Klassiker analysieren

  • Hallo zusammen


    was mich mal interessieren würde ist, ob ihr gerne Klassiker analysiert, wenn ja in welchem Maße, wie tief?


    oder neigt ihr eher dazu mehr nach Gefühl zu lesen: was bewirkt bzw. wie wirkt die erzählte Geschichte auf mich.


    Ich liege irgendwo dazwischen. Manchmal fühle ich mich überfordert, wenn zu "tief" geblickt wird, manchmal beflügeln mich aber die Gedanken der anderen Mitleser aus unseren gemeinsamen Leseabenteuern.


    Wie sehr neigt ihr zum analysieren?


    LG Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria,


    eine nicht ganz einfach zu beantwortende Frage, jedenfalls für mich. :redface:


    Ich versuche es einmal.


    Wenn ich ein Buch lese, entsteht in mir ein Bild. Ich mag dieses Bild, ich kenne die Menschen auf diesem Bild, kenne ihre Geschichte. Ich empfinde den Kummer, die Freude, ich kann mich oft in sie hineinversetzen. Und manchmal kommt natürlich auch für mich die Frage: Was wäre mit der Figur in dem Buch passiert, wenn sie nicht so reagiert hätte, wie sie eben nun mal hat. Oder warum hat sie so reagiert? Was wäre geschehen, wenn etwas anderes nicht eingetreten wäre. Was hat das Buch bewirkt auf den Leser oder die Leserin? Diese oder ähnliche Fragen zu stellen, finde ich richtig so.


    Aber ich mag das Buch nicht in lauter Einzelteilchen zerlegen. Wenn ich das tue, ist das Bild in meiner Vorstellung zerstört. Die Figuren verlieren für mich ihre Lebendigkeit, werden zu Puzzleteilchen.


    Es ist dann einfach nicht mehr das Buch, das ich gelesen habe.


    Himmel, ich hoffe, ich habe ausdrücken können, was ich eigentlich sagen wollte! :rollen:


    Ingrid (hat zwar alles im Kopf, was sie schreiben wollte, aber.... wie sag ich's meinem Kinde :breitgrins: :breitgrins: )

  • Hallo zusammen!


    Was, JMaria, verstehst Du unter 'analysieren'? - Die Fragen, die sich Ingrid offenbar stellt, stelle ich mir eigentlich nie. (Ich kann deshalb z.B. auch nicht herausfinden, wer der Täter war in einem Krimi!) Hingegen frage ich mich oder irgendwelche schlaue Bücher (sog. 'Sekundärliteratur') oft, welche Idee der Autor ausdrücken will . Woher kommt es, dass dieser Autor gerade diese Probleme beschreibt und nicht jene? Welche Einflüsse hatte die Biographie des Autors auf seine Schreibe etc. etc. ?


    Weil: Ein (gutes!) Buch kommt für mich aus dem Leben und reicht wieder hinein ins Leben.


    Grüsse


    Sandhofer (der auch nicht so richtig ausdrücken kann, was er meint! :grmpf: )

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo!


    Was meinst du? Stilmittel oder Inhalt


    Stilmittel sind mir bei den Büchern völlig egal, sie fallen mir auch nicht auf ausser vielleicht Anaphern, aber das was dann auch schon.


    Über den Inhalt denke ich meistens nach. Was passiert ist, warum, was wäre wenn etc.
    Hin und wieder lese ich dann Sekündärliteratur dazu.
    Sprich: Biographie, Bibliographie, bei Klassiker über Zeitraum/Strömung, Informationen über angesprochene Themen, Interviews mit dem Autor (wenn ich welche finde)


    mfg

  • Hallo JMaria


    Ich glaube, ich weiß schon was Du meinst. Sandhofer hat das ganz gut ausgedrückt:


    Zitat

    Woher kommt es, dass dieser Autor gerade diese Probleme beschreibt und nicht jene? Welche Einflüsse hatte die Biographie des Autors auf seine Schreibe etc. etc. ?


    Solche Fragen stellen sich mir beim Lesen auch. Warum hat der Autor dieses Buch geschrieben? Und zu versuchen die Anwort auf diese Frage herauszufinden macht einfach Spaß. Wie "tief" diese Suche dann geht ist unterschiedlich und auch eher unwillkürlich. Ich nehme mir da nichts Konkretes vor, sondern lasse mich treiben. Es ist oft erstaunlich, in welche Bereiche man im Zuge dieser "Analyse" vorstößt. oft kommt man vom Hundertsten ins Tausendste ("Zauberberg" :smile: ). Manchmal bleibt es auch nur beim Kratzen an der Oberfläche.
    Manche Leser beurteilen ein Buch nur danach, ob die Geschichte spannend oder langweilig ist. Nichts dagegen. Diese Leser lesen aber bestenfalls eine spannende Geschichte. Durch das "Analysieren" (ein etwas unglückliches Wort in diesem Zusammenhang, aber ein besseres fällt mir auch nicht ein) eröffnet sich mir dagegen oft ein ganzer Kosmos.


    Besser konnte ich´s auch nicht ausdrücken. Echt schwierig :rollen:


    Viele Grüße
    ikarus

    "Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand" (Erasmus von Rotterdam)

  • Hallo !


    Ihr habt ja schon alles gesagt - und verstanden hab ich auch alles ! Genau wie ikarus und sandhofer stelle ich mehr die Frage nach dem Autor, dessen Absichten, dessen Biografie, das politische und gesellschaftliche Umfeld. Wie ikarus schon sagte, finde ich das auch am spannendsten :smile:


    Die Figuren sind für mich eher künstlich, eher Mittel zum Zweck, daher stellt sich bei mir die Frage, "wie hätte die Person reagiert, wenn ..." nur selten. Vielleicht weil ich mich selten in sie hineinversetzten kann ?


    Daneben spielt der Stil bzw. die Stilmittel für mich schon eine große Rolle - komischerweise lese ich eher mit dem Gefühl und nicht mit dem Verstand, z.B. weiss ich oft die Namen gar nicht, für mich hat jede Figur einen bestimmten Charakter und wenn sie spricht erkenne ich sie gleich, irgendwie überlese ich die Namen und auch sonst lese ich viele Dinge nicht bewußt ... Deshalb sind viele Bilder und Stimmungen für mich wichtig -vielleicht liebe ich die Romantiker deshalb besonders ?


    Gruß von Steffi,
    die ebenfalls findet, dass das mit dem Gefühl und dem Verstand etwas seltsam klingt :rollen:

  • Hallo Maria,


    die Frage, ob ich Klassiker gerne analysiere (und ich finde, analysieren ist genau das richtige Wort) oder mehr auf mein Gefühl wirken lasse, ist für mich ganz einfach zu beantworten: Kommt drauf an


    und zwar darauf: Was wollte der Künstler, wollte er, dass sein Werk analysiert wird, oder wollte er, dass sein Werk gefühlsmäßig wirkt. Ein Künstler (und ich meine jetzt wirklich Künstler und keine Schreiberlinge) wählt im Allgemeinen eine epische Form für sein Werk, wenn er analysiert sein will, und eine dramatische oder lyrische Form, wenn er das Gefühl ansprechen will. Deshalb halte ich es z.B. für schrecklich, wie es heute immer noch in den Schulen geschieht, Gedichte oder Dramen zu analysieren, damit macht man beides nur kaputt. Ich käme nie auf die Idee, ein Drama von Shakespeare oder Ibsen zu lesen und zu analysieren. Dramen (Tragödien und Komödien übrigens gleich gerne) , sehe ich mir im Theater an (dafür sind sie auch geschrieben und nicht zum lesen), und lasse sie auf mein Gefühl wirken, zum analysieren bleibt da keine Zeit. Natürlich ist es schön, nach dem Theater bei einem? Glas Wein über die Wirkung zu sprechen, mehr aber auch nicht. Andererseits ist es meiner Meinung nach, gegenüber einem Künstler, der in jahrelanger Arbeit Motiv über Motiv in einem Roman versteckt, ungerecht wenn nicht beleidigend, wenn ich mich nicht bemühe, diese Arbeit wieder zu entschlüsseln und die Motive zu erkennen.


    Ich habe beim Lesen (das ist berufsbedingt, da ich viele Gesetzestexte lesen muss) mein Gefühl völlig ausgeschaltet. Wenn ich mir allerdings eine Romanverfilmung ansehe, und deshalb liebe ich Verfilmungen und erwarte nicht, dass sie den Roman wiedergeben, sondern, dass sie den Plot auf mein Gefühl wirken lassen, schäme ich mich auch nicht, wie das z.B. bei mindestens zwei „Effi-Briest-Filmen“ und vielen anderen geschehen, wenn mir am Ende die Tränen über die Wangen laufen (das macht die Augen frei) und ich bin nun mal sehr gefühlsbetont, nur wie gesagt nicht beim Lesen.


    Allerdings will ich niemanden von meiner Art des Lesens überzeugen, stelle aber fest (auch wenn ich jetzt als Macho dastehe), dass Männer (Sandhofer, Ikarus) eher analytisch lesen, Frauen dagegen (Ingrid, Steffi) eher gefühlsmäßig. Ich finde das aber ganz normal, es gibt nun mal einen Unterschied (das Beispiel mit dem Einparken und dem Schuhe kaufen verkneif ich mir mal, eingedenk Steffis Ermahnung und der Tatsache, dass ich das erste nicht kann und das zweite nicht mag).


    Bei einem gemeinsamen Lesen eines Romans halte ich es allerdings für spannend, wenn beide Arten des Lesens aufeinanderprallen, sich gegenseitig akzeptieren und damit bereichern.


    PS: Fragen wie: „Woher kommt es, dass dieser Autor gerade diese Probleme beschreibt und nicht jene? Welche Einflüsse hatte die Biographie des Autors auf seine Schreibe etc. etc. ?“ sind natürlich sowohl bei Dramen als auch bei Romanen interessant.


    Liebe Grüße


    Hubert

  • Hallo zusammen!
    Hallo Hubert!


    Um ehrlich zu sein, sehe ich die Dinge schon ein bisschen anders als Du. Ob nun der Autor analysiert sein will, oder nicht, ist für mich kein Kriterium. Ich bin da sehr egoistisch: Wenn ICH das Bedürfnis habe, dem Autor in die Werkstatt zu schielen, dann versuche ich es.


    Dass Epiker analysiert sein wollen, Lyriker und Dramatiker dagegen nicht, ist eine schöne Vereinfachung - wie alle Vereinfachungen aber könnte man wohl x Gegenbeispiele finden. (In der Epik Kafka oder Hesse, die primär das Gefühl ansprechen; bei den Gedichten Schiller oder Krolow, deren Lyrik stark von ihrer weltanschaulichen Position geprägt ist; auf dem Theater Brecht ...)


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Hubert!


    Ja, ich muß sandhofer völlig recht geben (übrigens, ich kann einparken -damit keine Fragen auftauchen, ich habe einen Volvo 850 - und hasse Schuhe kaufen! :winken: ), Dramen und auch Lyrik lassen sich sehr gut analysieren ! Warum auch nicht ? Wenn man ein Thaterstück oder ein Gedicht schreibt, will man doch auch bestimmte Dinge damit ausdrücken und nicht nur unterhalten ! Mir fällt jetzt eigentlich kein Drama ein, das ich gelesen habe und das sich nicht interpretieren ließ. Es klappt ja auch bei Shakespeare ganz gut, oder ?


    Das Problem bei Theateraufführungen ist, das die Interpretation schon vorweggenommen ist, oft so krass, dass nix mehr übrigbleibt - hast du schon mal eine Shakespeareaufführung gesehn, bei dem sich das Publikum vor Lachen biegt, weil ein Kalauer nach dem anderen abgefeuert wird -ich sage dir, da wird einem schlecht ! Und das ist das einzige Gefühl, das man dabei hat ! :rollen:



    Übrigens glaube ich, dass es nur wenige Autoren gibt, die sich ihre Interpretation schon vorher ausdenken - und wenn, dann kommen so "tolle" Beiträge heraus wie letztens beim Ingeborg-Bachmann-Preis.


    Gruß von Steffi

  • Hallo Steffi,
    hallo Sandhofer,


    ihr habt natürlich absolut recht, mein Posting war stark vereinfacht. :redface:


    Am Anfang habe ich in solchen Fällen noch „Achtung Provokation“ gepostet, aber zwischenzeitlich kennt ihr mich, denke ich, so gut, dasss das nicht mehr nötig ist. Aber wenn so gute Antworten kommen, hat es sich ja gelohnt.


    Steffi
    Wenn man ein Theaterstück oder ein Gedicht schreibt, will man doch auch bestimmte Dinge damit ausdrücken und nicht nur unterhalten !


    Selbstverständlich, Schauspiele die nur unterhalten wollen, würden mich nicht interessieren. Die Frage ist nur, wie wir das, was sie ausdrücken, erfahren. Ein Beispiel (und Sandhofer hat natürlich Recht, es gibt immer Gegenbeispiele): Shakespeare, hat sicher nicht erwartet, dass seine Stücke analysiert werden. Da die Stücke nicht gedruckt vorlagen, sein Publikum wahrscheinlich eh nicht lesen konnte, musste das, was er ausdrücken wollte, nach einmaligem Theaterbesuch wirken. Und Shakespeare hat deshalb versucht, die Gefühle seiner Zuschauer anzusprechen. Natürlich kann man jedes Stück analysieren, aber erstens ist mir das in der Schule verleitet worden (aber Theaterfan bin ich, seit wir mit der Schule eine Aufführung von Schillers „Wilhelm Tell“ besuchten, ich war 8 Jahre alt) und zweitens, warum soll ich, wenn die Wirkung eines Theaterbesuchs genügt. Übrigens habe ich nichts dagegen, wenn bei einer Shakespeare-Komödie laut gelacht wird. Da lache ich gerne mit und denke mir, dass das im Sinne des Dichters ist. Übrigens sind seine Stücke voll mit Kalauern, was aber meist in den (alten) Übersetzungen verloren geht. Wer Shakespeare erleben will, wie er gemeint war, und keine englische Aufführung ansehen will/kann, der soll sich mal eine Aufführung der Bremer-Shakespeare-Company ansehen (die gehen manchmal auch auf Tournee), die haben die Stücke wortgetreu übersetzt und für mich waren die Aufführungen immer ein Genuss.


    Zur Analyse von Gedichten: Als Hesse-Fan mag ich nicht nur viele seiner Erzählungen und Romane, sondern auch einige seiner Gedichte. Mein Lieblingsgedicht von Hesse war immer „Im Nebel“. Dann habe ich eine sehr gute Analyse dieses Gedichtes gelesen, die genau zeigte, wie Hesse es schafft, uns mit wenigen Worten zu verzaubern. Seit dieser Zeit kann ich das Gedicht nicht mehr leiden, der Zauber ist dahin. Mein jetziges Lieblingsgedicht von Hesse ist „Vergänglichkeit“, und ich werde mich hüten eine Analyse darüber zu lesen.


    Bei (guten) Romanen ( sandhofer: Kafkas Epik ist zwar gut, aber keine Romane, auch die nicht, die gewöhnlich so bezeichnet werden und Hesses Steppenwolf muss analysiert werden, wenn man nicht zu so schwachsinnigen Deutungen kommen will, wie sie zum Teil in USA entstanden sind.) ist eine Analyse dagegen meistens sinnvoll. Sonst kann es z.B. bei „Effi Briest“ passieren, dass man sich am Ende fragt, warum Fontane den Plot (Eine Hochzeit und zwei Todesfälle) nicht kürzer erzählt hat..


    Übrigens glaube ich, dass es nur wenige Autoren gibt, die sich ihre Interpretation schon vorher ausdenken - und wenn, dann kommen so "tolle" Beiträge heraus wie letztens beim Ingeborg-Bachmann-Preis.


    Sorry, den Satz habe ich nicht verstanden, kannst Du da etwas deutlicher werden?


    Viele Grüße


    Hubert


  • Hallo zusammen,


    gerade habe ich bei „Malayischem Huhn mit Erdnuß-Soße“ (so wars jedenfalls beim Chinesen deklariert) nochmals über das Thema nachgedacht (ihr seht, ich mache es mir nicht leicht) und beim abschliessenden Lychee-Wein hatte ich meine Gedanken soweit geordnet, dass ich Euch das Ergebnis mitteilen will. Natürlich musste ich mich fragen lassen: „Du bist so in Gedanken, ist was nicht rin Ordnung.“ – Ja, beim Klassikerforum, kann einem das Lachen schon vergehen (Achtung, Ironie!)


    Was ich über die Analyse von Gedichten geschrieben habe, ist das nicht genau das gleiche, was Ingrid über die Analyse von Romanen (Effi Briest?) moniert? Weiter oben hatte sie geschrieben:


    Aber ich mag das Buch nicht in lauter Einzelteilchen zerlegen. Wenn ich das tue, ist das Bild in meiner Vorstellung zerstört. Die Figuren verlieren für mich ihre Lebendigkeit, werden zu Puzzleteilchen. (Ingrid)


    Und ich denke, Ingrid hat recht, auch bei Romanen soll man die Analyse nicht zu weit treiben. Im Thread „Effi Briest“ hatte ich gepostet:


    Ich frage mich, wie es Fontane geschafft hat, dass wir (und sowohl Frauen wie Männer) die Ehebrecherin sympathisch finden, den betrogenen Ehemann aber unsympathisch, müsste es nicht umgekehrt sein? Ich stehe noch vor einem Rätsel.


    Ich denke jetzt, es ist besser dieses Rätsel nicht zu lösen, sonst ist wahrscheinlich der Zauber, den Effi auf mich/uns ausübt auch dahin. Danke, Ingrid, für diese Erkenntnis. (Ihr seht, ich bin lernfähig)


    Liebe Grüße


    Hubert

  • Hallo Hubert !


    Ich denke, beim Interpretieren hat jeder seine persönliche Vorgehensweise, manchmal liegt einem der Autor oder das Thema und man denkt weiter darüber nach und manchmal ergibt man sich einfach seinem Gefühl. Lyrik, das denke ich auch, ist eher eine Gefühlssache. Deine Erfahrung mit Totinterpretieren habe ich noch nicht erlebt, kann ich mir aber gut vorstellen ! Meine Lieblingsballaden von Schiller erlebe ich auch eher mit dem Klang der Worte und der Rythmik und den Bildern, die sie auslösen. Um den Inhalt gehts nur in zweiter Linie !



    Zitat

    Übrigens glaube ich, dass es nur wenige Autoren gibt, die sich ihre Interpretation schon vorher ausdenken - und wenn, dann kommen so "tolle" Beiträge heraus wie letztens beim Ingeborg-Bachmann-Preis.


    Sorry, den Satz habe ich nicht verstanden, kannst Du da etwas deutlicher werden?


    Ich habe die Lesungen für den Bachmann-Preis etwas verfolgt und mir ist halt aufgefallen, dass von den 3 Texten, die ich hörte, zwei irgendwie gewollt klangen, ein bestimmter Stil - ich weiß jetzt nicht, wie sich das nennt - so ähnlich wie ein innerer Monolog, Metaphern für schicke Interpreationsmöglichkeiten z.B. über Maria Magdalena und die katholische Kirche, sexueller Mißbrauch usw. Es kam, für mich, so konstruiert vor, als ob die Autorinnen sich vorher überlegt hätten, welche Themen besonders "in" sind und wie man das am besten verkauft.


    Gruß von Steffi

  • Hallo Steffi,


    Es kam, für mich, so konstruiert vor, als ob die Autorinnen sich vorher überlegt hätten, welche Themen besonders "in" sind und wie man das am besten verkauft.


    Besonders toll können ja die Beiträge dieses Jahr nicht gewesen sein.
    Ich habe auch einen kurzen Ausschnitt einer einzigen Lesung und die anschließende Diskussion auf 3sat gesehen und wie es der Zufall so will, las ich dann später, dass es der Siegertext von Inka Parei war. Was Langweiligeres hatte ich vorher noch nicht gehört. Zugegeben ich war nicht voll konzentriert, weil noch mit etwas anderem beschäftigt, aber einer der Kritiker, Thomas Steinfeld, sprach mir aus dem Herzen, als er den Text als „unerträglich brav“ und „knochentrocken“ bezeichnete. Darauf wurde er aber von Iris Radisch sofort gerügt: „Wer so was sagt, hat kein Herz für Literatur.“ Radisch weiter: „Ich habe das Gefühl, hier zum 1. Mal Literatur gehört zu haben.“. Da war ich doch etwas schockiert.


    Weißt Du noch welche Autorinnen es waren, die Du gehört hast?. Wenn Du dich nicht mehr erinnerst, ich habe im Forum „Hinweise, Links, Anmerkungen“ einen Link hinterlegt, der Infos zu allen Veranstaltungen der letzten Jahre bringt. Die Diskussion um Inka Parei erhält man .z.B. durch -> 2003 -> Zusammenfassung 3. Tag -> Inka Parei..


    Vielen Dank und viele Grüße


    Hubert

  • Hallo ..


    Wenn ich lese (Romane und insbesondere Klassiker), denke ich nicht darüber nach und analysiere auch nicht.
    Während der Zeit, in der ich lese, werden die Figuren (gedanklich) Teil meines täglichen Lebens - ich überlege, wie es wohl weitergeht, bin traurig oder sauer, wenn jemand sich blöd verhält, bange mit Anna Karenina :zwinker: ....
    und auch wenn das Buch beendet ist, beschäftigt es mich meist noch lange .. so dass ich immer eine Pause brauche, bevor ich mir ein anderes Werk vornehme.
    Allerdings gibt es zu vielen Romanen ganz gute "Nachworte" und die nehme ich auch immer mit - dort kann man oft ganz interessante Erklärungen finden, warum der Autor ....


    :winken:


    Daniela

    "Kunst und Unterhaltung sind verschwistert und keine Feinde." - John Irving

  • Also ich für meinen Teil mache eigentlich beide Varianten ganz gerne. Normalerweise läuft es so ab: Ich lese einen Text oder bei längeren Texten auch nur Passagen und lasse sie auf mich wirken, also einfach das, was man vielleicht mit phantasievollem oder auch emotionalem Lesen bezeichnen könnte. Anschließend gehe ich aber einzelne Passagen auch noch mal genau durch, versuche die Machart zu erkennen, verborgene Schemata und Muster, setze den Text in historische, biographische oder soziologische Kontexte, etc. und versuche zu ergründen, warum der Text wirkt wie er wirkt. Zugegeben, das tue ich nicht bei jedem Buch, das ich lese. Wenn ich z.B. mal einen Mankell-Krimi einschiebe, dann will ich schlicht unterhalten werden.
    Ich finde übrigens garnicht, daß der Text dadurch verliert. Natürlich geht dadurch ein gewisser Zauber verloren, weil der Text zunächst zum reinen 'Arbeitsmaterial' verkommt, aber er gewinnt auch deutlich hinzu. Es erschließen sich neue (Be)deutungsebenen und Herangehensweisen an den Text und darüber hinaus bin ich der Ansicht, daß ein Autor, der sich die Mühe gemacht hat, ein feines Geflecht aus Anspielungen, Hintergründen und verstecken, über den Text hinaus weisenden, Problemstellungen zu verfertigen, es auch verdient hat, daß man diese rückverfolgt.
    Was mich beim Lesen der Beiträge und auch beim eigenen Nachdenken hat schmunzeln lassen, ist die Tatsache, wie hoch der Autor noch immer in dieser Hinsicht bewertet wird. Es kamen relativ oft Aussagen, die sich reduzieren lassen auf (um es mal ganz provokant auszudrücken): Was will/ wollte der Autor damit sagen. Dies scheint eine Herangehensweise zu sein, die aus den Köpfen und auch aus meinem nicht weg zu kriegen ist. Interessant der Ansatz (vereinfacht ausgedrückt) der russischen Formalisten (etwa 20er/30er Jahre des 20. Jahrhunderts): Der Autor ist nichtig, nur der Text ist von Bedeutung. Faust und Hamlet wären auch entstanden, wenn Goethe und Shakespeare nie gelebt hätten. Der Stoff selbst drängte danach, veröffentlicht zu werden. Goethe hat lediglich die Chance ergriffen. Hätte er es nicht getan, wäre es jemand anders gewesen. Deshalb ist aus jeder Interpretation der Autor heraus zu halten, nur der Text selbst ist zu betrachten.
    Diese These ist auch in meinen Augen zu radikal und hat sich wohl auch nie wirklich durchgesetzt, aber wenn man sie im Hinterkopf hat, bewahrt es einen zumindest davor, von vornherein auf einen Text eine bestimmte Schablone aufzupressen und die Interpretation dieser Schablone auf Biegen und Brechen anpassen zu wollen. Gleiches gilt auch für Epochen oder Gattungen...

  • Hallo Berch,


    Du hast gepostet:
    darüber hinaus bin ich der Ansicht, daß ein Autor, der sich die Mühe gemacht hat, ein feines Geflecht aus Anspielungen, Hintergründen und verstecken, über den Text hinaus weisenden, Problemstellungen zu verfertigen, es auch verdient hat, daß man diese rückverfolgt.


    Da sprichst Du mir aus dem Herzen und ich denke ich habe das weiter oben ähnlich formuliert.


    Interessant der Ansatz (vereinfacht ausgedrückt) der russischen Formalisten (etwa 20er/30er Jahre des 20. Jahrhunderts): Der Autor ist nichtig, nur der Text ist von Bedeutung. Faust und Hamlet wären auch entstanden, wenn Goethe und Shakespeare nie gelebt hätten. Der Stoff selbst drängte danach, veröffentlicht zu werden. Goethe hat lediglich die Chance ergriffen. Hätte er es nicht getan, wäre es jemand anders gewesen. Deshalb ist aus jeder Interpretation der Autor heraus zu halten, nur der Text selbst ist zu betrachten.
    Diese These ist auch in meinen Augen zu radikal.


    Ehrlich gesagt, ist mir der Ansatz der russischen Formalisten so nicht bekannt gewesen, aber ich finde diese These nur dann zu radikal, wenn man sie auf alle Texte anwendet, den dass sich die Kunst den Künstler sucht (und nicht umgekehrt) ist meine Überzeugung von wahrer Kunst. Und mit Faust und Hamlet hast Du gute Beispiele genannt. Ich bin überzeugt, dass Goethe die Bedeutung seines Faust nicht richtig einschätzte, d.h. im Faust steckt mehr „als unsere und Goethes Schulweisheit sich träumt“ Das gilt auch für die Musik von J.S.Bach und für die Kunst eines Michelangelo. Kunst kann sich m.M. nach durchaus einen Künstler suchen, um geschaffen zu werden, allerdings sucht sie sich dann selten einen Künstler, der sagen wir mal, sich zu bestimmten Zeiten an den Schreibtisch setzt, um „Kunst“ zu schaffen. Deshalb frage ich mich bei Romanen von z.B. Thomas Mann schon, was will uns der Künstler damit sagen, beim Faust frage ich mich dagegen, was sagt mir das Kunstwerk. Na ja, vielleicht bin ich jetzt wirklich etwas radikal? :zwinker:


    Gruß von Hubert

  • Hallo Daniela,


    Du hast gepostet:
    Während der Zeit, in der ich lese, werden die Figuren (gedanklich) Teil meines täglichen Lebens - ich überlege, wie es wohl weitergeht, bin traurig oder sauer, wenn jemand sich blöd verhält, bange mit


    Sich gedanklich, nicht nur gefühlsmäßig, mit den Romanfiguren beschäftigen – ist das nicht schon Analyse?


    und auch wenn das Buch beendet ist, beschäftigt es mich meist noch lange


    Da geht mir eigentlich oft genau so, z.B. bin ich gedanklich immer noch mit „Effi Briest“ und Balzacs „Frau von 30 Jahren“ beschäftigt, obwohl ich das erste im Juli und das zweite im Oktober d.J. zu Ende gelesen hatte. Dagegen habe ich an „Schande“, einen Roman des letzten Nobelpreisträgers Coetzee, den ich im November d.J. gelesen habe nach dem Lesen keinen Gedanken mehr verschwendet, was eigentlich für Klassiker und gegen zeitgen. Literatur (Coetzee gehört sicher noch zu den Besten und hat den Nobelpreis wahrscheinlich zu Recht bekommen), spricht.


    Liebe Grüße von Hubert

  • Hallo


    Zitat

    Sich gedanklich, nicht nur gefühlsmäßig, mit den Romanfiguren beschäftigen – ist das nicht schon Analyse?


    Hubert - sollen wir so weit gehen und Analyse definieren? Ich habe einfach daran gedacht, wie wir in meiner Schulzeit (lang ist's her !!) vorgegangen sind. Gab es da eine bestimmte Technik - ich weiß es schon nicht mehr. Hängengeblieben ist bei mir nur, dass sich manchmal überraschende Perspektiven aufgetan haben, dass ich andererseits aber auch immer das Gefühl hatte, etwas, das ein schönes und sinnvolles Ganzes bildet, auseinanderzupflücken.


    Dass die Figuren "gedanklich" Teil meines täglichen Lebens werden, soll eigentlich nur heißen, dass ich nicht mit ihnen spreche :zwinker:
    Ich bin noch nicht so weit und werde es hoffentlich nie sein, dass ich wirklich mit Iwan diskutiere ...


    Es gibt einige Gestalten, die mich auch Jahre später immer noch oft beschäftigen.


    Vielleicht sollte ich auch mal Effi Briest lesen?


    :winken:


    Daniela

    "Kunst und Unterhaltung sind verschwistert und keine Feinde." - John Irving

  • Zitat

    Verfasst am: 22.Dezember 2003 - 01:55



    Zitat

    Verfasst am: 22.Dezember 2003 - 03:38



    Um Himmels Willen ... wann schlaft Ihr denn?? :breitgrins: :breitgrins:



    :winken:


    Daniela

    "Kunst und Unterhaltung sind verschwistert und keine Feinde." - John Irving

  • @ Hubert:
    Das Problem, daß ich mit den Formalisten habe ist einfach daß, das sie es wirklich für alle Texte fordern (sofern ich mich nicht völlig falsch erinnere). Bei einigen Texten bin ich durchaus auch der Meinung, daß die Texte eine weitreichendere 'Wahrheit' haben, die vom Autor so in der Form nicht intendiert gewesen sein kann. In dieser Hinsicht kann ich das auch tatsächlich nachvollziehen. Aber u.a. auch bei dem von Dir angesprochenen Mann fehlt mir da schon ein wenig die Phantasie. Generell mag ich den Ansatz vor allem als Gegenkonzept zur 'Genieästhetik', aber ich nehme es nicht als einzige Maxime zur Interpretation, wie oben beschrieben, sondern versuche einfach die Analyse des Textes 'aus sich heraus' als einen Interpretationsschritt mit auf zu nehmen, um eben dieser Schabloneninterpretation vorzubeugen.


    elahub: Schlaf ist doch total überbewertet :zwinker: