Elizabeth Gaskell: Norden und Süden (North and South)

  • Ich hinke auch hinterher und bin in Kapitel 13.


    Margaret besucht Bessy und erfährt deren Geschichte. Die beiden jungen Frauen sind gleichaltrig, aber wie unterschiedlich sind ihre Leben bisher verlaufen. Viel größer kann der Kontrast kaum sein.


    Gruß, Gina


  • Meine besondere Bewunderung hat Gaskell dafür, dass sie die Männer (wie Thornton, Higgins und Bell) genauso lebensecht und charakterlich passend sprechen lässt wie die Frauen. Und das, obwohl sie sich dafür auch noch in die unterschiedlichsten Lebensweisen hineinversetzen musste: Fabrikbesitzer, Arbeiter, Pfarrer, Universitätsprofessor, Arzt, Rechtsanwalt, Seemann, Pfarrerstochter, Arbeitertochter, Fabrikantenmutter und -schwester, wohlhabende Witwe etc. Vor soviel Einfühlungsvermögen ziehe ich den Hut!


    Das finde ich auch erstaunlich. Aber ich denke, das macht den Roman letztendlich auch so authentisch.


    Im übrigen möchte ich mich gerne finsburys Dank anschließen, Macneth. Ich bin zwar nicht ganz so fremdsprachenfaul :zwinker: und habe erst das Original gelesen, aber ich freue mich trotzdem oder gerade deswegen, dass Du diesen so vielschichtigen Roman übersetzt hast und dadurch auch endlich deutschsprachige Leser das Buch kennenlernen können.


    Gruß, Gina

  • In Kapitel 35 angelangt, damit ca. 60 % der Lektüre hinter mir, bin ich weiterhin sehr gefesselt. Momentan sind die Themen der Industrialisierung durch zahlreiche Schicksalschläge und dramatische Verwicklungen etwas in den Hintergrund gedrängt.


    Natürlich wird's dann auch das eine oder andere Mal etwas kitschig, witzigerweise immer dann, wenn aus Thorntons Sicht seine Gefühle für Margaret geschildert werden. Wenn es um Margarets Innenleben geht, ist die Autorin durchaus zurückhaltender, aber sie lehnt Thornton auch noch heftig ab.


    Die ökonomische Sichtweise ist doch ziemlich stark beeinflusst durch die Produzenten. Die Gewerkschaft, deren historische und aktuelle Bedeutung uns heute selbstverständlich ist, wird im Wesentlichen wie eine Sekte gesehen, die selbst die widerstrebenden Arbeiter durch Mobbing in ihre Reihen zwingt.
    Die Unternehmer unterliegen den Gesetzen des Marktes und durchschauen sie, die Arbeiter dagegen nicht und wollen nur ihre Interessen an höherem Lohn durchsetzen.
    Dass die Unternehmer durchaus auch unabhängig von den Marktschwankungen satte Gewinne einfuhren, die keineswegs immer - wie bei Thornton dargestellt -größtenteils reinvestiert werden (und bei ihm ja auch nur zur Maximierung der Gewinne), fällt dabei ziemlich unter den Tisch. Nur die Vätergeneration habe die Arbeiter unverantwortlich ausgebeutet, die jetzigen Unternehmer würden verantwortlich handeln, so Thornton und die Darstellung im Zusammenhang mit dem Streikt. Bei den Arbeitern bleibt es bei Mitleid von seiten Margarets und ihrer Familie und caritativer Hilfe.


    Nun ist es aber doch sehr die Frage, wie verantwortlich es von Thornton ist, einfach eine große Gruppe irischer Arbeiter zum Ersatz der Streikenden einzu"booten", die dann als Druckmittel verwendet werden und zu ihrem Schutz vor den Streikenden in das Fabrikgebäude gepfercht werden.


    Auch die Sprüche von Thornton über die Arbeiter sind aus unserer heutigen Sicht nur schwer erträglich und sehr menschenverachtend. Ich bin gespannt, ob sich sein Charakter und vor allem seine Einstellung im zweiten Teil des Romans noch ändert. So kann ich mir auch kaum vorstellen, dass Margaret und er zusammenfinden.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • finsbury, Du hast die Gabe, ziemlcih komplizierte Sachverhalte treffend und knapp zusammenzufassen. Danke dafuer. Du wirst ja sehen,m wie es weitergeht. (Ich hab das Buch vor Kurzem ja zweimal gelesen). Natuerlich hat so ein gewaltiges Werk auch Schwaechen. Aber ich bin voller Bewunderung fuer die Autorin, die ja als Pfarrerstochter auch noch den ganzen Ballast (und Reichtum) ihres Christentums zu tragen hat, das ihr einerseits den Blick verstellt, ihr aber auch tiefe Einsichten gibt (Beispiel: "...denn sie sahen, dass der Schmerz sehr gross war"):
    Die family Hale, er "hinterdenkt" sich und faellt von seiner Kirche ab, sie hat ihn aus Liebe geheiratet, ist dennoch ungluecklich, weil er ihr nicht das bieten kann, was sie jung gewohnt war, der Sohn wird zum Meuterer in der himmelschreiend unmenschlichen Navy, die Tochter eine erstaunliche Edeldame, dann Charaktere wie Thornton, samt Domina-Mutter und klimpernder Fanny mit Plueschohren, Edelproletarier Higgins mit zwei unterschiedl. Toechtern, davon eine in ihrer Krankheit zum Tode von Erscheinungen aus der Offenbarung Johannis "beseelt", der wegen himmelschreiender Ungerechtigkeit in der Arbeitswelt ausrastende Boucher, die feinen Shaws ohne jegliche Erdenschwere, spaeter noch der Fellow Bell, nicht zu vergessen der Verehrer und Anwalt Henry Lennox. Der Sueden, der Norden. Die Agrargesellschaft und der Fruehkapitalismus in progress. All diese Faeden zu spinnen und wieder zusammenzufuehren, ist eine schier uebermenschliche Aufgabe, die sie m.E. aufs Ganze gesehen bewundernswert gemeistert hat. Am meisten hat mir imponiert, dass es ihr gelungen ist, die einzelnen Personen nicht als Typen und lediglich Vertreter ihrer Schicht und Funktion darzustellen, sondern sie zu wirklcihen Menschen zu formen, zu denen man ein emotionale Beziehung aufbaut.

    if all you have is a hammer, all you see looks like a nail.


  • finsbury, Du hast die Gabe, ziemlcih komplizierte Sachverhalte treffend und knapp zusammenzufassen. Danke dafuer. Du wirst ja sehen,m wie es weitergeht.


    Danke für die Blumen.Die zielführende Zusammenfassung liegt dir ja auch. Im Übrigen bin ich jetzt mit Margaret auf dem Weg in die Harleystreet und habe in der Zwischenzeit bemerken dürfen, dass die Autorin jetzt einiges in Thorntons empathische Bildung investiert, und auch Margaret emotional zu ihm führt. Ein guter erzählerischer Schachzug im Übrigen - nach Hales Totalausfall - die soziale Entwicklung der Klassenprotagonisten diesen wechselseitig zuzugestehen (Higgins und Thornton). Damit schlägt die Autorin zwei Fliegen mit einer Klappe.
    Dass Gaskell hier ein Werk vorgelegt hat, das es wert war und ist, die Jahrhunderte zu überdauern, steht für mich außer Frage. Dennoch darf man hin und wieder Einzelnes hinterfragen oder auf die zeitgenossenschaftliche Bedingtheit hinweisen.


    Man merkt jetzt, wo es ins letzte Fünftel des Romans geht, dass wir langsam in die Zielgerade einbiegen. Bei Margaret und Thornton bdarf es nur noch der Auflösung von Missverständnissen und einer spannenden Endkonstellation, möglichst mit Rivalen, wofür London mit Henry Lennox einen prima Kandidaten bietet. Auch ökonomisch sind unsere Liebenden inzwischen auf Augenhöhe: Thornton verliert durch den Streik und Preisdumping, Margaret wird zur Erbin durch Fellow Bell, der praktischerweise der Verpächter von Thornton ist. Da muss ja am Ende selbst Mutter Thornton zufrieden sein. :zwinker:

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  • Ja, Dein Smily hat gut lachen!
    Unsere Uebersetzerin hat sich ja schonmal darueber verwundert, dass ihr bei der Ablehnung durch einen Verlag nicht etwaige Maengel der Uebersetzung entgegengehalten wurden, sondern die "Unzulaenglichkeit" des Originals. Weisst Du, oder sonstjemand hier, wie es bei BoDs ist, wenn ein Buch auf diesem Weg erschienen ist, kann es dann nicht mehr bei einem Verlag erscheinen? Es muesste doch trotzdem gehen. Mein E-Mail-Partner bei Reclam damals, als ich angefragt habe, war ja sooo abgeneigt nicht, er hatte nur etwas Manschetten, ob das Buch genuegend Leser faende. Ich guck mal, ob ich den in den Tiefen meines PC finde und schreib dem einfach mal. Damals hatte ich auf das Ehepaar Grawe gezielt, die die Austen-Buecher so herrlich uebersetzt haben. Aber "unsere" braucht sich nciht zu verstecken, auch wenn eine m.E. nur neidische Dame, die sich als "eine Kundin" bei amazon bezeichnet, in ihrer "Rezension" "unsere" versucht schlechtzumachen.

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  • Ich habe nun Kapitel 30 beendet.


    Insgesamt gefällt mir das Buch weiterhin sehr gut, wobei ich sagen muss, dass ich die längeren Passagen der wörtlichen Rede Higgins' oder Bessys nicht so ganz leicht zu lesen finde, da sie in einem etwas ungewöhnlichen Englisch verfasst sind.


    Margaret - es ist ja offensichtlich, dass die Autorin eine Figur wie Margaret braucht, die von außen in die Konflikte der Industrieregion hineinkommt, gleichmaßen zu allen Schichten Zugang hat und somit der Autorin die Möglichkeit gibt, aus einem Blickwinkel die verschiedenen Standpunkte zu beleuchten. Zugleich bringt die Hauptfigur durch ihr impulsives Verhalten immer wieder die Handlung voran. Sie interveniert im Streik, stellt sich den marodierenden Arbeitern entgegen, lädt kurzerhand Higgins nach hause ein und konfrontiert ihren Vater mit ihm, sie schreibt an ihren Bruder, ohne die möglichen Konsequenzen zu bedenken. Das hält mich als Leser bei der Stange, zugleich merkt man dem Roman aber an, dass er als Fortsetzungsroman konzipiert wurde und hier immer wieder neue Cliffhanger geschaffen werden mussten. Es muss sozusagen in jedem Kapitel ein neuer Konflikt entstehen, um das Interesse des Publikums wach zu halten. Die gelegentlichen Ausflüge ins rührselige Fach verzeihe ich der Autorin dabei recht gern. :zwinker:


    Ich stimme Dir, finsbury, darin zu, dass die Gesamtperspektive des Romans (jedenfalls bis Kap 30) doch recht unternehmerlastig ist. John Thornton vertritt eine radikal individualethisch geprägte Position. Die soziale Stellung des Menschen spielt für ihn keine Rolle (vgl. seine Kritik am Begriff des Gentlemans), hingegen nur, wie sich einer als 'Mann' verhält.


    Demgegenüber steht die Position von Higgins, der bereits sozialethisch denkt. Er erkennt, dass die sozialen Probleme nur gelöst werden können, indem Menschen sich auf gemeinsame Interessen verständigen und diese gemeinsam vertreten: "Our only chance is binding men together in one common interest." (S. 229). Die Methoden, mit denen die Gewerkschaft das versucht, sind zwar zweifelhaft (soziale Ausgrenzung von Nichtmitgliedern). Aber insgesamt steht hier doch der Paternalismus alter Schule gegen einen Ausgleich sozialer Interessen. Und da scheint mir, dass die Autorin den Paternalismus der Unternehmer zu sehr verteidigt. Sie muss das natürlich gewissermaßen tun, da einer ihrer Hauptcharaktere schließlich noch zum Schluss mit der Protagonistin verheiratet werden soll, also darf er nicht zu böse daherkommen. Und man darf vielleicht auch nicht außer acht lassen, dass die Leser von Frau Gaskells Romanen insgesamt wohl eher der Oberschicht zuzurechnen waren, mithin eine Identifikation mit den Unternehmern die natürliche Prädisposition war.


    Man muss wohl ziemlich weit laufen, nämlich bis nach Russland und zu Tschernyschewkis Roman 'Was tun' (Tschto delat') aus dem Jahr 1863, um eine radikal andere Sicht auf die unternehmerischen Verhältnisse in der Literatur der Zeit zu finden. Aber vielleicht kennt jemand andere Beispiele??


    Eine leichte Enttäuschung hat sich eingestellt nach dem Gespräch zwischen Higgins, Mr. Hale und Margaret. Was zu einer interessanten Diskussion hätte werden können, kommt auf den ersten Blick doch daher wie ein recht plumper Missionsversuch der treuen Anhängerin der C of E und des Dissenters Mr. Hale an dem 'ungläubigen' Higgins. Aber vielleicht entwickelt sich diese Sache in einem der nächsten Kapitel noch besser.

  • Nun habe ich gerade den Roman beendet. Es tut mir leid, dass ich soweit vorausgaloppiert bin, aber der Roman lässt sich so süffig lesen, dass man schlecht unterbrechen kann.
    JHNewman,
    Du bringst die Dinge wie immer auf die Begriffe. Immerhin gesteht Gaskell Thornton eine Entwicklung zur sozialethischen Sicht zu, und am Ende steht er fast so da wie unser deutscher Porzellanhersteller Rosenthal (seligen Angedenkens). Nur von einer Beteiligung der Arbeiter an den Gewinnen ist nie die Rede. Aber das wäre wohl auch zu diesem historischen Zeitpunkt zu viel des Guten.
    Ich finde das letzte Fünftel ein wenig unausgewogen. Nach den Infos der Wikipedia hat Gaskell die Buchausgabe gegenüber dem Zeitschriftenroman zum Ende deutlich verlängert,was man auch merkt, z.T. meines Erachtens etwas zu sehr: Es werden Existenzmodelle durchgespielt, die Margaret befolgen könnte, von dem Tantenleben in der Harley Street, über eine Heirat mit Henry Lennox, eine mögliche Rückkehr ins ländliche Idyll bis zu einem Weggang zu Bruder und Schwägerin in Cadiz. Aber diese Seinsmöglichkeiten stehen zum Teil nicht in ihrer Macht, so dass es etwas mühsam ist, über all das zu lesen, damit die Möglichkeit dann gar nicht mehr besteht. Der Schluss dagegen kommt dann ganz traditionell als viktorianischer Liebesroman. Stoßen die Protagonisten am Ende unbeobachtet aufeinander, kommt es ohne weiter Erklärungen zum finalen Gefühlsausbruch und das Paar segelt ohne weiteres auf Wolke 7 davon.
    Macneth, nochmal einen großen Dank für die gute Übersetzung und auch die erhellenden Anmerkungen. Nur an einer Stelle musste ich schmunzeln: Als du - im Zusammenhang mit Bells launiger Bemerkung, er könne nicht fliegen - deine Leser darauf aufmerksam machtest, dass das zum Zeitpunkt der Romanveröffentlichung ja auch noch nicht möglich gewesen sei. Wenn ich dann aber so an die Geschichtskenntnisse unserer nachfolgenden Generationen denke, ist der Hinweis vielleicht doch nicht so müßig ... :breitgrins:

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  • ein schwer hinterherhinkender Mitleser (Kap.21), der jedoch das Buch vor Kurzem zweimal gelesen hat, bedankt sich bei Euch allen sehr. Es ist bewundernswert, wie Ihr, finsbury und Newman, die Sachen auf den Punkt bringt und das, was Ihr kritisiert, sehe ich auch kritisch. Trotzdem - und da seid Ihr ja derselben Meinung - ist der Roman eine ganz erstaunliche Leistung. Interessant: Ich hatte auch gelesen, dass der Roman zuerst in Fortsetzungen erschienen ist, ich waere jedoch nie im Leben darauf gekommen, den Roman (u.a.) daraufhin zu lesen, ob man das noch merken kann. Jetzt, wo Du das erwaehnt und erlaeutert hast, Newman, merke ich es auch. Das sind alles erhellende Einsichten, die ich vorher nicht hatte.
    Ja, ich finde auch, dass "unsere" Uebersetzerin ihre Sache sehr gut gemacht hat!
    D A N K E!
    Aber andere sollten sich von diesen "Schlussworten" nicht abschrecken lassen, denke ich. Ich selbst werde mir auch keinen Zwang antun.

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  • Ich bin inzwischen bei Kapitel 25 angekommen, habe also ca. die Hälfe des Buches gelesen. Mir hat die Szene mit dem Aufstand ganz gut gefallen. Gaskell hat eine sehr eindringliche aber doch ruhige Art, dies zu schildern. V.a. als Margaret durch die Straßen geht und die sich häufenden Anzeichen nicht wahrnimmt, bis sie dann bei den Thorntons darauf aufmerksam gemacht wird, ist gut gemacht.


    Vermutlich wird es auch noch Ärger geben, denn Mrs Thornton hat sich ja jetzt schweren Herzens dazu durchgerungen, ihren geliebten Sohn an Margaret "zu verlieren", und jetzt will Margaret Thornton gar nicht. Das ist für Mrs Thornton wie ein Schlag ins Gesicht...


  • Vermutlich wird es auch noch Ärger geben, denn Mrs Thornton hat sich ja jetzt schweren Herzens dazu durchgerungen, ihren geliebten Sohn an Margaret "zu verlieren", und jetzt will Margaret Thornton gar nicht. Das ist für Mrs Thornton wie ein Schlag ins Gesicht...


    Ja, die stolze Mrs. Thornton! Damit ist Gaskell auch ein neuer Typ Frau gelungen. Wir kannten ja bisher die unnachgiebige und adelsstolze Lady, die ihren Dünkel wie ein schweres Parfum vor sich her trägt. Mrs. Thornton dagegen wird nur vorsichtig ironisiert. Einerseits hat sie fast genau so viel Dünkel, andererseits beruht der eher auf eigenem Verdienst. Kurz vor dem Ende gibt es eine anrührende Szene zwischen ihr und ihrem Sohn, die zeigt, dass diese Figur nicht im mindestens eindimensional angelegt ist.


    Nochmal zu den Cliffhangern in der Zeitschriftenausgabe, Volker und JHNewman, . Laut Wiki- Artikel zu "Norden und Süden" war Dickens, in dessen Zeitschrift Gaskell veröffentlichte, gar nicht zufrieden mit ihren Kapitelschlüssen und hätte sie gern viel dramatischer gehabt. Gaskell ließ sich da aber kaum reinreden,das spricht auch wieder für ihre Qualität und Eigenständigkeit.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)


  • Nochmal zu den Cliffhangern in der Zeitschriftenausgabe, Volker und JHNewman, . Laut Wiki- Artikel zu "Norden und Süden" war Dickens, in dessen Zeitschrift Gaskell veröffentlichte, gar nicht zufrieden mit ihren Kapitelschlüssen und hätte sie gern viel dramatischer gehabt. Gaskell ließ sich da aber kaum reinreden,das spricht auch wieder für ihre Qualität und Eigenständigkeit.


    Ja! Echte 'Cliffhanger' sind es nicht, aber man merkt, dass jedes Kapitel die Handlung weitertreibt und keine Zeit vegeudet wird für längere Pausen oder Reflektionen. Und ich sehe es ähnlich: Die Widerborstigkeit von Ms. Gaskell gegenüber Herrn D. gereicht ihr zur Ehre. :breitgrins:

  • Auffällig ist, dass sowohl Mrs Thornton als auch Mrs Hale so an ihren erstgeborenen Söhnen hängen und dies auch ziemlich offensichtlich kund tun. Die jüngeren Schwestern müssen sich da wohl wie Menschen zweiter Klasse vorkommen (was aber damals vielleicht nicht so ungewöhnlich war?). Elizabeth Gaskell hatte ja selbst einen älteren Bruder und kannte vielleicht dieses Gefühl der minderwertigen jüngeren Schwester.


    Mrs Thornton ist in der Tat eine sehr interessante Persönlichkeit und es ist spannend zu verfolgen, wie sie reagiert auf die jeweiligen Herausforderungen. Im Gegensatz zu Mrs Hale, die in ihrem Leben wohl immer nur gelitten und gejammert hat (statt die angenehmen Seiten zu sehen), und jetzt dafür quasi "bestraft" wird. Das wirkt schon wie ein Wink des Schicksals: "Sei mit deinem Leben zufrieden und jammere nicht! Sonst wird dir Schlechtes widerfahren!"


  • Mrs Thornton ist in der Tat eine sehr interessante Persönlichkeit und es ist spannend zu verfolgen, wie sie reagiert auf die jeweiligen Herausforderungen. Im Gegensatz zu Mrs Hale, die in ihrem Leben wohl immer nur gelitten und gejammert hat (statt die angenehmen Seiten zu sehen), und jetzt dafür quasi "bestraft" wird. Das wirkt schon wie ein Wink des Schicksals: "Sei mit deinem Leben zufrieden und jammere nicht! Sonst wird dir Schlechtes widerfahren!"


    Das hat sicherlich auch etwas mit der protestantischen Arbeitsethik des Bürgertums zu tun. Auch wenn die Engländer ihren eigenen katholischen Ableger hatten, waren die Philosophen und damit auch die Vordenker des erstarkenden Bürgertums davon beeinflusst, in der einfachen Ausformung genauso wie du es oben schreibst, @ thopas.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()

  • Ich biege gerade auf die Zielgerade des Romans ein und möchte nur anmerken, dass Mr. Bell ein wunderbarer Charakter ist, definitiv mein Favorit unter den Nebenfiguren des Romans. So ein wundervoller Sinn für Humor und so eine warmherzige Menschlichkeit...


  • Ich biege gerade auf die Zielgerade des Romans ein und möchte nur anmerken, dass Mr. Bell ein wunderbarer Charakter ist, definitiv mein Favorit unter den Nebenfiguren des Romans. So ein wundervoller Sinn für Humor und so eine warmherzige Menschlichkeit...


    Mr. Bell mag ich auch sehr. Er hat auch im gesamten Romanpersonal eine Art "Einzelstellung" als der einzige, der in der Oxforder Gelehrtenwelt lebt und weder zu Helstone noch zu Milton oder London "gehört".


    Im Kapitel 44 steht ihm in Sachen Humor Margaret in nichts nach:


    "Aber - Mr. Bell - sind Sie aus Oxford oder aus Milton hergekommen?"
    "Aus Milton. Siehst du nicht, dass ich geräuchert bin?"
    "Doch schon. Aber ich dachte, das sei der Effekt der Altertümer von Oxford."


    Köstlich! :smile:


    Gruß, Gina

  • Ihr seid alle so schnell. Ich musste ein Rankgeruest fuer die Kiwis bauen und habe viel Zeit daruf verwendet einen etwas kompizierten Origamiosterhasen so zu lernen, dass ich ihn gut auswendig drauf habe und ihn weitervermitteln kann. Da geht natuerlich alles langsamer.
    Was mir schon beim ersten Lesen aufgefallen war: Der Konflikt, in den Margret geriet, als sie bei Higgins und Boucher war und dort deren Elend hatnah erlebt hat und die Dinnereinladung vor Augen wird m.E. etwas knapp abgehandelt. Ist das so zu sehen, dass es eben damals eine Selbstverstaendlichkeit war, dass man einer solchen Einladung, unter welchen Umstaendien auch immer Folge leisten MUSSTE? Dagegen spricht, dass Throntons offenbar grosses Verstaendnis gehabt haetten, wenn Mr. und Miss Hale wegen der Krankheit von Mrs. Hale abgesagt haetten. Ich denke, Thomas Mann haette viele Seiten schreiben muessen, um die Entscheidung zum Dinner zu gehen fuer die Leser ausreichend zu begruenden.
    Dagegen ist die unwillkuerliche(?) Umarmung "tiefenpsychologisch" unter allen Aspekten und von allen (Dienstpersonal, Fanny, Mrs Thronton, Mr. Thronton und Margret) beleuchtet worden. So umstritten heute Freud ist, diese Umarmung, die ja weit ueber das Schutzmotiv hinausgeht, hat es m.E. in sich. Margret hat ja auch nicht geringe Muehe, sie vor sich zu rechtfertigen. Das Dienstmaedchen, das sie gesehen hat und Alle, denen es erzaehlt wurde, deuten sie ja auch ganz EINDEUTIG. Fuer Mrs. Thronton als "erfahrene" Frau liegt das wahre Motiv offen zutage und sie findet Margret wider Willen endlich sympathisch, weil die endlich weiss, was sie will. Der Salto, den dann Margret schlaegt, um diese Deutung von sich zu weisen, ist schon halsbrecherisch und verbaut ihr fuer lange Zeit alle Wege zu ihrem uneingestandenen Ziel. Das sind so meine Gedanken, Newman und finsbury koennten das aber viel besser darlegen, falls ihnen diese 'Sache aehnlich wichtig und interessant erscheinen sollte und die Luft bei ihnen nicht schon raus ist, weil sie die Lektuere hinter sich gelassen haben.

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    Einmal editiert, zuletzt von Volker ()

  • Ich wollte nur vermelden, dass ich auch dabei bin, bin gerade kurz vor der Dinner-Einladung. ICH LESE DAss Original. Es macht mir immer mehr Spass obwohl opulente Romane aus der Zeit eher nicht so meins sind.


    Was ich koestlich finde ist die Beschreibung wie so jeder, Arbeiter, Fabrikanten und die Hales,ihren Stolz haben und den anderen ungerechtfertigten Hochmuth (mehr oder weniger) vorwerfen.


    Volker, ich glaube dass das daher kommt dass Margaret im Umgang mit Armen Erfahrung hat. Die Betreuuung von armen Gemeindemigliedern gehoerte in Helstone ja zu ihren Aufgaben. ALSO FAELLT der Schock des neuen weitgehend weg und sie ist auch irgendwo ein Kind ihrer Klasse und hat akzeptiert, dass es solche Unterschiede gibt.


    Bei der Umarmung bin ich noch nicht.

  • Hallo Tenar, ja, ich glaube, das ist beides gut gesehen, die Fuersorge fuer die Armen als Gewohnheitserlebnis und der Besuch des Dinners als "Selbstverstaendlichkeit". Uebrigens fuer meine Grossmutter muetterlicherseits, gestorben 1910 als 38jaehrige, war es auch ueblich, zu Armen zu gehen und ihnen "etwas vorbeizubringen".
    Schoen, dass Du noch mitliest. Schade, dass die anderen schon "auf und davon" sind. Das Buch im Original zu lesen, wuerde ueber mein Vermoegen gehen.

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    Einmal editiert, zuletzt von Volker ()

  • Bin nicht "auf und davon" :winken: Ich hinke noch etwas hinterher bzw. bin gerade in Kapitel 38. Mrs Thornton will sich nun Margaret "zur Brust nehmen" und ihr klar machen, dass sie sich tunlichst nicht mit jungen Männern in der Dämmerung sehen lassen soll...


    Ich finde, dass Gaskell ganz gut diese Missverständnisse und Heimlichtuereien handhabt, die zu den ganzen emotionalen Verwicklungen führen und den Roman amüsant machen (neben den sozialkritischen Elementen). So ist dann wohl für jeden Leser etwas dabei.


    Die Episode mit Boucher fand ich recht interessant. Er dreht sich wie das Fähnlein im Winde, nur um an Geld zu kommen, um seine Familie zu versorgen. Da wundert es dann nicht, dass Hamilton ihn nicht einstellen will. Nur Selbstmord passt da irgendwie nicht ganz ins Bild, ich hätte eher erwartet, dass er abhaut und woanders sein Glück sucht und Frau und Kinder ihrem Schicksal überlässt.


    Sind Margaret und ihr Vater wirklich so in ihren jeweiligen Glauben "verbohrt", dass sie nicht erkennen können, dass es Bouchers Frau wirklich sowas von egal ist, ob die Seele ihres Mannes durch den Selbstmord gefährdet ist, wenn sie selbst und die sechs Kinder sehen müssen, wo sie etwas zu essen herbekommen ohne Versorger? Hier sind die Missionierungsversuche auch etwas fehl am Platze.