August 2008 - J. Conrad: Herz der Finsternis

  • Hallo zusammen,


    mit den frischen Eindrücken unserer Leserunde im Hinterkopf habe ich mittlerweile die über dreistündige Langfassung von "Apocalypse now" gesehen. Coppolas Film nutzt geschickt die Idee von Conrads "Herz der Finsternis", ist aber ein eigenständiges Werk und nicht eine der klassischen Literaturverfilmungen. Trotz dieser Eigenständigkeit übt Coppola keinen "Verrat" an der Vorlage, weil er die eigentümliche Stimmung der Flussfahrt in poetisch-psychedelische Bilder verpackt und die Reflektionen Captain Willards denen Marlows ebenbürtig sind. Der grausame Kurtz ist im Film etwas schärfer gezeichnet, bleibt aber trotzdem weitgehend unverständlich - ein weiteres Indiz für den Respekt des Regisseurs vor Conrad.


    Über den Geniestreich, die Musik der Doors ("The End") zu Beginn und am Ende zu nutzen, möchte ich mich hier nicht weiter auslassen.


    Fazit: Ansehen, zuhören und genießen (trotz aller Grausamkeiten)!


    Viele Grüße


    Tom

  • Hallo,

    Fazit: Ansehen, zuhören und genießen (trotz aller Grausamkeiten)!


    Viele Grüße


    Tom


    auch ich hab' s mal wieder versucht, aber nach ca. einer Stunde halte ich den Film nicht mehr aus. Mich verstört zu sehr diese Mischung aus Kriegskritik einerseits und herausgehobener Ästhetik ( z.B. der berühmte Hubschrauberangriff mit dem Walkürenritt).


    HG
    finsbury

  • Endlich habe ich jetzt auch noch einmal den Film gesehen - scheibchenweise - und war vielleicht nicht ganz so überwältigt wie beim ersten Sehen vor vielen Jahren, aber doch beeindruckt.


    Was das ‚Ästhetisierende’ betrifft, hast du natürlich recht, finsbury, andererseits nutzt Conrad einige ähnliche Mittel. Genau wie Bilder der Gewalt im Film stärker und direkter wirken, müssen das auch die ästhetisierten Bilder tun, damit das Gleichgewicht gewahrt bleibt. Grundsätzlich ist so ein Vorgehen schon fragwürdig, aber hier werden Brutalität und das Ausgeliefertsein an urtümliche Triebe dadurch ja eher grotesk hervorgehoben als abgeschwächt. Gerade die Idee, Wagner als Waffe einzusetzen, finde ich genial-grauenhaft, und gerade diese Szene lässt ja einige Aussagen über unsere Zivilisation und ihre Produkte (menschliche wie künstlerische) zu. Vielleicht macht diese Art der Darstellung das Ganze auch überhaupt erst ‚anschaubar’ - auch so grenzt es manchmal noch nahe ans Unerträgliche.


    In erster Linie habe ich den Film wirklich als Literaturverfilmung gesehen und damit wohl wesentlich anders, als hätte ich ihn einfach ‚nur so’ gesehen. Auch das - das Rationalisieren - hat mir das Ansehen etwas erträglicher gemacht. Einiges finde ich grandios umgesetzt, anderes wiederum sehr viel weniger passend als ich es in Erinnerung hatte:


    Ein Glücksgriff ist Brando als Kurtz: gruselig-erschreckend-eindrucksvoll. Auch das Raunende, Geheimnisvolle, vielleicht doch nicht ganz Authentische (?) entspricht in meinen Augen der Vorlage sehr genau. (Die Stimme übrigens gefällt mir in der Synchronisation noch sehr viel besser als im Original.) Ein Gedanke zu Kurtz ist mir noch gekommen: Zu seiner Erkenntnis der tiefsten, wildesten, hässlichsten Schichten des Menschen und zu seiner eigenen absoluten Amoralität passt Kurtz’ Drang zur schönen, eindrucksvollen Rede, dem er bis zuletzt nachgeht, wenig. Ist das ein letzter Versuch, sich anzuklammern, Kontakt zu halten mit den ‚anderen’ und die letzte, absolute Einsamkeit abzuwehren?


    Wenig gelungen ist dagegen der Fotoreporter als Harlekin (im Buch eine wunderbare Figur). Statt eines naiven, unschuldigen und völlig von der normalen Welt losgelösten Fast-Kindes haben wir hier einen nicht mehr ganz frischen und ziemlich durchgeknallten Hippie, der in Kurtz seinen Guru gefunden hat.


    Marlow selbst findet in Willard eine interessante, aber längst nicht immer passende Entsprechung. Anders als im Roman ist Willard bereits vor seiner Reise ein Gezeichneter. Ähnlich wie sein Vorbild wirkt er häufig sehr zurückgenommen und passiv, aber einige Szenen durchbrechen dieses Bild, für die es im Roman keine Entsprechung gibt: Willards ‚Gnadenschuss’ für die verwundete Frau wirkt kaltblütig und gleichzeitig teilnehmender und aktiver (und näher am Charakter Kurtz’) als es der literarische Marlow je ist. Die ‚Schlachtszene’, die durch die Einblendungen der Stierschlachtungen ja auch stark ästhetisiert wird, geht völlig gegen den Charakter Marlows und gegen den Charakter von Conrads Roman. - Gerade dass Marlow trotz aller Einsicht in die menschlichen Abgründe weiterhin den Schein wahrt und die Werte der Zivilisation vertritt, die er als wertlos erkannt hat, hat mich sehr beeindruckt. - Der Film schließt diese Möglichkeit aus; Willard nimmt den Platz von Kurtz ein, mit dessen eigenen Mitteln, allerdings vermutlich mit anderen Motiven, da er ja doch den Heimweg antritt, den es für ihn ja eigentlich nicht mehr gibt.


    Mir geht zwar noch so einiges durch den Kopf (der Film lässt einen nicht so schnell los, finde ich), aber ich lasse es nun doch lieber dabei und sage nochmal herzlichen Dank für die interessante Leserunde. :)