August 2008 - J. Conrad: Herz der Finsternis

  • Hallo zusammen!


    Es scheint da zu Missverständnissen gekommen zu sein, da hier einige das englische Original und andere die deutsche Übersetzung lesen ...


    Mit dem Prokuristen, den ich als Gegenentwurf zu Kurtz bezeichnete, meine ich nicht den "manager" (bei Göske als "Direktor" übersetzt und bei Zeitz als "Manager) , sondern jene Person, die im Original als "chief accountant" bezeichnet wird:


    [...] near the buildings I met a white man, in such an unexpected elegance of get-up that in the first moment I took him for a sort of vision. [...] I shook hands with this miracle, and I learned he was the Company's chief accountant, and that all the book-keeping was done at this station.


    Gruss


    riff-raff


  • Was erfahren wir über Kurtz? Er wird verehrt, zunächst nur von seinen eigenen Leuten [...]später auch von den Eingeborenen [...] Kurtz lässt sich anbeten. In archaischen Riten werden ihm Menschen geopfert (die abgeschlagenen Köpfe auf den Pfählen rund um das Haus lassen dies ahnen), vermutlich auch verspeist. Ob Kurtz aktiv an diesen barbarischen Handlungen teilnimmt, bleibt unklar.[...] so wie Kurtz als Figur sehr schemenhaft bleibt, ein Phantom des Urwalds.


    Hallo Sir Thomas,


    eben weil Kurtz im Buch so wenig fassbar bleibt und seine Taten im Dschungel nur angedeutet werden, frage ich mich, wie das in Coppolas Verfilmung (Apocalypse Now) umgesetzt wurde. Filme neigen ja (wohl notgedrungen) dazu, ihre literarischen Vorlagen zu vereinfachen und zu konkretisieren. Begnügt sich der Film auch 'bloss' mit Anspielungen oder werden Kurtz unerhörte Grenzüberschreiten (denn um solche scheint es sich ja zu handeln) in Bilder umgesetzt?


    Die Assoziation Kurtz - Faust ist mir selber auch gekommen, aber der Vergleich mit Ahab hat auch was. Von Cormac McCarthy kenne ich leider bisher nur "Die Strasse".


    Gruss


    riff-raff

  • Hallo!



    Mit dem Prokuristen, den ich als Gegenentwurf zu Kurtz bezeichnete, meine ich nicht den "manager" (bei Göske als "Direktor" übersetzt und bei Zeitz als "Manager) , sondern jene Person, die im Original als "chief accountant" bezeichnet wird:


    Danke für die Klärung, riff-raff und SirThomas. Hätte ich mir ja wohl eigentlich selber denken können. :roll: :schulterzuck: Was den Prokuristen betrifft, möchte ich dir aber doch noch einmal widersprechen, riff-raff (auch wenn ich noch nicht so weit gekommen bin, dass ein Vergleich mit Kurtz wirklich möglich wäre):



    Man kann sich dieser Unermesslichkeit, die einen umgibt, hingeben und dabei in Kauf nehmen, sich selbst zu verlieren (wie es letztlich mit Kurtz geschieht) oder man blendet die bedrohliche Fremdheit einfach aus, hält stur an seine Gewohnheiten und Alltagsroutinen fest, wie es der Prokurist der Handelsgesellschaft macht. Man könnte Marlows hochachtungsvolle Worte angesichts dessen gestärkten Kragen und weissen Manschetten als Ironie missdeuten, aber ich denke, er meint es wirklich ernst, wenn er behauptet, ihn zu respektieren:


    Ja. Ich respektierte seinen Kragen, seine breiten Manschetten, sein gebürstetes Haar. Er sah aus wie die Schaufensterpuppe eines Frisörs, doch dem grossen Sittenverfall des Landes zum Trotz wahrte er den Schein. Das ist Rückgrat. Seine gestärkten Kragen und die makellose Hemdbrust waren Errungenschaften, die von Charakterstärke zeugten. Er war seit fast drei Jahren hier draussen [...]


    In meinen Augen ist das geballte Ironie - zugegeben, vielleicht nicht von Marlow, der ja durchaus seine Beschränkungen hat, ganz gewiss aber von Conrad. Viel eher als respektabel wirkt dieser Mensch doch völlig grotesk und deplaziert. Eine zivilisierte Umgebung - wenn auch nur eine völlig illusionäre - ist für ihn lebensnotwendig. Seine Hemdbrust und der gestärkte Kragen sind ebensowenig wie die von Marlow bewunderte Tüchtigkeit ein Zeichen von Charakter, sondern im Gegenteil die einzigen Mittel, um den Anschein von Charakterstärke wahren zu können. Er weigert sich einfach, die unzivilisierte und raue Realität seiner Umgebung zur Kenntnis zu nehmen und wird dadurch völlig gleichgültig und inhuman, wie sich an seinem Verhalten und seinen Äußerungen zeigt, als der Kranke in seine Hütte gelegt wird.


    Im zweiten Teil sagt Marlow: When you have to attend to things of that sort (gemeint sind die Arbeiten am und auf dem Schiff), to the mere incidents of the surface, the reality - the reality, I tell you - fades. The inner truth is hidden - luckily, luckily. Nur Beschäftigung mit Äußerlichkeiten, Oberflächlichkeiten kann also vor der abschließenden 'inneren' Wahrheit bewahren - bei Marlow ist es die Arbeit, beim Prokuristen der Hemdkragen. Der Unterschied zwischen beiden liegt darin, dass Marlow sich seine Humanität bewahrt, obgleich er ja durchaus auch sehr passive Züge hat, in denen das scheinbare Phlegma des Prokuristen anklingt.


    Dazu noch ein Zitat (entschuldigt bitte, dass es immer englisch ist, aber ich habe keine Übersetzung hier, und eine spontane eigene scheue ich mich euch zuzumuten :zwinker:):
    ... it occured to me that my speech or my silence, indeed any action of mine, would be a mere futility. What did it matter what anyone knew or ignored? What did it matter who was manager?
    Das ist doch der pure Nihilismus. Alles ist sinnlos, nichts ist von wirklichem Wert. Für Marlow ist das nur ein kurzer Moment der Erkenntnis, bevor er sich wieder an die Oberfläche rettet und sich auf seine Tätigkeiten konzentriert. Was passiert aber mit jemandem, dem das nicht gelingt? Wenn ich mich richtig an meine erste Lektüre erinnere, gibt Kurtz' Entwicklung eine Antwort hierauf. Völlig spekulativ/provozierend in die Runde geworfen: Vielleicht zeugt es ja von mehr Charakterstärke, dem Nichts ins Auge zu sehen und darüber wahnsinnig zu werden, als sich Hilfskonstruktionen zu bauen und die Wahrheit auf diese Weise immer wieder abzuwehren?


  • ... eben weil Kurtz im Buch so wenig fassbar bleibt und seine Taten im Dschungel nur angedeutet werden, frage ich mich, wie das in Coppolas Verfilmung (Apocalypse Now) umgesetzt wurde.


    Hallo riff-raff,


    ich werde das in Kürze überprüfen. Meine Erinnerung sagt mir, dass Coppola der Vorlage in diesem Punkt treu geblieben ist und zum Kurtz-Charakter nichts hinzugefügt hat.



    Die Assoziation Kurtz - Faust ist mir selber auch gekommen ...


    Interessant ist die Frage, ob Conrad evtl. an Nietzsches Konzept des "Übermenschen" gedacht haben könnte.


    Viele Grüße


    Tom


  • ... Das ist doch der pure Nihilismus. Alles ist sinnlos, nichts ist von wirklichem Wert. ... Völlig spekulativ/provozierend in die Runde geworfen: Vielleicht zeugt es ja von mehr Charakterstärke, dem Nichts ins Auge zu sehen und darüber wahnsinnig zu werden, als sich Hilfskonstruktionen zu bauen und die Wahrheit auf diese Weise immer wieder abzuwehren?


    Hallo ink-heart,


    diese "Provokation/Spekulation" könnte dem Kern des Buchs näherkommen als manch "humanistischer" Ansatz. Conrad scheint eine Schwäche für amoralisch-nihilistische Figuren gehabt zu haben. In seinem "Geheimagenten" spielt bspw. ein Terrorist mit der Bezeichnung "der Professor" eine wichtige Rolle.


    Viele Grüße


    Tom

  • Ich bin durch. :smile: Obwohl es zwischendurch ja wirklich war wie durch Honig zu laufen, ging es zum Ende hin doch schneller, weil mich Marlows Erkenntnisse und die Figur des Kurtz immer mehr gefesselt haben.



    Conrad scheint eine Schwäche für amoralisch-nihilistische Figuren gehabt zu haben. In seinem "Geheimagenten" spielt bspw. ein Terrorist mit der Bezeichnung "der Professor" eine wichtige Rolle.


    Ich bekomme richtig Lust, noch mehr Conrad zu lesen. Ich kannte früher die meisten Romane und Erzählungen, habe aber fast so viel wieder vergessen wie gelesen. Das einzige, was mir vom Geheimagenten noch in Erinnerung ist, ist, dass ich mich schrecklich geärgert habe, weil der Erzähler immer meinte seine Intentionen noch noch einmal extra deutlich erklären zu müssen - da bin ich allergisch. Marlow wandert in dieser Hinsicht ja auch manchmal auf einem schmalen Grat, aber seine Sprachlosigkeit vor seinen Erkenntnissen und die doppelt gebrochene Erzählsituation retten das Ganze zum Glück.


    Erstaunlich finde ich es, dass sich bis zu einem bestimmten Punkt trotz aller Düsternis und allem Bedrückenden nicht nur Sarkasmus, sondern auch echter (wenn auch schwarzer) Humor findet. Die Stelle, an der Marlow überlegt, wie unappetitlich seine Mitreisenden aussehen, und hofft, dass das bei ihm nicht auch der Fall ist, fand ich köstlich. Großartig auch die Ironie, dass ausgerechnet die Kannibalen die einzigen sind, die unter äußerstem Druck Selbstbeherrschung zeigen, deren Quelle unverständlich bleibt für Marlow und für den Leser.


    Kurtz habe ich besser verstanden als beim ersten Lesen, glaube ich. Als jemand, der in der Lage war, an einfach alles zu glauben, ist er prädestiniert für seine nihilistische Erkenntnis. Dauerhafte, unverbrüchliche Ideale setzen ja durchaus eine gewisse Beschränktheit voraus, schützen aber eben auch vor dem Nichts, dem Kurtz sich letztlich stellt. Vielleicht kann Marlow seinen berühmten letzten Ausruf deswegen als "Sieg" deuten, aber als einen unglaublich finsteren.


    Marlow selbst hat kurze Momente der nihilistischen Erkenntnis gehabt, er glaubt Kurtz und seine Entwicklung zu verstehen, trotzdem nimmt er nicht denselben Weg. Obwohl er weiß, dass sie aufgesetzt und nicht von Dauer sind, akzeptiert er weiterhin die geltenden Werte. Eigentlich noch finsterer als das, was Kurtz geschieht, oder? Deutlich wird das in der Szene mit der "Intended" (Verlobten?), der er durch seine Lüge die Illusion und damit die einzige Lebensgrundlage bewahrt. Seine eigene Haltung, das Mitgefühl, das er zeigt, gehört natürlich ebenso zu den Werten, die er als illusorisch erkannt haben muss und trotzdem verficht ...


    Jetzt bin ich gespannt auf die Coppola-Verfilmung, an die ich mich ebenfalls kaum noch in Einzelheiten erinnere. (Manchmal frage ich mich wirklich, warum ich lese und Filme sehe, wenn ich das meiste so gründlich wieder vergesse. :rollen:)

  • Hallo,


    ich bin immer noch nicht fertig :rollen: (die Woche war auch ein bißchen stressig). Mir fehlen nur noch 10 Seiten, die ich heute eigentlich schaffen sollte. Momentan bin ich an der Stelle, als Marlow Kurtz aus dem Dschungel holt und ihn aufs Boot bringt. Irgendwie habe ich gerade das Gefühl, als würde ich die Handlung nicht so recht verstehen bzw. ich weiß nachwievor nicht so viel über Kurtz, wie ich gehofft hatte... Jetzt setze ich meine Hoffnung auf die letzten 10 Seiten, vielleicht geht mir da noch ein Licht auf und es ergibt sich ein Gesamtbild.



    Die Schilderung der Natur und des Kontinent sind atemberauben und reduzieren den Mensch auf die Grösse eines Insekts. Eine meiner Lieblingsstellen im Buch ist die folgende:


    Bäume, Bäume, Millionen von Bäumen, undurchdringlich, unermesslich, hoch aufragend - und ihnen zu Füssen, dicht am Ufer, kroch das kleine, russige Dampfboot den Fluss hinauf, wie ein träges Käferchen auf dem Boden einer mächtigen Säulenhalle dahinkrabbelt.


    Diese Stelle fand ich auch sehr beeindruckend. Der Wald wird ja meist sehr eindrucksvoll geschildert und wirkt wie ein Lebewesen, teilweise aber auch wie eine (Kulissen-)Wand, die die Eingeborenen verdeckt oder enthüllt.



    Jetzt bin ich gespannt auf die Coppola-Verfilmung, an die ich mich ebenfalls kaum noch in Einzelheiten erinnere. (Manchmal frage ich mich wirklich, warum ich lese und Filme sehe, wenn ich das meiste so gründlich wieder vergesse. :rollen:)


    So geht es mir auch. Die Coppola-Verfilmung habe ich vor ca. 15 Jahren gesehen und ich erinnere mich eigentlich gar nicht mehr daran. Der Vorteil des Vergessens ist allerdings, daß man Krimis immer wieder anschauen oder lesen kann, weil man nicht mehr weiß, wer der Mörder ist :zwinker:.


    Viele Grüße
    thopas

  • Geschafft! :klatschen: Noch bin ich unschlüssig, wie ich das Buch bewerten soll. Was mir aufgefallen ist: ich habe immer darauf gewartet, daß die Grausamkeiten, die Kurtz begeht, etwas ausführlicher erwähnt werden. Nicht weil ich sensationsgierig bin, sondern weil Kurtz (in Klappentexten von Büchern oder sonstigen Rezensionen) meist als grausamer Mensch dargestellt wird. Man liest aber eigentlich eher von den Grausamkeiten der Kolonialherren allgemein und der herablassenden Art, wie sie die Einheimischen behandeln. Kurtz' Grausamkeiten kann man sich eher nur vorstellen: da er jede Menge Elfenbein zusammengesammelt hat, ist es wahrscheinlich, daß er dabei auch Druck auf die Einheimischen ausgeübt hat. Die Köpfe auf den Pflöcken rund um seine Hütte könnten andeuten, daß das eine Strafe für nicht gehorsame Einheimische ist. Aber genau weiß man es nie. Nicht nur Kurtz bleibt ein Phantom, auch seine Taten. Vielleicht ist er deswegen für Marlow hauptsächlich eine Stimme, sonst nichts.


    Kurtz ist ein Mensch, den viele vergöttern (der "Harlekin", seine Verlobte, evtl. auch Marlow), bei dem man aber nicht herausfindet, warum er so vergöttert wird. Marlow kann ihn nicht richtig beschreiben, ihm fehlen die Worte dazu, und für den Leser bleibt er ein Phantom. Obwohl die Geschichte gut erzählt ist, hatte ich das Gefühl, daß das Bild nie richtig scharf wird; Kurtz und die Ereignisse im Dschungel bleiben schemenhaft. Das mag von Conrad bewußt so gestaltet sein, aber irgendwie hinterläßt es ein unbefriedigtes Gefühl nach beendeter Lektüre.


    Viele Grüße
    thopas


  • Kurtz ist ein Mensch, den viele vergöttern (der "Harlekin", seine Verlobte, evtl. auch Marlow), bei dem man aber nicht herausfindet, warum er so vergöttert wird. Marlow kann ihn nicht richtig beschreiben, ihm fehlen die Worte dazu, und für den Leser bleibt er ein Phantom. Obwohl die Geschichte gut erzählt ist, hatte ich das Gefühl, daß das Bild nie richtig scharf wird; Kurtz und die Ereignisse im Dschungel bleiben schemenhaft. Das mag von Conrad bewußt so gestaltet sein, aber irgendwie hinterläßt es ein unbefriedigtes Gefühl nach beendeter Lektüre.


    Wie soll jemand auch (seinen) 'Gott' beschreiben können!? Wem würden die Worte zur Beschreibung nicht fehlen??


    Das erinnert mich an Rilkes "Malte Laurids Brigge", den ich vor kurzem las. Darin kommt eine Stelle vor, in der ein von jemanden geliebter Mensch beschrieben wird. Und er kann ihn nicht beschreiben. Er sagt etwas wie: "Er war nicht schön - aber vornehm war er, natürlich gab es aber auch Vornehmere, doch wenigstens war er sehr gut gewachsen, obwohl andere bestimmt beeindruckender sind, und ob er wirklich geistreich war, kann ich nicht beurteilen, aber er war." Und mehr nicht.


    Darauf habe ich mich selbst geprüft, und ich habe in Gedanken versucht, einen Menschen zu beschreiben, den ich liebe. Mir fehlten zwar nicht ganz die Worte, aber es kam nichts Überzeugendes heraus. Aber das liegt wohl an mir. Und ich sagte einer Bekannten, sie solle mir etwas über ihren Freund erzählen. Nichts war überzeugend, und es schien mir, als ob man über einen geliebten Menschen eigentlich nicht überzeugend reden kann. Wie soll dann auch Marlow über Kurtz reden können, ohne dass dieser etwas schemenhaft bleibt?


    Verzeih, dass ich mich hier mit so Uninteressantem einmische... noch dazu, da ich das "Herz der Finsternis" nicht gelesen habe!
    Deine Sätze sind mir nur ins Auge gesprungen, und meine Rilke-Lektüre und die Beschreibungserlebnisse sind nicht so lange her, sodass mir das noch ganz gewärtig ist.



    Nun, aber ich gratuliere zur Bewältigung der Lektüre!!



    Gruß

  • Hallo zusammen,


    heute Morgen gelang es mir auch, die Erzählung zu Ende zu lesen.


    Nachdem ich am Anfang begeistert war, gerade von der Klarheit der Ausdrucksweise - habe ich - je weiter die Reise ins Herz der Finsternis ging, desto mehr das Verständnis für die dargestellten Personen verloren, wohl aber auch zum Teil Einfluss der falschen Herangehensweise, wie du, Sir Thomas, so gut feststellst. Am Anfang denkt man, dass man den Text auch mit dem "humanistischen Ansatz" lesen kann, der eignet sich dann aber wirklich nicht mehr für dieses Abtauchen in die Abgründe der Seele. Ich kann auch gut deine These nachvollziehen, dass die Reise in die Finsternis auch eine Reise in die Veränderung der Psychologie und Physiologie Marlows ist, aber das weckt trotzdem keine Leselust bei mir.


    Genau wie thopas verstehe ich vieles am Ende nicht. Erst wird immer wieder erwähnt, dass Marlow ein ganz besonderer Vertrauter von Kurtz sei, dann hat er nur wenige Tage Zeit, ihn im Ruderhaus bei der Rückfahrt näher kennen zu lernen, bis Kurtz stirbt. Vom Leser wird
    erwartet, eine ganze Menge assoziativ zu erschließen, Symbolik erwartet ihre Entschlüsselung. Das mag hohe Kunst sein, ist aber nicht mein Ding. Mir drängt sich bei solch andeutendem, assoziativem Schreibstil oft der Eindruck auf, dass hier mehr gewollt als geleistet wird.



    @ ink-heart, du wirst schon festgestellt haben, dass riff-raff und nicht ich auf den Kontrast Prokurator - Kurtz hingewiesen hat. Ich hingegen denke auch, dass der Prokurator eine zu kleine Rolle spielt und zu sehr karikiert wird, als dass er als Folie für Kurtz dienen kann. riff-raff, du hast mir aber einiges an Kurtz' Verhalten und Aussagen klarer gemacht. Danke!


    HG
    finsbury

  • Nachtrag,


    ein weiterführender Lektüretipp: T.C. Boyles Wassermusik  [kaufen='3499232936'][/kaufen], ein biographischer Roman, der sich mit dem Schicksal des schottischen Entdeckers Mungo Park beschäftigt, der den Lauf des Niger enträsteln wollte. Es gibt viele Parallelen zum "Herzen der Finsternis", natürlich auch signifikante Unterschiede.


    HG
    finsbury


  • @ ink-heart, du wirst schon festgestellt haben, dass riff-raff und nicht ich auf den Kontrast Prokurator - Kurtz hingewiesen hat.


    Sorry, da ist mir wohl was verrutscht. Und danke für den Tipp mit der "Wassermusik". Der Roman liegt auf meinem SUB, und vielleicht schaffe ich es ja, ihn in nächster Zeit dazwischenzuschieben - eine Motivation mehr habe ich ja jetzt.



    Nichts war überzeugend, und es schien mir, als ob man über einen geliebten Menschen eigentlich nicht überzeugend reden kann.


    Ich finde, du hast das sehr schön beschrieben. Und wahrscheinlich gilt das nicht nur für Liebe, sondern für alles, was uns im Innersten berührt.


  • Verzeih, dass ich mich hier mit so Uninteressantem einmische... noch dazu, da ich das "Herz der Finsternis" nicht gelesen habe!
    Deine Sätze sind mir nur ins Auge gesprungen, und meine Rilke-Lektüre und die Beschreibungserlebnisse sind nicht so lange her, sodass mir das noch ganz gewärtig ist.


    Danke für deine treffende Beschreibung der "Sprachlosigkeit", wenn es um einen geliebten Menschen geht. Das ist hier bestimmt auch die naheliegendste Erklärung, nur bin ich gestern nicht darauf gekommen. Allerdings bin ich mir bei Marlow nicht ganz sicher, ob er Kurtz so bedingungslos vergöttert/anbetet. Kurtz ist sehr charismatisch und hinterläßt auf Marlow einen großen und auch bleibenden Eindruck. Sogar über ein Jahr nach Kurtz' Tod sieht Marlow ihn noch deutlich vor sich und es ist ihm, als würde Kurtz ihn zu seiner Verlobten begleiten.


    Wenn Marlow jedoch mit Menschen zusammentrifft, die Kurtz bedingungslos anbeten (der Harlekin, seine Verlobte), kam es mir so vor, daß Marlow durchaus merkt, daß diese Anbetung übertrieben ist und in Bezug auf Kurtz eigentlich nicht angebracht. Es ist als würde Marlows Bewunderung von Kurtz dadurch unterbrochen und es ist ihm möglich, einen objektiveren Blick auf Kurtz zu bekommen.



    Genau wie thopas verstehe ich vieles am Ende nicht. Erst wird immer wieder erwähnt, dass Marlow ein ganz besonderer Vertrauter von Kurtz sei, dann hat er nur wenige Tage Zeit, ihn im Ruderhaus bei der Rückfahrt näher kennen zu lernen, bis Kurtz stirbt. Vom Leser wird erwartet, eine ganze Menge assoziativ zu erschließen, Symbolik erwartet ihre Entschlüsselung. Das mag hohe Kunst sein, ist aber nicht mein Ding. Mir drängt sich bei solch andeutendem, assoziativem Schreibstil oft der Eindruck auf, dass hier mehr gewollt als geleistet wird.


    Ich hatte eigentlich auch erwartet, daß mehr Kommunikation stattfinden würde zwischen Kurtz und Marlow. Vielleicht hat sie auch stattgefunden, aber Marlow berichtet nicht davon. Das wird hier nicht ganz klar. Es ist jede Menge Symbolik im Buch zu finden, für mich erschließt sich das auch nicht so ganz leicht. Ich kann jetzt nur nicht beurteilen, ob es daran liegt, daß Conrad das nicht leisten konnte, was er beabsichtigt hat, oder ob ich einfach nicht fähig bin, seine Symbole und Assoziationen zu deuten.


    Viele Grüße
    thopas

  • Hallo thopas,


    Es ist jede Menge Symbolik im Buch zu finden, für mich erschließt sich das auch nicht so ganz leicht. Ich kann jetzt nur nicht beurteilen, ob es daran liegt, daß Conrad das nicht leisten konnte, was er beabsichtigt hat, oder ob ich einfach nicht fähig bin, seine Symbole und Assoziationen zu deuten.


    Du hast völlig Recht, dass du darauf hinweist. Ich will mir auch nicht anmaßen, den literarischen Rang des Werkes zu kritisieren. Eine so vielschichtige, schwer entschlüsselbare Symbolik, die ja auch ziemlich viele Verweise auf die problematischeren Werke z.B. Nietzsches zulässt, ist mir einfach immer suspekt, weil sie von den falschen Leuten missbraucht werden kann. Der mündige Leser wird dennoch seinen Genuss und seine Gedankentiefe mit der Lektüre bereichern können :zwinker:.


    HG
    finsbury

  • Du hast völlig Recht, dass du darauf hinweist. Ich will mir auch nicht anmaßen, den literarischen Rang des Werkes zu kritisieren. Eine so vielschichtige, schwer entschlüsselbare Symbolik, die ja auch ziemlich viele Verweise auf die problematischeren Werke z.B. Nietzsches zulässt, ist mir einfach immer suspekt, ...


    Ihr Lieben,


    kommt es denn wirklich darauf an, jede tatsächliche oder vermutete Symbolik bis in die kleinsten Verästelungen zu durchleuchten? Romane sind keine Rätsel (oder sollten es zumindest nicht sein) ...


    "Herz der Finsternis" ist ein Werk, dass aufgrund der vielen Andeutungen zu Spekulationen einlädt. Ob dabei Nietzsche, Freud oder wer auch immer die Hintergrundmusik spielt, bleibt den persönlichen Vorlieben überlassen.


    Mir hat es Spaß gemacht, dieses sperrige Kleinod mit Euch zu lesen.


    Bis bald!


    Tom


  • Du hast völlig Recht, dass du darauf hinweist. Ich will mir auch nicht anmaßen, den literarischen Rang des Werkes zu kritisieren. Eine so vielschichtige, schwer entschlüsselbare Symbolik, die ja auch ziemlich viele Verweise auf die problematischeren Werke z.B. Nietzsches zulässt, ist mir einfach immer suspekt, weil sie von den falschen Leuten missbraucht werden kann. Der mündige Leser wird dennoch seinen Genuss und seine Gedankentiefe mit der Lektüre bereichern können :zwinker:.


    Hallo finsbury,


    ich wollte deine Aussage nicht kritisieren. Wenn ich ein Werk nicht verstehe, denke ich erst einmal, daß es an mir liegen muß. (Ich beziehe mich jetzt auf Klassiker, nicht auf moderne Unterhaltungsliteratur). Es ist ja durchaus möglich, daß du recht hast mit deiner Aussage, daß Conrad mehr gewollt hat, als er leisten konnte, und nur im nachhinein verklärt wird. Wer weiß...



    Hallo Tom,


    mit hat die Leserunde auch Spaß gemacht, doch ist mir das Herz der Finsternis nachwievor fremd geblieben. Es gibt schwer entschlüsselbare Symbolik und man kann in der Tat sehr viel spekulieren. Das ist dann immer etwas unbefriedigend. Allerdings haben mir die wunderbaren Naturbeschreibungen und auch Conrads Erzählstil sehr gut gefallen. Und es hat dazu geführt, daß ich mich mit der Situation im Congo Free State beschäftigt habe, da habe ich sehr viel interessantes erfahren. Es hat sich also durchaus gelohnt :smile:.


    Viele Grüße
    thopas


  • ...kommt es denn wirklich darauf an, jede tatsächliche oder vermutete Symbolik bis in die kleinsten Verästelungen zu durchleuchten? Romane sind keine Rätsel (oder sollten es zumindest nicht sein) ...


    Interessant ist es natürlich schon, die Symbolik zu erkennen und zu verstehen. Einen Roman bis in die kleinsten Verästelungen zu zerpflücken ist aber vermutlich auch nicht so schön. Das wird ja gerne im Schulunterricht gemacht und führt dazu, daß manch ehemaliger Schüler das zerpflückte Werk nie mehr in die Hände nehmen möchte, weil es ihm vermiest wurde. Wenn ich ein Werk nicht verstehe, hoffe ich allerdings, daß das Entschlüsseln der Symbolik mir zu mehr Verständnis helfen wird. Dann ist es tatsächlich eine Art "Enträtseln", auch wenn es vom Autor nicht beabsichtigt war.


    Viele Grüße
    thopas


  • Einen Roman bis in die kleinsten Verästelungen zu zerpflücken ist aber vermutlich auch nicht so schön. Das wird ja gerne im Schulunterricht gemacht und führt dazu, daß manch ehemaliger Schüler das zerpflückte Werk nie mehr in die Hände nehmen möchte, weil es ihm vermiest wurde.


    Ja, thopas, genau das meine ich. Gräßlich, nicht wahr?




    mir hat die Leserunde auch Spaß gemacht ...


    ... und vor allem darauf kommt es an.


    Viele Grüße und auf ein Wiedersehen spätestens bei "Dorian Gray"!


    Tom

  • Hallo ihr!


    Möchte mich für die tolle Leserunde bedanken! Habe zwar selbst nicht gerade viel geschrieben, aber eure Beiträge mit grossem Interesse mitverfolgt. Es ist immer wieder ein Gewinn, ein Buch auf diese Art zu lesen. Hoffe, man sieht sich bald in einer weiteren Leserunde. Bis dann ... :winken:


    Gruss


    riff-raff

  • Hallo zusammen,


    auch mir hat die Leserunde durchaus Freude bereitet. Dank an euch alle.


    Conrad werde ich zwar nicht zu meinem Lieblingsautor erklären, aber zumindest die dritte Marlow-Erzählung "Das Ende vom Lied" und "Lord Jim", in dem Marlow auch eine Rolle spielt, werde ich noch lesen.


    Mein Problem beim Herzen der Finsternis ist auch einfach, dass die von mir nach dem lucideren und sozialkritischen ersten Teil aufgebauten Lesererwartungen sich in den beiden anderen Teilen nicht erfüllten. Davon unbenommen ist die große Erzählkunst im Aufbau von Stimmungen.


    Bis bald


    finsbury