In einem Roman spielen ja Kunstfiguren, und Freytag hat seinen Juden mit so ziemlich allen einschlägigen Stereotypen ausgestattet. Also ist der Roman antisemitisch.
Vor ewigen Jahren habe ich ein Mal ein Interview mit einer israelischen Literaturwissenschaftlerin gehört (die früher eine deutsche Literaturwissenschaftlerin war), in dem sie sagte, dass alle deutschsprachigen Autoren des 19. Jahrhunderts, einschließlich Heine und nur mit einer Ausnahme, Antisemiten waren. Die Ausnahme ist Gottfried Keller und wer den Grünen Heinrich gelesen hat, kann bestätigen, dass Keller nichts mit Diskriminierung verbindet.
Das ist ja bekannt, auch, dass das für fast alle deutschen und viele europäische Autoren gilt. Typisch und ähnlich gefährlich ist die Verherrlichung des Germanischen, die man auch im ersten Band der Ahnen findet. Ich denke, es ist uns hier allen völlig klar, auf welchem f(r)uch(r)tbaren kulturellen Boden Hitler später seine menschenverachtende und -vernichtende Ideologie aufbauen konnte.
Aber es ist so ähnlich wie mit Wagner oder Nietzsche: Es gibt diese Stellen bei Freytag, aber eben auch viele andere Aspekte, unter denen man seine Werke lesen kann, und einige davon gehören in eine sehr positive, weil freiheitliche Tradition.
Ich denke, gerade wir als Literaturfreunde sollten offen und kritisch mit unserem literarischen Erbe umgehen. Nur so kann man Kultur in Wert setzen und weiterentwickeln.