Günter Grass: Katz und Maus

  • Hallo Gontscharow!


    Dass du die Novelle doch nochmal gelesen hast, finde ich klasse. :smile: Und die Textstelle, die du zitierst, ist wirklich interessant. Kitsch wäre sie in meinen Augen nur dann, wenn Mahlke hier ein Sprachrohr seines Autors wäre - was er aber nicht ist. Grass stellt ihn ja als suchenden und gerade in der zweiten Hälfte des Buches auch fehlgeleiteten Jugendlichen dar. In der ganzen Novelle hat die Marienverehrung Mahlkes ja ziemlich deutlich erotische Untertöne: In der Kirche sieht er ihr (die dort ohne Kind steht) auf den Bauch, Pilenz erwähnt seinen begehrenden Blick, er erzählt Pilenz er werde wegen der Jungfrau nie heiraten. Wenn man das alles zusammennimmt, kann man seine Schilderung auch als halluzinierte Vergewaltigung lesen (Schießwerkzeuge werden ja allgemein ziemlich häufig als Phallussymbole bemüht). Inwieweit sein Erfolg und diese Vorstellung miteinander zusammenhängen kann ich auch nicht sagen. Ich würde aber behaupten wollen, dass das sehr viel eher psychologisch, vielleicht als eine Art Selbstsuggestion von Potenz, als religiös zu begründen ist. Überhaupt ist die ganze Novelle in meinen Augen eher religionskritisch. Dafür spricht z. B. die Anpassung Gusewskis an die herrschenden Normen (die Namensänderung), seine scheinbar am Rande erwähnten homoerotischen Übergriffe und nicht zuletzt das Ritterkreuz.


    Warum Pilenz das Bild mit an die Front nimmt? Wahrscheinlich weil er von Mahlke nicht loskommt, ihm immer noch versucht nachzueifern, ohne es eigentlich zu wollen. Die Tragik bei Pilenz sehe ich vor allem in seiner Nicht-Entwicklung. Nichts von dem Geschehenen bringt ihn auch nur einen Schritt weiter. Auch als Erzähler, (fünfzehn?) Jahre nach den geschilderten Ereignissen, hat er es noch nicht fertiggebracht, eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln.


    Liebe Grüße :winken:
    ink-heart

  • Hallo ink-heart!


    Danke für die Antwort! Leider konnte ich mich nicht früher melden. Was Du zu der Textstelle schreibst, sehe ich genauso! Das ändert für mich jedoch nichts an ihrer literarischen Fragwürdigkeit.


    Nun ja , die Leserunde ist zu Ende, sie hat mir Anregungen gegeben, danke!


    Grüße von G.

  • Hi zusammen!



    Wie seht Ihr das? Marienerscheinungen während der Kampfhandlungen. Maria hält das Bild des Vaters als Zielscheibe - so gelingen die Abschüsse, die Mahlke das Ritterkreuz einbringen?
    Ist das nicht ein bisschen zuviel der Phantasie? Ist das monströser Kitsch, höhere Psychologie oder wie seht Ihr das?


    Die betreffende Stelle fand ich auch äusserst krass. Pater Gusewski äussert zu Pilenz die Sorge, dass "Mahlkes Marienkult an heidnischen Götzendienst grenze". Die Art wie Mahlke seinen Glauben instrumentalisiert hat tatsächlich etwas unreflektiertes und archaisches an sich. Es ist nicht mehr länger Gott, der den Menschen (Mahlke) nach seinem Ebenbild schafft, sondern der Mensch (Mahlke), der sich seinen privaten Gottesklon (Jungfrau Maria) zusammenzimmert. Es gibt keinen Unterschied zwischen Mahlke und (seiner Version) der Gottesmutter, denn sie besitzt keinen eigenständigen Wert, sondern ist nur ein geistiger Auswuchs von Mahlke selbst. Und wenn Mahlke ums Verrecken dieses Ritterkreuz will und dafür so viele russische Panzer wie möglich abschiessen braucht, dann hilt ihm Maria natürlich dabei. Denn was Mahlke will, will auch Maria, so einfach ist das.


    Aber diese Instrumentalisierung von Glauben kennt man doch zu Genüge. Fast jeder Krieg wird im Namen irgendeines Gottes ausgefochten und die Religion verkommt zum Selbstbedienungsgeschäft, wo jeder sich zusammensucht, was ihm gerade in den Kram passt und genehm ist.


    Gruss


    riff-raff

  • Mir sind beide - Mahlke und Pilenz - nach wie vor undurchsichtig geblieben. Je mehr ich über die beiden nachdenke, desto verwirrender finde ich sie in ihrem Verhalten.
    Ich wüßte ja auch gerne, wie Günter Grass seine Geschöpfe sieht. Oder überlassen Autoren die Interpretation prinzipiell ihren Lesern?


    Hier stehen wir nun und sind betroffen;
    Vorhang zu und alle Fragen offen ...


    (B. Brecht, wenn ich mich recht erinnere)


    In diesem Sinne darf ich mich mit lieben Grüßen verabschieden,
    Madeleine.