Grimmelshausen: Simplicissimus

  • Hallo,


    kennt jemand eine Quelle im Netz, in der Ausschnitte vom oder der komplette Urtext des Simplicissimus zu finden sind?


    Über Google habe ich es nicht gefunden.


    Vor Jahren laß ich die Ausgabe der WBG, nun habe ich die Neuübersetzung gekauft (warum ist das eine Übersetzung und keine Übertragung?) und möchte ein Mal wissen, wie sich der ursprüngliche Text lesen lässt.

  • Die folgende Ausgabe von 1854 behält die originale Orthographie weitgehend bei: http://books.google.de/books?id=zFQZAAAAYAAJ&pg=PP9
    Hier die Links zu den ersten beiden Kapiteln:
    http://books.google.de/books?id=zFQZAAAAYAAJ&pg=PA25
    http://books.google.de/books?id=zFQZAAAAYAAJ&pg=PA32


    Beim vorher erwähnten Gutenberg-Text wurde teilweise nicht nur die Schreibung, sondern auch die Lautung verändert: Harpffe -> Harfe; darzu -> dazu (wobei man da im einzelnen noch diskutieren könnte, wie diese Wörter damals wirklich ausgesprochen worden sind; das ist ein weites Feld). Einen gut lesbaren Originaltext gibt es im "Deutschen Klassikerverlag" sehr günstig als Taschenbuch. Die wichtigsten Wörter werden da jeweils am Seitenende erklärt, so daß man nicht andauernd im umfangreicheren Stellenkommentar nachblättern muß. Das finde ich sehr praktisch.


    Irgendwo im Netz habe ich auch mal eine direkte Gegenüberstellung von Ausschnitten des Originals und der Neubearbeitung gesehen, mal sehen, ob ich das noch finde ...


    Es war wohl dieses PDF, das ich im Sinn hatte:
    http://www.reinhardkaiser.com/…elteWerke/grivorschau.pdf
    Darin gibt es aber nun doch keinen direkten Vergleich, sondern nur eine kleine Liste von "Falschen Freunden" auf der sechsten Seite. Allerdings findet sich beispielsweise vergeben für vergiften noch bei Lessing oder auch in Grimms Sagen, die man ja normalerweise auch nicht übersetzt. ;-) Interessen im Sinne von Zinsen ist ebenfalls zu Goethes Zeiten noch üblich. Goethes Werther schreibt an einer Stelle, daß er sich dreimal prostituiert habe, das müßte man ja eigentlich auch schon übersetzen, weil das Wort heute einen ganz anderen Sinn hat. Den alten Wortgebrauch lernt man nur durch Lesen der Originalfassungen (kommentierte Ausgaben helfen einem dabei), deshalb stehe ich derartigen Neuübertragungen einigermaßen skeptisch gegenüber. Allerdings hat man ja als Leser immer noch die Wahl, die Originalfassung zu lesen, deshalb schadet eine Neubearbeitung auch nicht, denn sie läßt das Original unangetastet.


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Der übersetzte Grimmelshausen ist heute gekommen. Schönes Buch. Ich hab mal reingeschnuppert und musste gleich aufpassen, dass ich mich nicht festlese. Schon mal kein schlechtes Zeichen, denke ich.


    Jetzt bräuchte ich nur noch die Ausgabe aus dem Klassikerverlag, um vergleichen und die Übersetzung beurteilen zu können. Die Ausgabe bei Zeno unterscheidet sich jedenfalls deutlich, aber die Textgeschichte des Simplicissimus ist wohl nicht ganz einfach. Beim Klassikerverlag hat man die EA vom 1668 und die Fortsetzung von 1669 herangezogen. Der Roman wurde von Raubdruckern sofort nachgedruckt und dabei auch komplett überarbeitet, was wiederum auf reguläre Nachdrucke des Originals abfärbte. 1670 erschien der heute sogenannte "Barock-Simplicissimus", die anscheinend ebenfalls von fremder Hand bearbeitet wurde.


    Aus dem Anhang:


    Zitat

    Ob und in welchem Umfang diese Erweiterungen und Veränderungen mit oder ohne Wissen und Mitwirkung des Verfassers zustande kamen, ob also dieser "Barock-Simplicissimus" als Ausgabe letzter Hand gelten kann, ist ungewiss. Deshalb wird, seit die Erscheinungsfolge der frühen Ausgaben und die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen ihnen geklärt sind, die erste Auflage von 1668/1669 als Textgrundlage für die Neuausgaben vorgezogen.

  • So, das Taschenbuch der Ausgabe im Klassikerverlag habe ich jetzt auch noch bestellt. Wenn ich mein selbstauferlegtes Buchkaufverbot durchbreche, dann aber auch richtig. Wenn ich beim Vergleich dann feststelle, dass ich das Original problemlos lesen kann, habe ich allerdings ein Problem ;-)

  • Also wir haben den Simplizissimus damals in der Schule gelesen. Da gab es noch keine "Übersetzung", und ich meine mich trotzdem zu erinnern, das er sich flüssig lesen lies.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Zitat

    Da gab es noch keine "Übersetzung",


    Stimmt, da gab es Bearbeitungen und großzügig gekürzte Ausgaben.


    Es ist auch immer so die Frage, was man unter "lässt sich flüssig lesen" versteht. Natürlich lässt sich auch Barock-Deutsch lesen, das habe ich ja auch getan. Den Simplicissimus habe ich in der gekürzten Fassung in der Schule gelesen, den vollständigen Text mal während des Studiums. Aber das war kein Vergnügen, das war Arbeit, ohne sonderliche emotionale Beteiligung.


    Die vielgelobte Satire und Welthaltigkeit hat sich mir da auch nicht so recht erschlossen, ich fand den Roman eher behäbig, viel zu umständlich erzählt, unbeholfen, ungeübt - kurz: langweilig. Historisch und literaturwissenschaftlich wichtig, keine Frage - aber davon abgesehen keine lohnende Lektüre. Und das tut dem Roman wohl unrecht.

  • giesbert In der Schule haben wir nur das erste Buch behandelt. Aber neugierig, wie ich schon damals war, habe ich mir eine komplette Ausgabe besorgt, und alles gelesen.
    Ich finde, wenn man sich erst einmal in den Grimmelshausen reingelesen hat, liest es sich leicht und ohne stocken. Bei Fischart oder Lohenstein habe ich da deutlich mehr Probleme.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Ich habe sicher nie mehr als ein paar Seiten im barocken Original gelesen, und den Rest in einer oder zwei Überarbeitungen/Übertragungen. Daneben vom Barock v.a. Lyrik und natürlich den Gryphius aufgenommen. Generell ist mir persönlich aber das Hochmittelalter mit seinen grandiosen Epen (Tristan!) näher als der Barock. Und wenn ich mir vergegenwärtige, dass die gegenwärtige Hoch-Zeit der sog. Fantasy im Grunde genommen auch aufs Mittelalter zurückgreift, scheine ich nicht der einzige zu sein.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Mal ein Beispiel aus der Übersetzung. – Titel der EA nach Wikipedia, ohne Umbrüche, die "/" stehen so auf dem Titelblatt und markieren wohl Kommata:


    Zitat

    Der Abentheuerliche SIMPLICISSIMUS Teutsch / Das ist: Die Beschreibung deß Lebens eines seltzamen Vaganten / genant Melchior Sternfels von Fuchshaim / wo und welcher gestalt Er nemlich in diese Welt kommen / was er darinn gesehen / gelernet / erfahren und außgestanden / auch warumb er solche wieder freywillig quittirt. Überauß luſtig / und maenniglich nutzlich zu lesen. An Tag geben Von German Schleifheim von Sulsfort.


    Die Übersetzung:


    Zitat

    Der abenteuerliche Simplicissimus Deutsch[.] Das ist die Beschreibung des Lebens eines seltsamen Vaganten, genannt Melchior Sternfels von Fuchshaim, nämlich: wo und wie er in diese Welt gekommen, was er darin gesehen, erfahren, gelernt und ausgestanden, auch warum er sie freiwillig wieder verlassen hat. Überaus unterhaltsam und für jedermann nützlich zu lesen. An den Tag gegeben von German Schleifheim von Sulsfort.

  • (Nach Gutenberg.de)


    -----------------
    Das 1. Kapitel
    Vermeldet Simplicii bäurisch Herkommen und gleichförmige Auferziehung


    Das 1. Kapitel
    Berichtet von des Simplicius bäurischem Herkommen und ebensolcher Erziehung.


    -----------------


    Solchen närrischen Leuten nun mag ich mich nicht gleich stellen, obzwar, die Wahrheit zu bekennen, nicht ohn ist, daß ich mir oft eingebildet, ich müsse ohnfehlbar auch von einem großen Herrn, oder wenigst einem gemeinen Edelmann, meinen Ursprung haben, weil ich von Natur geneigt, das Junkernhandwerk zu treiben, wenn ich nur den Verlag und das Werkzeug dazu hätte.


    Mit solchen närrischen Leuten möchte ich nicht in einen Topf geworfen werden, obwohl ich mir, die Wahrheit zu bekennen, tatsächlich oft eingebildet habe, auch ich müsse von einem großen Herrn oder wenigstens einem einfachen Edelmann herstammen. Denn von Natur aus war ich immer geneigt, das Junkerhandwerk zu treiben, wenn ich nur das Geld und die Mittel gehabt hätte.

  • Zitat von "giesbert"


    die "/" stehen so auf dem Titelblatt und markieren wohl Kommata


    Ja, die Virgeln - so nennt man diese Schrägstriche - sind im Grunde das gleiche wie Kommas. Die heutige Form des Kommas wurde damals schon in (lateinischen) Antiquadrucken verwendet, in Frakturdrucken verwendete man stattdessen diese Schrägstriche. Im Text der Ausgabe des Simplicissimus aus dem Deutschen Klassikerverlag werden durchgängig Virgeln verwendet, nicht nur in der Überschrift. Außerdem werden nicht die heute üblichen Umlaute verwendet, sondern die alte Form mit übergestelltem "e".


    Beim Übersetzungsvergleich fallen diese Wörter im Original auf, die man heutzutage mißverstehen kann und die deshalb in der Übersetzung ausgetauscht wurden:


    ... gleichförmige Auferziehung


    ... wenn ich nur den Verlag und das Werkzeug dazu hätte.


    Diese beiden Wörter werden am Seitenfuß der Ausgabe des Dt. Klassikerverlages erklärt, nämlich im ersten Fall mit "ebensolche" im zweiten Fall mit "Kapital, Geldmittel" (oh, da steht doch tatsächlich "Kapitel", wie ich gerade bei genauerem Hinsehen entdecke, ist wohl ein Druckfehler ;-)).


    Die Übersetzungsproben klingen eigentlich ganz gut, das einzige, was mich stört, ist die Übersetzung von "quittirt" mit "verlassen". Falls da mehr oder weniger durchgehend die Fremdwörter verdeutscht sein sollten, fände ich das ziemlich schade.


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Hallo,


    in den achtziger und neunziger Jahren las ich den Simplicissimus und die Courasche in jeweils nur in der Rechtschreibung und Zeichensetzung modernisierten Ausgaben.
    Ebenso wie BigBen finde ich, dass die Texte ohne große Schwierigkeiten zu verstehen sind. Die meisten Wortbedeutungen sind durchaus ableitbar - wie "gleichförmig" als "ebensolch" - oder aus dem Kontext vertändlich. Ansonsten hat man die Anmerkungen.


    Natürlich muss ich damit einverstanden sein, dass man bereits solche leicht verständlichen barocken Texte auch sprachlich modernisiert, um ihr Überleben auch in einer breiteren Öffentlichkeit zu gewährleisten, aber andererseits finde ich es schade, weil die Lektüre dieser originalen Texte auch zum Weiterbestehen des Ausdrucksreichtums unserer Sprache beiträgt. Warum sollen nicht die unterschiedlichen Gebrauchsmöglichkeiten eines Wortes in unserem Gedächtnis ihren Platz behalten?


    Wichtig wäre es also, wenn Originaltext (im oben genannten Sinne) und Modernisierung nebeneinander weiter exisiteren dürften.
    Ich fände es zum Beispiel auch sehr schade, wenn die klassischen Shakespeare-Übersetzungen von den Schlegels usw. zugunsten modernerer verschwinden würden, denn die ersteren stellen sicherlich einen Höhepunkt an Sprachkunst dar.


    Grüße


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)


  • Ebenso wie BigBen finde ich, dass die Texte ohne große Schwierigkeiten zu verstehen sind. Die meisten Wortbedeutungen sind durchaus ableitbar - wie "gleichförmig" als "ebensolch" - oder aus dem Kontext vertändlich. Ansonsten hat man die Anmerkungen.


    ich habe nie bestritten, dass man Barockdeutsch verstehen kann (ich habe auch nie gesagt, dass ich das nicht verstehe). Nur ist die Übersetzungsarbeit, die man beim Lesen zwangsläufig vollbringen muss, dazu angetan, einem den Spaß am Text zu verleiden. Und die ja schon erwähnten "falschen Freunde" - also Worte, die wir heute auch noch benutzen, aber in einem völlig anderem Sinn als im 17. Jahrhundert - sind mehr als nur kleine Hindernisse, die können dafür sorgen, dass man entweder glaubt, etwas verstanden zu haben (es aber nicht hat) oder aber einen (Ab)Satz gleich nochmal lesen muss, weil man am Ende der Seite merkt, dass das erste Verständnis einfach nicht stimmen kann.


    Das ist beim MHD noch viel schlimmer (hier hat übrigens noch niemand wegen einer Übersetzung die Stirn in Sorgenfalten gelegt (also jetzt mal unabhängig von der Qualität der Übersetzung ;-))


    Wer den lieben langen Tag sich mit Literatur des 17. oder 18. Jahrhunderts beschäftig, der wird Grimmelshausen flüssig vom Blatt lesen und seinen Spaß dabei haben können. Ich kann das nicht. Ob man einfach mal so 400 Jahre sprachliche Entwicklung und seine eigene Lektüreprägung hintanstellen und so tun kann, als sei Grimmelshausen Zeitgenosse, mit dem man beim Bier plaudert, muss jeder selbst wissen. ich weiß, dass ich das ebenfalls nicht kann.


    Zitat

    weil die Lektüre dieser originalen Texte auch zum Weiterbestehen des Ausdrucksreichtums unserer Sprache beiträgt


    Tut sie das wirklich? I have my doubts. Veraltete grammatische Formen, umständliche Fügungen, Begriffe, die mitunter das glatte Gegenteil ihrer heutigen Bedeutung haben etc. etc. -- das hilft imho eher nicht dem Ausdrucksreichtum weiter, sondern dem Missverständnis. Es ist ja nicht so, dass sich die Sprache seit Grimmelshausen rapide im Niedergang befindet und wir heute nur noch ein Schrumpfdeutsch lallen, während die Barockdichter noch aus dem sprachlichem Vollen schöpften (ich glaube, das ist eher umgekehrt, aber das nur nebenbei).


    Abgesehen davon - es hat ja niemand gefordert, die alten Ausgaben auf den Müll zu werfen. Die Übersetzung ist eine Alternative, nicht mehr, nicht weniger.


    Zitat

    Wichtig wäre es also, wenn Originaltext (im oben genannten Sinne) und Modernisierung nebeneinander weiter exisiteren dürften.


    Wer wollte das denn verbieten?


    Zitat

    Ich fände es zum Beispiel auch sehr schade, wenn die klassischen Shakespeare-Übersetzungen von den Schlegels usw. zugunsten modernerer verschwinden würden


    Warum sollten sie das tun? Es muss einem dabei allerdings klar sein, dass Schlegel/Tieck Shakespeare durch die Brille des 18./19. Jahrhunderts lesen und übersetzend interpretieren. Das muss mit Shakespeare selbst dann nicht mehr viel zu tun haben.


    Wie beim DQ von Tieck. Der ist klasse - aber mitunter eher von Tieck als von Cervantes.


    Btw - müsste man nicht fordern, Cervantes und Shakespeare ins zeitgenössische Deutsch zu übersetzen?


  • Im Text der Ausgabe des Simplicissimus aus dem Deutschen Klassikerverlag werden durchgängig Virgeln verwendet, nicht nur in der Überschrift. Außerdem werden nicht die heute üblichen Umlaute verwendet, sondern die alte Form mit übergestelltem "e".


    Dafür würde ich mal gern im kritischen Kommentar die Begründung lesen (na, das Buch ist ja bestellt und müsste in den nächsten Tagen eintreffen). So auf Anhieb fällt mir nämlich nicht ein, warum man typographische Besonderheiten nachbilden soll. Dann kann man ja gleich ein Faksimile drucken. Ich habe mal rasch in die Ausgabe der Insel Felsenburg geschaut - Kommas & Umlaute. (Macht den Text aber auch nicht lesbarer; dem würde, fürchte ich, aber wohl auch keine Übersetzung noch merklich auf die Sprünge helfen.)


    Zitat

    Die Übersetzungsproben klingen eigentlich ganz gut, das einzige, was mich stört, ist die Übersetzung von "quittirt" mit "verlassen".


    Ja, da bin ich auch beim Vergleich drüber gestolpert. Mal sehen, wie das mit anderen Fremdwörtern gehandhabt wird. Ist aber eine nicht gerade triviale Sache.

  • [quote author=giesbert]
    Abgesehen davon - es hat ja niemand gefordert, die alten Ausgaben auf den Müll zu werfen. Die Übersetzung ist eine Alternative, nicht mehr, nicht weniger.


    Zitat

    Wichtig wäre es also, wenn Originaltext (im oben genannten Sinne) und Modernisierung nebeneinander weiter exisiteren dürften.


    Wer wollte das denn verbieten?
    [/quote]


    Das muss man nicht verbieten, da gilt das Gesetz des Marktes! Übrigens ist meine Stellungnahme keine, die Ausschließlichkeitsanspruch hat, sondern nur meine Meinung zu den von mir gelesenen Grimmelshausen-Texten.
    Ich halte es übrigens nicht für so gefährlich, Interpretationsirrtümern aufzusitzen, die zu Beispiel "falsche Freunde" bedingen könnten, denn erstens wird dadurch wohl kaum ein Weltkrieg ausgelöst und zweitens erspart einem das kontextuelle Lesen in der Regel eine Menge solcher falscher Annahmen (die ich gleichwohl in meinem Leserleben das eine oder andere Mal sicher gemacht habe, aber die Folgen sind wohl nicht so erschhütternd, wenn es nicht eine wissenschaftliche Arbeit betrifft).


    [quote author=giesbert]
    finsbury:"Ich fände es zum Beispiel auch sehr schade, wenn die klassischen Shakespeare-Übersetzungen von den Schlegels usw. zugunsten modernerer verschwinden würden"


    Warum sollten sie das tun? Es muss einem dabei allerdings klar sein, dass Schlegel/Tieck Shakespeare durch die Brille des 18./19. Jahrhunderts lesen und übersetzend interpretieren. Das muss mit Shakespeare selbst dann nicht mehr viel zu tun haben.


    Wie beim DQ von Tieck. Der ist klasse - aber mitunter eher von Tieck als von Cervantes.


    Btw - müsste man nicht fordern, Cervantes und Shakespeare ins zeitgenössische Deutsch zu übersetzen?
    [/quote]
    Und inwiefern setzen wir dann keine Brille auf, genauso wie Tieck usw.?


    Was übrigens die Notwendigkeit der Übersetzung mittelalterlicher Texte und natürlich auch die Bearbeitung schwierigerer früh- und hochbarocker Texte angeht, gehe ich völlig mit dir d'accord, ich bezog mich nur auf die in meinem Beitrag angegebenen Grimmelshausen-Romane.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Ob man einfach mal so 400 Jahre sprachliche Entwicklung und seine eigene Lektüreprägung hintanstellen und so tun kann, als sei Grimmelshausen Zeitgenosse, mit dem man beim Bier plaudert, muss jeder selbst wissen. ich weiß, dass ich das ebenfalls nicht kann.


    Kann man sicher nicht. Abgesehen davon, dass auch 400 Jahre kultureller Entwicklung hinzu kommen. Schon das Bier, das Grimmelshausen trank, und das unsere werden - Reinheitsgebot her oder hin - nicht dasselbe Getränk sein. :smile:


    Und natürlich lesen wir bei jeder Übersetzung / Übertragung / Überarbeitung durch eine Brille. Eine zeitgenössische hat den Vorteil, dass diese Brille dieselben Dioptrien aufweist wie unsere übrigen Brillen. Mit einer des 18. Jahrhunderts gucken wir mit unserer Brille durch die Brille eines andern aufs Original. Wir lesen quasi um die Ecke. (Was auch reizvoll sein kann.)

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • DIe Ausgabe aus dem Klassiker Verlag erwarte ich nächste Woche, sie war kurzzeitig nicht lieferbar. Gelesen habe ich die Ausgabe der WBG von 1966, angeblich ein behutsam an das moderne Deutsch angepasster Text. Das Lesen war stellenweise ein wenig beschwerlich, mir ist der Inhalt aber kaum noch präsent. Vielleicht hatte ich dann doch mit der Sprache mehr Probleme. Auf das barocke Deutsch bin ich jedenfalls gespannt.