Frühvollendet

  • Hallo zusammen!


    Es gibt in der Kunst den Begriff des "Frühvollendeten", also des Autors, dem schon in jungen Jahren Ausgezeichnetes gelungen ist, und den der Tod früh dahinraffte (wie man zu sagen pflegt). In der deutschen Literatur würde ich den kürzlich gefeierten Georg Büchner dazu rechnen oder Wilhelm Hauff. Und im Hinterkopf der Lobreden dann immer der Gedanke: Was hätte der (oder die) noch leisten können, wenn er (oder sie) nicht so früh gestorben wäre.


    Veilleicht viel (ich denke da an Goethe oder Hofmannsthal), vielleicht aber auch wenig. Denn es gibt auch den: Den Frühvollendeten, der sein Genie überlebt. Achim von Arnim verbauerte auf seinem kleinen Gütchen - sehr zum Leidwesen der Bettina, die vom jungen Springinsfeld anderes erwartet hatte. Allerdings war ihr Bruder kaum besser - der vermystifizierte. Kennt Ihr noch andere Autoren, die im mittleren oder reifen Alter nicht mehr die Qualität erreichen konnten, die sie als junge Menschen brachten?


    Grüsse


    sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo,


    "frühvollendet" - ich denke da an Arthur Rimbaud, dessen Werke alle in seiner Jugend entstanden sind. Schon mit 19 oder 20 Jahren hat er mit dem Schreiben aufgehört und ist auch früh, mit 37, verstorben.


    Gruß, Gina

  • Dahingeraffte Geniale gibt es viele. Kafka zum Beispiel, besonders zwiespältig, weil er vermutlich, wäre er nicht an Tuberkulose gestorben, geendet hätte wie seine Schwestern, was nun wirklich eine besonders groteske Vorstellung ist. Leid tut's mir auch sehr bei Novalis, der hätte noch viel Grosses schreiben können; einerseits natürlich Gedichte, aber auch die Fortsetzung seines Romanwerks (dessen Planung ausuferte). Friedrich Schlegel wurde katholisch, was auch eine Art von Abschied ist. Und dass Gogol, ein gleichzeitig religiös und verrückt Gewordener, seine als Trilogie geplanten "Toten Seelen" nicht nur nicht zu Ende schrieb, sondern sogar anzündete und dann starb, ist eine ganz ausserordentliche Gemeinheit allen Lesern gegenüber. [Wikipedia.de: Er geriet nach seiner Rückkehr unter den Einfluss eines Priesters, der seine Werke als verderbt ansah. Er verbrannte – möglicherweise in einem wahnhaften Anfall – das Manuskript des zweiten Teils der Toten Seelen, bezeichnete dies aber kurz darauf als großen Fehler. Die Psychose zerstörte den einst so umtriebigen Literaten schließlich vollends: Gogol starb an den Folgen strengen religiösen Fastens im Alter von 42 Jahren.]


    Ulrich Horstmann hat übrigens mal ein schönes Buch mit dem Titel "Die Aufgabe der Literatur" geschrieben, in dem es um Autoren geht, die aufgehört haben zu schreiben.

  • Ich würde unbedingt Klabund in den hiesigen Kanon mit aufnehmen wollen.


    Gruß
    Meier

    "Es gibt andere Geschichten auf einem andern Blatt Papier, doch jede ist mit der ersten verwandt" * Keimzeit

  • Was ist mit Jane Austen? Besonders alt ist sie nicht geworden. Gerade bei ihr interessiert mich sehr, was sie wohl später geschrieben hätte, da sich ihre früheren Bücher doch sehr von den älteren unterscheiden.

  • Hallo,


    Ich würde für meinen Teil sogar Thomas Mann in diesen Kanon stecken, denn nach den "Buddenbrocks", die er immerhin mit 25 Jahren verfasste, gibt es meiner Meinung nach wenig, was sich vom Jugendwerk so weit abhebt, dass man es als deutlich reifer bezeichnen könnte. Vieles ist sogar weit dahinter zurückgeblieben. Gut, ich bin kein Mann-Verehrer (vom Heinrich abgesehen) und mochte von Thomas Mann nur die Buddenbrocks, wohl auch der verständlichen Sprache wegen.


    LG Heinrich

  • Servus Heinrich und herzlich willkommen im KF. Im Grunde genommen würde ich dir bei Th. Mann beinahe Recht geben, möchte aber die Joseph Geschichte trotzdem als das etwas reifere (beinahe) Alterswerk bezeichnen. Zwar war stilistisch nach den Buddenbroocks eh kaum eine Steigerung möglich, dennoch sehe ich eine Weiterentwicklung in der Auswahl der Thematik wie auch in der unterschwelligen Heiterkeit, von welcher dieses wundervolle Meisterwerk durchgängig getragen ist.


    Gruß
    Meier

    "Es gibt andere Geschichten auf einem andern Blatt Papier, doch jede ist mit der ersten verwandt" * Keimzeit

  • Spontan: Hugo von Hofmannsthal.
    Ein in Amerika sehr bekannter (tragisch geendeter) Autor, der in diese Kategorie wohl hineinpasst, dürfte John K. Toole sein (Neonbibel, Verschwörung der Dummköpfe)

  • Na ja ....


    Hofmannsthal starb zwar mit 55 relativ jung (was ihm die Emigration ersparte), und er war auch ein frühreifer Lyriker. Aber 'frühvollendet' würde ich ihn nicht mehr nennen. Dafür war er bei seinem Tod doch zu alt, auch hat er sein Leben lang valable Sachen geschrieben.


    Und was Thomas Mann betrifft: Ich glaube, Arno Schmidt hat einmal gesagt, dass im Grunde genommen jeder Autor sein Leben lang immer dieselbe Geschichte schreibt. So betrachtet wäre jeder Autor 'frühvollendet' - was den Begriff natürlich völlig entwerten würde. Bei Th. Mann aber ist z.B. eine stilistische Weiterentwicklung nicht zu leugnen.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Alexander Puschkin und Michail Lermontow fielen in jungen Jahren im Duell. Schwer zu sagen, wie sich ihr literarisches Schaffen weiterentwickelt hätte. Wie neuere Forschungen zeigen, war der Zar, ein geradlinig denkender Offizierstyp mit Ordnungssinn, nicht allein der grimmige Zensor von Puschkins Talent, sondern wollte auch 1837 den duellsüchtigen aristokratischen Dichter durchaus davor bewahren, weitere Dummheiten zu begehen. Vergeblich.


    Lermontows Roman "Ein Held unserer Zeit", der sich aus in sich geschlossenen Erzählungen zusammensetzt, hätte unter Umständen als sein wichtigstes Werk allein dastehen können, wäre der Schriftsteller aus dem wilden Kaukasus dauerhaft in die Petersburger Zivilgesellschaft zurückgekehrt.


  • Hofmannsthal starb zwar mit 55 relativ jung ... und er war auch ein frühreifer Lyriker. Aber 'frühvollendet' würde ich ihn nicht mehr nennen. Dafür war er bei seinem Tod doch zu alt, auch hat er sein Leben lang valable Sachen geschrieben.


    Unter 'frühvollendet' habe ich verstanden, dass ein Auto bereits mit recht jungen Jahren alles Entscheidende geschrieben hat. Wie alt er dann biografisch wird, ist irrelevant.
    Ach ja: Arthur Rimbaud. Die Zeit in Afrika/Arabien - und das waren (biografisch sehr, sehr bewegte) Jahre - kann man absolut vernachlässigen. Rimbaud war keine 20, als er sozusagen aufgehört hat, literarisch relevant zu sein. Und v. Hofmannsthal: hat der etwas Relevanten, d.h. für ihn qualitativ Neues geschrieben jenseits der 35? Kann (muss?) man sich drüber streiten.

  • Arthur Rimbaud kann nicht wirklich als frühvollendeter gelten. Denke ich. Denn immerhin war es sein ureigener Entschluss, das Schreiben sein zu lassen. Da kann man einem nicht mehr komm mit: was aus dem noch geworden wäre. Wobei, vielleicht macht ihn das gerade zu einem Vollendeten: dass er es selber so sah. Das hatten ja nur wenige, dass sie einfach mit dem Schreiben aufgehört haben, weil es einfach gut war...

  • Weil wir gerade bei französischer Lyrik sind, wäre da m.M.n. auch noch François Villon.


    Gruß
    Meier

    "Es gibt andere Geschichten auf einem andern Blatt Papier, doch jede ist mit der ersten verwandt" * Keimzeit

  • Die Frage ist: was verstehen wir genau unter "Vollendung"? Goethes früher Stil war ja in dem Sinne auch vollendet. Danach hat er sich in eine andere Richtung entwickelt. So geht es ja vielen jungen Schreibgenies. Dass sie in jungen Jahren schon etwas vollendetes erreichen, ist unter den Klassikern doch eher der Normalfall...?

  • Kafka hätte niemals von selbst aufgehört. Es gibt Autoren, die wirklich für die Literatur gelebt haben, er gehörte zu dieser Sorte. Er wollte ja sogar deshalb keine Beziehung eingehen, weil es ihn am Schreiben gehindert hätte. :smile: