Was lest ihr gerade?

  • Hallo Gina,
    berichte mal wie es dir gefallen hat.


    Gruß, Lauterbach


    Da bin ich auch gespannt. Mich hat das Buch nicht überzeugt - jedenfalls nicht als Roman. Die Autorin ist m. E. Opfer des Themas geworden, an dem sie sehr nah dran ist. Sie will informieren, aufrütteln und schildern, wie schlimm die Situation der Flüchtlinge ist. Daher sind ihr weite Teile recht reportagehaft geraten. Vor allem die Hauptfigur Richard fand ich nicht sehr glaubwürdig.


    Das Thema ist natürlich hochaktuell und rein auf der sachlichen Ebene habe ich von dem Buch schon einiges gelernt.

  • Ich habe jetzt ein Drittel von "Gehen, ging, gegangen" gelesen. Meine ersten Eindrücke kann ich ja schon mal schildern:


    Mir gefällt der Roman bis jetzt richtig gut. Immer wieder lassen mich Sätze, Bilder und Gedanken im Lesen innehalten ... Jenny Erpenbeck kann einfach toll erzählen.


    Dass das Buch teilweise reportagehaft geschrieben ist, ist mir natürlich aufgefallen - aber es stört mich nicht. Wichtiger sind mir die Sprache an sich und die Handlung und beides spricht mich auf diesen ersten 120 Seiten an.


    Bisher wirkt Richard auf mich nicht unglaubwürdig. Aber das kann ja noch kommen ... Im Moment wirkt er sehr menschlich mit seinen Erinnerungen, Gedanken und auch Unsicherheiten.


    Ich freue mich schon aufs Weiterlesen.


    Gruß, Gina

  • Nachdem ich zig Jahre, seit Erscheinen, überlegt hatte, ob ich das lese, habe ich jetzt angefangen:
    Rolf Vollmann, Die wunderbaren Falschmünzer.
    (Ausgabe Büchergilde Gutenberg.)


    Mir gefällt's. Für mich jeanpaulisch, nicht geschwätzig.
    Anderen nicht so, das weiß ich.


    Herr Vollmann hat es eventuell, Fußnote Seite 17, geschafft, mir zu erklären, worüber ich seit jeher unschlüssig bin:
    warum ich mit Thomas Mann nicht viel anfangen kann.


    Zitat


    hier geht einem auf, daß Thomas Mann nicht, wie er gerne glaubte, an Goethe anknüpft, sondern eben an Wieland; sein Josephsroman schließt sich in der Sache an Wielands Verlebendigungen der Antike an, nur daß, was bei Wieland gegenwärtige Bildung und spürbare Nähe war, bei Mann eine gewisse Bonhomie und verklärte Simplizität ist; daher bei Mann dieses ermüdende immerwährende Aufpolieren durch den Stil, der bei Wieland noch den schönen Glanz der Selbstverständlichkeit hat.


    Zum Glück ist das ja ein subjektiver Literaturführer - die "objektiven" überlasse ich gerne der einschlägigen -wissenschaft - und daher muss man nicht mit allem übereinstimmen und kann manche Be- und Verurteilungen gerne zum-Ärgern finden.


    Vollmann nehme ich ab, dass er all das wirklich gelesen hat.


    Und es scheint mir, dass es so ein Buch ist, an und mit dem der Autor sich viele Jahre ab- und reingearbeitet hat, und das hat er so tief, sich da reinge- und -versponnen, dass er meint, und über sein Thema und für seine Leser zu schreiben, aber in Wirklichkeit schreibt er hauptsächlich - über sich selbst.


    Ein anderes Werk dieser Art hab ich schon seit längerem zwischen:
    Hermann Josef Schmidt: Nietzsche absconditus oder Spurenlesen bei Nietzsche.


    Gruß
    Leibgeber

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Hallo Gina,
    berichte mal wie es dir gefallen hat.


    Gruß, Lauterbach


    Hallo Lauterbach,


    ich habe "Gehen, ging, gegangen" gestern beendet und kann es nur empfehlen. Für mich ein sehr wichtiges Buch - ich bin froh, es gelesen zu haben.


    Jenny Erpenbeck erzählt die Geschichte von Richard, seinen Freunden und einer Gruppe von Asylbewerbern in sachlichem Ton, völlig unkitschig, ohne auf Mitleidstour zu gehen oder die Tränendrüse zu drücken. Und wahrscheinlich hat es mich genau deshalb so berührt, von mir als Leser wurde nichts "verlangt", die Sätze haben mich direkt erreicht und sie haben mich sehr beschäftigt (und beschäftigen mich noch).


    Gruß, Gina


  • Danke Gina für den Bericht. Mal schauen ob ich es auch in absehbarer Zeit lesen werde, klingt auf jeden Fall interessant, was du schreibst.


    Gruß, Lauterbach


    Gerne. :smile:


    Mir ist noch etwas eingefallen, woran ich gestern beim Schreiben gar nicht gedacht habe. Was mir sehr gut an dem Buch gefällt, ist, wie die Autorin verschiedene Motive einsetzt: Ein Toter im See spielt von Anfang bis Ende eine Art Nebenrolle - er ist ebenso ertrunken und "verschollen" wie die vielen ertrunkenen Bootsflüchtlinge. Dann die Farben (oder Nichtfarben) schwarz und weiß - sie tauchen immer wieder in unterschiedlichen Formen auf (natürlich nicht nur als Hautfarbe).


    Andere Motive kehrt sie um: In einer Szene weigern sich die hungerstreikenden Asylbewerber ihre Namen zu sagen, in einer anderen will Richard namenlos bleiben. Die Beweggründe sind aber jeweils andere.


    Andere Momente bleiben erst einmal im Raum stehen und werden später "aufgelöst": Ein Flüchtling erzählt, er sei Tuareg. Richard ist verwirrt, denkt erst an eine Automarke, erinnert sich aber daran, von Männern mit blauen Schleiern gehört zu haben (mehr als das weiß er nicht). Später liest er sehr viel, dann auch über die Tuareg und die Lücke schließt sich.


    Undundund ... jetzt hör ich auf. :smile:


    Gruß, Gina

  • Ich mag das Buch sehr und nehme es auch immer wieder gerne zur Hand. :lesen:


    Gruß, Gina


    Manchmal ist er echt witzig.
    Seite 183

    Zitat


    Tübingen ist ein stiller süßer Ort; nur manchmal in dunklen Oktobernächten hallen Schritte in den Straßen, dann geht Küng herum und sucht nach eine Kirchentüre für seine Thesen, er weiß nur noch nicht, ob er eine evangelische oder eine katholische nehmen soll, das Problem ist, daß sie alle zu klein für ihn sind.


    :breitgrins:
    Ansonsten hab ich vorgestern Maturins "Melmoth" bestellt, das hatte ich mit Sicherheit schon mal zwischen, so als 13jähriger, und Immermanns "Epigonen", von dem kenn ich bisher nur "Münchhausen". Maturin auf englisch zu lesen wäre fleißiger gewesen, gibt es hier.
    Und Immermann gibt's auch for free, aber ich muss mir nach wie vor ab und zu eine Winkler-Ausgabe genehmigen.
    Spielhagen gibt es dann rein digital, nur wann das alles lesen, weiß ich wie üblich nicht.
    Gruß
    Leibgeber

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • "Die wunderbaren Falschmünzer" mag ich so gern und schmökere so oft darin, dass ich mir sogar vor ein paar Jahren von einem Ramschtisch ein weiteres Taschenbuchexemplar gekauft habe, falls meins mal durch das häufige Blättern den Geist aufgibt. Man muss keineswegs immer der gleichen Meinung wie Vollmann sein, aber ich habe bisher kein bibliophiles Buch gelesen, in dem einem so viel Lust auf Literatur gemacht wird wie hier. Und ja, die kleinen Seitenhiebe hier und da machen's noch ein bisschen schöner.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Ich entdecke Nabokov:


    König Dame Bube
    Eine Dreiecksgeschichte mit der Mordplanung an den Ehegatten.


    und lese dazu die Biographie "Vladimir Nabokov. Die Russischen Jahre 1899 - 1940" von Brian Boyd.

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Ich entdecke Nabokov:


    König Dame Bube
    Eine Dreiecksgeschichte mit der Mordplanung an den Ehegatten.


    und lese dazu die Biographie "Vladimir Nabokov. Die Russischen Jahre 1899 - 1940" von Brian Boyd.


    Hallo Maria, berichte mal wie König Dame Bube dir gefallen hat, das Buch interessiert mich sehr.
    Nabokov ist immer interessant.


    Gruß, Lauterbach

  • Hallo Maria, berichte mal wie König Dame Bube dir gefallen hat, das Buch interessiert mich sehr.
    Nabokov ist immer interessant.


    Gruß, Lauterbach



    Hallo Lauterbach,


    mir gefällt "König Dame Bube" sehr gut, kann aber keinen Vergleich mit seinen 'wichtigeren' Werken machen, da ich nur noch ein oder zwei Kurzgeschichten kenne. Nabokovs Stil verzaubert mich jedenfalls, es ist realistisch und bizarr zugleich. Ich finde, es lohnt sich seinem Frühwerk zu widmen.


    Gruß, Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • :lesen: "Schneeland" von Yasunari Kawabata


    Gruß, Gina



    Hallo Gina,


    Auch dein Buch startet mit einer Zugfahrt (wie meins "König Dame Bube") :winken:
    Mich hat Shimamura etwas an Hans Castorp erinnert, dem es auch schwer fiel sich vom "Ort" zu trennen.
    Eine rätselhafte Geschichte, sehr ausdrucksstark und zauberhaft.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Danke Maria


    Hallo Gina,


    Auch dein Buch startet mit einer Zugfahrt (wie meins "König Dame Bube") :winken:
    Mich hat Shimamura etwas an Hans Castorp erinnert, dem es auch schwer fiel sich vom "Ort" zu trennen.
    Eine rätselhafte Geschichte, sehr ausdrucksstark und zauberhaft.


    Gruß,
    Maria


    Ich hatte bisher immer mit den Japanern so meine Schwierigkeiten, ihre Bücher wirken immer so kühl und distanziert.
    Gilt das auch für Schneeland?


    Gruß, Lauterbach



  • ja, das trifft schon auch auf "Schneeland" zu und zugleich vermittelt es etwas flirrendes und unwirkliches ! Doch ich mag es gerne distanziert an eine Geschichte ranzugehen und da kommt mir diese Erzählweise entgegen.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hoppla, jetzt hätte ich fast vergessen zu fragen: Wieso findest Du Richard nicht glaubwürdig, JHNewman?


    Gruß, Gina


    Ich bin erst jetzt aus dem Urlaub zurück, daher mit verspäteter Antwort. :winken:


    Richard halte ich als Person für recht wenig glaubwürdig. Als Pensionär wird er zunächst als recht einsam, kaum motiviert und etwas strukturlos dargestellt. Für jemanden, der jahrzehntelang in Forschung und Lehre aktiv war und Kontakt zu Studenten hatte, erscheint mri die Figur am Anfang des Romans seltsam passiv, einsam und wenig vernetzt. Erst im Lauf der Geschichte erfährt man dann von einigen engeren Freunden, aber die Exposition gefiel mir nicht. Es war aber für die Autorin wohl notwendig, Richard so darzustellen, um sein Anspringen auf das Flüchtlingsthema einigermaßen erklären zu können. Aus sich selbst heraus fand ich das nicht schlüssig.


    Problematischer erschien mir aber, dass Richard einerseits unglaublich gebildet ist, ständig Parallelen zur Geschichte und Literatur herstellt, Menschen, denen er begegnet, mit Figuren aus der klassischen Literatur vergleicht, aber dann nicht weiß, wer die Tuareg sind oder wie weit es nach Spandau ist. Für jemanden, der seit 25 im vereinten Berlin lebt, wenn auch im Osten, ist das einfach nicht glaubwürdig.


    Dazu kamen dann aber noch ein paar weitere Kleinigkeiten, die mich beim Lesen stutzig machten, die allerdings eher sachliche Fehler waren. So verwechselt die Erzählerin bei der Schilderung des Sprachunterrichts für Flüchtlinge Umlaute mit Diphtongen. Oder es wird behauptet, Deutschland heiße erst seit ungefähr 150 Jahren Deutschland. Das ist natürlich Unsinn, es hieß auch vorher schon so, bloß war es staatlich nicht geeint. Oder jemand murrt darüber, dass der Name 'Deutsche Reichsbahn' "faschistisch" sei. Wieso das denn? Auch zur Zeit der sog. Weimarer Republik war der Name des Staates 'Deutsches Reich' - und davor zur Zeit der Monarchie auch. Wieso soll der Name 'Reichsbahn' dann faschistisch sein?


    Und gänzlich seltsam fand ich dann den Anwalt, der beim Gespräch über die Rechtslage der Flüchtlinge zum Regal geht, um Tacitus zum Thema der Gastfreundschaft der Germanen zu zitieren.

  • Vielen Dank für die ausführlichen Erläuterungen, JHNewman! :winken:


    Jeder liest halt ein Buch anders. Mir dagegen hat der Anfang richtig gut gefallen. Ein allein lebender Mann, der sich in seiner neuen Rolle als Pensionär erst zurechtfinden muss und seinen Gedanken nachhängt. Dass Richard sich nicht sofort mit Freunden verabredet oder in irgendwelche Aktivitäten stürzt, finde ich nicht ungewöhnlich. Jeder geht anders mit der Situation um. Mir gefällt auch gut, wie er beginnt, die Flüchtlinge überhaupt erst wahrzunehmen, wie seine Wissbegier und damit sein Interesse wachsen. Mit den Flüchtlingen hat er eins gemeinsam - viel Zeit. Das Thema zieht sich durch den ganzen Roman.


    Seine Wissenslücken machen ihn für mich menschlich (von Männern mit blauen Schleiern hatte er immerhin gehört ...). Ich hätte es eher für unglaubwürdig gehalten, wenn er alles gewusst hätte. Kein Mensch weiß alles, egal, wie gebildet er ist. Ich gestehe auch einer Romanfigur die eine oder andere Schwäche zu. :zwinker:


    Über die Umlaute bin ich auch gestolpert. Zu den anderen sachlichen Fehlern fehlt mir wohl das detaillierte geschichtliche Wissen, was ab wann wie genau bezeichnet wurde. Aufgefallen sind mir die Stellen nicht. Der Rechtsanwalt war zwar seltsam, aber das Tacitus-Zitat fand ich nicht unpassend (und ich habe nebenbei gelernt, wie gastfreundlich die Germanen waren :smile:).


    "Es liest kein Leser mehr heraus, als er hineinliest. Dem anderen ist dasselbe Buch ein anderes."
    (Otto Ludwig)


    Gruß, Gina