke lächerlich oder göttlich finden soll, ob er sich vor ihm oder vor sich selbst rechtfertigt usw. Mein Lieblingssatz bisher, aus dem vierten Kapitel: ... und ich verspürte eine Art sahnebonbonsüßen Stolz auf Joachim Mahlke und hätte Dir gerne meine Armbanduhr geschenkt.



    "Ein etwa dreijähriger Balg", der "monton hölzern auf eine Kinderblechtrommel" schlägt. Soll das eine Anspielung auf "Die Blechtrommel" sein? Habe das Buch leider nocht nicht gelesen.


    Ja, das ist Oskar Matzerath, der auch später in der Erzählung noch ein- oder zweimal kurz auftaucht. Übrigens kommen auch einige der anderen Figuren in den Romanen, z. B. "Hundejahre", wieder vor. Ich glaube, der bonbonlutschende Brunies war unter anderem dabei (ist aber schon ziemlich lange her, dass ich es gelesen habe).



    Zum Schluss noch eine Frage: Als Mahlke in der Kirchenbank sitzt (S. 19 unten bei meiner Ausgabe) heisst es, er ziele sein Gebet "mit offenen, glaube, hellgrauen [...] Augen in Richtung Jungfrau, Marienaltar." "Glaube" als Substantiv versteht wohl jeder, aber als Adjektiv, wie es im vorliegenden Fall gebraucht zu werden scheint, ist es mir noch nie untergekommen. Meint Grass damit einfach nur "gläubig"?


    In dem Fall scheint es mir kein Adjektiv, sondern ein Verb zu sein, dessen Personalpronomen (ich) weggekürzt ist.


    Viel Spaß beim Weiterlesen! Ich werde nachher noch ein paar Kapitel nachlegen, damit ich Dienstag "King Lear" anfangen kann. :winken: