Gustav Freytag

  • In einem Roman spielen ja Kunstfiguren, und Freytag hat seinen Juden mit so ziemlich allen einschlägigen Stereotypen ausgestattet. Also ist der Roman antisemitisch.

    Vor ewigen Jahren habe ich ein Mal ein Interview mit einer israelischen Literaturwissenschaftlerin gehört (die früher eine deutsche Literaturwissenschaftlerin war), in dem sie sagte, dass alle deutschsprachigen Autoren des 19. Jahrhunderts, einschließlich Heine und nur mit einer Ausnahme, Antisemiten waren. Die Ausnahme ist Gottfried Keller und wer den Grünen Heinrich gelesen hat, kann bestätigen, dass Keller nichts mit Diskriminierung verbindet.

    Das ist ja bekannt, auch, dass das für fast alle deutschen und viele europäische Autoren gilt. Typisch und ähnlich gefährlich ist die Verherrlichung des Germanischen, die man auch im ersten Band der Ahnen findet. Ich denke, es ist uns hier allen völlig klar, auf welchem f(r)uch(r)tbaren kulturellen Boden Hitler später seine menschenverachtende und -vernichtende Ideologie aufbauen konnte.
    Aber es ist so ähnlich wie mit Wagner oder Nietzsche: Es gibt diese Stellen bei Freytag, aber eben auch viele andere Aspekte, unter denen man seine Werke lesen kann, und einige davon gehören in eine sehr positive, weil freiheitliche Tradition.

    Ich denke, gerade wir als Literaturfreunde sollten offen und kritisch mit unserem literarischen Erbe umgehen. Nur so kann man Kultur in Wert setzen und weiterentwickeln.

  • Das ist ja bekannt, auch, dass das für fast alle deutschen und viele europäische Autoren gilt. Typisch und ähnlich gefährlich ist die Verherrlichung des Germanischen, die man auch im ersten Band der Ahnen findet. Ich denke, es ist uns hier allen völlig klar, auf welchem f(r)uch(r)tbaren kulturellen Boden Hitler später seine menschenverachtende und -vernichtende Ideologie aufbauen konnte.
    Aber es ist so ähnlich wie mit Wagner oder Nietzsche: Es gibt diese Stellen bei Freytag, aber eben auch viele andere Aspekte, unter denen man seine Werke lesen kann, und einige davon gehören in eine sehr positive, weil freiheitliche Tradition.

    Ich denke, gerade wir als Literaturfreunde sollten offen und kritisch mit unserem literarischen Erbe umgehen. Nur so kann man Kultur in Wert setzen und weiterentwickeln.

    Ich stimme dir im wesentlichen zu, und auch ich meine eine Gleichsetzung des Antisemitismus aus dem 19. Jahrhundert, mit dem aus dem 20. Jahrhunderts hat auch seine Tücken. Abwertung führt nicht zwangsläufig zum Völkermord. Unverständliche ist mir jedoch, dass gebildete Literaten ihre Vorurteile ohne Reflexion verbreiten und bewusst manipulativ einsetzen. Fontane hat das wenigstens, so weit ich es weiß, nicht in seinen Romanen und Geschichten gemacht.

  • Nun, wir erkennen aber auch im 21. Jahrhundert bei einigen Autoren, wie zum Beispiel Tellkamp, jetzt nicht Rassismus, aber doch zumindest ablehnende Befindlichkeiten relativ pauschal gegen Migration gerichtet. Das ist nicht unbedingt das Gleiche, aber hohe Bildung und Ausdrucksfähigkeit gehen nicht unbedingt mit einer reflektierten und differenzierten Meinungsäußerung einher.

    Im Übrigen ist es ja gerade das, was Fontane zu einem Schriftsteller der allerersten Garde auch europaweit macht, während Freytag und andere zwar ihre Meriten haben und meiner Meinung nach auch nicht ganz vergessen werden sollten, aber eben nicht in der ersten Liga spielen. Und das gilt leider auf breiter Basis für unsere Romanautoren des 19. Jahrhunderts, die können bis auf Fontane einfach nicht mithalten mit den Briten und Franzosen. Sie sind, auch wenn man von antisemitischen und anderen Vorurteilen absieht, oft zu sehr im Kleinklein gefangen oder so verschroben, dass sie zwar eigentlich genial sind, aber kaum verstanden werden, wie Jean Paul und zum Teil auch Raabe.

  • Da stimme ich Finsbury gerne zu. Man muss auch ein wenig differenzieren zwischen dem, was dann sozusagen als zeittypisch gelten kann, und regelrechten Auswüchsen. Mir ging es ja neulich mit Gogols 'Taras Bulba' so, dass ich den triefenden Nationalismus, den Antisemitismus und die abwertende Beschreibung der Polen ziemlich unerträglich fand. In anderen Werken Gogols findet sich das so auch nicht, da bleibt Gogol sozusagen eher zeittypisch. Und klar: Manche Autoren sind uns dann heute auch eher zugänglich, weil sie über das Denken ihrer Zeit hinauswuchsen - wie eben Fontane.


    Ganz wichtig finde ich, die Sicht zu kontextualisieren. Ich führte letzte Woche eine recht bizarre Diskussion um zwei zeitgenössische Autoren: Johann Scheerer und Christoph Peters. Scheerer hat ein Buch über die späten 90er Jahre geschrieben. Er ist der Sohn von Jan Philipp Reemtsma und war von dessen Entführung betroffen. In dem Buch reden die Menschen, wie Menschen in den 90er Jahren geredet haben. Es werden Begriffe wie Indianer und Schimpfwörter wie Mongo oder Spasti gebraucht. Auch Christoph Peters erzählt in seinem Dorfroman davon, wie der Erzähler mit Indianerfiguren spielt. Dem Rezensenten war das nicht recht. Er war der Meinung, dass in Büchern, die 2021 erscheinen, solche Begriffe nicht mehr unkommentiert stehen dürften. Ggf. müsse der Verlag einen Disclaimer in das Buch setzen. Ich wiederum bin der Meinung, dass Figuren der 80er oder 90er Jahre nicht von 'Native Americans' sprechen können, denn das wäre ein Anachronismus. Wir hatten damals kein anderes Wort für 'Indianer'.

  • Ganz wichtig finde ich, die Sicht zu kontextualisieren. Ich führte letzte Woche eine recht bizarre Diskussion um zwei zeitgenössische Autoren: Johann Scheerer und Christoph Peters. Scheerer hat ein Buch über die späten 90er Jahre geschrieben. Er ist der Sohn von Jan Philipp Reemtsma und war von dessen Entführung betroffen. In dem Buch reden die Menschen, wie Menschen in den 90er Jahren geredet haben. Es werden Begriffe wie Indianer und Schimpfwörter wie Mongo oder Spasti gebraucht. Auch Christoph Peters erzählt in seinem Dorfroman davon, wie der Erzähler mit Indianerfiguren spielt. Dem Rezensenten war das nicht recht. Er war der Meinung, dass in Büchern, die 2021 erscheinen, solche Begriffe nicht mehr unkommentiert stehen dürften. Ggf. müsse der Verlag einen Disclaimer in das Buch setzen. Ich wiederum bin der Meinung, dass Figuren der 80er oder 90er Jahre nicht von 'Native Americans' sprechen können, denn das wäre ein Anachronismus. Wir hatten damals kein anderes Wort für 'Indianer'.

    Ja, da ist ganz viel dran. In einem anderen Forum habe ich neulich gelesen, dass es tatsächlich eine Freytag-Ausgabe gibt, die "behutsam" bearbeitet wurde, um die heutigen Leser z.B. durch "zeitgebundene Ansichten" - sprich den Antisemitismus - nicht zu verschrecken. Aber das ist in höchstem Maße unehrlich. Man muss von aufgeklärten Leser*innen anspruchsvoller Belletristik oder älterer Literatur erwarten können, kontextuell zu lesen und Ausdrücke als vom Zeitgeist beeinflusst zu identifizieren.

    Es kommt bei zeitgenössischen Werken dann wiederum darauf an, wie sich z.B. Scheerer und Peters in ihrer Gesamtaussage zeigen, dann kann man ja erkennen, wohin die Reise geht, was anschaulich die gewählte Epoche illustriert oder was tatsächlich als Aussage vermittelt werden soll.

  • Ich bin jetzt mit dem 'Ingraban' fast zur Hälfte durch. Das Buch gefällt mir richtig gut. Hängt auch damit zusammen, dass die Sprache der Dialoge nicht mehr ganz so verschwurbelt daherkommt... Zu Beginn dachte ich, dass Freytag hier das Bonifatiusmotiv nett verarbeitet. Bis sich die Figur dann als Bonifatius selbst zu erkennen gab. :-D


    Die Darstellung der Slawen ist schon, sagen wir mal, etwas einseitig. Aber wie Freytag hier die Geschichte mit dem Thema Abenteuer verbindet, gefällt mir.

  • Den "Ingraban" fand ich auch noch ein bisschen besser als den Ingo, weil noch mehr auf die Befindlichkeiten eingegangen wird und nicht ständig von "Knaben" die Rede ist, was mich am "Ingo" auf die Dauer auch nervte.


    Was die Slawen angeht, bin ich gespannt, wie sie im vierten Band: Die Brüder vom Deutschen Haus wegkommen. Ich glaube, da geht es um die Landnahme im Osten durch den Deutschherrenorden.

  • Den Ingraban habe ich nun beendet. Ich mag es, wie Freytag die Geschichten mit heute noch bestehenden Orten verbindet, wie Siedlungs- und Herrschaftsstrukturen sich herausbilden und wie die Geschichte der Christianisierung erzählt wird. Das ist Edutainment im Stil des 19. Jahrhunderts, aber gekonnt gemacht und man versteht, warum Freytag seinerzeit so erfolgreich war. Ich habe jedenfalls große Lust, weiterzulesen und den nächsten Roman in Angriff zu nehmen (dazwischen lese ich aber noch etwas anderes...).

  • Ich habe jedenfalls große Lust, weiterzulesen und den nächsten Roman in Angriff zu nehmen (dazwischen lese ich aber noch etwas anderes...).

    Das tue ich auch gerade mit Flauberts "Salambo". Das ist auch ein historischer Roman und mag kunstvoller sein als Freytag, aber der Roman nervt mich ungeheuer, weshalb ich auch so langsam vorankomme. Danach werde ich auch den dritten Band der Ahnen lesen.

  • Der zweite Band der „Ahnen“ – nach „Ingo und Ingraban“ – „Das Nest der Zaunkönige“ erschien 1873. Ca. 250 Jahre sind seit der Handlung des „Ingraban“ verstrichen, und wir befinden uns nun im Jahr 1003, zur Zeit der beginnenden Herrschaft Kaiser Heinrichs des Zweiten, der zu dieser Zeit aber erst König war, kurz vor seinem ersten Italienzug.

    Immo, ein Nachfahre Ingos und Ingrabans – man bemerke die Is, erinnert ein wenig an ein Stutbuch – ist der älteste von sieben Söhnen aus dem gleichen alten freien thüringischen Adelsgeschlecht und von den Eltern zur Buße einer Schuld der Kirche versprochen worden. Dafür eignet sich der wilde Immo aber gar nicht und versetzt als fast fertiger Schüler das hessische Kloster durch Streiche und kriegerische Unternehmungen in ziemliche Aufregung. Schließlich weist ihn der Abt aus dem Kloster, bedient sich seiner aber gleichzeitig als Boten zu König Heinrich. Es ist die Zeit, in der Adelige und auch hohe Geistliche versuchen, möglichst viel von der Königsmacht abzuknapsen und sich selbst einzuverleiben. Heinrichs Regierungszeit ist eine der Konsolidierung der Königsmacht und des Einsetzens der Geistlichkeit zu Verwaltungszwecken.


    Immo nun mausert sich unter Heinrich und später unter dem Sachsenherzog zu einem großen Kriegshelden, von dem überall im Lande die Spielleute singen. Seine Brüder, ihm zuerst feind, weil er das Ältestenrecht für sich fordert, obwohl er ja eigentlich als Geistlicher aus der Erbfolge gefallen war, versöhnen sich mit ihm und helfen ihm, seine geliebte Hildegard, die Tochter eines intriganten Grafen, die er noch auf seinen Eskapaden als Klosterschüler kennen gelernt hat, vor dem Schleier zu retten, den sie auf Geheiß ihres Vaters und des Königs als Genugtuung für die Sünden des Grafen nehmen soll. Im Finale des Buches entscheidet sich endlich vor einem großen Königsgericht, wie es für die „Zaunkönige“ – die sieben freien, noch nicht einmal dem König lehenspflichtigen Brüder – weitergeht und ihrer Mühlenburg, dem „Nest“.


    Dieser Roman folgt wieder einem ähnlichen Schema wie die beiden vorigen: Es zeichnet sich ab, dass Freytag kriegerische Helden mit goldenem Herzen als Protagonisten liebt, die sich mit den Problemen der Zeit – hier mit der Auseinandersetzung zwischen Geistlichkeit, Erbadel und Königtum – auseinandersetzen müssen und dabei natürlich noch eine schöne Frau gewinnen. Dennoch hat auch dieser Band wieder viele Farben, viel Lokalkolorit, das vor allem Lesern gefallen dürfte, die sich in Thüringen auskennen, und große Fabulierlust. Immo ist mir noch sympathischer als seine Vorgänger, weil er diesen jugendlichen Überschwang hat und durch seine naive Gradlinigkeit für die hohen Herren zu einer echten Seelenprüfung wird.

  • Ich habe gerade von Walter Mehring "Müller - Chronik einer deutschen Sippe" gelesen. Das könnte man fast als Satire auf Freytag betrachten. Der erste (nachgewiesene) Müller hat Tacitus die Germania diktiert. Und so geht es dann durch den Zeitenlauf bis ins Nazideutschland. Und immer war ein Müller in geschichtsträchtige Ereignisse involviert.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Und in Freytags "Ahnen" tragen die Helden der ersten drei Bände immer einen sehr germanentümelnden Namen mit "I", wie aus dem Stutbuch. Bin gespannt, ob das durch alle Bände so weitergeht, aber der übernächste, den ich zu lesen habe, heißt Markus König, dann wohl nicht.

    Diese Mehring-Geschichte klingt aber lustig.

  • Da bin ich gespannt auf dein Urteil. Spannend und farbig ist der Roman durchaus. Dennoch sitze ich recht lange an diesen 200 bis 400 Seiten dicken Romanen. Wenn ich den dicken historischen Roman über Walther von der Vogelweide endlich durchhabe, werde ich mit dem vierten (oder dritten Band, wenn man INGO und INGRABAN zusammennimmt, wie das in vielen Ausgaben gemacht wird) beginnen DIE BRÜDER VOM DEUTSCHEN HAUS.

  • Ich habe mich mit dem Roman wieder recht gut unterhalten gefühlt. Da es diesmal auch um die Klöster Hersfeld und Fulda geht (die ich gut kenne), fühlte ich mich im Roman auch zuhause. Die Konflikte zwischen klösterlicher und weltlicher Herrschaftsausübung und den Grafengeschlechtern fand ich gut dargestellt, auch wie die unterschiedlichen Gruppen um Einfluss und Freiheit ringen. Herrschaft ist in dieser Epoche nicht statisch, sondern ein dynamischer Prozess - das macht der Roman schön deutlich. Nun bin ich gespannt, wie die Geschichte weitergeht, ich werde aber dazwischen sicher wieder noch einige andere Bücher lesen.

  • Nach lämgerer Pause, bedingt durch saisonale Arbeitsspitzen, bin ich wieder bei den "Ahnen" gelandet und habe den dritten Band - nach Zählung der Einzelerstveröffentlichungen - "Die Brüder vom Deutschen Haus" gelesen.

    Darin geht es um einen der letzten reichsfreien Adeligen Thüringens, der sich unter Friedrich II. in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts gegen die Übernahme seines Eigentums durch mächtige Territorialfürsten wehrt, später an einem Kreuzzug und dann, als er sein Anwesen schließlich doch verliert, an der Landnahme des Deutschen Ordens im Osten teilnimmt, einer Bruderschaft, die der Autor sehr positiv darstellt. Ich bin nicht fit in der Geschichte der deutschen Ostkolonisation, glaube aber nicht so recht, dass diese "Brüder vom Deutschen Hause" wirklich soviel besser waren als die Templer und Johanniter... . Auch
    hier wirkt der Professorenroman aus dem 19. Jahrhundert ein wenig heimat- und deutschtümelnd . Aber die Menschen anderen Glaubens, denen die Hauptperson Ivo beim Kreuzzug begegnet und deren Gegner, die Kreuzzugsteilnehmer, werden differenziert beschrieben und auch die Greueltaten und die egoistischen Motive vieler Kreuzzugsteilnnehmer werden nicht verschwiegen: Kann man also auch heute noch gut lesen und ist darüber hinaus auch noch spannend. Nebenher spielt im ersten Teil des Romans auch die Zeit der Minnesänger eine Rolle: Ivo besingt eine hochrangige Adelige, eine Cousine des Kaisers Friedrich, heiratet aber später die Tochter eines freien Bauern.

    Mit diesem Roman steigt die Dynastie auch aus dem Adel aus. Wir erfahren am Ende noch, dass der tapfere Kämpfer und Ostsiedler Ivo von seinen Nachbarn und Bewunderern "König" genannt wird, ein Ehrentitel und zugleich eine Reminiszenz des Autors an Ivos Vorfahren des ersten Bandes, den vandalischen Königssohn Ingo. Im vierten Band geht es dann mit dem bürgerlichen "Markus König" weiter.

  • Und diesen vierten Band, oder nach Zählung der Romanhandlungen und Zeitabschnitte fünfte, "Markus König", habe ich nun ausgelesen. Die Handlung verlagert sich nun von Thüringen, in dem, zumindest hauptsächlich, die ersten vier Bände spielten, an die Weichsel, in die deutsche Stadt Thorn, die früher dem Deutschorden und nun, zu Beginn der Handlung, dem polnischen König untersteht.
    Markus König, ein angesehener Kaufmann und Mitglied des "Artushofes", einer Art Ehrengemeinschaft der Honoratioren von Thorn, trauert auch in seinen reifen Jahren den Zeiten nach, in denen Thorn dem Deutschherrenorden unterstand, und will diese Herrschaft mit Geld wieder herstellen, das er dem derzeitigen Hochmeister, Albrecht von Brandenburg-Ansbach, zur Verfügung stellt und für das ihm dieser den Eid leistet, sich auf keinem Fall dem polnischen König unterzuordnen. Die kriegerischen und diplomatischen Auseinandersetzungen enden dennoch mit der Machterhaltung des polnischen Königs, der dafür Albrecht als weltlichem Herzog über das alte Ordensland das Lehensrecht überträgt.
    Zornig und zutiefst verbittert begibt sich der alte Markus König auf eine Wallfahrt nach Santiago de Compostela, kann aber auch so nicht den inneren Frieden finden.

    Parallel zu dieser Handlung geht es um das Umsichgreifen der Reformation in Deutschland, und Freytag setzt mit diesem Roman Martin Luther ein großes Denkmal.
    Noch während des Konflikts des Hochmeisters mit dem polnischen König spielt die Handlung um den Sohn Markus Königs, den jungen Georg, der ein Brausekopf ist und viel Unsinn macht, der ihn zum wiederholten Male vor den Thorner Stadtrat führt und seinen Vater erzürnt. Dies besonders, nachdem sich Georg mit seinem Lateinlehrer und dessen Tochter angefreundet hat und die beiden, als der Lehrer, weil er die in den Augen der katholischen Priester und Mönche Thorns ketzerischen Schriften Luthers weiter verbreitet, angegriffen werden, gegen einen polnischen adeligen Katholiken verteidigt und diesen dabei schwer verwundet.
    Georg wird aus der Stadt verbannt, gerät bei einem Schiffsüberfall ebenso wie der Lateinlehrer und Anna, seine Tochter, in die Gewalt von Landsknechten, von denen einige dem Hochmeister, andere dem König von Polen dienen. Um Anna vor Übergriffen zu schützen und weil er sie seit langem liebt, heiratet Georg sie, wird von dem Hauptmann der Landsknechte als Fähnrich gewonnen, weil ihm in seinem rechtlosen Zustand nichts anderes übrigbleibt.
    Zum Schluss kommen alle, nachdem es unter Luthers Einfluss zu einer Versöhnung zwischen Vater und Sohn gekommen war und der alte Markus von seinen Wallfahrten zurückkehrt, kurz vor dessen Tod auf der Festung Coburg in Thüringen, die alte Idisburg aus den ersten Bänden der "Ahnen", und Luther kann endlich dem Vater seine Verbitterung nehmen und ihn dazu bringen, dem Herzog seinen Eidbruch zu verzeihen.


    Wie oben in der DIskussion mehrfach angemerkt, kann man hier auch die Licht- und Schattenseiten von Freytags Schreib- und Darstellungsweise in unmittelbarer Nähe nachweisen, besonders auffällig am Ende. Luther sagt zu Markus König:


    "[...] viele hundert Jahre sind vor dem Herrn wie ein Tag, die Geschlechter der Menschen, welche aufeinanderfolgen, sind vor ihm wie Halme eines Sommers und die Erde gleich einem Landgut; und wie ein Wirt Weizen und Hafer, so säet er Deutsche und Polen nacheinander auf denselben Grund, gerade die Frucht, welche er für die himmlische Wirtschaft bedarf. Was wollt Ihr, der Ihr nur ein Halm der Erde seid, im voraus bestimmen, welche Frucht der Herr jetzt und künftig an der Weichsel säen soll?«"


    Das klingt christlich und nach unseren heutigen Vorstellungen tolerant, aber keine halbe Seite später findet sich diese Stelle, ebenfalls Luther in den Mund gelegt:


    "Wenn die Polen Gottes Wort annehmen und treu bewahren, wie sie ja auch guten Willen haben, so werden sie und ihre Herrschaft fröhlich gedeihen, und Euren Landsleuten wird es frommen, in Eintracht mit ihnen zu leben. Wenn sie aber beharren in ihrem alten Wust und Unrat, so werden sie darin umkommen und hier und dort ihren Lohn erhalten. Sind die Deutschen besser in Glauben und Gewissen, so mögt Ihr vertrauen, daß sie auch tüchtiger auf der Erde sein werden und dem Herrn liebere Kinder Evä als die Polacken, wenn diese ungewaschen und strotzig bleiben.«"


    Aua!


    Mir hat dieser Band bisher am wenigsten gefallen: Er beinhaltet - neben dem interessanten Konflikt zwischen Reformation und Restauration im Weichselland - viel frommes Geschwurbele, und die Liebesgeschichte zwischen Anna und Georg zieht sich nach Courths-Mahler-Manier züchtig in die Länge, bis endlich der Knoten platzt. Danach wird es interessanter. Aber die ersten hundert Seiten waren ein echte Prüfung.


  • Es sind wieder einige Monate ins Land geflossen, doch der Urlaub bot nun Muße für die Fortsetzung der Lektüre.


    „Die Ahnen“ Band 5 „Die Geschwister“ von Gustav Freytag ist der vorletzte Band des Romanzyklus und wie der erste Band ein Doppelroman, dessen beide Handlungen ca. 70 bis 100 Jahre auseinanderliegen.

    In der ersten Hälfte geht es um den „Rittmeister von Altrosen“ Bernhard König, der in den letzten Jahren des Dreißigjährigen Krieges als Offizier eines Regimentes dient, das, nachdem sein Feldherr, der Herzog von Weimar verstorben ist, den Franzosen zugeschlagen wurde. Damit unzufrieden setzt das Regiment seine bisherigen adeligen Offiziere ab, wählt seine eigenen, wie eben jenen Bernhard König, und sucht sich selbstständig einen neuen Feldherren, zunächst den Bruder des Verstorbenen, der aber ablehnt, dann den deutschen General in schwedischen Diensten, Königsmarck. Bernhard hat eine Schwester, die er im Tross mit sich führt und die aus der Vergangenheit für ihre scheinbar prophetischen Gesichte bekannt ist, die sie im Schlaf hat. Aufgrund dessen kommt sie bei dem Herzog von Sachsen-Gotha unter, wenn dieser auch das Kommando über das Regiment seines verstorbenen Bruders ablehnt. Auf dem Weg zu diesem Herzog treffen die beiden Geschwister auf vor marodierenden Soldaten und Kriegsplünderern geflüchtete Bewohner eines thüringischen Dorfes. Eine der Bewohnerinnen, die mit den Geschwistern in ihr Dorf zurückkehrt, ist Judith, selbst mit ihrem Vater aus dem Erzgebirge vertrieben. Zwischen der heil- und kräuterkundigen Judith und Bernhard entspinnt sich eine Liebesbeziehung, weshalb ein abgewiesener Verehrer Judith der Hexerei beschuldigt. Sie kann in letzter Sekunde durch Bernhard gerettet werden, doch nachdem sie geheiratet und einen Sohn bekommen haben, werden sie durch die Kugeln eines militärischen Konkurrenten Bernhards beide zu den letzten Opfern des Dreißigjährigen Krieges. Das Kind kommt zu der Schwester, die inzwischen einen Pastor im Herrschaftsgebiet von Sachsen-Gotha geheiratet hat.


    Der Enkel dieses Kindes wiederum hat zwei Söhne, die sich mit den harten Sitten und Ungerechtigkeiten des Militärs unter dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm von Preußen und dem Sachsen- und Polenkönig August dem Starken herumschlagen müssen. Der jüngere Sohn August wird aus erzieherischen Gründen vom Vater zum preußischen Militär geschickt, wo er charakterlich geformt werden soll. Allerdings kann der rasch zum „Freikorporal bei Markgraf Albrecht“ Aufgestiegene sich nicht wieder vom preußischen Militär lösen, als sein Vater stirbt und die Mutter ihn zur Verwaltung ihres Gutes braucht, weil der preußische König ihm den Abschied verweigert. Nachdem alle Fürsprachen nichts nützen, versucht es sein groß gewachsener älterer Bruder Friedrich, der die geistliche Laufbahn eingeschlagen hat, der aber bei dem König Begehrlichkeiten für die Verwendung bei seinen langen Kerls weckt. Nur im Tausch ist dieser bereit, August ziehen zu lassen. So kommt es dann auch, aber Friedrich schafft es durch seinen Mut und seine Standhaftigkeit gegenüber dem König, dass er nicht in den aktiven Dienst kommt, sondern zunächst wie sein Vater zum Feldprediger wird und später eine märkische Pfarre bekommt. Natürlich gibt es auch wieder zwei Liebesgeschichten mit reizenden Jungfrauen für die beiden Geschwister, aber sie spielen für das Fortlaufen der Handlung eine untergeordnete Rolle. August schließlich fällt in sächsischen Diensten im Konflikt zwischen Kursachsen-Österreich auf der einen und Preußen auf der anderen Seite 1745 in der Schlacht bei Kesselsdorf. Auch hier nimmt wieder das Geschwister, nämlich der ältere Bruder, Witwe und Kinder bei sich im märkischen Pfarrdorf auf.


    Zunächst finde ich diesen Doppelband von allen bisher gelesenen „Ahnen“-Romanen am schwächsten und am schwierigsten zu lesen, letzteres insbesondere bezogen auf den ersten Band, weil diese ganzen Regiments- und Hoheitskonflikte sehr verwirrend sind und nur für ausgewiesene Militärhistoriker ohne intensive Begleitlektüre verständlich, ersteres weil die ganzen Liebesgeschichten Gartenlaube-Niveau haben und der Kontrast zwischen strammen Kerls beim Militär und züchtigen, frommen Jungfrauen für heutiges Verständnis schwer zu schlucken ist.

    Andererseits habe ich viel über die militärischen Strukturen, politische Überlegungen der Feldherren und die Ungerechtigkeiten der Militärhierarchien mit dem unbedingten Gehorsamsgebot gegenüber Vorgesetzten, insbesondere, wenn sie adelig sind, erfahren. Was mir dabei gut gefallen hat, ist, dass Freytag im ersten Teil die Überlegungen der Feldherren, denen das Regiment des verstorbenen Fürsten angetragen wird, sehr klar und deutlich vermittelt werden und man genau wie die Bedürfnisse der einfachen Soldaten auch durchaus versteht, mit welchen Entscheidungen und deren Konsequenzen sich die Machthaber herumschlagen müssen. Im zweiten Teil fand ich die Willkür der Soldatenkönigs, wenn es darum geht, seinen Besitzstand an militärischem Personal zu wahren, sehr gut und eindrücklich dargestellt, ebenso wie die Willkür Augusts des Starken, der für die Zufriedenstellung seiner Mätresse seinen Leutnant zur Schnecke macht, obwohl der völlig richtig nach Dienstvorschrift gehandelt hatte.


    Fazit also: Die Lektüre hat weniger Vergnügen gemacht als die der vorherigen Bände, aber ich habe einen – wie ich glaube – recht authentischen Einblick in die politischen und militärischen Verhältnisse der beiden dargestellten Zeiträume bekommen. Die kitschigen Verschnörkelungen mit den Liebesgeschichten hätte sich der Autor gerne sparen können.