April 2003: Theodor Fontane - Effi Briest

  • Hallo zusammen!


    Maria hat geschrieben:
    Ist euch der Name von Crampas Sekundanten auch gleich ins Auge geschossen? "Buddenbrook"
    Ich nehme mal an, daß Thomas Mann sich diesen Namen für sein Werk aus Effi Briest entlieh


    Wow, ich bin zwar noch nicht so weit, aber das ist ja interessant. Wenn man bedenkt, dass der angehende Erfolgsschriftsteller Thomas Mann den Titel seines Romanerstlings einem nur sechs!!! Jahre zuvor erschienenen Roman entlieh: schon das zeugt von Manns Hochachtung vor Fontane. Nun ich habe gestern abend selbst noch gestaunt (als ich die Daten zu beiden Romanen nachsah), dass die beiden Werke nur sechs Jahre auseinanderliegen. Das Hauptwerk des deutschen Realismus „Effi Briest“ ist zum ersten Mal von 1894 bis 1895 in der „Deutschen Rundschau“ abgedruckt gewesen und Thomas Manns „Buddenbrooks“, das bekannteste Werk des deutschen Naturalismus wurde 1901 zum 1. Mal gedruckt. Bereits in einem Brief von 1896 erwähnt Thomas Mann, dass er gerade den vortrefflichen, neuen Roman von Fontane „Effi Briest“ gelesen habe (Als Buch erschien „Effi Briest“ 1895 zum ersten Mal). Den Stil des Romans aus dem 20. Jahrhundert mit dem aus dem 19. Jahrhundert zu vergleichen (obwohl nur sechs Jahre zwischen beiden Büchern liegen), wäre sicher auch interessant.


    Also sowohl der bedeutendste deutsche Schriftsteller aus der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts (Thomas Mann), als auch der bedeutendste deutsche Schriftsteller aus der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts (Günter Grass) haben den Titel einer ihrer großen Romane aus „Effi Briest“ entnommen! Diese Hommage an Fontane ist sicher kein Zufall, sondern zeugt von der Anerkennung durch nachfolgende große Kollegen.


    Im Thread „Klassiker in 500 Jahren?“ sind wir zu der Erkenntnis gekommen, dass Bücher die „von Liebe und Tod“ handeln, große Chancen zum Überleben haben. Das ist sicher richtig, da aber lt. MRR alle guten Bücher davon handeln, muß es ein zusätzliches Kriterium geben. Vielleicht ist es dies: In Werken von nachfolgenden Autoren muß die Erinnerung an das Werk oder den Autor aufrecht gehalten werden!


    Da „Effi Briest“ beide Kriterien erfüllt wird der Roman sicher überleben.


    Liebe Grüße


    Hubert

    Einmal editiert, zuletzt von ()

  • Hallo!


    Für alle die den Roman „Effi Briest“ zu Ende gelesen haben, aber mit „Effi“ noch nicht zu Ende sind, ein Lesetip: In dem Buch: „Wenn Du geredet hättest, Desdemona“, lässt Christine Brückner historische und literarische immer aber ungehaltene Frauen von Maria der Mutter Jesus bis zu Gudrun Ensslin mit ungehaltenen Reden zu Wort kommen. Darunter auch Effi Briest mit einer ungehaltenen Rede an ihren Hund Rollo. Sicher ein Lesevergnügen!


    Gruß


    Hubert

  • Hallo Hubert,


    aber ja! Ich hatte letzthin in Marias Forum von diesem Büchlein von Christiane Brückner erzählt! Ich habe es geschenkt bekommen; und allein den Untertitel fand ich so herrlich: "Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen!"


    Äehm, wahrscheinlich kann sich jede Frau manchmal zu den "ungehaltenen" zählen, aber ehrlich gesagt, "ungehaltene Reden" können bei mir nicht so vorkommen :breitgrins: :breitgrins: :breitgrins: ( Anm. der Verfasserin nur so nebenbei :zwinker: )


    Ich hatte die kleine Geschichte mit Effi leider völlig aus meinem Gedächtnis gestrichen, aber werde sie auf jeden Fall heute abend noch mal hervorholen!


    Danke für den Gedächtnisantoss!


    Was ich noch sagen wollte, es hat mir wirklich sehr viel Spass gemacht, dieses Buch mit euch zu lesen, auch wenn ich ein bißchen voraus galoppiert bin, vor allem, wenn man bedenkt, das es wirklich nicht "das Buch" war, welches ich mir von mir aus herausgesucht hätte.


    Viele liebe Grüße aus dem leider immer noch zu :sonne: :sonne: :sonne: Saarland


    Ingrid

  • Hallo zusammen


    ich bin nun auch durch. Der Doktor hat sich fabelhaft verhalten. Am besten warte ich jetzt, bis Hubert soweit ist, dann können wir nochmals die restlichen Fragen, die aufgetaucht sind, besprechen.


    Hubert:


    mir gehört das Forum nicht. Ich leite es nur stellvertretend und es macht mir viel Spaß, wie kann es auch anders sein, denn es heißt:


    Das Romantische Bücherforum :blume:



    Dort wird alles besprochen, was mit Romantik (im modernen Sinne *g*) zu tun hat, du kannst dir vorstellen, daß es dort hauptsächlich weibliche Formsmitglieder gibt ;-)


    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • "So hat mich Mutter erzogen: Jeder Mann ist der Richtige. Gutes Aussehen, Adel, gute Stellung. Als ich Instetten zum ersten Mal sah, überfiel mich ein nervöses Zittern. Als ob mein Körper sich hätte wehren wollen. Aber ich kannte die Äußerungen meines Körpers nicht. Ich hatte immer ein wenig Angst, und das hat er wohl auch gewollt. Von dem Spuk auf dem Kressiner Hausboden will ich gar nicht erst reden. Das war nicht recht, und darum hat er auch schuld. Und wenn Crampas mir nicht die Augen geöffnet hätte, dann wäre ich die Angst in mir wohl nie losgeworden. Instetten wollte mich mit Furcht an das Spukhaus binden und mich erziehen. Aber er war ein Schulmeister und kein Erzieher. In Angst darf man auch so ein halbes Kind, das ich noch war, nicht halten.


    Mach Platz, Rollo! Wir bleiben eine Weile sitzen auf der Gartenbank.


    Du hast dich immer noch oben gerichtet, Instetten. Wenn Bismarck pfiff,
    war Instetten zur Stelle. Das kannte ich nicht von Hohen-Cremmen. Mein Vater hatte doch wohl etwas Freies, nicht das Beamtische. Er wollte nicht höher hinaus und mußte darum auch keine Angst haben, daß er stürzen könnte.


    Ich bin eine sehnsüchtige Natur. Ich hatte so viel Zeit zum Träumen und zum Mich-Sehnen, und du hattest dein Tun und sehntest dich nach nichts, du wolltest alles erreichen. Eigentlich war ich doch erst in der Knospe, aber von Blumen hast du nichts verstanden und von Frauen auch nicht viel. Du hast mich nicht zum Blühen gebracht. Ich bin, halbaufgeblüht, verwelkt. Ich war dein liebstes Spielzeug, das hast du selbst gesagt, und so ein Spielzeug holt man hervor, zeigt es, spielt damit und legt es zurück in die Schublade. Ich hatte Alleinsein nicht gelernt zu Hause. Hier in Hohen-Cremmen hatte ich außer den Eltern noch meine Freundinnen und den Garten und die Schaukel und die Heckenwege. Bei dir in Kressin gab es nur die paar Zerstreuungen und das, was du "die stillen Tage" nanntest. Und dann die Abende, wenn du die Lampe nahmst und sagtest, ich habe noch zu tun. Wenn du merktest, daß ich betrübt war, bist du umgekehrt, hast die Lampe auf den Flügel gestellt und gesagt: Spiel etwas, Effi! Und ich stand gehorsam auf und spielte etwas, aus "Lohengrin" oder sogar aus der "Walküre". Wagner passte doch überhaupt nicht nach Hinterpommern! Irgendwer wird gesagt haben, mein lieber Baron von Instetten, Chopin ist passé. Wagner ist dran! Du hattest deine Karriere im Sinn und wolltest mich zu deiner Wahlhelferin machen. Ich wollte selber auch hoch hinaus, aber mehr wie beim Schaukeln, nicht so mit Bücken und Untertänigsein. Am Anfag habe ich dir manchmal gesagt, was ich dachte und fühlte, eine Briest, das ist auch etwas! Aber solche Gespräche führten leicht zu Verstimmungen. Als ich mal gesagt habe, ich hätte dich aus Ehrgeiz geheiratet, hast du es spasshaft aufgenommen, und das war es ja auch und stimmte letztlich doch wieder. Aber ich hatte Ehrgeiz für dich und für mich. Das haben alle Frauen.


    Und dann - was du so Zärtlichkeiten nanntest! Jetzt habe ich vor Augen, wie du abwehrend die Hand hebst und sagst: Aber Effi! Da musste es dunkel sein, damit ich dein Gesicht nicht sehen sollte, also ob wir etwas verbotenes täten. Du bestimmtest, wann es Zeit für Zärtlichkeiten war, und wenn ich mal die Hand nach dir austreckte, dann gabst du mir einen Kuss auf den Handrücken und legtest meine Hand wieder auf meine Bettdecke zurück, und ich wußte Bescheid, für heute nichts weiter, meine liebe Effi! Eigentlich habe ich mich vor deinen Zärtlichkeiten immer gefürchtet, da war auch Gewalt dabei und auch Pflicht. Du wolltest ein vorbildlicher Ehemann und Vater sein und nicht nur der Erzeuger unserer kleinen Tochter Annie. Und deshalb mußte ich ins Bad fahren und Brunnen trinken. Aber daran lag es nicht. Es war das Planmäßige. Ich war mehr fürs Heimliche, für die Dünen. Es muß doch auch Leidenschaft dabei sein, und man muß schwindlig werden, und die Erde muss sich drehen, und es muß sein wie auf der Schaukel, man fliegt, und der Strick reißt.


    Ach Instetten, wir hätten miteinander reden sollen. Stattdessen rede ich jetzt mit Rollo. Wenn ich mal was zu dir sagte, hast du mir aufmerksam zugehört und mir auch zugestimmt, und am Ende hast du doch wieder gesagt: Am besten, es bleibt alles beim alten. Der Satz fällt mir immer ein, wenn ich in Gedanken mit dir rede. In der letzten Zeit rede ich viel mit dir, wenn ich hier in Hohen-Cremmen bei der Sonnenuhr [color=blue]sitze, [color=blue]und der Hund liegt neben mir und knurrt, wenn er träumt."


    Das war ein kleiner Ausschnitt aus dem Buch von Christiane Brückner "Wenn du geredet hättest, Desdemona". Ich mußte es leider abtippen, ich hoffe, es stört nicht, dass dieser Text ja nun nicht mehr von Fontane ist, aber trotzdem ist die kleine Geschichte wunderschön.


    Ich hätte gerne noch mehr geschrieben, aber ich weiß nicht, ob euch der Rest der "Ungehaltenen Rede" von Effi interessiert.


    Jedenfalls: Wenn du doch nur geredet hättest, Effi!



    Ingrid

  • Hallo zusammen


    Ingrid:
    der Text berührt mich sehr. Vielen vielen Dank für deine Mühe!


    Ich habe mir den Titel des Buches gleich notiert.


    Ja, wenn sie doch geredet hätte. Aber leider war sie zu jung und an diesem Bild hielt Fontane bis zum Schluß fest. Sie trägt gegen Ende wieder ihr Matrosenkleid und schaukelt, "das Mädchen der Lüfte". Traurig traurig. Der Kreis schließt sich.


    Da gab es noch eine Szene und zwar als Dr. Rummschüttel zum ersten Mal Effi sieht, sagt er "Ganz die Mutter". Ob auch Innstetten eher die Mutter sah, nicht nur bei der Werbung, sondern vielleicht auch während der ganzen Ehe?


    Findet ihr auch, daß Fontane das Thema sehr zart behandelt?


    Wie schön auch die beiden Heine-Gedichte: "Diamanten und Perlen", "Deine weißen Lilienfinger", sind. Vielen Dank Hubert.


    Ich könnte mir vorstellen, daß Crampas auch mit einem Heine-Gedanken gestorben ist. Wollen Sie... ??


    die sterbende Effi sagt über Innstetten, daß er viel Gutes in seiner Natur hatte, und war so edel, wie jemand sein kann ,der ohne rechte Liebe ist.


    Bei diesem Satz mußte ich schon sehr genau hinschauen. Das widerspricht sich doch. Denn wenn Innstetten keine Liebe hat, kann er dann Gut sein?


    Ich habe ein bißchen nachgeforscht und bin darauf gestoßen, daß Fontane hier auf den 1. Korinterbrief anspielt. Es stand zwar nicht der Vers dabei, aber ich nehme mal an, er meinte 1. Korinther 13,1


    Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle


    Zitat

    Im Text bleibt Effis genauer Sterbetag offen. Auch hier hilft die Sekundärliteratur. Es war der 15.8. Maria Himmelfahrt."


    Verstehe ich nicht: Wenn im Text der Sterbetag offen bleibt, kann auch die Sekundärliteratur nicht weiterhelfen?


    der Schluß sagt nicht viel über den Sterbetag, mich würde es auch interessieren, wie man den Sterbetag lokalisieren kann.


    Zitat von "Polly"


    Ingrid: Jetzt, nach der Lektüre, bin ich mir nicht sicher, ob Innstetten wirklich so selbstherrlich war. Ist das vielleicht genauso eine Rolle, die er als Ehemann auszufüllen hatte, weil "man" so zu sein hatte? Er tat Dir doch sicher auch Leid gegen Ende der Ehe, oder? Und was konnte "Mann" schon machen? Er war in seinem preußischen Korsett gefangen und meiner Meinung nach genauso Opfer der Umstände wie Effi.


    das finde ich so bezeichnend für Fontane. Er stellt gewisse Umstände zusammen und begeht es ganz zart und der Leser kann sich das Fehlende, das Unausgesprochene vorstellen. Man sieht Innstetten nur von außen, die einzige Andeutung seines Inneres war m.E. in dem Zugabteil, als er heimfuhr, nach dem Duell. Fontane hatte Effi als Hauptperson erkoren und diesem Konzept blieb er treu. Man erfährt auch nicht was aus Innstetten wird, bis auf dieses kurze Gespräch mit Wüllersdorf.


    Zitat

    es muß einmal gesagt werden: mit Euch zusammen zu lesen, macht richtig Spaß.


    das Kompliment kann ich nur zurückgeben. Es war eine sehr schöne Leserunde. So nah war mir Fontane schon lange nicht mehr, dank euch allen :winken:


    LG Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo ihr Lieben,


    ich nähere mich nun auch dem Ende und freue mich schon auf die dann hoffentlich noch folgende Diskussion.


    Maria hat geschrieben:
    die sterbende Effi sagt über Innstetten, daß er viel Gutes in seiner Natur hatte, und war so edel, wie jemand sein kann ,der ohne rechte Liebe ist.
    ich nehme mal an, er meinte 1. Korinther 13,1


    Maria Du bist genial, natürlich das ist eindeutig und ich frage mich nur, warum ich hier nicht selber an Paulus gedacht habe


    Sie trägt gegen Ende wieder ihr Matrosenkleid und schaukelt,


    Ist euch aufgefallen, dass Effi auch schaukelt, als ihr Crampas das erste Mal begegnet. Zwar nur im Schaukelstuhl, aber immerhin.


    Findet ihr auch, daß Fontane das Thema sehr zart behandelt?


    Natürlich, und ich fand dies im Vergleich mit heutiger Literatur sehr angenehm. Man muß oft sehr viel zwischen den Zeilen lesen. Der Literaturkritiker Walter Jens hat darüber einmal folgendes gesagt: „Wer das Bezugsspiel der Worte „Düne“, „Kirchhof“ und „Waldecke“ nicht durchschaut, hat Fontanes „Effi Briest“ vegebens gelesen: Er wird nicht verstehen, dass der Satz „Die Spaziergänge nach dem Strand und der Plantage, die sie, während Crampas in Stettin war, aufgegeben hatte, nahm sie nach seiner Rückkehr wieder auf“ die Umschreibung einer ehebrecherischen Handlung ist.“


    Demnächst mehr. Für heute nur noch


    Liebe Grüße


    Hubert


  • Hallo ihr Lieben,


    ist es Zufall, dass die letzten 5 Kapitel von „Effi Briest“ von der geschiedenen Effi erzählen so wie die ersten 5 Kapitel von der ledigen Effi erzählten.. Da mir dies auf einen symmetrischen Aufbau des Romans hindeutet, habe ich die Kapitelanzahl mal genauer untersucht und folgendes festgestellt:


    1. 5 Kapitel: Effi bis zur Hochzeit im Elternhaus in Hohen-Cremmen
    2. 9 Kapitel: Effis Eheleben in Kessin
    3. 8 Kapitel: Effis lernt Crampas kennen und beginnt ein Verhältnis
    4. 9 Kapitel: Effis Eheleben in Berlin bis zur Scheidung
    5. 5 Kapitel: Effi geschieden in Berlin und wieder im Elternhaus


    Dieser 5-teilige Romanaufbau entspricht meiner Meinung nach genau dem Aufbau einer klassischen Tragödie:


    1. Akt: Exposition
    2. Akt: Vorbereitung des Höhepunktes (das langweilige Eheleben)
    3. Akt: Höhepunkt (Der Seitensprung)
    4. Akt: Retardation (Versuch eines neuen Lebens in Berlin)
    5. Akt: Katastrophe (Effis Tod)

    Ist das für euch nachvollziehbar oder sehe ich da Dinge, die nicht sind?
    Diese Frage mußte ich noch los werden.

    Liebe Grüße


    Hubert

  • Hallo Hubert


    Zitat von "Hubert"

    Dieser 5-teilige Romanaufbau entspricht meiner Meinung nach genau dem Aufbau einer klassischen Tragödie:
    .....


    Ist das für euch nachvollziehbar oder sehe ich da Dinge, die nicht sind?
    Diese Frage mußte ich noch los werden.


    ich bin sprachlos. Darauf wäre ich nie gekommen, aber ich finde es ist nachvollziehbar, wäre doch ein zu großer Zufall?


    Außerdem hat sich Fontane sehr mit Shakespeare beschäftigt (S. war für ihn eine Weltgröße) und hat aus dem Englischen Klassisches übersetzt.


    (ist die antike Tragödie ebenfalls so aufgebaut? Gehört jetzt nicht hier her, aber das habe ich mich gerade gefragt).


    Zitat

    Findet ihr auch, daß Fontane das Thema sehr zart behandelt?


    Natürlich, und ich fand dies im Vergleich mit heutiger Literatur sehr angenehm. Man muß oft sehr viel zwischen den Zeilen lesen. Der Literaturkritiker Walter Jens hat darüber einmal folgendes gesagt: „Wer das Bezugsspiel der Worte „Düne“, „Kirchhof“ und „Waldecke“ nicht durchschaut, hat Fontanes „Effi Briest“ vegebens gelesen: Er wird nicht verstehen, dass der Satz „Die Spaziergänge nach dem Strand und der Plantage, die sie, während Crampas in Stettin war, aufgegeben hatte, nahm sie nach seiner Rückkehr wieder auf“ die Umschreibung einer ehebrecherischen Handlung ist.“


    und dieses "Zwischen den Zeilen" das macht Fontane so unauffällig, daß man auch ohne irgendwelche Nachforschungen das Buch genießen kann. Hut ab!
    Ich bin aber trotzdem froh, daß uns so einiges aufgefallen ist.


    Die Spaziergänge am Strand und das häufige Verfehlen von Roswitha, die auf sie wartete, das gab der Szene eine gewisse Hektik. Effi's Vorwürfe an Roswitha, die eigentlich nichts dafür konnte, waren vielleicht auch Selbstanklagen.

    Den "Kirchhof" sah ich als stumme, aber immer eine im Roman gegenwärtige Mahnung.


    LG Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo !


    Nun muß ich mich auch mal melden !


    Ich habe eure Diskussion interessiert verfolgt, vor allem, da ich ja Effi Briest schon gelesen und nicht für sooo gut empfunden habe. Nach euren Diskusionen, scheint mir, dass ich irgendwie ein anderes Buch gelesen habe ... :breitgrins:


    Das ist mir auch schon bei Frau Jenny Treibel aufgefallen: Fontane erzählt in einem Roman 2 Geschichten - eine vordergründige, die ohne Nachdenken, ohne Hintergrundwissen ( wie z.B. Huberts tolle Idee zum Romanaufbau) usw. verstanden werden kann und eine hintergründige, die eben mit entsprechendem Überlegen ebenfalls in sich stimmig ist und weit über die erste Geschichte hinausgeht. Sozusagen Belletristik und anspruchsvoller Roman in einem - genial !


    Gruß von Steffi

  • Zitat von "Steffi"

    Sozusagen Belletristik und anspruchsvoller Roman in einem - genial !


    Hallo Steffi


    ich war auch ganz überrascht, wieviel mir Effi Briest gebracht hat und meinen Respekt ist für Fontane, den ich schon immer gern las, noch gewachsen.


    Auch ich verfolge eure interessante Diskussion über Maria Stuart. Ich freu mich regelrecht, wenn es ein neues Posting von euch gibt. Was für eine Frau diese Königin doch war, leidenschaftlich und verloren.


    LG Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Maria hat gefragt:
    ist die antike Tragödie ebenfalls so aufgebaut?


    Hallo Maria,


    Die idealtypische Form eines Dramas ist die geschlossene Form die u.a. folgende Merkmale aufweist:
    - Einsträngigkeit einer eindeutigen Haupthandlung
    - Linearität
    - Beschränkung auf wenige Figuren
    - Symmetrie in der Komposition
    - Pyramidaler Aufbau


    Unter „Pyramidalem Aufbau“ versteht man das dramaturgische Aufbauprinzip des plots der dramatischen Handlung. Dabei unterscheidet man die auf die Aristoteles-Rezeption zurückgehende, antike 3-teilige Dramenstruktur (Ausgangslage, Entwicklung, Auflösung) und die sich davon abgeleitete klassische 5-aktige Struktur (Exposition, Erregendes Moment, Höhe- oder Wendepunkt, Retardation, Katastrophe). Beide Aufbaustrukturen basieren auf der Symmetrie der dramatischen Handlung.


    Fontane hat dies in „Effi Briest“ (obwohl Roman und kein Drama) vorbildlich gelöst wie ich an Exposition und Retardation zeigen will:


    Die Exposition hat folgende Aufgaben:
    - Eventuelle Vorgeschichte (Instettens werben um Effis Mutter)
    - Vorstellung der Hauptfiguren (Geert und Effi werden beschrieben)
    - Einführung in Ort und Zeit
    - Andeutung des Konflikts


    Auch die Verzögerung des Handlungsablaufs (Retardation) bzw. das Hinausziehen der Katastrophe wird durch den Umzug nach Berlin vorbildlich dargestellt.


    Meist wird Shakespeares Macbeth als Schulbeispiel für die 5-aktige Struktur genommen, aber schon der Königsmord am Ende des 1. Aktes (Exposition) durchbricht meiner Meinung nach die Struktur und gehört als erregendes Moment in den 2. Akt. Aber Genies wie Shakespeares müssen sich natürlich nicht an Strukturen halten. Trotzdem gehört „Macbeth“ zu meinen Lieblingstragödien und ich kann nur jedem der die Gelegenheit hat, das Stück im Theater zu sehen, raten, die Gelegenheit zu nutzen.


    „Effi Briest“ weist neben der symmetrischen Komposition und dem pyramidalem Aufbau auch die anderen Merkmale der geschlossenen Dramenform auf: Linearität und Einsträngigkeit einer eindeutigen Haupthandlung (z.B. im Unterschied zu Tolstois „Anna ...“)


    Steffi:
    Hallo Steffi,
    beim Lesen von Koeppens “Treibhaus” ist die Struktur eines 5-aktigen Dramas in einem Roman noch leichter nachzuvollziehen, da das Buch aus genau 5 Kapiteln besteht. (Ich will jetzt aber nichts vorwegnehmen). Darüber hinaus hat Koeppen im Treibhaus auch Aristoteles’ Forderungen an ein Drama, nämlich Einheit von Ort (der Roman spielt nur in Bonn) und Zeit (der Roman schildert zwei aufeinanderfolgende Tage) verwirklicht.


    Liebe Grüße von


    Hubert (und dem Oberlehrer in ihm, der sich für Marias Frage bedankt)

  • Wie wird man damit fertig, dass man die eigene Schuld in einem berühmten Roman nachlesen kann, und Millionen Leser das auch können, dass das eigene Fehlverhalten von Marianne Hoppe in dem Film „Der Schritt vom Wege“ unter der Regie von Gustaf Gründgens nachgespielt wird, dass man die eigenen Kinder Jahre lang nicht sehen darf, dass man als geborene Edle Freiin seinen Unterhalt als Nachtschwester verdienen muß, weil der geschiedene Ehemann, ein General, nichts bezahlt.?


    Einer der bedeutendsten deutschen Gegenwartsdramatiker, Rolf Hochhuth ist diesen Fragen nachgegangen und hat nach ausgiebigen Recherchen über Fontanes Vorbild für Effi Briest (unter anderem durch Gespräche mit „Effis“ Enkel, dem Professor Manfred von Ardenne das Buch „Effis Nacht“ geschrieben:.


    http://www.amazon.de/exec/obid…d_1_1/302-4854042-4219255

  • Hallo Hubert


    Danke für die aufschlußreiche Antwort.
    du hast dir sehr viele Gedanken bei der Aufschlüsselung der Dramen-Einteilung gemacht. Ich finde das schon sehr spannend.


    und wenn ich schon dabei bin:


    du sprichst von geschlossenen Dramen, gibt es auch offene? (ich hoffe die Frage ist jetzt nicht zu dumm gestellt, peinlich). Dramen in ihrem Aufbau sind für mich Neuland.


    Zitat von "Hubert"


    Auch die Verzögerung des Handlungsablaufs (Retardation) bzw. das Hinausziehen der Katastrophe wird durch den Umzug nach Berlin vorbildlich dargestellt.


    diese Verzögerung weckte in mir, obwohl ich das Ende kannte, den Wunsch, daß es doch noch gut wird. Dieser Schimmer von Hoffnung!


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Ihr Lieben,


    ja, ich lese noch mit, bin mit den Beiträgen hier immer up to date und mit dem 2. Durchgang von Effi fast fertig.


    Auch ich bin begeistert von Deinen Erklärungen zum Aufbau eines Dramas, Hubert, und ich begrüße ausdrücklich den Oberlehrer! Wenn man, wie ich, diese Dinge eben nicht in der Schule gelernt hat, sich aber trotzdem dafür interessiert, ist es gar nicht so einfach, ohne Hilfe diese spannenden Aspekte heraus zu finden. Leider habe ich in meinem Bekanntenkreis hier auch niemanden, der sich für gute Literatur interessiert. Um so mehr bin ich für dieses Forum dankbar, das ich ja erst kürzlich sehr zufällig entdeckt habe.


    Zum Roman.
    Mir ist aufgefallen, dass Fontane uns an keiner Stelle Hilfe zur Beurteilung von Verhaltensweisen der Romanfiguren gibt. Weder moralisiert er noch hat er die Absicht, seine Leser zu belehren oder gar zu bekehren. Das ist mir außerordentlich sympathisch. Er zwingt uns, selbst Stellung zu beziehen, was Dich, Ingrid, anfangs so gegen Innstetten aufbrachte und Dich, Hubert, zunächst so für Effi schwärmen ließ.
    Bei der zweiten Lektüre bekam ich außerdem den Eindruck, dass in keinem Roman, den ich bis jetzt gelesen habe, die Liebe so sehr fehlte. Hier liebt eigentlich niemand niemanden. Allenfalls Apotheker Gieshübler und Roswitha sind Menschen aus Fleisch und Blut, eventuell auch Crampas, aber von ihm wissen wir nicht genug. Diese drei Personen sind es auch, die Effi als Frau sehen und sie so behandeln, während sowohl Innstetten als auch die Briests sie stets wie das kleine Mädchen behandeln, das da anfangs im Garten herumtollt.


    Insgesamt scheint mir die Story der Effi/Frau von Ardenne nur das Gerüst für die eigentliche Thematik zu sein: Die Morbidität der so genannten Aristokratie im Preußen der Bismarckschen Zeit. Fontane muss das gereizt haben. Innstetten, der um Effi anhält, obwohl er eigentlich deren Mutter wollte. Effi, die ihn heiratet, obwohl sie ihn kaum kennt und nicht liebt. Die Eltern Briest, die einander nicht lieben, und die ihr einziges Kind in eine Ehe schubsen, nur weil sie eine gute Partie zu werden verspricht. Crampas, der Effis Ehre mit Füßen tritt, denn es wird ja, obwohl sonst wenig von ihm erzählt wird, durchaus deutlich, dass er an seiner Ehe festzuhalten gedenkt. Innstetten, der den Major tötet, nicht weil ihm das Genugtuung bringt, sondern weil er es glaubt tun zu müssen. Und schließlich Effi, die den Ehebruch „ohne Not“ begeht, denn auch Crampas liebt sie nicht! Und die sozusagen in Verbannung leben muss, weil ihren lieblosen Eltern der eigene Ruf wichtiger ist als die Tochter.
    Eine abscheuliche Bande!


    Nun bin ich gespannt auf Eure Kommentare.


    Liebe Grüße,


    Polly

  • Hallo zusammen,


    Polly hat geschrieben:
    bekam ich außerdem den Eindruck, dass in keinem Roman, den ich bis jetzt gelesen habe, die Liebe so sehr fehlte. Hier liebt eigentlich niemand niemanden


    Ja, Polly Du hat recht, ein richtiger Anti-Liebesroman, aber dadurch auch sehr realistisch!


    Insgesamt scheint mir die Story der Effi/Frau von Ardenne nur das Gerüst für die eigentliche Thematik zu sein: Die Morbidität der so genannten Aristokratie im Preußen der Bismarckschen Zeit. Fontane muss das gereizt haben.


    Für den zweiten Teil dieser Aussage gebe ich Dir auch Recht. Fontane hat in „Effi Briest“ wie auch in anderen Romanen heftig Kritik an der Gesellschaft Preußens geübt. Dass aber die Anti-Liebesthematik nur Gerüst dazu war, glaube ich nicht. Zu zeigen wohin das Fehlen der Liebe führt, war, wie auch das von Maria entdeckte Pauluszitat zeigt, Fontane sehr wichtig und macht den Roman (weil im Unterschied zur Gesellschaft Preußens ein überzeitliches Thema) zur Weltliteratur.


    Maria:
    du sprichst von geschlossenen Dramen, gibt es auch offene?


    Weist der Aufbau eines Dramas eine Symmetrie auf, bei der eine steigende Handlung im mittleren Akt (Antike: 2. Akt; Klassik: 3. Akt) zum Höhepunkt oder Umschwung führt und danach eine fallende Handlung zur Katastrophe, so spricht man von einem geschlossenen Drama. Hält sich ein Drama nicht an diese pyramidale Form so ist es offen. Theoretisch wäre eine Tragödie denkbar, bei der Höhepunkt und Katastrophe bereits im 1. Akt stattfinden und die Erklärung wie es dazu kam, wird in x-Akten nachgeliefert. Das wäre dann eindeutig ein offenes Drama. Ob ein Drama offen ist oder sich an eine Form hält, sagt natürlich zunächst nichts über die Qualität aus.
    (PS: Dumme Fragen gibt es nicht, sagte der Oberlehrer)


    Liebe Grüße


    Hubert

  • Hallo ihr Lieben,


    kann man Effi Briest mit Emma Bovary vergleichen? Ich denke schon, nicht umsonst hat Fontane seiner Titelfigur einen Namen gegeben der mit den gleichen Anfangsbuchstaben (E.B.) wie Flauberts „Heldin“ beginnt. In der Tat sind die Ähnlichkeiten zwischen beiden verblüffend:


    - Effi ist wie Emma wohlgehütete Tochter begüterter Eltern
    - Effi ist wie Emma romantisch veranlagt
    - Effi hat wie Emma einen Hang zum Luxus
    - Effi lebt wie Emma mit ihrem Mann in einem langweiligen Provinzort
    - Effi fühlt sich wie Emma in ihrer Ehe vernachlässigt
    - Effi bricht wie Emma gesellschaftliche Konventionen
    - Effi trifft wie Emma auf einen Verführer, dem sein Amüsement wichtiger ist als die Folgen.
    - Sowohl in „Effi Briest“ als auch in „Madame Bovary“ spielt ein Apotheker eine Rolle, Gieshübler bei Fontane, Homais bei Flaubert.

    Hier fangen aber auch die Unterschiede zwischen beiden Romanen an. Fontane (selbst gelernter Apotheker) hat Gieshübler positiver gezeichnet, als Flaubert seinen Apotheker, der ein gefährlicher Karrieremensch ist. Auch den Ehemann hat Fontane positiver dargestellt als Flaubert: Instetten ist zwar wie Charles Bovary konservativ und stark beruflich orientiert, aber so langweilig wie Emmas Ehemann erscheint er mir nicht und auch seine Einsicht in die eigene Schuld (im Gegensatz zu Charles) macht ihn mir sympathischer als Charles. Bei aller Ähnlichkeit zwischen Effi und Emma sind die beiden Bücher doch sehr unterschiedlich geschrieben. Fontane schreibt gesellschaftskritischer als Flaubert, dieser geht dagegen meiner Meinung nach psychologischer vor. Es lohnt sich auf jeden Fall beide Romane zu lesen. Welches ist das bessere Buch? Jetzt so direkt nach „Effi Briest“ würde ich mich für Fontane entscheiden. Aber ich glaube, ich muß Flaubert erst noch einmal lesen.


    Liebe Grüße


    Hubert

  • Zitat:
    Im Text bleibt Effis genauer Sterbetag offen. Auch hier hilft die Sekundärliteratur. Es war der 15.8. Maria Himmelfahrt."
    der Schluß sagt nicht viel über den Sterbetag, mich würde es auch interessieren, wie man den Sterbetag lokalisieren kann.


    Ich habe mit meinem Suchprogramm, die digitale Version von „Effi Briest“ noch mal auf den 15. August hin untersucht (man kann ja schnell was überlesen), und tatsächlich der 15. August wird im Roman genannt. Aber nicht als Effis Sterbetag, sondern als Annies Tauftag und dieser Tauftag ist auch der Tag, an dem es zum 1. Mal zu einem kleinen Flirt zwischen Crampas und Effi kommt.


    Ich interpretiere mal ins Unreine: Wenn Effi in ihrem weiß-blauen Kleid die Unschuld Marias verkörpert, dann hat sie ev. bereits durch diesen ersten kleinen Flirt mit Crampas ihr „unschuldig sein“ verloren. Sie verkörpert jetzt nach diesem Flirt an Maria Himmelfahrt nicht mehr Maria (das Marienhafte an ihr ist an Maria Himmelfahrt gestorben?) sondern nur noch: .. Eva (so hat sie Geert ja schon in seinen Briefen genannt), die sich verführen lässt. Kommt deshalb Crampas bei der zweiten Begegnung mit Effi (die sich im Schaukelstuhl wiegt), wie die Schlange aus dem Wasser (obwohl die Ostsee am 27.9. eigentlich zum baden zu kalt ist) und küsst Effis Hand? Übrigens gibt es bei uns im Schwarzwald eine Figur der alemannischen Fasnacht: Krampus, eine Teufelsgestalt, ob Fontane daran gedacht hat, als er dem Verführer einen Namen gab?


    Wenn Crampus über den Chinesen zu Effi sagt: „Aber solch Spuk ist wie ein Cherub mit dem Schwert ...«“, dann spricht er ja direkt die Stelle in Genesis Kap. 3 Vers 23f an:
    Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, daß er das Feld baute, davon er genommen ist, und trieb Adam aus und lagerte vor den Garten Eden die Cherubim mit dem bloßen, hauenden Schwert, zu bewahren den Weg zu dem Baum des Lebens.“
    Und wenn man Gottvater vorwerfen will, dass er den Cherub mit dem Schwert zu spät, also erst nach der Verführung Evas aufgestellt habe, so zeigt Fontane an „Gottvater“ Instetten, dass es gegen den Verführer auch nichts nützt den Cherub (Chinesen) vorsorglich zu installieren. Aber wundert es bei dieser Interpretation noch, dass Effi aus dem „Paradies“? vertrieben wird? Ich hoffe, mit diesem provokativem letzten Satz, eine Diskussion angeregt zu haben.


    Liebe Grüße


    Hubert


  • Hallo zusammen,


    Maria hat geschrieben:
    Vermehrt erkennt man auch die Farbsymbolik. Die Briefe waren mit einem roten Band umwickelt,


    und in einem Gespräch zwischen Johanna und Roswitha erfahren wir, dass die Briefe schon ganz gelb aussahen:
    Aber bedenken Sie doch, Johanna, das ist ja nun schon eine halbe Ewigkeit her, und die Briefe, die mir gleich so sonderbar aussahen, weil sie die rote Strippe hatten und drei- oder viermal umwickelt und dann eingeknotet und keine Schleife – die sahen ja schon ganz gelb aus, so lange ist es her.


    Die Farbe „Gelb“ gilt allgemein als Warnzeichen. Im Tierreich dient sie als Warnung vor gefährlichen oder giftigen Tieren und wenn früher in einer Stadt die gelbe Flagge gehisst war, bedeutete dies, dass dort die Pest ausgebrochen war. Effi hat aber die Warnung der gelb gewordenen Briefe nicht wahrgenommen, sonst hätte sie diese vernichtet.


    Überhaupt fällt auf, dass die Farbe „Gelb“ in Kessin sehr häufig erwähnt wird, gleich als Effi ihr neues Heim besichtigt heißt es:
    Es befanden sich hier vier einfenstrige Zimmer, alle gelb getüncht, gerade wie der Saal, und ebenfalls ganz leer


    Und auch der Chinese auf dem aufgeklebten Bild trägt gelbe Pluderhosen.


    Dagegen wird die Farbe „Gelb“ in den ersten fünf Kapiteln überhaupt nicht erwähnt, ja in Hohen-Cremmen wo für Effi noch keine Gefahr bestand scheint es diese Farbe überhaupt nicht zu geben, was von Effi im 15. Kap. auch direkt ausgesprochen wird:
    „Solch fahles, gelbes Licht gibt es in Hohen-Cremmen gar nicht“, sagt Effi als sie nach ihrem Sommeraufenthalt nach Kessin zurückkehrt, und es wurde ihr wieder bang.


    Ganz stark warnt das „Gelb“ als Effi mit Crampas beim Picknick am Strand ist:
    Dann und wann kam ein Windzug und trieb den Schaum bis dicht an sie heran. Strandhafer stand umher, und das helle Gelb der Immortellen hob sich, trotz der Farbenverwandtschaft, von dem gelben Sand, darauf sie wuchsen, scharf ab. Effi machte die Wirtin. »Es tut mir leid, Major, Ihnen diese Brötchen in einem Korbdeckel präsentieren zu müssen...«


    Und wie Maria schon feststellte deuten die gelben Immortellen nicht nur auf die Gefahr hin, sondern machen deutlich das diese Gefahr mit dem Ende des Verhältnisses nicht beendet ist, sondern konserviert weiterwirkt::


    Immortellen
    sind Stauden auf sandigen Magerstandorten. In Nord- und Ostdeutschland blühen sie im Spätsommer mit gelben und bräunlichen Kopfchen (genannt Helichrysum arenarium). Man kann sie trocknen und sie halten sehr lange.


    Weltweit wird heute noch die Kompination von Gelb und Schwarz zur Kennzeichnung von Gefahren eingesetzt. Wenn Effi nach ihren Treffen mit Crampas auf Roswitha am Holzschuppen wartet heißt es bei Fontane:
    Effi saß auf einer an einem langen Holzschuppen sich hinziehenden Bank und sah nach einem niedrigen Fachwerkhause hinüber, gelb mit schwarzgestrichenen Balken, einer Wirtschaft für kleine Bürger, die hier ihr Glas Bier tranken oder Solo spielten.


    Effi wusste in welcher Gefahr sie sich befand. Warum nur hat sie die Warnzeichen nicht beachtet?


    Liebe Grüße


    Hubert