Iwan A. Gontscharow - Oblomow

  • Hier werden wir uns ab 20. Jänner über den Roman Oblomow unterhalten.


    Inhalt: Aufstehen oder liegen bleiben? Sich um dringliche Angelegenheiten des väterlichen Guts kümmern oder einen Mittagsschlaf halten? Ilja Illjitsch Oblomow weiß durchaus, wofür er sich in Situationen wie diesen entscheiden sollte, denn er ist über alle Maßen lebensuntüchtig. So lässt er den Dingen seinen Lauf und kann sich nicht dazu aufraffen, etwas an seinem Daseinszustand zu ändern. Als die junge Olga in sein Leben tritt, deutet sich die Möglichkeit einer Wende an. Doch auch in der Liebe stehen ihm seine Lethargie und fehlende Willenskraft im Weg.


    Interesse bekundet haben: (weitere Mitlesen sind natürlich gerne willkommen)

    Zefira

    DerFuchs

    thopas

    finsbury

    Fuzuli

    jaqui


    Dann legen wir uns mal gemütlich zu Oblomow auf die Couch. Viel Spaß beim Lesen. :lesen:

  • Meine Ausgabe des Oblomow ist 1956 in der Deutschen Buch Gemeinschaft erschienen, übersetzt von Reinhold von Walter. Ich weiss nicht, ob diese alte Übersetzung Mängel hat, sie liest sich jedenfalls recht gut. Und nach 250 Seiten bereitet die Lektüre mir noch stets Vergnügen. Wenn die russischen Namen nicht gewesen wären, hätte ich nie gedacht, einen russischen Autoren zu lesen (aber gut, ich lese nur wenig Russen, vor langer Zeit Dostojewski, in jüngerer Zeit Tolstoi). Ich hätte eher auf eine Prosaversion einer Komödie, vielleicht von Molière, getippt. Die ersten acht Kapitel lesen sich ohnehin wegen des 'Dialogstils' fast wie ein Bühnenstück (es gibt ja auch eine Bearbeitung für die Bühne, von Kroetz, glaube ich). Ich hatte zunächst die Befürchtung, dass das Buch eintönig wird, da es ja seitenlang fast ausschliesslich um Oblomows Unfähigkeit geht, auch nur einen Schritt zu unternehmen. Aber Gontscharow schreibt so farbig, dass sich nie Langeweile einstellt. Zum Glück ist der Ton nie moralisierend. Und wer hätte nicht Freude am Lesen, wenn er etwa einen Satz wie diesen liest: "Seine Kleidung genierte ihn gar nicht, und er trug sie gleichsam mit zynischer Würde" (S. 48/Ende des 2. Absatzes des 3. Kapitels).

    (Eine Russin hat mich übrigens belehrt, dass die korrekte Aussprache Ablomow lautet.)

  • Wie der Zustand der Wohnung und die fehlende Entscheidungsfähigkeit beschrieben wird ist schon sehr unterhaltsam. Interessant ist auch wie sich der Führungstil auf den Diener auswirkt. Irgendwie erinnert der Haushalt Oblamov an ein Unternehmen mit unfähige Führungskraft, das die Zeichen und Signale des Marktes verschläft. Das erste Kapitel macht Lust auf mehr.

  • Habe gestern abend das erste Kapitel zu Ende gelesen.

    Gontscharow entwirft sehr geschickt und mit relative wenigen Sätzen die Person Oblomow.


    Beim Lesen gingen mir eine Reihe von Gedanken durch den Kopf:

    - ein sehr passiver junger Mann, wirkt fast schon depressiv, so passiv wie er ist


    - wenn es Probleme gibt (im Dorf, auf dem Gut, mit dem Vermieter), ist immer jemand anderes schuld oder aber es liegt an den Umständen, aber gewiß nicht an Oblomow


    - so wie das Haus/Zimmer beschrieben wird, scheint Oblomow das zu sein, was man heutzutage einen Messie nennen würde (schon die zweite psychiatrische Diagnose)


    - der Diener ähnelt seinem Herren - immer eine Ausrede parat, wenn es darum geht, Arbeit zu erledigen


    Jedenfalls habe ich nach der Lektüre brav einige herumliegende Papiere abgeheftet 😝

  • Die Art, wie Oblomows Aussehen beschrieben wird, erinnert mich an den Film "Small World" mit Gérard Depardieu als Alzheimerpatient. Im Lauf des Films baute er mehr und mehr ab, in der Schlussszene, die bei einer Beerdigung spielte, schien er keinen "Grund" mehr zu haben. Sein Ausdruck war unbekümmert, Gedanken und Empfindungen zogen so flüchtig über sein Gesicht wie Wolken über den Himmel, oder wie bei einem träumenden Baby.


    Ich habe noch eine dritte psychiatrische Diagnose anzufügen: krankhafte Prokrastination oder auf neudeutsch: Aufschieberitis. Dieses wiederholte "gleich fange ich an", immer wieder das Bein Richtung Pantoffel ausstrecken und dann doch liegen bleiben ... er bekommt im wahrsten Wortsinn kein Bein auf den Boden. Dabei interessiert es ihn ja schon, was die anderen so machen, er mag nur nicht mitmachen. Wenn er einen Computer hätte, würde er vermutlich den ganzen Tag auf Facebook und Instagram herumdaddeln.

  • Das, was du am Ende geschrieben hast, Zefira, schoss mir auch direkt durch den Kopf. Heutzutage würde Oblomov ein Serienjunkie entweder vor dem Fernseher oder durch Streamen sein, aber wohl eher vorm Fernseher, weil das Draufschaffen der neuen Technologien ihm bestimmt zu anstrengend gewesen wäre.
    Bücher liest er ja auch nicht, weil ihm das zu mühsam ist, aber das Seriengucken könnte ich mir sehr gut vorstellen: die Neugier befriedigen, ohne sich anstrengen zu müssen.

    Dabei ist er ja nicht dumm und beobachtet durchaus fein: Den Literaten Penkin geißelt er für seinen borniert-realistischen Stil, der das Elend der Bevölkerung von oben herab beobachtet und gefühllos oder eben sogar darüber spottet.

    Zitat


    "Sie stellen Diebe und gefallene Frauen dar" sagte er, "aber den Menschen vergessen sie oder können ihn nicht darstellen." (I,2)

    Kurz danach vergaloppiert er sich aber in seiner Kritik und fällt, von seinem argumentativen Eifer geschwächt, auf den Diwan zurück.


    Bladwijzer, deine Beobachtung, dass es sich zu Beginn um Bühnenauftritte handelt, gefällt mir auch gut. Die Welt kommt zunächst zu Oblomov, um ihn aus seiner Lethargie zu reißen, was aber bisher alles an ihm abprallt. Fuzuli, der faule Diener, der nur auf dem Ofen liegt, ist wirklich ein schönes Spiegelbild seines Herrn, auch in seiner Art und die Dialoge zwischen ihnen, wo sie sich gegenseitig ihre Lethargie vorwerfen, sind köstlich.

    Ich lese übrigens die dtv-Dünndruck-Ausgabe aus den Achtziger Jahren und in der Übersetzung von Josef Hahn, der ja viele russische Klassiker ins Deutsche übertragen hat.

  • "Prokrastination" scheint mir die Diagnose zu sein, die die Sache am ehesten trifft. Dass er ein "Messie" ist, kann man ja als Folge der Prokrastination verstehen. Schwieriger ist es mit dem Verdacht "Depression". Hier sind einige Psychologen der Meinung, dass das prokrastische Verhalten eine Folge der Depression sein kann. In diesem Fall wäre die Depression die dominierende psychologische Diagnose. ('Prokrastination' ist übrigens schon der Name der Krankheit, - eine krankhafte Prokrastination ist ein Pleonasmus).

    Ich bin nicht sicher, ob Oblomow heute sich intensiv auf den sozialen Medien herumtreiben würde. Denn er hat halt auch so eine Haltung die ausdrückt: "Das interessiert mich alles nicht". Später wird sein Jugendfreund Stolz ja probieren, ihn auf Gesellschaften mitzunehmen. Dagegen wehrt er sich mit dem Argument, solche Gesellschaften seien zu oberflächlich. Aber das ist vielleicht nur ein Vorwand.

    Ich selbst neige auch zur Prokrastination. Aber da ich, anders als Oblomow, gerne lese, gewinnt man so viel Zeit für Lektüre (und die wichtigen, aufgeschobenen Sachen erledigt man dann sehr effizient unter hohem Zeitdruck.)

  • Hier geht es nicht recht voran und bei mir auch nicht. Erstens habe ich momentan wenig Zeit zum Lesen, und zweitens will mir der "Oblomov" bei der Zweitlektüre nicht so recht eingehen.

    Gontscharow schildert wunderbar die verschiedenen Menschentypen, und es ist auch sehr unterhaltsam, aber ich bin hier wieder vom Kafka-Effekt betroffen: In meiner Jugend und jungen Erwachsenenzeit habe ich Kafka verschlungen und auch den "Oblomov" sehr gemocht. Nun könnt ihr euch fragen, was die beiden gemeinsam haben - diese unfassbare Widerstandslosigkeit! Die Protagonisten werden ausgebeutet, betrogen, belogen und vernatzt, obwohl sie sich so leicht wehren bzw. der Situation entziehen könnten. Man könnte meinen, ein dunkler Strudel verschlinge sie.

    Als junger Mensch war ich wohl noch nicht selbstsicher genug und konnte diese Ängste bzw. diese Hilflosigkeit gut nachvollziehen. Aber mit viel mehr Lebensjahrzehnten auf dem Buckel ändert sich das wohl bei jedem. Nun ist es bei dem Oblomov sicherlich anders als bei Kafka, es ist nicht so existenzialistisch, aber ich finde einfach nicht genug Abstand von der Hauptfigur, um mich über deren lebensgefährdende Lethargie nicht zu ärgern. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich auch heftige Anfälle von Faulfieber habe, allerdings nie, um nur rumzuliegen und vor mich hinzudämmern, eher mit Lesenachmittagen und -nächten oder auch solchen mit Filmen, wenn es Auszeiten vom Alltag gibt.

    Aber wenn ich lese, wie Oblomov sich von diesem Tarantjew (übrigens im Deutschen ein schöner sprechender Name, die Tarantel, weiß nicht, ob es diesen Spinnennamen im Russischen auch gibt) ausnutzen und beschimpfen lässt, dann kann ich das kaum weiterlesen. Ob er sich nun tatsächlich im Vorort zur Miete und damit zur Ausnutzung durch T. niederlässt und ihm dafür noch Champagner auf den Tisch stellt oder nicht, dieser Mensch und Oblomovs Reaktion regen mich auf. Ich weiß, dass das nicht der gelassenen Art entspricht, mit der man Klassiker vielleicht zu sich nehmen sollte, aber Bücher müssen berühren, und dieses ärgert mich momentan.

  • Ich habe Tarantjews ersten Auftritt gestern abend gelesen und finde ihn nicht ganz so unerträglich. Gut, er hat ein unglaublich unverschämtes Auftreten, aber solche Menschen gibt es in der Literatur zuhauf und oft - gerade in der modernen Literatur - sind sie die Helden der Geschichte. Das ganze moderne Krimigenre zum Beispiel wird dominiert von erfolgreichen Ermittlern, deren Verhalten gegenüber ihren Mitmenschen unter aller Sau ist.


    Entscheidend ist, was hinten rauskommt. Ich lasse mich also überraschen. Obwohl ich bezweifle, dass Oblomow ausziehen wird.


    Ich habe das Buch vor langer Zeit schon mal gelesen, aber anscheinend alles vergessen. Es geht bei mir auch nur sehr langsam vorwärts, weil ich nebenher noch zwei andere Bücher lese.

  • Ich hab mich inzwischen auch wieder eingekriegt. Tarantjew ist unterwegs, und momentan geht es in Rückblenden um Oblomovs und Sachars Vergangenheit und ihre soziopsychologische Motivation für Ihr Verhalten. Gontscharow ist schon ein feiner Beobachter und bringt die widersprüchlichen Züge seiner Personen in einen gut begründeten Zusammenhang.

  • Jedesmal, wenn es heißt, dass Oblomow in Gedanken einen "Musterplan" für seine Lebensgestaltung ausarbeitet, lese ich "Masterplan".


    Er liegt in einer offensichtlich verdreckten Wohnung auf dem Sofa, hat sich nach eigener Aussage noch nie in seinem Erwachsenenleben selbst die Strümpfe angezogen und fällt der Verfettung anheim, obwohl (oder weil?) er nicht mal anständiges Essen bekommt. Und obwohl er sich das Leben auf dem Land in den schönsten Farben ausmalt und ohnehin umziehen müsste, bringt er es nicht über sich, dorthin zurückzukehren. Sein Einwand gegen jede Veränderung besteht in dem Satz "Aber wann soll man leben?" (Mich erinnert das an Zola, der in mehreren seiner Romane leitmotivisch verkündet: "Leben heißt tätig sein.")


    Interessant finde ich aber, dass er keineswegs ziel- und zwecklos vor sich hinträumt, sondern in seiner Phantasie Kämpfe und Konflikte ausficht, er "veranstaltet Kreuzzüge", zerstört Städte, verurteilt und begnadigt und steigert sich derart hinein, dass er sich unruhig auf dem Sofa umherwirft, die Arme streckt, manchmal sogar aufsteht ... und dann doch völlig erschöpft liegen bleibt. Das hat schon krankhafte Züge.

  • Nachdem ich gestern das lange, großartig zugespitzte Gespräch zwischen Stolz und Oblomow (Teil II, Kapitel 4) gelesen habe, bin ich nicht mehr so sicher, welche Lebensauffassung die "bessere" ist - ob Oblomow mit seiner "Oblomowerei" (das Wort fällt hier zum ersten Mal) nicht doch recht hat.


    Immerhin hat diese quirlige Betriebsamkeit, wie Stolz sie vorlebt, in unseren Zeiten auch nicht mehr den besten Ruf. Diese Sucht, sich umzutun, tun und machen und verändern, bringt unsere Industriegesellschaft gerade an den Rand des Ruins. Oder? Ein wenig mehr Oblomow täte uns allen gut.

  • Nachdem ich gestern das lange, großartig zugespitzte Gespräch zwischen Stolz und Oblomow (Teil II, Kapitel 4) gelesen habe, bin ich nicht mehr so sicher, welche Lebensauffassung die "bessere" ist - ob Oblomow mit seiner "Oblomowerei" (das Wort fällt hier zum ersten Mal) nicht doch recht hat.


    Immerhin hat diese quirlige Betriebsamkeit, wie Stolz sie vorlebt, in unseren Zeiten auch nicht mehr den besten Ruf. Diese Sucht, sich umzutun, tun und machen und verändern, bringt unsere Industriegesellschaft gerade an den Rand des Ruins. Oder? Ein wenig mehr Oblomow täte uns allen gut.

    Aber das Problem mit Oblomow ist ja nicht, dass er nicht zur Tür raus geht, sondern dass er zuhause nichts Gescheites tut. Er könnte lesen, schreiben, malen, musizieren….

    Und ob die Kindheit alles erklärt? Manche werden ja eine ähnliche Kindheit gehabt haben, aber wurden doch nicht wie Oblomow.

  • Ich muss das mit der Kindheit inzwischen revidieren. Man kann Oblomows Helikoptermutter nicht für alles verantwortlich machen, denn wie Stolz ihm vorhält, war er tatsächlich in seiner Jugend anders.

    Alles, womit sich Oblomow beschäftigen sollte - der Brief seines Verwalters, seine Bücher, seine Studien, liegt "in irgendeiner Ecke", und Stolz redet auf ihn ein: "'Das ganze Leben ist Denken und Arbeit', hast du damals behauptet. 'Die Arbeit mag unbekannt bleiben, unansehnlich sein, darf aber nicht unterlassen werden, damit man in dem Bewußtsein sterben kann, sein Werk getan zu haben.' Wie? In welcher Ecke liegt das?"


    Dieser Dialog ist wirklich höchst eindringlich gestaltet. Man muss sich aber schon fragen, was mit Oblomow in der Zwischenzeit passiert ist. Das Lebensideal, das er Stolz vorphantasiert, mit gemütlichem und untätigem Spazierengehen und Herumsitzen von einer Mahlzeit zur nächsten, hat mit den Idealen seiner Jugend nichts zu tun.

  • Ich bin richtig traurig über Oblomows Liebesgeschichte (habe gerade Kapitel 7 des zweiten Teils gelesen). Selbstverständlich kann und darf sie ihm keine direkte Liebeserklärung machen - und er kann sich offenbar nicht durchringen, obwohl er eigentlich sicher ist, dass seine Gefühle erwidert werden.
    Ein wunderbar komischer Einschub in diesem Kapitel ist der Abschnitt über Sachars und Anisjas Ehe, wobei Gontscharow anmerkt, dass es wohl in vielen Ehen ähnlich läuft ... Das ist herrlich.

  • Bin wieder eingestiegen und momentan in Oblomovs Traum. Die Mutter ist ja eher ein Albtraum. Und dieser ganze verschlafene "Winkel" mit den Hütten über dem Abgrund der Schlucht, in die man eigentlich gar nicht eintreten kann. Das Ganze ist irreal, aber wieder so detailliert beschrieben und mit Autorenkommentaren versehen, dass es gar nicht wie Oblomovs Traum wirkt. Aber ich stehe noch ganz am Anfang dieses langen Kapitels.

  • "Oblomovs Traum" habe ich nun auch zu Ende gelesen. Das ist auch wirklich ein aufschlussreiches Kapitel, wenn auch, wie ich oben andeutete, romantechnisch nicht so ganz astrein gelungen.


    Es erklärt nicht nur die Anlagen zur Oblomoverei vieler aus einer ganzen Gesellschaftsschicht und auch die ihrer Angehörigen, sofern diese nicht zum Arbeiten gezwungen waren, sondern es ist auch ein Zeugnis der voraufklärerischen Agrargesellschaft (ergänzt durch manufakturisches Arbeiten und Handeln in städtischen Zentren). In Russland mag das Ganze noch besonders lethargisch dahergekommen sein, da die leibeigenen Bauern auch noch das ganze 19. Jahrhundert keinen Ehrgeiz entwickeln konnten, da sie nichts für sich behalten konnten. Dass die ökonomischen Entwicklungen der westlichen Staaten an ihnen vorbeigingen, sich kaum technischen und anderen Fortschritte und kein expandierender Markt auf diese Weise entwickeln konnten, beklagt Gontscharow selbst ganz ausdrücklich. Aber wie du, Zefira oben schon schreibst, die Schattenseiten eines solchen Wirtschaftssystems, die für die ganze Welt viel gefährlicher sind und genauso auf Ausbeutung von Menschen und Natur, wenn auch global organisiert, beruhen, erleben wir ja gerade.

    Wunderbar satirisch ist die Stelle, wo der auf sehr originelle Weise - damit man auch ja Porto und damit Geld spare, ein Wesenszug, der anscheinend auch Oblomovs Standesgenossen betrifft - zugestellte Brief erst vier Tage später geöffnet wird, weil die Oblomover eine Beunruhigung dahinter vermuten, und sich der Inhalt des Briefes dann lächerlicherweise als Anfrage nach einem Rezept erweist, die natürlicherweise nie beantwortet wird.
    Welche Rolle die Stolzens spielen, das will ich erstmal sehen, wenn ich Stolz Junior hoffentlich in den nächsten Kapiteln wieder kennen lerne.
    Und ich ziehe mein hartes Urteil zu Oblomovs Mutter zurück, sie ist nur eine Ausprägung ihrer Klasse und, wie einige Dialoge andeuten, auch noch um einiges pfiffiger als Oblomovs Vater, der noch viel deutlicher sein Rollenvorbild ist. Interessant ist, dass wenn über Kindererziehung und über Kinder im Allgemeinen gesprochen wird, es immer nur um Jungen geht. Die Mädchen finden bloß als mögliche Ehepartnerinnen Erwähnung. Aber zumindest in Oblomovka sind unter den Adeligen die Frauen anscheinend die einzigen, die sich kümmern, wenn auch in übertriebener Weise um Oblomov Junior, aber ansonsten den Haushalt und die traditonellen Feiern und Besuche organisieren und sich immer mit Handarbeiten beschäftigen.

  • Mir ist auch aufgefallen, dass Oblomows Ideal von einem ruhigen Leben, wie er es Stolz beschreibt, davon gekennzeichnet ist, dass niemand etwas tut, jedenfalls die Männer nicht. Die Frauen machen wenigstens Handarbeiten.

    Dass Stolz nachfragt "Und niemand hat etwas in den Händen?" mutet allerdings auch etwas komisch an. Als ob es ein Beleg für sinnvolle Aktivität ist, etwas in den Händen zu haben.

    Aber es kann natürlich sein, dass ich da schon wieder mit dem Filter der neuen Zeit denke, wo ja Aktivität und Betriebsamkeit - gerade zum Beispiel dieses ununterbrochene Herumreisen - wieder ein wenig in Misskredit geraten. Nach dem Motto "wer nichts macht, macht wenigstens nichts kaputt".