Das hier ist eine Leserunde de luxe! Gute Fragen, kluge Antworten, kompetente Kommentare. Ich kann nur allem zustimmen, was hier bislang zu den Wanderjahren geschrieben wurde, auch dem sich Widersprechenden und Kontroversen.
Ja, , Sprücheklopfer Goethe durchsetzt seinen Roman mit Sentenzen und Aphorismen, wodurch dieser etwas belehrend Behäbiges bekommt, aber es finden sich immer wieder pfiffige Personen, die diese Weisheiten umdrehen, ins Gegenteil verkehren oder spielerisch in Frage stellen und dem ganzen das Gravitätische nehmen….
Das Erzählerische tritt zurück hinter der Darlegung von Ansichten, Gedanken Weisheiten, das bedeutet aber nicht unbedingt, wie bonaventura schreibt und auch hier in der Leserunde anklingt, dass Goethe Romanhandlung nicht kann. Wie Faust II nur noch wenig von einem Drama hat, einen Bilderbogen vor dem Leser ausbreitet, so die Wanderjahre auf dem Felde des Romans...
Mag sein, dass das additive Prinzip und eine gewisse Monotonie vorherrschen, was Schauplätze und Personen betrifft, aber nicht nur Güter mit ihren Majoren, Oheimen, Nichten etc. sucht W. auf . Gleich zu Anfang wird er auf Bergpfaden und in einer Klosterruine Zeuge der mythischen imitatio des Joseph (danke, Karamzin, für die Erinnerung an die Bilder der Nazarener),besucht später den wundersamen Antiquitätenhändler, der ihm u.a. die schöne Geschichte von der Nadel erzählt, und den weitläufigen Nicht-Ort der Pädagogischen Provinz…
Ja, die Novellen scheinen wahllos eingestreut, als habe Goethe lediglich seine alten Papiere geordnet, Lost :breitgrins:, und irgendwie wiederverwertet, aber ich glaube mit Karamzin, dass den Geschichten, die schließlich alle ein Thema varieren, eine bewusste Komposition zugrundeliegt, sei es auch nur die, den Eindruck des Zwanglosen und Zufälligen zu erwecken.
Die Novellenschlüsse sind bis auf Wer ist der Verräter? offen, der Schluss des Mannes von fünfzig Jahren wirklich hanebüchen@ Jaqui, stichwortartig, so als hätte Goethe keine Lust mehr gehabt, den skizzierten Entwurf auszuarbeiten. Der Leser bleibt frustriert zurück. Wer kriegt nun wen? Gut, eine Auflösung gibt es später im „Rahmen“, wenn Wilhelm Hilarie und die schöne Witwe als „Entsagende“ wiedertrifft. Aber die Geschichte selbst bleibt unvollendet. Ich glaube, Goethe piesackt den Leser mit Absicht, unter anderem um klar zu machen, dass es in der Geschichte nicht um Wer- bekommt- wen? geht.
Ein Mann von fünfzig Jahren übrigens ist meiner Meinung nach eine sehr hintergründige Erzählung voll feiner (Selbst)Ironie.
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Kann es sein, Karamzin und Jaqui, dass Ihr in bezug auf den Mann von fünfzig Jahren von Hersilie sprecht, aber eigentlich Hilarie meint?