Gustave Flaubert - Madame Bovary

  • Da der allgemeine Flaubert-Thread relativ unübersichtlich ist, spendiere ich Madame Bovary einen eigenen Thread...


    Diesen Roman habe ich zum ersten Mal gelesen, als ich noch auf der Schule war. Damals hatten wir Effi Briest als Schullektüre und ich habe dann zusätzlich noch Madame Bovary gelesen. Ich konnte weder mit Effi noch mit Emma Bovary etwas anfangen. Beide haben mich unsäglich genervt. Vor einigen Jahren habe ich Effi Briest noch einmal gelesen, fand den Roman gut, aber Effi hat mich immer noch genervt :zwinker:. Jetzt möchte ich im Rahmen des Listenwettbewerbs Madame Bovary auch noch einmal lesen und sehen, wie mir das Buch jetzt gefällt. Es sind wenig Eindrücke von damals noch übrig, außer, dass mir das Buch sehr trist und grau vorgekommen ist.


    Bisher finde ich das Buch allerdings nicht trist und grau. Es werden sehr oft Frühlings- oder Sommerszenen beschrieben, die Natur ist bunt, allenfalls etwas träge. Flaubert beschreibt sehr gut die Ödnis in der Provinz, die im Leben wenig Abwechslung bietet. Für eine träumerische und schwärmerische Natur wie Emma Bovary, die auch keine Aufgabe im Leben hat, ist das natürlich unendlich langweilig. Ihr Mann ist nur mit seiner Arbeit beschäftigt, ansonsten hat sie in Tostes, wo die beiden zu anfang wohnen, wohl keinen standesgemäßen Umgang. Privaten Kontakt zu niedrigeren Personen lehnt sie ab. Der Umzug nach Yonville verspricht nun endlich Abwechslung. Es gibt mehr Kontakte und einen jungen Notarsgehilfen, der sich ebenfalls unendlich langweilt in der Provinz.


    Ich lese übrigens die Diogenes-Ausgabe mit der überarbeiteten Übersetzung von René Schickele. Wie ich gesehen habe, gibt es inzwischen auch eine neue Übersetzung bei dtv.

  • Emma Bovary ist einfach eine dumme Gans 8-). Und Flaubert ein gnadenloser, ungemein präziser Erzähler. Da gibt es ja mal eine Operation, von der man schon im Voraus ahnt, wie sie ausgehen wird. Und Flaubert liefert ein minutiöses Protokoll der Katastrophe. Das hab ich seinerzeit - ich hab den Roman zuletzt so vor gut 10 Jahren in der Haffmans-Ausgabe gelesen – als fast unerträglich empfunden. (Als sehr, sehr große Literatur, das natürlich auch ;-))


  • Und Flaubert ein gnadenloser, ungemein präziser Erzähler.


    Ja, er ist schon sehr gnadenlos gegenüber Emma:


    Sie war so traurig und so ruhig, so sanft und so zurückhaltend, daß man in ihrer Gegenwart einem eisigen Zauber erlag, so wie man in den Kirchen in dem mit der Kälte des Marmors vermischten Duft der Blumen erschauert. (S. 129; Buch 2, Kap. 5)


    Der Stolz und die Freude, sich sagen zu können "Ich bin tugendhaft" und in den Spiegel zu sehen und dabei entsagungsreiche Posen einzunehmen, tröstete sie ein wenig über das Opfer hinweg, das sie zu bringen glaubte. (S. 130; Buch 2, Kap. 5)


    Ich kann ihre Langeweile aber durchaus nachvollziehen. Und dass sie dadurch ein bisschen depressiv wird, auch. Sie hat den falschen Mann geheiratet (wohl aus Angst, sonst gar keinen abzubekommen) und hat nicht viel zu tun. Haushalt und Kind interessieren sie nicht. Und das glamouröse Paris ist weit weg und unerreichbar. Sie liest Balzac und George Sand. Und irgendwann reicht diese Schwärmerei auch nicht mehr aus, um die Langeweile zu kaschieren. Und ihr Mann ist überglücklich und merkt überhaupt nicht, was in ihr vorgeht.


    Nun meint sie in den Notarsgehilfen Léon verliebt zu sein. Aber ist sie es wirklich, oder ist es wieder nur eine schwärmerische Ausflucht aus ihrer Langeweile?


  • Ich kann ihre Langeweile aber durchaus nachvollziehen. Und dass sie dadurch ein bisschen depressiv wird, auch. Sie hat den falschen Mann geheiratet (wohl aus Angst, sonst gar keinen abzubekommen) und hat nicht viel zu tun. Haushalt und Kind interessieren sie nicht. Und das glamouröse Paris ist weit weg und unerreichbar. Sie liest Balzac und George Sand. Und irgendwann reicht diese Schwärmerei auch nicht mehr aus, um die Langeweile zu kaschieren. Und ihr Mann ist überglücklich und merkt überhaupt nicht, was in ihr vorgeht.


    Interessanterweise findet aber ihr Mann bei ihr genau das, was sie selbst vergeblich such: romantische Liebe. :-)


    Der Essay von Nabokov zu 'Madame Bovary' ist sehr zu empfehlen. Er ist Teil seiner Vorlesungen über die europäische Literatur. Nabokov legt auf sehr schöne Weise einige der Erzähltechniken offen, verfolgt einige der zentralen Motive des Romans (Erzählen in Schichten, das kontrapunktische Prinzip, Leitmotive wie die Pferde, die Farbe blau etc.). Sehr schön ist auch, dass Nabokov immer wieder aus Flauberts Briefen zitiert, in denen der Autor die Strukturen einzelner Szenen erläutert. Zudem ist der Essay mit rund 70 Seiten auch nicht zu lang.

  • Inzwischen habe ich Buch 2 beendet. Es gibt doch viel, an das ich mich nicht mehr erinnere. Die Operation hat mittlerweile stattgefunden, der arme Kerl musste dann amputiert werden, das hatte ich ganz vergessen. Und an Rodolphe Boulanger konnte ich mich auch nicht mehr erinnern. Er wirkt für mich ein bisschen blutleer, mehr so als Mittel zum Zweck, damit Emma ihre romatische Liebe erleben kann bzw. sich in ihre Vorstellung der romatischen Liebe hineinsteigern kann. Für ihn ist von Anfang an klar, dass es nur eine Affäre sein wird; Emma wird schwer krank, als es vorbei ist. Die Flucht aus ihrem bisherigen Leben - das für sie ja eine Katastrophe ist, aber eigentlich nur ein ganz normales, etwas langweiliges Landleben ist - scheint ihr als die einzige Rettung. Als die Flucht scheitert, bricht sie komplett zusammen.


    Jetzt kommt sie Schritt für Schritt wieder im Leben an und begegnet dann zufällig Léon... Das kann nur schief gehen. Und ihr Mann verschuldet sich immer weiter, da die gute Emma ihm jede Menge Schulden aufgehalst hat und nie etwas erzählt hat. Auch das kann nicht gut gehen :rollen:.

  • Mittlerweile habe ich das Buch beendet, muss es aber noch ein bisschen sacken lassen. Zumindest kann ich schon mal sagen, dass es mir diesmal besser gefallen hat, als bei meiner ersten Lektüre. Evtl. auch weil ich Emma zumindest ein bisschen verstehen kann (nicht in Bezug auf ihre amourösen Vorstellungen, sondern in Bezug auf das langweilige Leben auf dem Lande :zwinker:).


    Sie ist eine sehr egoistische Person, die alles um sich nur als Staffage wahrnimmt. Ihren Mann und ihr Kind sieht sie gar nicht als lebendige Wesen an, denen ihr Verhalten weh tut. Ihr Tod ist dann natürlich genauso dramatisch und egoistisch, wie ihr ganzes Leben. V.a. nimmt sie sich das Leben nicht aufgrund der Schande, die sie mit den Schulden auf sich gebracht hat, sondern weil sie es nicht ertragen kann, dass Charles ihr verzeihen wird und sie deswegen wieder in seiner Schuld steht. Warum sie ihn als so widerwärtig wahrnimmt, ist mir nicht ganz klar geworden.


    Der arme Charles bekommt irgendwie gar nichts mit von dem, was in seiner Frau so vorgeht. Auch ihre Liebschaften entdeckt er erst einige Zeit nach ihrem Tod; dann stirbt auch er aus Kummer. Am meisten Leid getan hat mir die kleine Berthe. Sie wird nur herumgeschubst, ihre Mutter kann mit ihr eigentlich nichts anfangen. Auch wenn ihre Zukunft anfangs nicht rosig ist, nach dem Tod der beiden Eltern bleibt ihr dann nur die Schufterei in einer Baumwollspinnerei...


    Flaubert zeichnet ein gnadenloses Bild des Bürgertums auf dem Lande. Interessante Personen sind auch Lheureux (der Händler und Hobby-Wucherer) und natürlich Homais, der Apotheker. Diesem ist alles recht, um in der Gesellschaft voranzukommen. Als Bovary dann nach dem Bankrott gesellschaftlich nicht mehr auf der gleichen Ebene ist, wendet Homais sich sofort von ihm ab. Es findet sich auch viel Ironie in Flauberts Erzählweise. Wunderbar fand ich die Szene, als Boulanger um Emma wirbt, wobei man zwischendrin immer die Preisverleihung der Landwirtschaftsausstellung hört. Das gibt Emmas romantischen Ideen gleich den passenden Kontext.


    Das Buch hat diesmal nicht nur graue Eindrücke hinterlassen. Eigentlich ist vieles bunt in der Erzählung, allerdings kann es durchaus sein, dass mit der Zeit diese Buntheit verblasst und nur noch Grau in der Erinnerung bleibt.


    Momentan lese ich noch Flauberts Papagei von Julian Barnes, auch eine Zweitlektüre. Hier gibt es noch ein paar interessante Informationen über Flaubert.

  • Das Buch hat diesmal nicht nur graue Eindrücke hinterlassen. Eigentlich ist vieles bunt in der Erzählung, allerdings kann es durchaus sein, dass mit der Zeit diese Buntheit verblasst und nur noch Grau in der Erinnerung bleibt.


    Das hast Du schön formuliert, thopas!
    Ich habe Madame Bovary Ende der 80er Jahre gelesen und kann mich an fast nichts erinnern. Aber vielleicht sorge ich auch irgendwann für neue Buntheit.


    Flauberts Papagei ist eine wirklich passende Folgelektüre. :smile:


  • Mir ist Madame Bovary eher mittelmäßig in Erinnerung. Vor allem die Bovary selbst hat mich dabei maßlos aufgeregt.


    Sie ist halt eine dumme Gans, wie Giesbert schon bemerkt hat. Sie lebt in ihrer eigenen Welt und hat Ansprüche, die kaum zu verwirklichen sind. Was mich irritiert hat, ist ihre komplette Gefühllosigkeit gegenüber anderen Menschen, v.a. Mann und Tochter. Nicht einmal Mitleid, außer es passt gerade in eine Pose, die sie darstellen will... Da läuft es mir kalt den Rücken runter...

  • Im Zuge des Wettbewerbs habe ich Madame Bovary nun auch gelesen und ich bin erstaunt wie schnell es gelesen war.


    Ich habe mir das kostenlose ebook runter geladen und als erstes fiel mir auf, dass der Hauptdarsteller im Buch Karl heißt. Man kann es mit der Übersetzungswut auch ein wenig übertreiben, aber bitte.


    Emma ist in meinen Augen ein naives Ding. Bei der Hochzeit mit Charles war sie nicht verliebt in ihn und war überzeugt, dass die überschwängliche Liebe aus ihren Romanen noch kommen wird. Aber dem war nicht so.

    Ich finde Flaubert sehr fortschrittlich, wie er Emmas Zustand beschreibt als sie ein Mädchen bekommt. Er kann die Zwänge der Frauen sehr gut darstellen. Sie liegen quasi in Ketten, während Männer viel ungezwungener sind.


    Auch die Beziehungen zu ihren Liebhabern hat Flaubert sehr gut beschrieben. Sie langweilt sich im Leben, ist depressiv und sucht Abwechslung und die große Liebe, die sie aber nie finden soll.


    Eigentlich ist Emma eine bedauernswerte Person, die mit sich und dem Leben nicht glücklich ist, obwohl sie so vieles hat worüber sie sich freuen könnte.


    Das Ende kommt wie es kommen muss. Ich bin froh Madame Bovary endlich gelesen zu haben.

  • Ich habe, wie schon mal erwähnt, die Bovary x-mal gelesen, eine Zeitlang jedes Jahr einmal.

    Mich fasziniert, wie unterschiedlich es gelesen werden kann. Zum Beispiel die Szene im zweiten Buch, Kapitel 6, das Gespräch mit dem Pfarrer: Dacia Maraini betont in "Nachforschungen über Emma B." den komischen Charakter dieses Dialogs, bemerkt aber dazu, dass Flauberts Sympathien eindeutig auf seiten des Pfarrers seien. Das finde ich überhaupt nicht; im Gegenteil: Emma verhält sich wie ein an einer schweren Depression erkrankter Mensch, der erfolglos versucht, seiner Bedrückunug Ausdruck zu geben. So furchtbar komisch finde ich die Szene übrigens auch nicht, obwohl man bei dieser vollkommenen Verständnislosigkeit natürlich schmunzeln muss.
    Als ich "Madame Bovary" das erste Mal las, habe ich mich noch selbst als Autorin versucht, und ich habe bei jedem Lesen von neuem versucht, hinter das handwerkliche Geheimnis dieses Buches zu kommen. Mich wundert nicht, dass Flaubert extrem lange daran gearbeitet hat; manchmal einen ganzen Tag an zwei, drei Sätzen, wie ich mal irgendwo gelesen habe ...

  • Wenn Charles mit Karl übersetzt ist, wie ist denn dann die Stelle in der Schulklasse ganz am Anfang mit dem berühmten "Chabovari" übersetzt?

    Kabovary



    »Steh auf!« wiederholte der Lehrer, »und sag mir deinen Namen!«

    Der Neuling stotterte einen unverständlichen Namen her.

    »Noch mal!«

    Dasselbe Silbengestammel machte sich hörbar, von dem Gelächter der Klasse übertönt.

    »Lauter!« rief der Lehrer. »Lauter!«

    Nunmehr nahm sich der Neuling fest zusammen, riß den Mund weit auf und gab mit voller Lungenkraft, als ob er jemanden rufen wollte, das Wort von sich: »Kabovary!«

    Höllenlärm erhob sich und wurde immer stärker; dazwischen gellten Rufe. Man brüllte, heulte, grölte wieder und wieder: »Kabovary! Kabovary!« Nach und nach verlor sich der Spektakel in vereinzeltes Brummen, kam mühsam zur Ruhe, lebte aber in den Bankreihen heimlich weiter, um da und dort plötzlich als halbersticktes Gekicher wieder aufzukommen, wie eine Rakete, die im Verlöschen immer wieder noch ein paar Funken sprüht.