Literarische Friedhofsbesuche

  • Bin ja ziemlich RAF fasziniert, daher werde ich sicherlich in absehbarer Zeit das Grab von Baader, Ensslin und Raspe in Stuttgart besuchen. :entsetzt: :bang:


    /off topic


    man möge mir verzeichen :)

  • Schöner Thread!


    Bei meinem letzten Rom-Aufenthalt wollte ich Ingeborg Bachmann am Cimitero Acattolico degli Stranieri (übrigens ein absoluter Tipp- einer der schönsten Friedhöfe, überhaupt!) besuchen – ich war mir sicher, gelesen zu haben, dass sie dort liegt, aber offensichtlich wurde sie doch nach Klagenfurt transportiert.


    Stattdessen habe ich Keats, Shelleys und Gramscis Gräber gefunden. Außerdem liegt dort August Goethe. Sein Vater soll einmal ungefähr gesagt haben „Wie ungleich schöner muss es sein, hier tot zu liegen als in Deutschland zu leben.“ Ich weiß leider weder den genauen Wortlaut, noch wo ich das herhab (Ich dachte aus der Italienischen Reise aber dort finde ich es nicht). Wäre also für die Quelle sehr dankbar!


    LG kat

  • Hallo kat,


    mit einer Quelle für Dein Goethe-Zitat kann ich leider nicht dienen, dafür aber mit Mark Twain, der von einem anderen italienischen Friedhof begeistert war (wie ich übrigens auch): Vom Cimitiere Staglieno in Genua.


    „Mein letzter Besuch war dem Friedhof bestimmt – eine Begräbnisstätte, die mehr als 60.000 Tote aufnehmen soll. An diesen Ort werde ich mich erinnern, selbst wenn ich die Paläste vergessen habe. Ein breiter Säulengang aus Marmor umgibt eine große leere rechteckige Fläche; auch der Boden ist aus Marmor und auf jeder einzelnen Platte ist eine Inschrift. Auf beiden Seiten entlang des Ganges kann man Denkmäler, Grabmäler und Skulpturen bewundern, die bis ins kleinste Detail ausgearbeitet sind und Harmonie und Schönheit ausstrahlen.“ Mark Twain 1869


    Ein anderer berühmter literarischer Friedhofsbesucher war Wilhelm Raabe. 1861 schrieb er über den alten Prager Judenfriedhof:


    "Ich sah die unzähligen aneinandergeschichteten Steintafeln und die uralten Holunder, welche ihre knorrigen Äste drumschlingen und drüberbreiten. Ich wandelte in den engen Gängen und sah die Krüge von Levi, die Hände Aarons und die Tauben Israels. Zum Zeichen meiner Achtung legte ich, wie die anderen, ein Steinchen auf das Grab des Hohen Rabbi Löw bar Bezalel. Dann saß ich nieder auf einem schwarzen Steine aus dem vierzehntem Jahrhundert, und der Schauer des Ortes kam in vollstem Maße über mich.
    Seit tausend Jahren hatten sie hier die Toten des Volkes Gottes zusammengedrängt, wie sie die Lebenden eingeschloßen hatten in die engen Mauern des Ghetto. Die Sonne schien wohl, und es war Frühling, und von Zeit zu Zeit bewegte ein frischer Windhauch die Holunderzweige und -blüten, daß sie leise über den Gräbern rauschten und die Luft mit süßem Duft füllten; aber das Atmen wurde mir doch immer schwerer und sie nennen diesen Ort Beth-Chaim, das Haus des Lebens?!
    Aus dem schwarzen, feuchten, modrigen Boden, der so viele arggeplagte, mißhandelte, verachtete, angstgeschlagene Generationen lebendiger Wesen verschlungen hatte, in welchem Leben auf Leben versunken war wie in einem grundlosen, gefräßigen Sumpf, - aus diesem Boden stieg ein Hauch der Verwesung auf, erstickender als von einer unbeerdigten Walstatt, gespenstisch genug, um allen Sonnenglanz und allen Frühlingshauch und allen Blütenduft zunichte zu machen."



    Vielleicht ist es ein wenig morbid, aber aus diesem Thema lässt sich der eine oder andere Honig saugen ...


    Es grüßt


    Sir Thomas

  • Und Ingeborg Bachmann selbst hat auch einen Text zu den Römischen Friedhöfen verfasst. Er stammt aus "was ich in Rom sah und hörte"


    Zitat

    In Rom habe ich in der Früh vom Protestantischen Friedhof zum Testaccio hinübergesehen und meinen Kummer dazugeworfen. Wer sich abmüht, die Erde aufzukratzen, findet den der anderen darunter. Für den Friedhof, der an der aurelianischen Mauer Schatten sucht, sind die Scherben auf dem Testaccio nicht gezählt. Er hält sich eine große Wolke wie eine Muschel ans Ohr, hört nur mehr einen Ton. In den sind eingegangen: "one whose name was writ in water", und neben Keats' Versen eine Handvoll Verse von Shelley. Von Humboldts kleinem Sohn, der an Sumpffieber starb, kein Wort. Und von August von Goethe auch kein Wort.


    Ingeborg Bachmann bezieht sich natürlich auf Oscar Wildes Gedicht "The Grave of Keats"



    In sha' Allah


    Babur

  • Danke euch beiden, dass ihr so schöne Stellen rausgesucht habt!


    Babur, vielleicht hab ich ja schon einmal diese Bachmann-Stelle gelesen und sie (in der mir eigenen Kombination aus schlechtem Gedächtnis und blühender Phantasie) kurzerhand selbst gedanklich in meinen Lieblings-Friedhof verfrachtet :zwinker:


    LG, kat

  • A propos Oscar Wilde: ich habe gerne sein Grab auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris besucht und habe mir auch das Hôtel d'Alsace angeschaut (allerdings nur von außen), in dem er seine letzten Jahre verbrachte.


    In der englischen Wikipedia bin ich gerade über eine Anekdote zu Wildes Grabstein gestolpert (im Abschnitt "release and death"): es stellt einen Engel dar, der ursprünglich mit männlichen Genitalien ausgestattet war, welche jedoch abgebrochen und von diversen Friedhofswärtern als Briefbeschwerer benutzt worden sein sollen :breitgrins:


    Viele Grüße
    thopas

  • Oh, schönes Thema. Ich als Analog-SW-Fotograf mit einem gewisssen Faible für Morbides habe schon auf dem einen oder anderen Friedhof fotografiert. Und bei meinem Prag-Besuch vor ein paar Jahren musste ich natürlich auch das Grab Franz Kafkas besuchen und habe dort zwei ganze Filme verknipst... :rollen:


    Und wenn ich mal in Paris bin, ist natürlich auch ein Besuch auf dem Père Lachaise fällig.

  • Hallo,


    das ist ja ein interessanter Thread!


    Da ich in Braunschweig lebe, habe ich natürlich Lessing besucht (ich habe gegenüber von seinem Grab gewohnt, also besuchte ich ihn oft). Bei Wilhelm Raabe (bei dem habe ich sogar ein paar Jahre im Haus gelebt, sein ehemaliges Schlafzimmer lag direkt unter meinem :smile:) und Friedrich Gerstäcker war ich ebenfalls ein paar Mal.


    Ansonsten war ich bisher nur bei Kafka und auf dem Père Lachaise (in erster Linie um Jim Morrison zu huldigen, aber die Gräber von Balzac, Oskar Wilde, Marcel Proust und ein paar anderen habe ich mir auch gesehen).


    Ich bin gerne auf alten Friedhöfen, sehe mir Denkmäler an und genieße die Stille. Einen extra Grabtourismus, um die Ruhestätten der toten Schriftsteller zu besuchen, würde ich allerdings wahrscheinlich trotzdem nicht betreiben. Aber wenn ich in der Nähe bin, schaue ich schon mal vorbei.


    Schöne Grüße
    Tia

  • Hallo,


    Ich hab gerade mal auf den von Ikarus geposteten Link geschaut, und festgestellt, dass Georgius Argicola in meiner Heimatstadt Zeitz begraben ist.
    Und nun eine kleine Frage an alle: Hätte so was nicht in der Schule erwähnt werden müssen? Im Geschichtsunterricht hätte man ihm doch wenigstens mal eine Stunde opfern können.
    Mir ist es ja nun schon peinlich, dass ich das nicht schon eher rausgefunden habe, denn unsere Universitätsbibliothek hier in Freiberg ist auch nach ihm benannt.



    Und nun zum Thema: Ich würde mir auch die Gräber einiger großer Schriftsteller (und auch Musiker) anschauen, um wenigstens deren "Geist" ein wenig näher zu sein. Ob deren Geist wirklich dort ist, ist aber ja nun zweifelhaft.



    liebe Grüße und ein schönes Wochenende
    Robinson

  • Dass in Wien einige Persönlichkeiten begraben sind wusste ich ja, aber nicht dass es so viele sind.
    Ein Ausflug auf den Zentralfriedhof lohnt sich anscheinend wirklich.


    Mich interessieren aber eher die vielen Gruften, wo die historischen Personen liegen.


    Katrin

  • Hi zusammen


    Ich interessiere mich eher für die Schauplätze der Weltliteratur, liegt vielleicht daran, dass ich selbst immer auch sehr viel Bezug zum Schauplatz meiner eigenen Geschichten haben muss. Es ist der Ausgangspunkt, deshalb fotografiere ich den Ort immer zuerst aus. Dieser Thread hat mich bestärkt, für den Leser reale Schauplätze zu wählen, Orte, die man besuchen kann. Mir gefällt das auch besser. Ich fand´s z. B. klasse, als ich beim Lesen einer Kurzgeschichte von Dürrenmatt feststellte, dass die Geschichte sich in unserer Gegend abspielt.


  • Wie war es denn? Erzähl mal!


    was ich nicht gewusst habe ist, dass auch seine Eltern, Hermann und Julie Kafka, dort beerdigt sind.


    Schön zum Anschauen und zum Verinnerlichen ist auch Kafkas Geburtshaus, genauer gesagt, kann man dort den genius loci verinnerlichen, denn sein Geburtshaus wurde 1902 abgerissen und ein neues Haus gebaut. Ein schöner Ort zum verweilen ist es trotzdem. Ein Austellungsraum. Einige Erstausgaben seiner Bücher sind dort zu sehen. Ein ruhiger besinnlicher Museumsraum mit schönen Photografien und Texten.


    Liebe Grüße
    mombour

  • Wir waren im Januar in Venedig. An einem leicht regnerischen, nebligen Sonntag sind wir nach San Michele hinausgefahren, der Friedhofsinsel. Die Stimmung passte sehr gut zu einem Friedhofsbesuch. Nach einem langen Spaziergang haben wir in einem abgelegenen Teil schliesslich die Gräber von Ezra Pound und seiner Partnerin gefunden. Mehr zufällig sind wir dabei praktisch über das Grab von Joseph Brodsky gestolpert, den ich bislang nur dem Namen nach kannte. Zur Zeit lese ich Watermark, Brodskys wunderbare Liebeserklärung an Venedig mit vielen sehr scharfsinnigen Beobachtungen über die Stadt, die Brodsky so ausgezeichnet in dichterische Worte zu fassen vermag. Hier eine Kostprobe:


    "In winter you wake up in the city, especially on Sundays, to the chiming of its innumerable bells, as though behind your gauze curtains a gigantic china teaset were vibrating on a silver tray in the pearl-gray sky."


    Schönen Abend!


    Uhu

    Das Universum, das andere die Bibliothek nennen [...] (J.L. Borges, Die Bibliothek von Babel)

    Einmal editiert, zuletzt von uhu ()

  • Mir hat der Besuch des Hauses von G. Hauptmann auf Hiddensee besser gefallen als der Friedhofsbesuch.
    Das Haus mit den vielen Büchern in seinem Arbeitszimmer hat eine so wunderbare Atmosphäre ausgestrahlt, dazu der Garten mit den alten Bäumen, dass dort der Wunsch entstanden ist, auch einmal in einem alten Haus mit vielen Büchern und einem Garten mit vielen alten Bäumen zu leben.
    Vor 1 Jahr ist dieser Traum Wirklichkeit geworden. Und ich denke noch oft an unseren Besuch auf Hiddensee.

  • Ich habe es letztes Jahr endlich mal auf den Doroteenstaetischen Friedhof in Berlin geschafft, nachdem ich da schon hundertmal vorbeigelaufen bin - da sind ja dann eine ganze Menge Autoren versammelt (Brecht, H. Mann, Segers, Becher etc.)


    Und dann war ich bei Tucholsky in Mariefred.


    Ich habe es leider in Paris nicht zu Heine geschafft, die haben um 6 zugemacht und mein Mann wollte liebe Jimmy Morrison sehen.


    Und ich denke Marx zaehlt auch zu den Autoren, bei dem war ich im Schlepptau meiner Eltern.


    Aber ich mag Friedhoefe sehr und gehe da gern hin, und wenn dann dort auch noch jemand beruehmtes liegt umso besser.

    "Ganze Literaturen waeren nicht, riegelten die Maedchen ihre Tueren auf" Kurt Tucholsky


  • Wir waren im Januar in Venedig. An einem leicht regnerischen, nebligen Sonntag sind wir nach San Michele hinausgefahren, der Friedhofsinsel.


    Dort ist auch das Grab von Vera und Igor Strawinsky. Ich habe es damals leider nicht mehr geschafft, auf die Insel zu kommen.


    Liebe Grüße
    mombour